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Stella
Autor: Takis Würger
Autor: Takis Würger
Hardcover: 224 Seiten
Erscheinungsdatum: 11. Januar 2019
Verlag: Hanser
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Friedrich ist Schweizer und für seine Mutter eine Enttäuschung, seit er
als Kind durch eine Verletzung farbenblind geworden ist. Denn die große
Karriere als Maler scheint ihm nun verwehrt zu bleiben. Im Jahr 1942
entschließt er sich, auf Kosten seiner reichen Eltern nach Berlin zu gehen, um
sich vor Ort ein Bild zu machen. Als er die geheimnisvolle Kristin kennenlernt,
ist er von ihr fasziniert und beginnt, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Doch er
muss bald feststellen, dass sie etwas entscheidendes vor ihm verheimlicht.
Mir war die historische Person Stella Goldschlag vor der Lektüre nicht
bekannt, weshalb ich ohne konkrete Erwartungen in die Geschichte einstieg.
Zunächst lernt man als Leser den jungen Erwachsenen Friedrich kennen, der
jahrelang von seiner Mutter misshandelt wurde. Denn seit er farbenblind wurde
versucht diese, ihm das Handicap auszutreiben, als sei es nur eine Einbildung, damit
er doch noch ein gefeierter Maler werden kann. Nun ist er endlich alt genug, um
das Elternhaus zu verlassen. Während seine Mutter die Nazis unterstützt und
sein Vater dagegen hält und die jüdische Köchin vor der Entlassung bewahrt,
liest Friedrich Fontane und entscheidet sich schließlich ausgerechnet für
Berlin als Reiseziel.
In der deutschen Hauptstadt angekommen besucht Friedrich eine Kunstschule
und findet sich gleich beim Aktzeichnen wieder. Die Model sitzende Frau
fasziniert ihn, und so folgt er ihrer Einladung, sie singen zu hören – ausgerechnet
verbotene Jazzmusik. Sie scheint unbedarft und ein wenig naiv, lebt in den Tag
hinein und lässt sich von Friedrich rundum versorgen. Dieser weiß gar nicht so
recht, wie ihm geschieht und liest ihr eifrig jeden Wunsch von den Lippen ab,
um ihn mit dem Geld seiner Eltern zu finanzieren.
Lange Zeit ist nicht klar, wo die Geschichte hinsteuert. Bald jedoch
werden erste historische Zeugenaussagen abgedruckt, in dem es darum geht, dass eine
Angeschuldigte für die Deportation von Juden gesorgt hat. Diese bedrückenden
Einschübe passen anfangs nicht zum restlichen Geschehen, auch wenn man bald
eine Ahnung entwickelt, was vor sich geht, wenn einem die Hintergründe nicht
sowieso schon bekannt sind. Schließlich häufen sich die Hinweise auf ein
weitreichendes Geheimnis, das auch Friedrich nicht länger ausblenden kann.
Dem Buch gelingt es, den Kontrast deutlich zu machen zwischen
Zeugenaussagen, die eine eiskalte Gestapo-Kollaborateurin beschreiben und einer
unbedarft agierenden Frau, die gern Männer um den Finger wickelt und sich um
ihre Eltern sorgt. Liest man die Schilderungen des Protagonisten, dann stellt
sich die Frage, wie sehr er von Beginn an die Augen verschließt oder gewisse
Dinge nicht wahrhaben will, und inwiefern Stella selbst nicht realisiert, welche
Konsequenzen ihr Handeln hat.
Wie weit geht man, um die zu retten, die man liebt? Wie weit geht man,
um die zu schützen, die man ins Verderben laufen sieht? Sind die Tränen und die
Verzweiflung nur ein Schauspiel oder echt? Was ist der wirkliche Antrieb für
die Handelnden? Auf Fragen wie diese gibt Takis Würger in seinem Text keine
Antworten, sondern durch die Perspektive Friedrichs und die Zeugenaussagen genügend
Material, um sich als Leser selbst ein Bild zu machen. Dabei würdigt er die
historischen Fakten und reichert sie soweit mit Fiktion an, dass eine
emotionale und lebendige Geschichte entsteht, die nachdenklich stimmt. Diese hat
mich auch nach dem Lesen nicht losgelassen, sodass ich mich noch intensiver
über Stella Goldschlag, ihre erschreckenden Handlungen und ihre
Selbsteinschätzung als Opfer informiert habe. Mit „Stella“ hat der Autor ein
gelungenes Buch für diese historische Person geschaffen, deren Motivation für
ihr schreckliches Handeln nie ganz geklärt werden konnte.