Freitag, 30. März 2018

[Rezension Ingrid] Neunauge von Till Raether



„Neunauge“ von Till Raether ist der vierte Fall für Adam Danowski, dem inzwischen fest zur Abteilung „Operative Fallanalyse“ am Landeskriminalamt Hamburg gehörenden Hauptkommissar. Die Erhebungen auf der Oberseite des Brückenbogens auf dem Cover erinnern bei einem flüchtigen Blick an das Aussehen eines „Neunauges“, einem aalartigen Fisch, der zwar keine neun Augen hat, dessen ausgeprägte Kiemenspalten irrigerweise jedoch daran denken lassen. Zweimal schon wurde an unterschiedlichen Schulen eine mumifizierte Leiche im Keller gefunden, beide tragen Bissspuren eines Neunauges.

Seit den Ermittlungen zum dritten Fall „Fallwind“ sind zwei Jahre verstrichen und Adam Danowski wohnt während der Woche in einer kleinen Wohnung in der Nähe seiner Arbeitsstätte. Er befindet sich weiter in Therapie, aktuell soll er ein Tagebuch führen und drei Dinge täglich aufschreiben, die ihn glücklich stimmen. Er erhält bei den Ermittlungen Unterstützung von einem der bekanntesten Fallanalytiker Deutschlands, der in München beheimatet ist und schnell zu dem Ergebnis kommt, dass Mobbing als Tatmotiv anzunehmen ist. Danowski kommt nicht gut zurecht mit der Art des unterstützenden Kollegen. Prekär wird die Lage für ihn als seine Kollegin Meta Jurkschat, die sonst streng nach Vorschrift arbeitet, ihn darum bittet, ihre frühere Beziehung mit einem der Opfer zu verschweigen, weil sie ansonsten Probleme bei ihrer eventuellen Beförderung sieht. Stattdessen beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln.

Beide Morde liegen Jahre auseinander, die Leichenfunde allerdings nur ein paar Wochen. Durch die Bisse des Neunauges werden die Fälle in direkten Zusammenhang gebracht. Lehrer, Eltern und Schüler anderer Schulen in Hamburg sind höchst aufgeregt und vermuten weitere Funde, eventuell mordet der Täter sogar aktuell weiter. Eine schnelle Aufklärung ist nötig.

Eigentlich hat Danowski inzwischen zu einem gewissen Gleichgewicht in seinem Leben gefunden. Die Zusammenarbeit mit dem Münchner Kollegen wühlt ihn jedoch auf, die Bitte seiner Kollegin bringt ihn in einen Gewissenszwiespalt. Die Ermittlungen nehmen erst an Fahrt auf, als Meta und Finzi, der Ex-Partner von Danowski und jetzige Lebenspartner von Meta, auf Hinweise zum möglichen Mordmotiv stoßen, das außerhalb des schulischen Umfelds liegt und vom Thema her noch wenig benutzt ist. Bis dahin hat Till Raether geschickt Spuren ausgelegt, die er einerseits in eine Richtung führt, andererseits hat er Szenen eingeflochten, die noch nicht zum Gesamtbild passen und daher zum Miträtseln anregen.

Ich schätze es, dass die Figuren ein Privatleben haben dürfen, das regelmäßig in den Fall hinein spielt. Auf diese Weise glaubt man die Protagonisten besser zu kennen und fiebert mit, ob sie sich in brenzligen Situationen behaupten werden. Lediglich die Darstellung einiger Schilderungen mit Gewaltanwendung bei die Ermittler persönlich betroffen sind finde ich etwas übersteigert. Über allem liegt wieder der manchmal ironische, oft amüsante und immer unterhaltsame Plauderton mit dem Till Raether seine Kriminalromane erzählt.

Mit „Neunauge“ ist Till Raether wieder ein solider Krimi gelungen, in dem er mehrere Täter präsentiert, falsche Fährten auslegt und für unerwartete Wendungen sorgt, so dass der Spannungsbogen nicht abbricht. Daher empfehle ich das Buch gerne an Krimileser und vor allem an Fans von Danowski & Co.

Rezension auf unserem Blog zum 2. Band der Serie "Blutapfel" -> LINK

Rezension auf unserem Blog zum 3. Band der Serie "Fallwind" -> LINK

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Titel: Neunauge (4. Band der Serie um den Hamburger Hauptkommissar Adam Danowski)
Autor: Till Raether
Erscheinungsdatum: 22.09.2018
Verlag: Rowohlt Polaris (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur

Mittwoch, 28. März 2018

[Rezension Hanna] Château Mort - Alexander Oetker


 

Luc Verlaine genießt gemeinsam mit seinem Pariser Kollegen und Freund Yacine den Sommer im Aquitaine. Gemeinsam wollen die beiden beim bekannten „Marathon du Médoc“, bei dem viele Läufer verkleidet auf die Strecke gehen und an den Pausenständen Wein ausgeschenkt wird, als Streckenposten arbeiten. Doch dann kommt es zu einem fatalen Zwischenfall: Der Unterpräfekt bricht mitten im Lauf zusammen und muss wiederbelebt werden. Wenige Minuten später trifft es auch den Winzer Hubert de Langeville, bei dem jede Hilfe zu spät kommt. Beide haben kurz zuvor am Pausenstand des Winzers Richard gerastet, der ein alter Freund von Luc ist. Kann Luc herausfinden, was dahinter steckt?

Im letzten Jahr habe ich bereits den ersten Fall für Luc Verlain, „Retour“, gelesen, und war nun neugierig, was den Kommissar bei seinem nächsten Fall erwartet. Rund zwei Monate sind im Buch seit dem ersten Fall vergangen und es ist Hochsommer geworden. Luc nutzt die ruhige Zeit, um gemeinsam mit seinem Pariser Freund Yacine den Sommer feiernd zu genießen. Und obwohl die Surflehrerin Cecilia fast jede Nacht zu ihm kommt geht ihm Anouk nicht aus dem Kopf, die nach ihrem Kuss in ihre Heimat gereist ist.

Die ganze Region fiebert dem „Marathon du Médoc“ entgegen, einem Großereignis mit buntem Treiben, bei dem natürlich auch Luc aushilft. Doch als beim Lauf der Unterpräfekt zusammenbricht und der Winzer Hubert de Langeville auf der Strecke stirbt, sind seine Ermittlungskünste gefragt. Dabei wird er von Yacine unterstützt, aber auch von Anouk, die kurz vor dem Zwischenfall zurückgekehrt ist.

Der Verdacht, dass es sich um Mord handelt, ist schnell bestätigt. Luc findet sich in einer emotionalen Zwickmühle wieder, denn sein alter Freund Richard ist der Hauptverdächtige: An seinem Stand machten beide Opfer zuletzt Rast. Außerdem hat er Luc noch am Vorabend erzählt, dass er de Langevilles Weingut kaufen will, dieser aber in letzter Sekunde einen Rückzieher machen wollte. Luc gibt sich mit dieser naheliegenden Erklärung nicht zufrieden und beginnt, in alle Richtungen nachzuforschen. Dabei macht er bald überraschende Entdeckungen, was Hubert de Langeville angeht. Leiten sich aus diesen neue Motive anderer Personen ab, oder führt alles doch wieder nur zum Ursprung zurück?

Die atmosphärischen Beschreibungen der Landschaft und des guten Weins machen beim Lesen Lust auf einen Besuch im Aquitaine. Der Tonfall bleibt trotz des Mordfalls eher locker. Im Vergleich zum ersten Fall hat mir der Spannungsbogen in diesem Buch deutlich besser gefallen. Es werden viele Befragungen durchgeführt, die stückweise neue Informationen und Erkenntnisse liefern. Gleichzeitig geht es immer wieder auch darum, wie es für Luc und Anouk weitergeht. Für einen Krimi nahmen mir Lucs Frauengeschichten und die Frage, warum er immer einen Rückzieher macht, wenn es ernst wird, aber zu viel Raum ein. Die Auflösung fand ich zudem recht weit hergeholt.

In „Chateau Mort“ brechen während des bekannten „Marathon du Médoc“ zwei Läufer auf der Strecke zusammen – der Unterpräfekt kann gerettet werden, doch der Winzer Hubert de Langeville verstirbt. Besonders brisant für Luc ist diesmal, dass ein alter Freund der Hauptverdächtige ist. Mir haben die atmosphärischen Beschreibungen gefallen, und im Vergleich zum ersten Fall hat sich der Autor in Sachen Dramaturgie steigern können. Ich vergebe vier Sterne und eine Leseempfehlung für Frankreich- & Krimi-Fans!


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Chateau Mort
Autor: Alexander Oetker
Paperback: 336 Seiten
Erschienen am 14. März 2018
Verlag: Hoffmann und Campe

Dienstag, 27. März 2018

[Rezension Hanna] Serverland - Josefine Rieks



In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhundert hat Reiner, der bei der Post arbeitet, ein recht spezielles Hobby: Er sammelt alte Computer und spielt auf denen mit halbwegs funktionstüchtigem Akku alte Spiele. Für den Rest der Bevölkerung handelt es sich bei diesen Geräten nur noch um Elektroschrott, denn das Internet wurde vor Jahrzehnten abgeschaltet. Doch dann wird Reiner von einem Schulfreund kontaktiert, der ihm zeigt, dass es noch immer stillgelegte Serverhallen gibt. Reiner gelingt es, eine Verbindung zu den Servern herzustellen und YouTube-Videos aus unserer Zeit abzuspielen.

Wie blicken Menschen in etwa sechzig Jahren auf Videos von heute, wenn sie diese Art des unbegrenzten Teilens per Mausklick nicht mehr kennen? Das Buch verspricht ein interessantes Gedankenexperiment zu dieser Frage. Zu Beginn lernt man den Protagonisten Reiner kennen, dessen Leben nicht sonderlich aufregend ist. In seiner Freizeit widmet er sich ganz seinen gesammelten Computern und den Spielen, die er auf einigen davon spielen kann. Bald wird er von einem alten Schulfreund kontaktiert, der ihn mitnimmt zu alten Servern und ihn fragt, ob er die Verbindung zu ihnen herstellen kann. Reiner bejaht. Einige Zeit später fahren sie  einer noch größeren Serverhalle, wo Reiner das Vorhaben in die Tat umsetzt und eine App schreibt, die das auch anderen ermöglicht.

Bei mir hat die Handlung zahlreiche Fragen aufgeworfen, auf die keine Antwort gegeben wird: Warum wurde das Internet abgestellt? Warum hat sich ansonsten rein gar nichts verändert? Woher weiß Meyer von den Serverhallen? Warum ist sonst noch keiner auf die Idee gekommen, eine Verbindung zu den Servern herzustellen? Warum sind Computer Elektroschrott, wenn man auf ihnen noch Spiele spielen kann? Wie haben Menschen aus aller Herren Länder ohne Internet davon erfahren, was in der Serverhalle vor sich geht? Was läuft im zensierten Fernsehen, wenn die gefundenen Videos so anders sind? Das sind nur einige Beispiele für all die Fragen, mit denen man als Leser allein gelassen wird.

Die Charaktere erhalten wenig Tiefe, ich hätte gern mehr über ihre Motivation erfahren. Stattdessen stehen Partys, Alkohol und Drogen im Vordergrund. Immer mehr Menschen kommen zur Serverhalle und es entsteht eine Art Kommune, in der nur wenige sich wirklich für die gefundenen Videos interessieren. So bleibt für diese in dem ohnehin schon kurzen Buch wenig Platz. Man unterhält sich über einige Videos, die hinten im Buch auch zum Nachschauen mit Link angegeben sind, doch die Reaktion ist meist irgendwo zwischen „Cool“, „Schräg“, „Heftig“ oder „Warum hat man so was mit der Welt geteilt?“. Mir hat sich bis zum Schluss leider nicht erschlossen, was die Botschaft des Buchs sein soll.

„Serverland“ basiert auf der Idee, das in einer Zukunft ohne Internet YouTube-Videos von heute gefunden werden. Es ist eine interessante Idee, die jedoch nicht konsequent weitergedacht wurde und viel zu unkonkret bleibt.  Das Setting wird so grob skizziert, sodass ich mich nicht gut in die Welt von Reiner eindenken konnte. Auch er selbst bleibt als Charakter blass. Nach hundertsechzig Seiten habe ich dieses schmale Buch mit einem großen Fragezeigen im Kopf beendet.


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Serverland
Autorin: Josefine Rieks
Hardcover: 176 Seiten
Erschienen am 19. Februar 2018
Verlag: Hanser

Montag, 26. März 2018

[Rezension Ingrid] Die Geschichte des verlorenen Kindes von Elena Ferrante


„Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist der vierte und abschließende Band einer Romanserie von Elena Ferrante, die sich rund um die Freundschaft der inzwischen 66-jährigen Ich-Erzählerin Elena und ihrer gleichaltrigen Freundin Raffaella dreht. Die Erzählung umfasst die beiden Teile „Reife“ und „Alter“ sowie einen Epilog. Das Buch beginnt mit Elenas Rückblick auf die Zeit Ende der 1970er Jahre, in denen ihre Ehe scheiterte und sie schließlich zum Schreiben nach Neapel zurückkehrte. Der Titel des vierten Teils verhüllt ein tragisches Geheimnis, das erst nach etlichen Seiten im Buch gelüftet wird. Wieder ist der Geschichte ein Verzeichnis der handelnden Personen mit einer Kurzfassung zu den bisherigen wichtigsten Ereignissen vorweg gestellt. Dennoch entfaltet sich der volle Lesegenuss nur bei Kenntnis der vorigen Bände. Die Übersetzung von Karin Krieger ließ die Handlung für mich bis ins Detail verständlich werden.

Elenas Ehe steckt in der Krise seit aus ihrer Jugendschwärmerei Liebe geworden ist, die erwidert wird. Nach vielen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann Pietro zieht sie schließlich mit ihren beiden Kindern in eine Wohnung, die ihr Geliebter ihr in Neapel gemietet hat in einer ansehnlichen Gegend. Inzwischen ist aus Lila, wie sie Raffaella seit Kindertagen nennt, eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Lila hat den Rione, die Gegend Neapels in der sie lebt, nie verlassen. Bei ihren Besuchen nimmt Elena die Spannungen dort wahr, die durch die kriminellen Organisationen des Viertels hervorgerufen werden.

Im Laufe der Zeit erfährt sie immer mehr über das geheime Leben ihres Geliebten. Zwar wird sie als Autorin auch weiterhin wahrgenommen, aber für einen weiteren neuen längeren Roman hat sie keine guten Einfälle. Sie möchte gerne unabhängig leben, jedoch verschlechtert sich ihre finanzielle Situation zunehmend. Als ihr ein Vorschuss zu einem Roman angeboten und eine erste Abgabefrist gesetzt wird, fällt ihr der Entwurf zu einer Geschichte ein, die sie vor Jahren geschrieben hat und die im Rione spielt. Um die Erzählung zu überarbeiten nimmt sie den Vorschlag von Lila an, in die Wohnung über ihr zu ziehen, auch damit die Umgebung auf sie wirken kann. In den folgenden Jahren unterstützen sich die Freundinnen gegenseitig in der Betreuung ihrer Kinder bis eines davon verloren geht.

Bereits am Ende des dritten Bands deutete sich an, dass Elena mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Nun sucht sie zu Beginn es abschließenden Teils den direkten Vergleich mit Lila in einem ständigen Kampf um den Vorrang, der durch Kriterien bestimmt wird die alleine Elena festlegt und bei denen finanzielle Unabhängigkeit und Ansehen weit oben stehen. Obwohl beide Frauen so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, möchte Elena ihrer Freundin vor allem als gute Mutter in nichts nachstehen, an einer entsprechenden Kritik durch Lila reibt sie sich auf. Doch von ihrer neuen Liebe lässt sie dennoch nicht ab, obwohl sie die Nachteile für ihre Töchter sieht. Sie genießt die neue Zuwendung und ignoriert alle gutgemeinten Ratschläge.

Lila hat sich inzwischen ein Netzwerk an Seilschaften geschaffen, die sie und ihr Unternehmen stützen, um damit in einer Welt der Korruption zurecht zu kommen. Sie scheut sich nie, ihrer Freundin die Realität nahe zu bringen. Von Elena wird das skeptisch gesehen und sie ist sich nie sicher, ob Lila ihr mit ihren Aussagen nicht schaden möchte. Nach einem schweren Erdbeben, das die Freundinnen erleben, findet Lila Worte für ihre Empfindungen, die nicht nur ihre Freundin berühren und wodurch ich neben Elena einen ungeschönten Blick auf Lila werfen konnte. Sie ist keine Konstante in ihrer Welt, sondern ängstigt sich davor durch nicht voraussehbare Variablen ins Trudeln zu geraten und die selbst geschaffene Sicherheit zu verlieren.

In ihrer Zeit in Neapel geben die Freundinnen sich gegenseitig Kraft und Halt, während dabei sowohl Stolz als auch Neid aufeinander, Hass und Verständnis zum Tragen kommen. Mit dem vierten Band konnte ich nochmals tief in Elenas und Lilas Gefühlswelt eintauchen und mit ihnen Höhen und einen besonders schweren Schicksalsschlag erleben. Der Epilog schließt den Kreis zum Prolog der Serie. Elena Ferrante hat mit ihrer Romanreihe ein Stück unvergessliche Literatur geschaffen, dem ich meine uneingeschränkte Leseempfehlung gebe.


Rezension Band 1: Meine geniale Freundin  -> Link

Rezension Band 2: Die Geschichte eines neuen Namens -> Link

Rezension Band 3: Die Geschichte der getrennten Wege -> Link


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Titel: Die Geschichte des verlorenen Kindes (Band 4)
Autorin: Elena Ferrante
Übersetzerin: Karin Krieger
Erscheinungsdatum: 02.02.2018
Verlag: Suhrkamp (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband

Sonntag, 25. März 2018

[Rezension Hanna] Sag den Wölfen, ich bin zu Hause - Carol Rifka Brunt



Die fünfzehnjährige June hat eine enge Beziehung zu ihrem Patenonkel Finn. Sie liebt es, etwas gemeinsam mit ihm zu übernehmen, zum Beispiel zu The Cloisters zu gehen und sich dort ungewöhnliche Kunstwerke anzuschauen. Doch Finn ist krank, er wird bald an AIDS sterben. Als es so weit ist, stürzt June in tiefe Trauer. Doch bald muss sie feststellen, dass ihr entscheidende Dinge vorenthalten wurden. In Finns Apartment wohnt nun sein „spezieller Freund“, der von der Familie als Verantwortlicher für Finns Krankheit zur Persona non grata erklärt wurde. Wer ist dieser schlaksige Kerl, der unbeholfen Kontakt aufnehmen will? June ist neugierig und beschließt, heimlich mehr darüber herauszufinden.

Insbesondere der ungewöhnliche Titel hat mich auf die Lektüre neugierig gemacht. Es ist der Titel des Portraits, das Finn kurz vor seinem Tod von June und ihrer Schwester Greta anfertigt. Dafür fahren sie fast jeden Sonntag zu ihm. Während die Zeit für June kostbar ist, reagiert Greta zunehmend unwillig. Einst waren die beiden unzertrennlich, doch inzwischen scheint Greta einfach kein Verständnis mehr dafür zu haben, was June wichtig ist.

Nach kurzer Zeit stirbt Finn an AIDS. Auf der Beerdigung sieht June einen Mann, der sich bewusst im Hintergrund hält und dem ihre Familie deutlich zeigt, dass er unerwünscht ist. Greta scheint mehr über das Warum zu wissen, nur June ist nicht eingeweiht. Ich konnte ihren Wunsch verstehen, mehr darüber hinausfinden zu wollen, gleichzeitig ihre Unsicherheit, auf einen Fremden zuzugehen.

Als es schließlich zu einem Gespräch mit ihm kommt erhält sie ein ganz neues Bild von ihrem Patenonkel Finn, der für sie so wichtig war. Wieso hat er ihr so viele entscheidende Dinge über sein Leben verschwiegen? Eine Erkenntnis ist für sie besonders schmerzhaft: Die wichtigste Person in Finns Leben kannte sie gar nicht. June empfindet Toby, dem Fremden, gegenüber Skepsis und Neid. Doch mit jeder neuen Information, die sie erhält, wandelt sich langsam ihr Bild. Ist Toby die Hilfe, die sie braucht? Oder machen ihre Gespräche mit ihm alles nur noch schlimmer?

Das Thema AIDS war in den 80ern, in denen das Buch spielt, noch relativ neu. Es gab zahlreiche Spekulationen, wie genau man sich anstecken kann, dementsprechend groß war die Angst vor dieser unbekannten Krankheit und man ließ im Umgang mit Erkrankten Vorsicht walten. Auch ein Coming-Out war noch sehr viel heikler als heute. Das Buch setzt sich damit intensiv und gelungen auseinander.

Besonders kostbar für June sind ihre bittersüßen Erinnerungen an Momente mit Finn. Die beiden haben sich bei ihrem gemeinsamen Ausflügen zum Beispiel immer auf besondere Dinge in ihrer Umgebung aufmerksam gemacht und hatten bestimmte Orte wie The Cloisters, die sie immer wieder besucht haben. Eine wichtige Rolle spielt auch die Beziehung von June zu ihrer Schwester. Greta bietet ihr immer wieder gemeinsame Unternehmungen an, zeigt ihr dann aber doch wieder die kalte Schulter. Es ist keine leichte Zeit für die beiden Schwestern, die nicht wissen, ob sie einander lieben oder hassen sollen. Das Portrait der von ihnen, das Finn angefertigt hat, wird schließlich auf überraschende Weise zu einem Schlüsselelement.

„Sag den Wölfen ich bin zu Hause“ erzählt auf behutsame und berührende Weise von June, die ihren geliebten Patenonkel an AIDS verliert. Als Leser konnte ich Junes Gefühle gut nachvollziehen – ihre Trauer, ihre Unsicherheit dem Fremden gegenüber, der Finn so gut zu kennen schien, und ihre Entschlossenheit, sich nicht ohne Erklärung zufrieden zu geben. Das Buch thematisiert einfühlsam die  Bedeutung von Familie und Freundschaft auf verschiedenen Ebenen und stimmte mich nachdenklich in Bezug auf die Frage, was es auslösen kann, Dinge zu verschweigen. Gedanklich wird mich die Geschichte sicherlich noch länger begleiten. Für mich ist sie ein Lesehighlight, das ich klar weiterempfehle.

 

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Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
Autorin: Carol Rifka Brunt
Übersetzerin: Frauke Brodd
Hardcover: 488 Seiten
Erschienen am 23. Februar 2018

Samstag, 24. März 2018

[Rezension Hanna] Der Zopf - Laetitia Colombani

 


Smita, Giulia und Sarah sind Frauen aus drei ganz verschiedenen Welten. Smita ist eine Dalit, eine Unberührbare, die die Latrinen der anderen Dorfbewohner mit bloßen Händen leeren muss und sich für ihre Tochter eine andere Zukunft wünscht. Giulias Vater besitzt eine Perückenfabrik in Palermo und sie interessiert sich als einzige seiner Nachfahren für dieses in Italien aussterbende Handwerk. Und Sarah arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Montreal und steht kurz davor, zur Teilhaberin ernannt zu werden. Für dieses große Ziel tut sie seit Jahren alles, um ihre Kollegen vergessen zu lassen, dass sie eine dreifache Mutter ist. Alle drei Frauen haben etwas, für das zu kämpfen sie bereit sind. Ein Zopf wird ihre Schicksale verbinden.

Das Cover fällt mit seinen goldenen Akzenten und dem Zopf, der gerade geflechtet wird, sofort ins Auge. Ich war neugierig, die drei Protagonistinnen und ihre Leben kennenzulernen. Der Prolog ist ein Gedicht, in dem eine Perückenmacherin zu Wort kommt, die durch ihr Handwerk nicht nur Haare, sondern auch Leben verwebt. Sie wird auch später noch einmal zu Wort kommen und so einen nachdenklich stimmenden Rahmen für die Geschichte bilden.

In kurzen Kapiteln blickt der Leser abwechselnd auf die Schicksale von Smita, Giulia und Sarah. Durch die schnellen Wechsel ist der Kontrast zwischen ihren Leben umso größer. Allen dreien wurde ein Platz in der Welt zugewiesen, doch sie sind nicht bereit, andere darüber bestimmen zu lassen, wie es für sie weitergeht. Für Smitas Leben als Kloputzerin findet die Autorin unverblümte Worte. Smita ist fest entschlossen, ihrer Tochter einen anderen Weg zu ebnen. Doch ihr Umfeld sieht das anders. Ihr Weg ist nicht nur hart, sondern lebensgefährlich, und ich bangte mit ihr, ob ihr Plan erfolgreich sein wird.

Giulia und Sarah führen in der westlichen Welt ein bedeutend angenehmeres Leben. Doch auch sie werden vor Herausforderungen gestellt. Als Giulias Vater verunglückt steht die Frage im Raum, wie es mit der Fabrik weitergehen kann. Bei ihrer Recherche verliebt sie sich in einen Mann, der ganz anders ist, als ihre Familie es erwarten würde. Bei Sarahs Leben auf der Überholspur wurde mir schon beim Lesen beinahe schwindelig. Ihr Tag ist minutiös durchgetaktet, um genug Zeit für die Familie zu haben, sich das auf der Arbeit aber nicht anmerken zu lassen. Doch dann stößt sie an ihre Grenzen und gemeinsam mit ihr stellte ich erschreckt fest, wie rücksichtslos ihr Umfeld wirklich ist.

Alle drei Handlungsstränge haben mich auf ihre Weise berührt: Smita, die aus dem absoluten Elend entfliehen will; Giulia, die für die Zukunft des Familienbetriebs kämpft und auf ihr Herz hört und Sarah, die ihre Familie und ihren Körper zurückstellt, um Karriere in einem Haifischbecken zu machen. Es sind starke Protagonistinnen, die mich mit ihrer Entschlossenheit beeindrucken konnten und gleichzeitig Verletzlichkeit zeigen. Das verbindende Element habe ich recht früh erahnt, es hält die Geschichte gemeinsam mit den Worten der Perückenmacherin zusammen und bildet einen gelungen Abschluss, der Hoffnung gibt, aber auch Raum für Überlegungen lässt, wie der weitere Weg der drei Frauen aussehen wird.

Laetitia Colombani findet in „Der Zopf“ genau die richtigen Worte für die miteinander verwobenen Leben von Smita, Guilia und Sarah. Die wechselnden Perspektiven nach kurzen Kapiteln machen die Unterschiede umso deutlicher und übten einen Sog aus, der mich die Geschichte beinahe in einem Rutsch lesen ließ. Unbedingt lesen!


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Der Zopf
Autorin: Laetitia Colombani
Übersetzerin: Claudai Marquardt
Hardcover: 288 Seiten
Erschienen am 21. März 2018
Verlag: S. Fischer

Mittwoch, 21. März 2018

[Rätselzeit] Unsere Aktion für Dumplin' von Julie Murphy


*Werbung* für "Dumplin'" von Julie Murphy

Liebe Leser,

heute ist Dumplin' von Julie Murphy erschienen - unserer Meinung nach ein ganz besonderes Buch. Deshalb freuen wir uns sehr, als Buchbotschafter mit einer Aktion zum Buch dabei zu sein!

Hanna sagt zum Buch: "Ein gelungenes Buch rund um Familie, Freundschaft, die erste große Liebe und wie wichtig es ist, zu sich selbst zu stehen. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!"
=> Zur ganzen Rezension gelangt ihr hier.

Ingrid sagt zum Buch: "„Dumplin‘ – go big or go home“ macht einfach Spaß, weil die vergnüglichen Szenen die ernsten überspielen. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter an Jugendliche ab 13 Jahren, aber auch an junge Erwachsene und Ältere."
=> Zur ganzen Rezension gelangt ihr hier.

Wir haben für Euch ein Kreuzworträtsel rund um das Buch und Dolly Parton, die von der Protagonistin Will verehrt wird, entwickelt.
Um das Rätsel zu lösen braucht ihr nur die Leseprobe zum Buch sowie den Wikipedia-Artikel über Dolly Parton. Am Besten öffnet ihr das Raster mit Rechtsklick > Grafik anzeigen und druckt es Euch aus, um die Lösungen einzutragen.

Wir wünschen Euch ganz viel Spaß beim Rätseln!

** Die Aktion ist beendet - die Lösung findet ihr ganz unten! **

Liebe Grüße
Hanna & Ingrid

Horizontal
1. Wie heißt Ellens Freund?
3. Von welcher Sängerin ist Dolly Parton ist die Patentante? 
5. Wie heißt der Junge, in den Will verknallt ist?
6. Wie heißt der jährliche Schönheitswettbewerb? (ohne Leerzeichen)  
10. Wo arbeitet Will? (ohne Apostroph)  

Vertikal
2. In welcher Stadt wohnt Will? (ohne Leerzeichen) 
4. Welche Jahreszeit herrscht zu Beginn des Buches? 
7. Wie viele Grammys erhielt Dolly Parton?  
8. Dolly Parton ist aufgewachsen als … von zwölf Kindern. 
9. Mit welchem Song begann Wills Freunschaft zu Ellen? (ohne Leerzeichen) 
11. Wie lautet Dolly Partons zweiter Vorname? 



Hier findet ihr die Lösungen:
1. Tim
2. CloverCity
3. MileyCyrus
4. Sommer
5. Bo
6. MissTeenBlueBonnet
7. acht
8. viertes
9. DumbBlonde
10. Harpys
11. Rebecca
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