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Samstag, 10. Juli 2021

Rezension: Die juten Sitten - Kaiserwetter in der Gosse von Anna Basener

 

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Die juten Sitten - Kaiserwetter in der Gosse
Autorin: Anna Basener
Klappenbroschur: 336 Seiten
Erschienen am 21. Juni 2021
Verlag: Goldmann

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1935 macht sich Minna mit dem Zug auf den Weg nach Frankreich. Zum ersten Mal in ihrem Leben verlässt sie Berlin, denn die politische Situation vor Ort lässt ihr keine Wahl und ihr geliebtes Bordell „Ritze“ hat sie verkauft. Sie reist gemeinsam mit Emil und Gustav, denen sie während der Fahrt die Geschichte erzählt, wie sie überhaupt in den Besitz der „Ritze“ gekommen ist. Diese beginnt 1895, als Minna beschließt, der Arbeit in der Tabakfabrik und den beengten Verhältnissen in der Wohnung ihrer Familie den Rücken zu kehren, um in einem vornehmen Bordell zu arbeiten.

Bei „Kaiserwetter in der Gosse“ handelt es sich um den zweiten Band von „Die juten Sitten“. Auch wenn ich den Vorgänger nicht kannte, ist mir der Einstieg in die Geschichte leicht gefallen. Es handelt sich nämlich um die Vorgeschichte, die sich um Minnas Weg von der Fabrikarbeiterin zur Bordellbesitzerin dreht. Diese wird von ihr im Rückblick auf der Fahrt von Berlin nach Frankreich erzählt.

Die Zugfahrt bildet die Rahmenhandlung, von der aus Minna immer wieder in die Vergangenheit eintaucht. In kurzen Passagen wird das Gesagte kommentiert und hinterfragt, während sich die Charaktere von Berlin entfernen. Gelegentlich gibt es auch Anspielungen auf die Ereignisse des ersten Bandes, deren Kenntnis aber nicht entscheidend ist.

Minnas Motivation, ihrer Familie und der Fabrikarbeit den Rücken zu kehren, wurde für mich nachvollziehbar dargestellt. Die Arbeit im Bordell erscheint ihr als der vielversprechendste Weg hinaus aus der Armut, den sie willentlich einschlägt. Gezielt sucht sie nach einem vornehmen Etablissement, um in finanzieller Hinsicht das Beste für sich herauszuholen. Sie präsentiert sich als selbstbewusste Frau, die sich nicht mit dem Leben zufrieden geben will, in das sie hineingeboren wurde.

Im Umgang mit den vornehmen Freiern fällt Minna durch ihre Sprache auf. Sie ist um keinen Spruch verlegen und kommt der Bitte der Bordellverwalterin, Hochdeutsch zu sprechen, nur selten nach. Stattdessen berlinert sie sich durch die Geschichte und nutzt eine derbe Ausdrucksweise. Mit ihrer unkonventionellen Art eckt sie manches Mal an, findet aber auch Männer, die davon besonders angezogen werden. Sie ist ein echtes Unikat und wird mir als Charakter im Gedächtnis bleiben.

Beharrlichkeit und Einfallsreichtum lassen Minna in die höchsten Kreise vordringen. Dort wird sie Teil der Kotze-Affäre, welche die Adelswelt erschüttert und deren Verlauf lose auf den historisch belegten Ereignissen rund um Leberecht von Kotze beruht, der ebenso wie die meisten adeligen Charaktere des Buches tatsächlich gelebt hat. Szenen der Adeligen unter sich, die Minna nicht selbst miterlebt hat, schildert sie ihren Zuhörern auf ebenso unterhaltsame Weise wie ihre eigenen Erlebnisse. Sie gibt zu, es mit den Details nicht so genau zu nehmen und die Erzählung lieber etwas aufzupeppen, das Ergebnis würde ja dasselbe bleiben.

Ich wurde durch diese Herangehensweise sehr gut unterhalten und erhielt gleichzeitig spannende und authentische Einblicke in die Halbwelt am Ende des 19. Jahrhunderts. Der Roman wird mit einem Augenzwinkern erzählt, lebt von Skandalen und zeigte mir als Leserin die verruchte Seite des historischen Berlins. Klare Leseempfehlung!