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Sonntag, 26. August 2018

[Rezension Ingrid] Der Duft des Waldes von Hélène Gestern


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Titel: Der Duft des Waldes
Autorin: Hélène Gestern
Übersetzerin: Brigitte Große
Erscheinungsdatum: 25.07.2018
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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„Der Duft des Waldes“ ist der erste Roman der Französin Hélène Gestern, der in Deutsch erscheint. Ein verblassendes Foto auf dem Cover lässt vermuten, dass die Geschichte in der Vergangenheit spielt. Doch es ist nur ein Teil davon, der mich als Leser bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs zurückführte. Der Duft des Waldes ist nicht nur in angenehmen Situationen wahrzunehmen, er ist auch präsent während der Trauer auf einem Waldfriedhof und hört auch in einem Schützengraben im bewaldeten Gebiet nicht auf.

Elisabeth Bathori ist Historikerin und arbeitet für das Institut für Fotogeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts in Paris. Vor zwei Jahren ist ihr geliebter Partner verstorben, ohne dass sie von ihm persönlich Abschied nehmen konnte. Seitdem fehlen ihr Antrieb und Motivation. Zu ihrem Beruf gehört es, dass sie Fotoarchive begutachtet. Als ihr die 89-jährige Alix de Chalendar das Album ihres im ersten Weltkrieg verstorbenen Onkels Alban de Willecot vorlegt ist sie sofort von dessen Wert überzeugt. Der Soldat hat Postkarten und Briefe an der Front geschrieben und sie unter anderem an den bekannten Dichter Anatole Massis verschickt.

Als wenig später die Klientin stirbt hinterlässt sie ihr überraschenderweise ein Landhaus. Durch ihre neue Aufgabe und durch das geerbte Haus bedingt, beginnt Elisabeth langsam ins Leben zurückzufinden. Immer tiefer dringt sie über den Inhalt des Albums in die Geschichte des Soldaten ein, in der so manches Geheimnis verborgen liegt. Bei ihrer Suche nach Antworten findet sie immer mehr Widersprüche, die ihren Ehrgeiz anspornen, sie zu entwirren und die Wahrheit zu erfahren.

Hélène Gestern unterrichtet Literatur an einer französischen Universität. Vor allem ist sie von der Geschichte der Fotografie und deren Auswirkung auf das Verständnis der Historie sowie vom autobiographischen Schreiben begeistert. Beide Themen glänzen in ihrem Roman. Sie lässt ihre Protagonistin in der Ich-Form erzählen. Die Worte von Elisabeth richten sich immer wieder direkt an ihren verstorbenen Geliebten. Auf diese Weise konnte ich all ihren Schmerz und die Trauer über seinen Tod erfahren, aber auch ihre Neugier auf die Geschichte von Alban und seinen Freunden, die Freude über jeden kleinen Fortschritt, ihre Begeisterung im Umgang mit dem geerbten Haus und ihrer neuen Nachbarin sowie das zögerliche Aufkeimen einer neuen Liebe. Die Autorin schreibt so überzeugend, dass ich manchmal dachte, dass Elisabeth eine reale Figur ist.

Zwar sind auch Alban und seine Freunde nur fiktiv, aber anhand der Postkarten, Briefe und Tagebücher, die sie geschrieben haben, lässt Hélène Gestern die Zeit wieder lebendig werden. Schon auf Seite 2 konnte ich in einem Brief von Alban de Willecot an Anatole Massis über die Gräuel des Dienstes an der Front lesen. Doch dies ist erst ein kleiner Einblick. Selbst so weit von zu Hause entfernt sind doch die Erinnerungen an die Heimat stets präsent. Bald ist die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs getrübt und Alban hält sich zunehmend nur noch an die vorgeschriebene Disziplin durch den Glauben daran, dass seine Fotos und Texte den Daheimgebliebenen das wahre Gesicht der Zerstörung und der Leiden zeigen. Solche Fotografien sind für uns bis heute wertvolle Dokumente.

Bei ihrer Recherche begegnet Elisabeth Samuel, einem Nachkommen einer mit Alban befreundeten Familie, zu dem sie bald mehr empfindet wie nur Freundschaft. Ausgerechnet das alte Tagebuch der 18-jährigen Diane, einer Freundin von Alban, hilft ihr bei ihren Beziehungsproblemen. Weitere Nachforschungen in der Familie von Diane brachten mich als Leser im Verlauf des Romans in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zu Judenverfolgung und Résistance. Um die Figuren den verschiedenen Zeiten und Familienzweigen besser zuordnen zu können, wäre ein Personenverzeichnis nützlich gewesen.

Ist die Erzählung in einer ruhigen Sprache geschrieben, so dringen die fiktiven Briefe und Tagebucheinträge umso eindringlicher in das Bewusstsein des Lesers. Hélène Gestern hat mit „Der Duft des Waldes“ ein Buch geschrieben, das trotz der umfassenden Seiten nicht langweilt, weil es immer wieder neue Geheimnisse aufzudecken gibt. Mit unerwarteten Wendungen bleibt die Geschichte bis zum Ende hin faszinierend. Der Roman im Gesamtbild hat mich überrascht und wird mir in Erinnerung bleiben. Gerne empfehle ich ihn weiter.