Pages

Samstag, 19. September 2020

Rezension: Die verschwindende Hälfte von Brit Bennett

 


*Werbung*
Die verschwindende Hälfte
Autorin: Brit Bennett
Übersetzer: Isabel Bogdahn und Robin Detje
Hardcover: 416 Seiten
Erschienen am 15. September 2020
Verlag: Rowohlt

----------------------------------------

Im kleinen Örtchen Mallard in Louisiana ist es das unausgesprochene Ziel, von Generation zu Generation immer hellhäutiger zu werden. 1958 verschwinden die Vignes-Zwillinge überraschend in Richtung New Orleans. Das Entsetzen der Bewohner ist groß, als Desiree Vignes zehn Jahre später mit einer rabenschwarzen Tochter Jude ins Haus ihrer Mutter zurückkehrt, um sich vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu verstecken. Über den Verbleib ihrer Zwillingsschwester weiß sie trotz intensiver Suche nichts. Denn Stella führt inzwischen ein Leben unter Weißen, die nichts über ihre Herkunft wissen dürfen.

Das Buch erzählt die Geschichte der Vignes-Zwillinge und ihrer Töchter von den 1950er bis zu den 1990er Jahren. Es beginnt mit der Rückkehr Desirees nach Mallard und springt anschließend in der Zeit hin und her, sodass man stückweise mehr über die Lebensverläufe der vier Frauen erfährt. Die Zwillinge haben lange alle Erfahrungen miteinander geteilt. Sie mussten mitansehen, wie Weiße ihren Vater zu Tode prügeln, Arbeit im Haushalt von Weißen annehmen statt aufs College zu gehen und haben schließlich den gemeinsamen Entschluss gefasst, in New Orleans ein neues Leben zu beginnen.

Stella trifft nach einiger Zeit in New Orleans den Entschluss, sich als Weiße auszugeben und den Kontakt zu ihrer Schwester abzubrechen. Ab diesem Punkt verlaufen die Leben der Zwillinge in gänzlich verschiedene Richtungen. Desiree und Stella werden trotz gleicher Hautfarbe aufgrund ihres Agierens als schwarze bzw. weiße Frau anders behandelt. Noch stärker tritt der Unterschied bei ihren Kindern zutage: Jude erlebt mit ihrer blauschwarzen Haut starke Diskriminierung, während ihre Cousine Kennedy als priviligierte Weiße aufwächst und keine Ahnung hat, dass ihre Mutter noch lebende Familie hat.

Die Autorin schildert absolut gelungen, was Denkmuster bezüglich „richtiger“ und „falscher“ Hautfarbe und Herkunft mit den Einstellungen und dem Verhalten der Menschen gegenüber den vier Protagonistinnen machen. Auch auf die Chancen, die sich ihnen auf ihrem Lebensweg bieten, und den Erwartungen, die an sie gestellt werden, hat dies großen Einfluss. Die Themen Emanzipation und Transsexualität spielen ebenfalls eine wichtige Rolle und ließen mich hoffen, dass die Charaktere auf ihrem Weg in Richtung Selbstverwirklichung Erfolg haben und sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lassen.

„Die verschwindende Hälfte“ bietet ein beeindruckendes Leseerlebnis mit großer Aktualität. Für mich ist das Buch ein Jahreshighlight, das ich jedem ans Herz legen möchte!