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Freitag, 24. Juni 2016

[Rezension Ingrid] Schweigen ist Goldfisch von Annabel Pitcher


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Titel: Schweigen ist Goldfisch
Autorin: Annabel Pitcher
Übersetzerin: Susanne Hornfeck
Erscheinungsdatum: 25.05.2016
Verlag: Sauerländer 
rezensierte Buchausgabe: Hardcover

Tess ist 15, als eines Tages plötzlich ihre Welt stillsteht. Im Arbeitszimmer ihres Vaters Jack liest sie durch Zufall einen Post von ihm, aus dem hervorgeht, dass er nicht ihr leiblicher Vater ist. Vielleicht hat sie es schon aufgrund ihres eigenen Äußeren geahnt, doch jetzt sieht sie es bestätigt. Nach dem ersten Schock beginnt bei ihr die Aufarbeitungsphase dieser Tatsache. Als sie kurze Zeit später wieder einmal von Jack gerügt wird, beschließt sie zu schweigen und spricht von diesem Moment an nicht mehr. Nicht mehr mit ihren Eltern, nicht mehr mit ihrer besten Freundin und auch nicht mehr mit ihren Lehrern. Doch kann ihr Schweigen ihr dabei helfen, ihren leiblichen Vater zu finden?

„Schweigen ist Goldfisch“ von Annabel Pitcher ist ein Roman über eine Phase im Leben, die jeder von uns durchläuft, in der die Ablösung von den Eltern erfolgt und die Findung zu sich selbst. Der Roman ist in der Ich-Form aus der Sicht der Protagonistin geschrieben und so nimmt der Leser auf direkte Weise Anteil an der Gefühlswelt von Tess in den Momenten, in denen sie gemobbt wird. Er bekommt Einblick in die Probleme, die Tess aufgrund ihres kräftigen Körperbaus mit Hang zum Übergewicht hat. Außerdem ist sie groß, so dass sie insgesamt auf andere maskulin wirkt und mit entsprechenden Bemerkungen verspottet wird. Mit inneren Werten kann man in ihrer Altersgruppe weniger punkten. Doch Tess ist hilfsbereit und eine treue Freundin, allerdings zieht sie auch Grenzen.

Als sie nun erfährt, dass Jack nicht ihr leiblicher Vater ist, fällt für sie ein Puzzlestein an seinen Platz. In einer ersten Reaktion denkt Tess daran, ihr Zuhause zu verlassen und in der Stadt ihr Glück zu suchen. Sie ist sich ihres jugendlichen Alters aber bewusst, zögert und findet nicht den richtigen Zeitpunkt für den Absprung. Der Leser ist erleichtert, doch Tess findet einen anderen Mechanismus um den Kummer ihrer Seele zu verschließen und daher verstummt sie.

Ich habe mich gefragt, wie es überhaupt so weit kommen konnte, wieso die Eltern der Protagonistin ihr nicht die Wahrheit gesagt haben oder warum Tess nicht nach ihrer Erkenntnis zu ihren Eltern geht, um sie damit zu konfrontieren. Meine Fragen wurden im Laufe des Romans weitestgehend beantwortet, wobei mir die Rolle der Mutter nur unzureichend dargestellt war. Der Vater von Tess ist Schauspieler, aber ohne Beschäftigung in diesem Bereich. Er hat auch keinen qualifizierten Schulabschluss und jobbt jetzt nebenher, immer noch auf eine große Karriere hoffend. Ihm bleibt genug Zeit, sich um Tess zu kümmern, die aber lieber alleine klar kommen möchte. Seine eigenen Wünsche in Bezug auf Freunde und schulischen Erfolg überträgt der Vater auf Tess und setzt ihr entsprechende Verhaltensregeln. Natürlich rebelliert Tess dagegen. Von ihren Altersgenossen werden die Regeln ihrer Eltern wahrgenommen und dadurch sinkt sie noch weiter in deren Ansehen, statt in der Gunst zu steigen wie Jack hofft. Auf ihre manchmal hilflose Art und Weise wurde mir Tess im Laufe der Geschichte sympathisch.

Nach außen hin verstummt sie zwar, doch ihr Gedankenkarussell dreht sich dadurch nur umso schneller. So sucht sie sich etwas mit dem sie sich, wenn auch nur auf erdachte Weise austauschen kann. Ihre Wahl fällt durch Zufall auf eine kleine Taschenlampe in Form eines Fischs. Hier ergibt sich der Bezug zum Titel des Buchs. In der inneren Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand begegnet der Leser einem feinfühligen, intelligenten Mädchen, das nach Vertrauen und Wahrheit sucht und erkennen muss, dass Schweigen nicht für alle Probleme eine Lösung bietet und auch Nachteile und Konsequenzen mit sich bringt.

„Schweigen ist Goldfisch“ ist ein Buch über Elternliebe, Treue, Freundschaft, Selbstfindung, aber auch geprägt von großen Erwartungen, Enttäuschungen und Mobbing. Die Idee, sich im Alter von Tess einen Gegenstand als Ansprechpartner zu wählen ist sicher nicht neu, aber der kleine Fisch in Form einer Taschenlampe amüsant und geduldig. Gerne empfehle ich dieses Buch an Jugendliche ab 14 Jahren weiter.