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Sonntag, 4. Juni 2017

[Rezension Ingrid] Die Geschichte eines neuen Namens von Elena Ferrante


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Titel: Die Geschichte eines neuen Namens (Band 2 der neapolitanischen Saga)
Autorin: Elena Ferrante
Übersetzerin: Karin Krieger
Erscheinungsdatum: 10.01.2017
Verlag: Suhrkamp (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen

„Die Geschichte eines neuen Namens“ ist der zweite Band der vierteiligen Reihe von Elena Ferrante, dem Pseudonym einer italienischen Autorin. Die Bücher handeln von der über 60-jährigen Freundschaft der Ich-Erzählerin Elena und der gleichaltrigen Raffaella, die von Elena nur Lila gerufen wird, beginnend im Neapel der 1950er bis in die Gegenwart. Das vorliegende Buch schildert die Jugendjahre der beiden Protagonistinnen. Die Erzählung schließt unmittelbar an das Ende des vorigen Teils an.

Wie bereits im ersten Buch machte mich die Autorin neugierig auf die folgenden Ereignisse, indem sie mir gleich zu Beginn einen ganz kurzen unvollständigen Blick auf den Stand der Dinge im Jahr 1966 gewährt. Laut der inzwischen 22-jährigen Elena kriselt es in der Freundschaft, sie treffen einander nur noch selten und dennoch hat Lila ihr gerade erst eine Schachtel mit Heften anvertraut, deren Inhalt sie vor deren Ehemann verstecken soll. Außerdem hat Lila ihre Freundin gebeten, sie nicht zu öffnen. Elena selbst wohnt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Neapel. Sie hat sich inzwischen einen guten Ruf erarbeitet … und bereits nach wenigen Seiten las ich, dass Elena den Inhalt der Schachtel vernichtet hat. Mir stellte sich dadurch natürlich unwillkürlich die Frage, was sie dazu veranlasst hat.

Das Cover des Buchs nimmt direkten Bezug darauf, dass Elenas Gedanken am Anfang des zweiten Teils zum Tag der Hochzeit von Lila zurückgehen. Einen farblichen Akzent setzt der Rosenstrauß in den Händen der Braut, dessen Blütenblätter mit dem Wind davonwehen. Ob das als ein Vorzeichen für die Ehe von Lila zu sehen ist und bedeutet, dass ihr Glück wie die Blüten hinwegwehen wird?
Die Welt von Elena und Lila ist auch jetzt noch zu Beginn ihrer Jugendjahre recht klein. Sie wohnen beide im neapolitanischen Viertel Rione, einer ziemlich heruntergekommenen Wohngegend mit großen Mietshäusern. Ihre Freunde sind immer noch die gleichen wie in Kindertagen. In einigen Aussagen Elenas konnte ich nachvollziehen, dass auch ihre Kenntnisse über Politik und Gesellschaft kaum über ihr eigenes Territorium hinausgehen, obwohl sie doch eine gute Schülerin ist und viele Bücher liest. Aus dem Inhalt der in der Schachtel gefundenen Hefte schließt sie, dass auch Lila nie ihr Interesse am Lernen aufgegeben hat.

Wie bisher besteht die Rivalität um die Vorrangstellung in ihrer Freundschaft weiter. Lila entwickelt dabei eine Arglist, die darin besteht, jede Anfeindung anderer Personen gegen sie früher oder später zurückzuzahlen. Sie scheut nicht davor zurück, Elena für ihre Zwecke einzuspannen. Doch ihr Traum, von ihren Eltern unabhängig zu leben und die damals vorherrschende Rollenteilung in der Ehe, begleitet mit körperlicher Gewalt, hinter sich zu lassen, droht schon mit Beginn ihrer Ehe zu platzen. Elena spürte, dass Lila durch ihre Hochzeit einen Vorteil ihr gegenüber erlangt hat und so tanzen nun ihre Gefühle zwischen Mitleid und der Freude darüber, durch ihre tätige Hilfe bei Lila wieder Beachtung zu finden und sich dadurch erneut besser im Rang zu positionieren. Dagegen ist ihr die Freigiebigkeit, mit der Lila Stefanos Geld ausgibt ein Dorn im Auge, doch genau dieser Umstand ermöglicht es ihrer Freundin, zu einem gewissen Ansehen bei ihren Freunden zu gelangen. Lilas Beliebtheit steigt und mit ihr der Wille sich den Machenschaften ihrer Geschäftspartner nicht zu unterwerfen. In die Dinge, die ihr am Herzen liegen steckt sie ihre ganze Begeisterung und lässt sich auch durch drohende körperliche Gewalt nicht einschüchtern und verbiegen.

Dadurch, dass Elena in der Ich-Form erzählt, konnte ich nachvollziehen, mit welchen Gefühlen sie in ihrer Jugend zu kämpfen hatte. Durch den Besuch des Gymnasiums und später der Universität unterscheidet sich ihr Lebensweg schon jetzt von den meisten ihrer Freunde aus Kindertagen. Sie selbst ist sich dessen bewusst und hält sich für arrogant. Ihr Lernen verbunden mit ihrer Klugheit scheint ihr der Grund zu sein, dass ihre Freunde ihr gegenüber zunehmend auf Abstand gehen. Neidvoll schaut sie in dieser Zeit auf Lila. Noch kann sie nicht die Folgen ihres Handels abschätzen und abschließend beurteilen, ob ihr der Schulbesuch spätere Vorteile bringen wird. In ihrer Umgebung gibt es wenige Vorbilder an denen sie sich orientieren könnte. Später wird sie genau diesen Umstand bedauern, denn in der Welt von Elena und Lila verschafft man sich nicht durch Wissenserwerb Respekt und Anerkennung. Lila muss sich immer wieder behaupten. Elena dagegen muss mehr Selbstbewusstsein entwickeln, denn auf ihrer Suche nach Liebe droht ihr der Verlust ihrer Anerkennung, wenn sie sich nicht normgerecht verhält. Der Zwiespalt ihrer Gefühle in Bezug auf Männer wird auch durch ihre Umwelt mitgetragen. Fehlende Möglichkeiten, schlechte Vorbilder und die gelebte Härte des Alltags lassen ihre Jungmädchenträume schmelzen.

Beide Freundinnen sind sich ihrer Rangeleien bewusst und können doch nicht ganz voneinander lassen. Genau das macht die Faszination des Romans aus. Mancher Leser wird sich in den Vorstellungen der Protagonistinnen vom Leben wiederfinden und erkennt den ein oder anderen Traum aus seiner Jugendzeit darin wieder. Die schöne klare Sprache, selbst in der Übersetzung, ist ein Lesevergnügen. Das Buch endet mit einem Cliffhanger und lässt mich schon ungeduldig auf den nächsten Teil warten. Wer die Bücher von Elena Ferrante noch nicht kennt, sollte unbedingt mit dem Lesen beginnen! Der dritte Band in deutscher Sprache erscheint im August 2017.