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Samstag, 29. Februar 2020

Rezension: Der Empfänger von Ulla Lenze


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Der Empfänger
Autorin: Ulla Lenze
Hardcover: 302 Seiten
Erschienen am 22. Februar 2020
Verlag: Klett-Cotta

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In den 1920er Jahren ist Josef Klein von Neuss nach New York ausgewandert. Dort schlägt er sich mit einem Job in einer Druckerei durch, bei dem sein Chef nicht sonderlich wählerisch ist, was das Klientel betrifft. So kommt Josef alias Joe mit Nationalsozialisten in Kontakt, die Hitler aus der Ferne unterstützen wollen. Als er ihnen erzählt, dass er Amateurfunker ist, bieten sie ihm einen Job an, bei dem er sich zunächst nicht viel denkt. Bis ihm wirklich bewusst wird, was da passiert, scheint es schon zu spät, um aus der Sache wieder herauszukommen.

Im Jahr 1949 kehrt Josef schließlich nach Neuss zurück, um vorübergehend bei seinem Bruder Carl zu wohnen. Dieser wollte damals gemeinsam mit ihm auswandern, doch nach einem Arbeitsunfall wurde daraus nichts. Josef versucht herauszufinden, ob es hier oder anderswo einen Platz für ihn gibt.

Die erste Begegnung mit dem Protagonisten Josef Klein hat der Leser im Jahr 1953 in Costa Rica. Dort erreicht ihn ein Brief seines Bruders Carl, der ihm die Zeitschrift STERN mitschickt, in der ein Artikel über die Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes in Amerika erschienen ist. Carl bezeichnet den Artikel als „Reportage über deinen Fall“, sodass ich mich fragte, was genau Josef wohl getan hat.

Die größten Teile des Romans spielen abwechseln im New York des Jahres 1939/40 und im Neuss des Jahres 1949. In New York begleitet man Carl bei seinem Druckerei-Job, der ihn immer wieder in Kontakt zu Nationalsozialisten in den USA bringt. Die Begegnungen mit ihnen behagen ihm nicht so recht, trotzdem geht er zu ihren Veranstaltungen, um die Geschäftsbeziehungen zu pflegen. Er erhebt nicht das Wort gegen sie und schaut zu, als sie Andersdenkende verprügeln. Gegenüber sich selbst findet er immer neue Rechtfertigungen, warum er bei all dem mitmacht. Für mich war es ein interessanter Einblick, was damals wohl in Personen vorging, die dabei waren und zuschauten.

In dem Moment jedoch, in dem er aktiv einen Job annimmt, den ihm die Nationalsozialisten anbieten, wird Josef in meinen Augen zu mehr als einem Mitläufer. Wusste er wirklich nicht, wozu sie einen Funker brauchen, oder ist dies eher eine Form des Selbstbetrugs? Er verdient damit gut und seine Versuche, zu kündigen, sind eher halbherzig. Die Autorin hat sich in diesem Roman an der Lebensgeschichte ihres Großonkels orientiert und stellt die Situation dar, ohne ein Urteil zu fällen. Sie gibt dem Leser die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, wie groß die Schuld ist, die der Protagonist auf sich geladen hat.

Interessant fand ich die Einblicke in das Agieren des FBI. Dieses verfolgt seine eigene Strategie, um Informationen zu sammeln und Spione im Auge zu halten. Im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1949 erlebt man Josef in der Interaktion mit seinem Bruder und dessen Familie. Hier eckt er mit seinem Verhalten an und kann sich kein dauerhaftes Leben in der alten Heimat vorstellen. Am liebsten würde er zurück nach Amerika. Indem er dazu alte Nazi-Kontakte aufleben lässt zeigt er erneut, dass er sich dreht wie ein Fähnchen im Winde.

Da der Roman auf mehreren Zeitebenen gleichzeitig spielt, weiß man schnell, was im Groben passiert ist. Der Fokus der Erzählung liegt darauf, den Charakter des Josef Klein herauszuarbeiten. Die Sprache ist nüchtern und distanziert und ich hätte mir entweder noch mehr Spannung oder mehr Hintergrundinformationen gewünscht.

„Der Empfänger“ erzählt die Geschichte von Josef Klein, der als Auswanderer in den USA während des Zweiten Weltkriegs mit seiner unbedarften Art in die Aktivitäten deutscher Spione verwickelt wird. Ich kann den Roman an historisch interessierte Leser weiterempfehlen, die Einblicke in einen eher unbekannten Aspekt der Kriegsgeschichte erhalten wollen!

Rezension: Nach Mattias von Peter Zantingh



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Nach Mattias
Autor: Peter Zentingh
Übersetzerin: Hanni Ehlers
Hardcover: 240 Seiten (Buch zeigt das Leseexemplar)
Erschienen am 26. Februar 2020
Verlag: Diogenes

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Als eine Woche nach Mattias sein neues Fahrrad geliefert wird, zieht es seine Freundin Amber hinaus in den Park. Dort sieht sie, wie eine Frau und ihr Hündchen von einem Pitbull angegriffen werden. Bevor sie selbst helfen kann, ist Quentin, Mattias’ bester Freund, schon zu Stelle. Er joggt seit seinem Einsatz in Afghanistan regelmäßig und mit einem gewissen Ehrgeiz. Gemeinsam mit Mattias plante er die Eröffnung eines hippen Cafés, was Amber für keien gute Idee hielt. Als seine Mutter ihn fragt, ob er sich vorstellen könnte, einen blinden Jogger unter seine Fittiche zu nehmen, sagt er skeptisch zu. Eine Welt ohne Mattias hat nicht nur Einfluss auf Amber und Quentin, sondern gibt auch den Lebenswegen zahlreicher anderer Personen einen mal kleineren, mal größeren Schubs in eine neue Richtung.

Mattias ist nicht mehr da. Was mit ihm passiert ist erfährt man als Leser erst einmal nicht. Stattdessen lernt man Menschen kennen, die durch seine Abwesenheit beeinflusst werden. Amber hat mit ihm ihren Partner verloren und rekapituliert ihr Kennenlernen und ihren letzten Streit, während sie sich um die Frau und ihr Hündchen kümmert. Die beiden hätten sich nicht kennengelernt, wenn Amber nicht das neue Fahrrad vor der Tür abgestellt hätte und dann in den Park weitergelaufen wäre. Auch Quentin hätte dem Vorschlag seiner Mutter, mit dem blinden Chris joggen zu gehen, vermutlich nicht zugestimmt, wenn sein bester Freund noch dagewesen wäre.

Insgesamt lernt man als Leser neun ganz unterschiedliche Personen kennen. Es handelt sich um Familie und Freunde, aber auch zwei Charaktere, die Mattias nicht persönlich kannten. Die Kapitel sind mal aus der Ich-Perspektive, mal aus der Er-/Sie-Perspektive geschrieben. Ihre Emotionen spielen durchaus eine Rolle, der Fokus der Geschichte liegt aber stärker auf ihrem Verhalten nach Mattias’ Tod. Im Laufe des Buches erfährt man mehr über die Beerdigung und schließlich auch, wie Mattias überhaupt ums Leben kam, diese Rückblicke machen aber den kleineren Teil der Geschichte aus. Dadurch stimmte mich das Buch mehr nachdenklich als traurig.

In meinem Leseexemplar ist am Ende ein Interview mit dem Autor abgedruckt, indem er sagt, dass jeder einen anderen Lieblingscharakter hat. Ich hatte keinen klaren Favoriten, kam aber mit einigen Charakteren deutlich besser zurecht als mit anderen, in die ich mich nicht so gut hineindenken konnte. Auch wenn der Autor sagt, dass er nicht mehr Wörter nutzen will als unbedingt nötig, hätte ich mir an manchen Stellen noch eine Handvoll mehr Informationen gewünscht.

In „Nach Mattias“ begleitet der Leser neun verschiedene Personen in der Zeit nach Mattias Tod. Die Grundidee erinnerte mich ein wenig an „Der Sprung“, weshalb ich es allen weiterempfehlen kann, die dieses Buch mochten. „Nach Mattias“ ist ein Buch für alle, die sich fragen, wie unterschiedlich sich die entstandene Leerstelle durch den Tod eines Menschen im Großen und im Kleinen auswirken kann.

Freitag, 28. Februar 2020

Rezension: Marianengraben von Jasmin Schreiber


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Marianengraben
Autorin: Jasmin Schreiber
Erscheinungsdatum: 28.02.2020
Verlag: Eichborn (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783847900429
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Der Marianengraben im Pazifischen Ozean liegt 11.000 m tief und ist damit die tiefste Stelle des Weltmeers. Der „Marianengraben“ der Protagonistin Paula in Jasmin Schreibers gleichnamigen Roman ist nicht greif- oder sichtbar, aber mit der gleichen Tiefe wie sein Namensvetter hat er sich in ihrem Innersten eingegraben. Er ist dort, wo es ihr an Licht und Farbe fehlt, wo sie nicht genug Luft zum Atmen findet und wo ihr die Energie zum Leben entzogen wird, weil ihre unendliche Liebe zu ihrem Bruder über dessen Tod hinaus ihr die Kraft raubt. Die Tiefe des Marianengrabens betitelt die Kapitel des Buchs und ließ dadurch für mich als Leserin das langsame Auftauchen und Abstreifen der Dunkelheit von Paula auch nach außen hin sichtbar werden.

Der Unfalltod ihres über zehn Jahre jüngeren Bruders Tim hat bei Paula eine große emotionale Leere hinterlassen. Wieder und wieder fragt sie sich, ob ihre Anwesenheit am Unfallort den Tod von Tim hätte verhindern können. Als sie sich nach der Beerdigung endlich traut, das Grab zu dem für sie perfekten Zeitpunkt aufzusuchen, stellt sie fest, dass sie nicht wie gewünscht allein auf dem Friedhof ist. Bei dieser Gelegenheit lernt sie Helmut kennen, viermal so alt wie sie und mit einem klaren Auftrag, den er zu erfüllen gedenkt und der ihn schließlich mit seinem neuerworbenen alten Wohnmobil Richtung Berge in den Süden treibt. Paula begleitet ihn und schnell wird die Geschichte zu einem skurrilen Roadmovie.

Paula und Tim sind ganz unterschiedliche Charaktere. Während Paula kontaktscheu und ruhig ist, gerne liest und lernt, ist Tim ebenfalls neugierig auf das Leben, aber er schließt schnell Freundschaften und ist abenteuerlustig. Paula versucht an dem Status Quo vor dem Unfall festzuhalten. Das, was sie aktuell erlebt erzählt sie in Gedanken ihrem Bruder und stellt sich seine Reaktionen in entsprechenden Situationen vor und seine Rückfragen auf ihre Schilderungen. Entsprechend angepasst und einfach, aber brillant ist in diesen Abschnitten die Sprache im Zwiegespräch mit Tim. Sie kann ihn nicht aus ihren Gedanken lassen, denn sie stellt sich vor, dass die Größe des dann entstehenden Raums nicht zu füllen ist. Und immer wieder stellt sie sich die Frage ihrer Schuld. In der Geschichte ist spürbar, dass die Autorin sich mit dem Sterben als Ende unseres Lebens aktiv auseinandersetzt.

Helmut erscheint zunächst als schrulliger älterer Herr. Zunehmend entdeckt Paula jedoch Gemeinsamkeiten. Einige seiner eigenen Erlebnisse, die er im Laufe der vielen Jahre seines Lebens gesammelt hat, sind ähnlich denen seiner viel jüngeren Reisebegleiterin. Beide bleiben sich auf ihrer Fahrt selbst treu und dennoch ist deutlich spürbar, dass sie im Austausch ihrer Erfahrungen und Gefühle ein besseres Verständnis nicht nur voneinander, sondern über viele Dinge des Lebens finden.

„Marianengraben“ von Jasmin Schreiber ist ein Roman über das Leben zu dem das Sterben dazugehört, ob absehbar oder unerwartet. Die Autorin schreibt über Trauer und über Glücksmomente. Sie findet eine eigene Art, der ergreifenden Erzählung an manchen Stellen einen heiteren Ton zu geben, der dem Roman eine gewisse Leichtigkeit verleiht und immer wieder über die berührenden und schmerzlichen Geschehnisse hinweg Fröhlichkeit einkehren lässt. Sehr gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Donnerstag, 27. Februar 2020

Rezension: Nach Mattias von Peter Zantingh


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Nach Mattias
Autor: Peter Zantingh
Übersetzerin aus dem Niederländischen: Hanni Ehlers
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN: 9783257071290
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Zu Beginn des Romans „Nach Mattias“ des Niederländers Peter Zantingh steht ein klarer Schnitt: Mattias ist tot. Daran bemisst sich die Zeiteinteilung seiner Freundin, seiner Freunde und Verwandten, für die es ein „mit“ und ein „ohne“ Mattias gibt. Der Autor erzählt aus acht Perspektiven mit neun Figuren, die im Mittelpunkt der jeweiligen Geschichte stehen. Der Blick auf seine Freundin und Lebenspartnerin Amber eröffnet und beschließt die Kurzgeschichten im Buch. 

Lange bleibt verborgen, wie und wo Matthias gestorben ist, erst allmählich erhielt ich als Leser hierzu weitere Informationen. Der Raum um sein Sterben bleibt jedoch weit und unausgefüllt, genauso wie die Rollen, die er eingenommen hat und die jetzt nicht mehr zu füllen sind.

Die Charaktere, die Peter Zantingh selbst zu Wort kommen lässt oder auf denen sein Blick ruht, kennen den für eine Eventagentur arbeitenden Matthias nicht immer persönlich. Dennoch sind sie auf gewisse Weise mit ihm verbunden, eventuell auch nur durch Auswirkungen seiner Handlungen. Deutlich zu spüren ist der persönliche Bezug zu dem Verstorbenen durch die Tiefe der Trauer der jeweiligen Person. Obwohl der Schreibstil des Autors recht schnörkellos ist, beschreibt er die Emotionen mit treffenden und berührenden Worten.

Weil einige Figuren miteinander verwandt oder befreundet sind oder der gleichen Freizeitgestaltung nachgehen, kreuzen sich gelegentlich einige Wege. Daher findet die Entwicklung des Protagonisten einer der Kurzgeschichten eventuell später nochmal eine Fortsetzung, was ich sehr gut fand.

Auf der Trauerfeier von Matthias zeigt sich, dass die anwesenden Personen den Verstorbenen auf ganz unterschiedliche Weise gekannt haben. Die Erzählungen vermittelten mir ein Bild von ihm als Neuem gegenüber aufgeschlossen und zu spontanen Aktionen bereit. Er konnte gut zuhören, bot gerne seine Hilfe an, suchte den Konsens, doch er war auch ein Mensch mit Ecken und Kanten.

Die Geschichten spielen in einer unbenannten Stadt, nicht allzu weit vom Meer entfernt, wie beispielsweise in Utrecht, der Heimat des Autors. Beim Schreiben hört der Autor gerne Musik, die ihm auch zur Inspiration dient, und die er für dieses Buch in einer Playlist zusammengestellt hat.

Die Erzählungen sind realistisch und nachvollziehbar. Peter Zantingh lässt seinen Figuren ein Stück Hoffnung, in dem er einigen eine Aufgabe gibt, die für sie sinnerfüllend ist. Allerdings blieb mir der Charakter des Sohns einer der Protagonistinnen nicht ausformuliert genug, so dass mir dessen Handlungsmotiv unklar bilieb.

Peter Zantingh hat einen bewegenden Roman geschrieben über Trauer und verschiedene Arten, diese zu bewältigen. Die Geschichten im Buch „Nach Mattias“ zeigen auf, dass auch kleine Handlungen in unserem Leben von Bedeutung für andere Personen sind und eine verändernde Wirkung haben können, die nicht durch den Tod beendet wird. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Rezension: Rote Kreuze von Sasha Filiipenko



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Rote Kreuze
Autor: Sasha Filipenko
Übersetzerin: Ruth Altenhofer
Hardcover: 288 Seiten (Buch zeigt das Leseexemplar)
Erschienen am 26. Februar 2020
Verlag: Diogenes

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Alexander ist gerade mit seiner drei Monate alten Tochter in seine neue Wohnung in Minsk gezogen, als er ein rotes Kreuz auf seiner Wohnungstür findet. Als er es entfernen will, wird er von seiner Nachbarin angesprochen, die es dort angebracht hat. Bei Tatjana ist Alzheimer diagnostiziert worden, und sie nutzt die Kreuze, um nach Hause zu finden. Bislang ist vor allem ihr Kurzzeitgedächtnis betroffen, während sie sich noch gut an ihre Vergangenheit erinnert, von der sie Alexander berichtet.

Tatjana wurde 1910 in London geboren, zog 1919 aber mit ihrem Vater in dessen Heimat Russland zurück. Dort studierte sie und erhielt schließlich eine Arbeitsstelle im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, wo sie für die Dokumente zuständig war. Mit dem Zweiten Weltkrieg brachen für sie düstere Zeiten an. Ihr Mann zog in den Krieg, und schon kurz darauf hörte sie nichts mehr von ihm. Doch das war erst der Beginn von Tatjanas persönlichem Leidensweg, auf dem sie die Willkür unter Stalins Herrschaft deutlich zu spüren bekam.

Der Einzug von Alexander in seine neue Wohnung in Minsk und das Entdecken des roten Kreuzes auf seiner Tür gibt der Geschichte einen Rahmen. Schon nach wenigen Seiten beginnt Tatjana mit ihrer Erzählung, welche den Großteil des Romans ausmacht. Das Erzähltempo ist zügig und stringent, sodass ich ihr mühelos in die Vergangenheit folgen konnte. Ihr fiktives Schickal steht exemplarisch für das vieler russischer Frauen zu jener Zeit.

Indem der Autor Tatjana im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten arbeiten lässt, kann er einige Originaldokumente aus jener Zeit in die Handlung einfügen, die im Roman durch ihre Hände gehen. Dass viele Menschen zur Zeit Stalins in Russland mehr oder weniger willkürlich verhaftet wurden war mir nicht neu, die Haltung Russlands zu Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg jedoch schon. Die entsprechende Korrespondenz zum Thema fand ich interessant und beklemmend. Hier sind auch Briefe des Internationales Komittees vom Roten Kreuz abgedruckt, was der zweite von drei Gründen für die Titelwahl ist.

Rund um diesen wahren Kern entrollt sich Tatjanas emotionale und berührende Geschichte, die kein gutes Ende hat und bei der ich genauso gebannt zuhören musste wie Alexander. Auch dieser befindet sich in einer schwierigen Situation, über die man in Tatjanas Erzählpausen mehr erfährt. Zum Ende hin gibt es noch einige überraschende Erkenntnisse, welche die Geschichte gelungen abrunden.

„Rote Kreuze“ ist ein Roman, der von der ersten Seite an mein Interesse geweckt hat und der noch eine Weile in mir nachhallen wird. Hier treffen zwei Menschen mit ungewöhnlichen Lebensgeschichten aufeinander, deren Schicksal mich berührt hat und die trotz allem, was sie erlebt haben, die Kraft zum Weitermachen gefunden haben. Durch den wahren Kern der Geschichte schafft Sasha Filipenko einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Ich gebe eine klare Leseemfpehlung!

Rezension: Hör mir zu, auch wenn ich schweige von Abbie Greaves


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Hör mir zu, auch wenn ich schweige
Autorin: Abbie Greaves
Übersetzerin aus dem Englischen: Pauline Kurbasik 
Erscheinungsdatum: 26.02.2020
Verlag: Fischer Krüger (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783810530684
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In ihrem Roman „Hör mir zu, auch wenn ich schweige“ schreibt Abbie Greaves über das anhaltende Schweigen in der Ehe eines älteren Paars, das so viel Leere hervorruft und das schließlich viel Platz einnimmt bis es zu einer solchen Last wird, dass die Ehefrau darunter zerbricht. Dennoch wenden sich die Gesichter einer Frau und eines Manns auf dem Cover liebevoll einander zu. Sie scheinen dadurch im Gegensatz zur abweisenden Stille zu stehen und doch ist in der Geschichte so, dass Frank, dem Ehemann, die Worte fehlen, obwohl er seine Ehefrau wie an ihrem ersten Tag der Beziehung liebt. Mit Ausnahme des Prologs und des Epilogs erzählt Frank als Ich-Erzähler die Ereignisse der Gegenwart und im Rückblick, die später von Maggies Auszeichnungen unterbrochen werden.

Frank und Maggie sind seit 40 Jahren verheiratet und haben gemeinsam schon manchem Sturm getrotzt. Frank ist Professor für Entwicklungsbiologie, ruhig und zurückhaltend, aber er lacht gern und liebt Ausflüge in die nahe und weitere Umgebung. Maggie ist Krankenschwester, aufgeschlossen und kontaktfreudig. Von heute auf morgen verstummt Frank. Vielleicht ahnt Maggi ansatzweise den Grund dafür, aber das Unausgesprochene steht im Raum und ihre Gedanken kreisen über die gemeinsame Bürde der letzten Jahre. Die Mauer des Schweigens wirkt auf sie belastend, ihr eigenes Handeln in der Zeit davor sieht sie als bedeutungsvoll und Schicksal gebend, so dass sie verzweifelt und keine Zukunft für sich sieht. Frank findet sie bewusstlos in der Küche und setzt alles daran, Maggie und seine Ehe zu retten.

Der Roman schildert die Geschichte einer langen Ehe, die geprägt ist von der miteinander geteilten Zeit und mit gemeinsamen Erlebnissen. Sie erzählt von den vielen Dingen, die man einander in all den Jahren aneinander zu schätzen gelernt hat und von den Eigenheiten des Partners, mit denen man sich arrangiert. Es sind die Ängste, die man miteinander geteilt hat, das gemeinsame Glück und die empfangene Freude, die mit der Zeit eine gewisse Annahme entstehen lässt, dass man stets glaubt zu wissen, wie der andere denkt und fühlt. Es bleibt aber auch der Hauch einer Ahnung, dass es Dinge gibt, die unerwähnt bleiben und dadurch ein unterschwelliges Störgefühl immer vorhanden bleibt, bei feinfühligen Personen mehr, bei anderen vielleicht weniger.

Im Roman „Hör mir zu, auch wenn ich schweige“ zeigt Abbie Greaves, dass Liebe allein manchmal nicht ausreicht und eine aufrichtige Kommunikation im Vertrauen zueinander, gegenseitiger Respekt und akzeptierter Freiraum in der Ehe wichtig sind. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Mittwoch, 26. Februar 2020

Rezension: Rote Kreuze von Sasha Filipenko


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Rote Kreuze
Autor: Sasha Filipenko
Übersetzerin aus dem Russischen: Ruth Altenhofer 
Erscheinungsdatum: 26.02.2020
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN: 9783257071245
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Der Roman „Rote Kreuze“ von Sasha Filipenko spielt am Ende des Jahres 2000.  Alexander ist einer der beiden Protagonisten, 30 Jahre alt und hat eine wenige Monate alte Tochter. Er ist von Beruf Fußballschiedsrichter und hat gerade eine Wohnung in Minsk neu angemietet. Auf seiner Wohnungstür ist ein gut sichtbares rotes Kreuz aufgemalt. Beim Versuch, die beiden Striche zu entfernen, begegnet er seiner Nachbarin Tatjana, die sich dazu bekennt, das Kreuz angebracht zu haben, damit es sie nach Hause führt. Sie ist die zweite Hauptfigur des Romans, schon 90 Jahre alt und an Alzheimer erkrankt.

Tatjana besteht darauf, dem jungen Nachbarn ihre Wohnung zu zeigen, von der Alexander überrascht ist und deren Ausstattung Fragen aufwirft. Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen damit, über ihr Leben zu erzählen, wobei Alexander dabei zunächst zögerlich ist. Tatjana schildert ihr bewegtes Leben und ihren persönlichen Kampf für ihre kleine Familie in den Jahren der Stalin-Ära und den Jahren nach dem Tod des Diktators. Auch Alexander hat in den letzten Wochen und Monaten für seine kleine Familie gekämpft. Obwohl sich die Geschichten grundlegend unterscheiden, haben beide auch einiges gemeinsam.

Rote Kreuze ziehen sich durch den gesamten Roman, nicht nur in Form des Symbols zur Erinnerung an Alexanders Haustür. Der Titel bezieht sich ebenso auf das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, das im und nach dem Zweiten Weltkrieg Informationen über Verletzte und Kriegsgefangene gesammelt und zur Verfügung gestellt hat. Die Korrespondenz mit dem Komitee spielt eine wichtige Rolle im Buch, Sasha Filipenko hat den Wortlaut von Originaldokumenten in seinen Roman eingebunden, mit ihnen stützt er seine Forderung, die Erinnerung an die Gräuel des vorigen Jahrhunderts in den sozialistischen Sowjetrepubliken aufrecht zu erhalten.

Außerdem erinnern die Kreuze in ihrer übertragenen Form an das Leid, dass beide Protagonisten in ihrem Leben erfahren haben und nun mit sich tragen. In ihren Schicksalen trifft der Respekt gegenüber einer einzelnen Person des modernen Weißrusslands auf die Grausamkeiten des Sowjetregimes in der Mitte des letzten Jahrhunderts, die ein Leben auf gänzlich andere Art gemessen, beurteilt und bewertet hat.

Beiden Protagonisten gemeinsam ist auch, dass sie schwierige Entscheidungen zu treffen hatten. Tatjana hat entsprechend der gegebenen Lage im Geheimen entschieden, weil sie niemandem vertrauen konnte. Alexander, der einen Sinn für Gerechtigkeit hat, die auch in seinem Beruf zum Tragen kommt, hatte zwar die Möglichkeit Informationen und Rat öffentlich einzuholen, doch sein Beschluss wird nicht von jedem gutgeheißen, sondern findet auch kritische Stimmen.

„Rote Kreuze“ ist ein Roman gegen das Vergessen, nicht nur aufgrund der Alzheimererkrankung der Protagonistin Tatjana, sondern es ist ebenfalls ein Aufschrei gegen das kollektive gesellschaftliche Vergessen an die gefühllos veranlassten Repressionen in den sowjetischen Republiken vor einigen Jahrzehnten. Sasha Filipenko schreibt bedrückend und berührend, seine Geschichte bleibt in Erinnerung. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Rezension: Das Haus der Frauen von Laetitia Colombani


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Haus der Frauen
Autorin: Laetitia Colombani
Übersetzerin: Claudia Marquardt
Erscheinungsdatum: 26.02.2020
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband (Leseexemplar)
ISBN: 9783103900033
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In ihrem Roman „Das Haus der Frauen“ von Laetitia Colombani spielt der „Palais de la Femme“ in Paris eine große Rolle. Die Autorin verbindet aktuelle fiktive Ereignisse mit und der Gründungsgeschichte des Hauses, das real existiert. Das Gebäude wurde in den ersten Jahren nach dem Bau auf unterschiedliche Weise genutzt, doch seit 1926 bietet die Heilsarmee hier in Not geratenen Frauen in heute 630 Zimmern eine Wohnmöglichkeit. Die christliche Freikirche konnte die Kosten für den Erwerb des Hauses und dessen nötiger Renovierung nur mit dem großen Engagement ihres Mitglieds Blanche Peyron aufbringen, die von ihrem Ehegatten mit allen Kräften unterstützt wurde.

Soléne ist 40 Jahre alt und eine erfolgreiche Rechtsanwältin. Sie ist in einer Kanzlei angestellt und dort als pflichtbewusst und ehrgeizig bekannt. Nach einem verstörenden beruflichen Ereignis wird bei ihr Burn-Out diagnostiziert. Als Teil einer Therapie wird ihr ein soziales Engagement empfohlen. So wird sie zur Briefeschreiberin im „Haus der Frauen“. Nach einem holprigen Start gewinnt sie zunehmend das Vertrauen der Bewohnerinnen und ihre Zweifel an der Tätigkeit werden zunehmend mit Anerkennung kompensiert.

Der Roman beginnt mit einem wahren Paukenschlag für Soléne. Ihr Leben ist geprägt von ihrer Arbeit in der Kanzlei, ihre Freizeit ist dadurch stark eingeschränkt. Sie ist überrascht, wie sehr die berufliche Krise sie mitnimmt. Nur zögerlich entscheidet sie sich für ein soziales Engagement. Ihr Auftreten in der ungewohnten Umgebung ist von Unsicherheit geprägt, ein Gefühl, dass sie kaum kennt. Je tiefer sie in die Hintergründe des Aufenthalts der Frauen im „Palast“ eintaucht, die aus ganz unterschiedlichen Gründen hier Unterkunft gefunden haben, desto mehr wird sie genauso wie ich als Leserin davon emotional berührt.

Auch wenn die Geschichten nur fiktiv sind, hat Laetitia Colombani es geschafft, bewegende Lebensläufe zu schildern, die nachdenklich stimmen. Soléne wird dadurch immer mehr deutlich, was wichtig ist im Leben und dass vor allem ein sicherer Aufenthaltsort dazu gehört.

Neben den ergreifenden erdachten Lebensberichten bindet die Autorin die Geschichte der Blanche Peyron in ihren Roman ein, der mich etwa hundert Jahre in die Vergangenheit führte. Blanche ist die tatsächliche Gründerin des Hauses, so wie es bis heute existiert. Als Person war sie mir bisher unbekannt. Sie ist eine starke Persönlichkeit, die zu ihren Lebenseinstellungen steht, sich über Konventionen hinwegsetzt und ihre Ziele unermüdlich mit immer neuem Eifer nachgeht. Mich hat sie als Person stark beeindruckt.

„Das Haus der Frauen“ von Laetitia Colombani ist ein großartiger herzerwärmender Roman über die erfolgsgewohnte Anwältin Soléne, die nach einem persönlichen Krise eine ehrenamtliche Tätigkeit im titelgebenden Gebäude in Paris aufnimmt und dort Frauen in problematischen sozialen Situationen kennenlernt, deren Lebensgeschichten emotional tief zu Herzen gehen. Gleichzeitig ist er aber auch eine Würdigung der Lebensleistung der wenig bekannten Blanche Peyron, die eben jenen „Palast der Frauen“ in Paris gegründet hat. Gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Montag, 24. Februar 2020

Rezension: Das Museum der Welt von Christopher Kloeble


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Das Museum der Welt
Autor: Christopher Kloeble
Hardcover: 528 Seiten
Erschienen am 21. Februar 2020
Verlag: dtv

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Der Waisenjunge Bartholomäus ist im Jahr 1854 etwa zwölf Jahre alt und lebt in einem Waisenheim der Jesuiten in Bombay. Er pflegt eine Freundschaft zu Vater Fuchs, während er Vater Holbein und den anderen Waisen ein Dorn im Auge ist. Eines Tages beschließt er, ein Museum zu gründen, indem er in einer Schachtel Dinge sammelt, die ihn ausmachen. Nachdem die anderen Waisen es zerstört haben, schenkt Vater Fuchs ihm ein Notizbuch, in dem er zukünftigt sein Museum niederschreibt. Zu berichten hat er bald so einiges, denn die Brüder Schlagintweit engagieren ihn für ihre Forschungsreisen. Dabei entdeckt er Erstaunliches, gerät aber auch immer wieder in Gefahr und in Intrigen hinein.

Ich fand die Idee interessant, die Forschungsreisen der drei Brüder Schlagintweit über den indischen Subkontinent aus der Perspektive eines indischen Waisenjungen zu erleben. Diesen lernt man zu Beginn des Buches vor seiner ersten Begegnung mit den Brüdern kennen. Dank seiner Freundschaft zu Vater Fuchs spricht er Deutsch und hat sich ein erstaunliches Wissen angeeignet. Die anderen Waisen grenzen ihn jedoch aus, hänseln ihn und zerstören seinen Besitz, während er von Vater Holbein für jedes Vergehen hart bestraft wird.

Als Vater Fuchs plötzlich verschwindet und niemand ihm etwas über seinen Verbleib sagen will, ist Bartholomäus entschlossen, ihn zu finden. Die Tätigkeit als Übersetzer für die Brüder Schlagintweit ist dabei eine gute Gelegenheit, aus dem Waisenheim herauszukommen und sich in Bombay umzuhören. Doch er will unter keinen Umständen die Stadt verlassen. Bombay ist jedoch nur eine von vielen Stationen für die Brüder, und so ziehen sie schließlich gemeinsam mit dem Waisen sowie auch der Köchin Smitaben, dem Gärtner Devinder und dem Verwalter Hormazd weiter.

Die im Buch beschriebene Reiseroute entspricht den historischen Fakten, während die Figur des Bartholomäus fiktiv ist. Er wundert sich immer wieder über die Forschungsaktivitäten der Brüder, wofür sie sich begeistern können und welche Fragen sie stellen. Für sein Alter ist er erstaunlich klug, was durch die Freundschaft zu Vater Fuchs begründet wird. Viele seiner Überlegungen sind jedoch sehr philosophisch und er widmet sich grundsätzlichen Fragen der Menschheit, womit ich nicht gerechnet hätte und was für mich oft den Schwung aus der Handlung nahm.

Ich hätte es schön gefunden, wenn man auf der abgedruckten Indien-Karte die Reiseroute der Brüder Schlagintweit hätte erkennen können, damit man besser nachverfolgen kann, wo sie sich gerade aufhalten. Auch ein Personenverzeichnis und ein Glossar wäre hilfreich gewesen, denn die Handlung ist komplex und ich fand es zum Beispiel schwierig, einen Überblick über die verschiedenen indischen Bevölkerungsgruppen zu bewahren, die eine Rolle spielen. Einiges hätte gern expliziter erklärt werden können, ich musste für meinen Geschmack zu oft zwischen den Zeilen lesen. Bartholomäus ist bei vielen erstaunlichen Entdeckungen dabei und gerät in mehrere lebensgefährliche Situationen, sodass ich gespannt war, wie er an den Herausforderungen wächst. Durch die Komplexität der Handlung gepaart mit den philosophischen Exkursen hatte ich Schwierigkeiten, in diesen Abenteuerroman einzutauchen.

Insgesamt ist „Das Museum der Welt“ ein Roman, der vor allem für historisch interessierte Leser interessant ist, die sich fragen, wie Forschungsreisen im 19. Jahrhundert wohl von den Einheimischen, die diese begleitet haben, erlebt wurden.

Sonntag, 23. Februar 2020

Rezension: Power von Verena Güntner


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Power
Autorin: Verena Güntner
Erscheinungsdatum: 18.02.2020
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832183691
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Der Roman „Power“ von Verena Güntner handelt von dem titelgebenden Hund, der verschwunden ist. In dem Dorf, in dem das geschehen ist und das an einem Waldrand liegt, ist darüber zunächst nur seine Besitzerin betrübt. Doch das Buch macht seinem Namen alle Ehre, denn „Power“ bildet die treibende Kraft, die die Kinder des Orts schließlich geschlossen dazu bringt, ihn auf eine ungewöhnliche Weise zu suchen.

Kerze, die Protagonistin des Romans, ist elf Jahre alt und damit genauso alt wie Power. Sie lebt allein mit ihrer Mutter, die tagsüber zur Arbeit ist. Ihren gegebenen Versprechen kommt sie immer nach. Sie hat sich ihren Spitznamen gegeben, weil sie Verzweifelten, Enttäuschten und Bedrückten wieder Licht und damit Freude zurück in den Alltag bringen will. Dem Auftrag der älteren Dorfbewohnerin Frau Hitschke, nach ihrem Hund Power zu suchen, kommt sie daher gerne nach. Sie ist selbstbewusst, vorlaut und lebt ihre Rolle als Detektivin streng und übertrieben aus.

Das Ende der Geschichte ist nicht verwunderlich, denn das Ergebnis der Suche wird auf den ersten Seiten vorweggenommen. Dennoch ist die Erzählung bis dahin überraschend. In einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt mit all seinen Eigenarten, Allüren, Freundschaftsbeziehungen und Abneigungen stehen die Sommerferien an. Für Kerze und die übrigen Kinder ist das eine eher langweilige Zeit. Keiner hat eine Urlaubsreise, der Tag liegt wie ein dunkles Loch vor einem, denn Aktionen in Form von Ferienspielen oder ähnlichen bieten sich hier keine an. Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit auf dem Dorf. Kerze aber bietet mit ihrer Suche eine prima Ablenkung vom Ferienalltagseinerlei. Ganz nebenher tut man auch noch Gutes, wenn man sich der Sache anschließt und einer Ortsbewohnerin vielleicht sogar ihren kleinen Liebling wiederbringen kann. So beginnt es.

Zunehmend übernimmt Kerze die Organisation der Gruppe der Kinder, von denen sich immer mehr der Suche anschließen, und gewinnt dadurch deren Vertrauen. Die Gruppe folgt ihren Anweisungen, aber mit steigender Verantwortung für die Entscheidung über Gerechtigkeit und die Übernahme von Schiedssprüchen ändert sich allmählich ihr Ton. Die Suche wird immer verbissener. Die Ideen von Kerze zum Auffinden des Hunds werden immer abstruser, aber keines der Kinder wagt gegen die Methoden aufzubegehren, der Druck der Gruppe auf Uniformität wächst.

Die Eltern sehen dem Treiben unterdessen tatenlos zu. In der von der Autorin aufgezeigten Welt, in der Erwachsene ihrer Rolle als Vermittler von Werten und Normen kaum nachkommen, testen die Kinder ihre Grenzen bis zum Äußersten aus und die Mütter und Väter rühmen sich ihrer erzieherischen Fähigkeiten und lehnen jede Hilfe ab, die nicht aus diesem Kosmos kommt.

Auf überspitzte Weise zeichnet Verena Güntner in ihrem Roman „Power“ die ungewöhnliche Art eines Zusammenschlusses von Kindern auf, zunächst mit einem erkennbar guten Sinn, später aber immer mehr aus dem Ruder laufend. Ihre Sprache ist beredt, klar und mit viel feinem Gespür fürs Detail. Die Geschichte regt zum Nachdenken an. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Freitag, 21. Februar 2020

Rezension: Der brennende See - John von Düffel


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Der brennende See
Autor: John von Düffel
Hardcover: 320 Seiten
Erschienen am 18. Februar 2020
Verlag: DuMont Buchverlag

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Nach dem Tod und der Beerdigung ihres Vaters, der Schriftsteller war, kehrt Hannah noch einmal in ihre Heimatstadt zurück. Sie stattet seiner Wohnung einen letzten Besuch ab und will sich mit seinem Anwalt bezüglich des Erbes treffen. Ihr Vater reiste stets mit leichtem Gepäck und ging nach der Ankunft immer zuerst schwimmen, was sie ihm nun gleichtun will. Doch als sie in den Lieblingssee ihres Vaters steigt, wird ihr von einer jungen Frau am Ufer das Fahrrad geklaut. Kurz darauf findet sie in seiner Wohnung in einem seiner eigenen Bücher ein Foto von ihr. Wer ist sie? Wusste sie etwas über ihren Vater, das ihr entgangen ist? Und welche Rolle spielt sie bei den überraschenden Neuigkeiten, die sie vom Anwalt ihres Vaters erhält?

Das Cover des Buches ist angelehnt an die Beschreibung des Covers des „Wolkenbuchs“, dem letzten Buch, das Hannahs Vater geschrieben hat und das er als sein Vermächtnis betrachtete. Mit diesem konnte Hannah wenig anfangen, für sie enthält es nur langweilige Wolkenbeschreibungen. Dem ersten Kapitel vorangestellt ist der Ausschnitt eines Spiegel-Artikels zum Bellandursee in Bangalore, der wegen der enthaltenen Chemikalien immer wieder in Flammen aufgeht.

Die Geschichte nimmt den Leser jedoch nicht mit nach Indien, sondern in eine Stadt in Deutschland, Hannahs Heimat, der sie noch mal einen Besuch abstattet. Wie alt sie genau ist oder was sie beruflich macht erfährt man nicht, denn ihre Gedanken kreisen hauptsächlich um ihren verstorbenen Vater. Einige seiner Verhaltensweisen kann sie bei sich wiederfinden und die beiden sind nicht im Bösen auseinandergegangen. Trotzdem hat sie nicht das Gefühl, zu wissen, was ihn in den letzten Jahren vor seinem Tod bewegt hat. In seiner Wohnung deutet alles auf die regelmäßige Anwesenheit einer zweiten Person hin, und sie möchte gern in Erfahrung bringen, um wen es sich dabei gehandelt hat.

Auf dem Weg zu ihrem Termin mit Dr. Lüders, zu dem sie ein kompliziertes Verhältnis hat, trifft sie ausgerechnet ihre ehemalige beste Freundin Vivien wieder. Diese lädt sie kurzentschlossen ein, die nächsten Tage auf ihrem Gestüt zu verbringen, das sich direkt neben dem See befindet. Sie und ihr Mann Matthias haben große Pläne, doch im Hinblick auf den See gibt es Rechtsstreitigkeiten. Während ihr Sohn Marvin auf seine eigene Weise versucht, seinen Vater zu schützen, hat ihre Tochter Julia sich in der letzten Zeit immer weiter von ihnen entfernt. Hannah wird in die Geschichte hineingezogen, und auch Lüders Hinweise, was im Testament steht, geben Hannah Stoff zum Nachdenken.

Die Geschichte wird in ruhiger Sprache und mit einem Blick fürs Detail und das Zwischenmenschliche erzählt. Sie ist stark im Hier und Jetzt verortet und hält sich nicht lang mit Rückblenden und Hintergrundgeschichten auf. Hannahs Versuch, zu verstehen, was ihren Vater in der Zeit vor seinem Tod bewegt hat sowie das Schicksal des Sees sind die zentralen Themen des Buches.

Über die Fridays for Future-Aktivistin Julia hätte ich gern noch mehr erfahren. Sie fungiert als topaktuelles Sprachrohr ihrer Generation, hält flammende Reden und offenbart eine Tendenz zur Radikalisierung, ist aber meistens nicht auffindbar. Die Handlungen von Hannah als Protagonistin sind vorwiegend reaktiv und fand es schade, am Ende nicht zu erfahren, welche Entschidung sie schlussendlich getroffen hat.

Wer sich für eine literarische Beschäftigung mit den Klimastreiks und den Auswirkungen des Klimawandels in Kombination mit einem trotz weniger Handelnden komplexen Beziehungsgeflecht interessiert, für den ist „Der brennende See“ die richtige Lektüre!

Mittwoch, 19. Februar 2020

Rezension: Backen & Liebe von Lotta und David Zetterström


Rezension von Christina  
 
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Backen & Liebe
Autoren: Lotta und David Zetterström
Übersetzerin: Melanie Schirdewahn
Hardcover: 224 Seiten
Erschienen am 28. Oktober 2019
Verlag: Südwest

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Das Buch „Backen & Liebe“ von Lotta und David Zetterström, die Gründer der Kultbäckerei „Fabrique“ mit über 20 Filialen in Schweden, London und Gotland,  widmet sich voll und ganz – wie der Titel unmissverständlich widerspiegelt – der Liebe zum Backen. Neben der Liebe zum Backen, dem Backen als Handwerkskunst, untermalt mit sorgfältig ausgewählten Rezepten, steht auch die Entstehung der Kultbäckerei mit ihren handelnden Personen im Vordergrund des Buches.

Zum Einstieg beinhalten die ersten Seiten des Buches einige persönliche Worte der Autoren, die ihre Passion zum Backen mit dem Slogan „Wir lieben Brote“ unterstreichen und darüber hinaus in die schwedische Tradition der „Fika“ einleiten. Die Fika – eine kurze Pause vom Alltag – sollte man idealerweise mit einer Tasse Kaffee und einem (selbst-)gebackenen Teilchen der Bäckerei „Fabrique“ starten und macht damit neugierig auf die nachfolgenden Rezepte des Buches.  

Zunächst wird die Geschichte von David und Lotta, wie die beiden sich kennenlernten und damit auch die Entstehung ihrer Bäckerei „Fabrique“, skizziert. Die ersten großflächigen Bilder geben Einblicke in die Anfänge der Bäckereien und in ihre erste kleine Filiale in Stockholm. 

Die drei Sektionen des Buches, in denen die Rezepte zu finden sind, heißen „Stockholm“, „London“ und „Rute“ und verweisen damit auf die bisherigen Standorte der Fabrique-Filialen. In jedem dieser Kapitel finden sich – wenn auch nicht immer an ähnlicher Stelle – einleitende Sätze, um die persönliche Verbundenheit der Autoren zum jeweiligen Ort zum Ausdruck zu bringen. Neben den Rezepten stehen auch immer mal wieder kleine Geschichten von Stammgästen sowie Mitarbeiter/innen der Fabrique-Filialen sowie die allgemeinen Entstehungsgeschichten einzelner Rezepte im Vordergrund.

Die Rezepte sind allesamt gleich aufgebaut und mit großzügigen, teils dunklen, Bildern untermalt – unterscheiden sich stellenweise von der Optik und sind einem der drei Sektionen zugeordnet. Neben der klassischen Zutatenliste, der Schritt-für-Schritt-Anleitung sowie der Portionsgröße beinhalten manche Rezepte auch zusätzliche Hinweise und erweiterte Tipps zur optimalen Zubereitung. Angaben zur Gesamt-Zubereitungszeit und des Schwierigkeitsgrades sind in den Rezepten nicht angegeben.

Gebacken habe ich die Gerichte „Wonderful Walnut“ aus der Sektion „Stockholm“ und das „Granola“ aus der Sektion „Rute“. Den Anweisungen des Rezeptes konnte ich sehr gut folgen, da die Rezepte sehr klar und schrittweise strukturiert sind, sodass man stets einen guten Überblick hat. Mit den beiden Rezepten, der Umsetzung und dem Ergebnis waren meine Testesser und ich voll und ganz zufrieden, sodass es sowohl die Walnussschnecken als auch das Granola häufiger geben wird.

Obwohl ich mit den von mir getesteten Rezepten sehr zufrieden bin, war ich doch etwas enttäuscht darüber, dass die meisten Rezepte im Buch nicht alltägliche Zutaten, einen angesetzten Sauerteig und/oder viel Zeit benötigen. Natürlich ist Zeit ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, ein gutes Brot zu backen. Aufgrund der insgesamt geringen Anzahl an Rezepten, im Vergleich zur Seitenanzahl des Buches, hätte ich mir aber dennoch mehr Rezepte gewünscht, die sich auch in einem Nicht-Bäcker-Arbeitsalltag umsetzen lassen. Nichtsdestotrotz hat mich das Ansetzen eines eigenen Sauerteiges sehr neugierig gemacht und ich werde sicherlich noch das Roggensauerteigbrot aus dem Buch testen!

Die Angabe der Gesamtzubereitungszeit ist meiner Meinung nach gerade beim Backen hilfreich und hat mir hier in den Rezepten gefehlt. Mehrere Gehzeiten des Teiges führen dazu, dass schnell viele Stunden vergehen, bis das Backprodukt fertiggestellt ist. Ein schneller Überblick über die Gesamtzubereitungszeit kann hier helfen zügig einzuschätzen, welches Rezept sich gerade zur Umsetzung eignet und welches vielleicht nicht.  

Zusammenfassend bleibt zu dem Buch von Lotta und David Zetterström zu sagen, dass es sich hier nicht um ein klassisches Backbuch handelt. Das Buch bringt einem vielmehr die Geschichte der Autoren sowie die Entstehung der Fabrique-Filialen näher und untermauert dies mit zahlreichen Geschichten und Bildern. Leider geraten durch Bilder, die stellenweise sehr groß und dunkel wirken, die wirklich qualitativ hochwertigen Rezepte in den Hintergrund. Dass die beiden Autoren das Backhandwerk verstehen und lieben wird dem Leser eindrücklich vermittelt und was die Rezepte angeht, so gilt hier vermutlich „Qualität statt Quantität“. Einen kleinen faden Beigeschmack hat bei mir jedoch die immer wiederkehrende Präsenz der „Fabrique-Filialen“ hinterlassen.

Das Buch „Backen & Liebe“ ist daher für alle zu empfehlen, die die Liebe zum Handwerks des traditionellen Backens erleben wollen, vor zeitaufwendigeren Rezepten nicht zurückschrecken und sich darauf freuen, die Zeit und Arbeit in leckere selbstgebackene Backwaren – vor allem Brote – zu investieren.

Sonntag, 16. Februar 2020

Rezension: Das neunte Haus von Leigh Bardugo


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Das neunte Haus
Autorin: Leigh Bardugo
Übersetzerin: Michelle Gyo
Paperback: 528 Seiten
Erschienen am 3. Februar 2020
Verlag: Knaur HC

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Alex Stern fühlt sich auf dem Campus der Elite-Universität Yale wie ein Fremdkörper. Eine Ausreißerin wie sie schafft es eigentlich nicht an einen solchen Ort. Doch für das Haus Lethe ist sie von großem Wert, denn sie kann die Geister der Toten sehen. Mit dieser Fähigkeit soll sie dafür sorgen, dass diese bei den magischen Ritualen der Häuser des Schleiers - wie Portalmagie oder auch Eingeweidenschau - für keine unerwünschten Zwischenfälle sorgen. Als eine junge Frau ermordet auf dem Campus aufgefunden wird, hat Alex den Verdacht, dass eins der Häuser in den Fall verwickelt ist. Sie beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln und stößt bald auf Ungereimtheiten. Doch jemand scheint mit aller Macht verhindern zu wollen, dass sie sich weiter mit dem Fall beschäftigt.

Ich bin großer Fan der Grishaverse-Bücher der Autorin und habe mich sehr gefreut, nun in eine von ihr geschaffene Urban Fantasy Welt eintauchen zu dürfen. Der Einstieg in die Geschichte ist mit jedoch nicht leicht gefallen. Nach einem Prolog im Vorfrühling springt die Geschichte zurück in den Winter, wo es Rückblenden in den Herbst gibt. Man erhält hier und da Informationsbrocken und ich brauchte einige Zeit, bis sich mit das ganze Szenario rund um die Häuser und Alex’ besondere Fähigkeiten erschloss.

Die Autorin hat eine komplexe Welt erschaffen, in welcher es ähnlich wie im Grishaverse unterschiedliche Formen der Magie gibt, die hier aber ganz andere Formen annimmt und auch anders funktioniert. Sie ist hauptsächlich an Rituale gebunden, die immer wieder beschrieben werden. Dabei wird häufig Blut vergossen, während Alex herumläuft, und Friedhofserde auf die Geister wirft, um sie zu vertreiben. Diese Schilderungen sind Geschmackssache und haben mich eher irritieren als faszinieren können.

Die Ermittlungen rund um den Tod der jungen Frau sowie Alex’ Suche nach einer verschwundenen Person sind die zentralen Elemente der Geschichte, die langsam in Schwung kommt. Hier stößt Alex auf ein scheinbar undurchdringliches Geflecht aus Geheimnissen, Vertuschung und Intrigen. Doch auch als es gefährlich wird gibt sie nicht auf und forscht mit ihrer trockenen und beharrlichen Art weiter. Dabei kommt sie auch der Welt der Geister, von der sie seit Jahren konsequent Abstand hält, immer näher. Zum Ende hin erlebt man als Leser noch mal einige Überraschungen und die Antworten auf die offenen Fragen sind vielschichtiger als gedacht.

„Das neunte Haus“ von Leigh Bardugo nimmt den Leser mit in eine gefährliche Welt voll blutiger Rituale, Geister und Geheimnisse, von der am Campus der Eliteuniversität Yale nur wenige etwas ahnen. Trotz der der angenehm unperfekten Protagonistin mit einer interessanten Hintergrundstory hat mich das Setting leider nicht gänzlich packen können. Wenn ihr Lust auf eine düstere Urban Fantasy habt, dann seid ihr der richtige Leser für dieses Buch!

Samstag, 15. Februar 2020

Rezension: Je tiefer das Wasser von Katya Apekina


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Je tiefer das Wasser
Autorin: Katya Apekina
Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch: Brigitte Jakobeit
Erscheinungsdatum: 17.02.2020
Verlag: Suhrkamp (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag (Leseexemplar)
ISBN: 9783518429075
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Der Roman „Je tiefer das Wasser“ ist das Debüt von Katya Apekina, die heute in Kalifornien lebt. Die Worte auf dem Cover sind hingepinselt, unregelmäßig, wie in Eile geschrieben. Ein Augenpaar schaut mich schräg dazu zwischen den Buchstaben an, viele gesehenen Dinge verbergend und dadurch neugierig machend auf die Geschichte zwischen den Buchdeckeln.

Die 16-jährige Edith, kurz Edie genannt, wohnt mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Mae und ihrer Mutter Marianne in einem Vorort von New Orleans. Eines Tages findet sie ihre Mutter kaum noch bei Bewusstsein vor, weil sie versucht hat, sich umzubringen. Edies Eltern leben seit vielen Jahren getrennt, ihr Vater ist ein bekannter Schriftsteller und wohnt in New York. Nach der Einlieferung von Marianne in die psychiatrische Klinik haben die beiden Schwestern keine andere Möglichkeit als ihrem Vater Dennis in den Norden zu folgen. Während Edie bald schon ihre Freunde vermisst, lebt Mae auf, denn sie fühlt sich von Zwängen befreit.

Katya Apekina kehrt für ihre Erzählung zurück in das Jahr 1997, das eine besondere Bedeutung für Edie und Mae hatte und einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellte. Während Edie über die aktuellen Begebenheiten aus dieser Zeit heraus erzählt, berichtet Mae aus dem Jahr 2012 im Rückblick auf die Ereignisse. Die Autorin lässt ihre Figuren tiefe Emotionen zeigen, dazu nutzt sie zum weiteren Verständnis der Handlungen ihrer Protagonisten verschiedene Perspektiven, um nochmals einen anderen Blickwinkel einzunehmen und dabei vielleicht ein weiteres Hintergrunddetail zu entdecken. Die unterschiedlichen Sichtweisen waren auch wichtig dafür, entgegengesetzte Meinungen nachvollziehen zu können. Hinzu kommen einige originelle Ergänzungen wie Tagebucheinträge, Telefonate und Briefe, die dem Roman eine ganz eigene Form geben.

Obwohl die beiden Schwestern sich sehr nahestehen, sind sie doch recht gegensätzliche Charaktere. Sie lieben sich, aber in anderen Situationen hassen sie sich. Ihre Eltern haben sich getrennt, als Edie vier Jahre alt war. Edie hat noch rudimentäre Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihrem Vater. Sie ist selbstbewusst und hat sich in der Schule Anerkennung erarbeitet. Ich konnte ihre Unzufriedenheit gut verstehen. Ihre zynischen Kommentare lassen ihre Frustration erkennen und geben der Erzählung manchmal einen auflockernden Unterton. Während sie sich auf die Seite der Mutter stellt und an deren baldige Genesung und Heimkehr glaubt, freut Mae sich über die Chance, ihren Vater besser kennen zu lernen. Zusätzlich bietet er ihr eine interessante neue Umgebung. Bei ihrer Mutter fühlte sie sich eingeengt, denn sie ist nicht so unternehmenslustig wie ihre Schwester und bekam durch ihre häufige häusliche Anwesenheit oft Aufgaben von Marianne zugeteilt. Äußerlich ähnelt sie ihrer Mutter, die bereits in jungen Jahren maßgeblich den kreativen Schreibprozess des Vaters beeinflusst hat. Mae sieht sich in der gleichen Rolle. Während Edie sich auflehnt und ihre Wut gelegentlich überhandnimmt, wirkt Mai demgegenüber verträumt und zieht sich mitunter in sich selbst zurück.

Katya Apekina erzählt in ihrem Roman „Je tiefer das Wasser“ darüber, wie zwei Töchter die psychische Erkrankung der Mutter auf sehr unterschiedliche Weise verarbeiten. Dabei wird mit anhaltender Krankheit und der damit verbundenen neuen Eindrücke in einer fremden Umgebung die Geschichte immer schmerzhafter für die beiden. Die Autorin hält durch immer neue Wendungen die Erzählung durchgehend interessant und konnte mich mit der besonderen Gestaltung des Romans überzeugen. Er ist tiefgehend und ergreifend, nimmt sensible Themen in den Fokus und stimmt dadurch nachdenklich. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.


Mittwoch, 12. Februar 2020

Rezension: Der Hund von Akiz


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Hund
Autor: Akiz
Erscheinungsdatum: 27.01.2020
Verlag: hanserblau (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783446265998
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Dieser Roman hat meine Geschmacksnerven alleine nur durch Lesen der Zeilen angesprochen, weil ich glaubte, die beschriebenen Aromen auf der Zunge und im Gaumen spüren zu können. Ich freue mich darüber, dass sich dadurch bei mir kein Begehren meldete, die beschriebenen -mal vorsichtig gesagt- „Köstlichkeiten“ zu probieren. Stattdessen empfand ich Mitleid mit mancher Spezies für die hier eine spezielle Zubereitung beschrieben wird und teilweise auch Ekel. Es sind Genießer mit außergewöhnlichem Geschmack die Akiz, dem Pseudonym von Achim Bornhak, in seinem Debütroman „Der Hund“ beschreibt. Sie fallen mit ihrer extremen Leidenschaft für ungewöhnliche Gerichte auf und fordern dadurch das ganze Können eines Kochs heraus.

Der Titel lässt vielleicht zunächst an ein Tier denken, über das der Roman handelt, doch es ist der Spitznamen eines Kochs, der zunächst an der Seite des Ich-Erzählers Mo in einem Imbiss arbeitet und ihm so anhänglich ist wie der gleichnamige treue Begleiter des Menschen. Schnell fällt er durch seine besonderen Kreationen auf und bald arbeiten die beiden im Sternerestaurant gegenüber. Keiner weiß, wo der Hund eigentlich herkommt, wie sein richtiger Name lautet und woher und wodurch er seine Qualifikationen erworben hat. Das ist eigentlich auch gar nicht wichtig, in der Branche zählen nur seine augenblicklichen Zubereitungen mit denen er alle verzückt. Seine Erfolge und der Zuspruch, den er erhält, treiben ihn zu immer neuen eigenartigen Leistungen an und er gewinnt zunehmend an Courage, um seine Ideen umzusetzen. Aber nach dem Erreichen des höchsten Genussgipfels bleibt nur noch der Weg zurück …

Der Autor, der für die Recherche des Buchs selbst in einer Restaurantküche gearbeitet hat, zeigt in seiner Geschichte eine überspitzte Darstellung der Welt der Köche. Angetrieben von Genussmenschen, die über ausreichend monetäre Mittel verfügen, versuchen sie die ausgefallensten Gerichte mit den undenkbarsten Zutaten zu schaffen und die ausgezeichnetsten Getränke aus entlegensten Regionen zu besorgen. Dabei entwickelt sich eine Gruppe, die untereinander bestens kennt und sich gegenseitig nichts gönnt. Woran sich ihre Geschmäcker messen lassen, ist fraglich, bedeutsamer ist es, an seltene Ressourcen zu gelangen. Der Hund ist von der ihm präsentierten Gelegenheit fasziniert und wird zu ihrem Spielball, gewinnt ihre Sympathie, bis jeder ihn für sich vereinnahmen will.

Der Roman „Der Hund“ von Akiz ist gleichzeitig abstoßend und faszinierend aufgrund der Groteske mit der der Autor die Gesellschaft mit unserer Hingabe für Leidenschaften vorführt. Sicherlich kein Roman für jedermann, aber für diejenigen, die nach dem literarischen Besonderen suchen. 

Sonntag, 9. Februar 2020

Rezension: Eine fast perfekte Welt - Milena Agus


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Eine fast perfekte Welt
Autorin: Milena Agus
Übersetzerin: Monika Köpfer
Hardcover: 208 Seiten
Erschienen am 24. Januar 2020
Verlag: dtv Literatur

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Als Esters Verlobter Raffaele nach dem Zweiten Weltkrieg zurück in ihr Dorf auf Sardinien kommt, erkennt sie ihre einst große Liebe kaum wieder. Er bleibt nicht lange, sondern geht aufs Festland, um im Hafen von Genua zu arbeiten. Ester kann nicht verstehen, wie man an solch einem Ort leben kann. Trotzdem heiratet sie ihn nach einigen Jahren und zieht zu ihm. Ihre Tochter Felicita ist ein Lichtblick in ihrem Leben, doch sie sehnt sich zurück nach Sardinien. Doch auch dort wird ihre Sehnsucht nicht gestillt. Felicita gehört weder zur einen noch zur anderen Welt: Das Leben auf Sardinien finder sie langweilig und anstrengend, auf dem Festland wird sie als Hinterwäldlerin behandelt. Trotzdem versucht sie, aus jeder Situation das Beste zu machen und ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Die Geschichte beginnt einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Raffaele aus der Kriegsgefangenenschaft zurück nach Sardinien kommt. Er arbeitet hart und kann trotzdem kaum etwas ansparen, sodass die Hochzeit mit Ester noch warten muss. Ester kann mit ihm nicht mehr viel anfangen und hat an allem etwas auszusetzen, trotzdem heiraten die beiden. Das einfache Leben in der Stadt gefällt ihr wenig überraschend überhaupt nicht, nur ihre Tochter Felicita macht ihr Freude.

Ester und Felicita sind gänzlich unterschiedliche Charaktere mit einem völlig anderem Blick auf das Leben auf dem Festland und auf Sardinien. Ester sehnt sich nach einem Ort zum Ankommen, den sie jedoch nirgends findet. Die beengenden Verhältnisse in der Stadt findet sie besonders schlimm. Felicita hingegen geht es genau anders herum, auf Sardinien muss sie schuften und kann kaum glauben, dass ihre Großmutter noch nie das Meer gesehen hat, obwohl es nur eine Stunde entfernt ist. Ich fand es interessant, durch diese zwei verschiedenen Perspektiven aufs Geschehen zu blicken.

Der Fokus verlagert sich im Laufe der Geschichte immer mehr hin zu Felicita. Sie verliebt sich in einen Jungen, der zwar Intimitäten zulässt, ihre Gefühle aber nicht erwidert. Als Erwachsene muss sie wegweisende Entscheidungen treffen hinsichtlich der Frage, wo und wie sie leben will. Dabei macht sie einige neue Bekanntschaften, die für schöne und unterhaltsame Situationen sorgen. Sie bringen weitere Perspektiven ins Geschehen ein.

Die Autorin sagt selbst, dass sie mit diesem Buch ein Sardinien retten möchte, dass es eines Tages möglicherweise nur noch in Büchern gibt. Ihre Schilderungen sind dementsprechend sehr atmosphärisch und es werden Einblicke in das Leben auf der Insel gegeben. Ich hatte beim Lesen jedoch auch das Gefühl, dass die Geschichte sehr schnell vorüberzieht. Es gibt immer nur kurze Einblicke und häufige Zeitsprünge, sodass ich mir an vielen Stellen gewünscht habe, tiefer eintauchen zu dürfen.

„Eine fast perfekte Welt“ nimmt den Leser mit nach Italien, wo eine Mutter und ihre Tochter sowohl auf dem Festland als auch auf Sardinien leben und diese Lebensweisen völlig unterschiedlich wahrnehmen. Ich fand diese Einblicke interessant und habe vor allem mit Felicita gehofft, dass sie ihren Weg finden wird. Ein stimmungsvoller und berührender Einblick in die sardische Heimat der Autorin!