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Samstag, 31. Dezember 2022

Rezension: Zimt - Auf den ersten Sprung verliebt (1. Buch der 2. Staffel) von Dagmar Bach

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Zimt - Auf den ersten Sprung verliebt (1.Buch/Staffel 2)
Autorin: Dagmar Bach
Erscheinungsdatum: 25.05.2022
Verlag: Fischer KJB (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Farbschnitt
ISBN: 9783737342759

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Das erste Buch der zweiten Staffel war für mich der perfekte Einstieg in die „Zimt“-Reihe von Dagmar Bach. Das besondere an den Geschichten der Serie ist die Fähigkeit der Protagonistin Vicky, zwischen Parallelwelten zu springen. Leider hat sie selbst keine Kontrolle darüber, denn wenn ein Zimtduft sie umweht, findet sie sich in der folgenden Minute in einer anderen Welt wieder. Das Buch ist in der ersten Auflage mit einem traumhaften Farbschnitt versehen, auf dem ebenso wie im ganzen Roman Illustrationen von Inka Vigh zu sehen sind.

Inzwischen ist Vicky 15 Jahre alt und auch ihr ein Jahr älterer Freund Konstantin ist seit einiger Zeit ein Springer. Nur die beste Freundin und Konstantins bester Freund sowie Vickys Tante wissen von dem Weltenwandeln. Umso wichtiger ist es, dass die Sache auch weiterhin geheim bleibt, aber in „Auf den ersten Sprung verliebt“ begegnet das junge Paar in einer der anderen Welten einem Widersacher. Die beiden fragen sich, woher er von ihren Sprüngen weiß.

Danach steigt die Spannung kontinuierlich an, denn sie müssen sich gegen sein Vorhaben wehren, was zwischen den Welten nicht so einfach ist. Außerdem fällt das Benehmen von Vickys und Konstantins jeweils anderem Ich, die bei den Sprüngen deren Plätze in unserer Zeit einnehmen, aus dem Rahmen. Die beiden haben nach jeder Rückkunft einiges zu tun, das auffällige Verhalten bei den Eltern, Verwandten und Bekannten zu erklären.

Die Geschichte spart nicht an aufregenden Wendungen und amüsanten Entwicklungen. Die Figuren sind liebevoll, ein wenig kauzig und besonders gestaltet. Dagmar Bach erzählt von den Höhen und Tiefen im Alltag der Teenager. Dazu gehört die kritische Auseinandersetzung mit den Ansichten von Freunden, die Ansprüche der Lehrer und Eltern, aber auch die Freude am Beisammensein mit dem Partner oder der Partnerin. Zunehmend begreift das junge Paar, dass es nicht immer einfach ist, Wahrheit und Betrug zu erkennen.

Der Roman ist nicht nur für Jugendliche geeignet, sondern auch für Erwachsene. Der Handlung konnte ich auch ohne Kenntnis der Bände der ersten Buchstaffel problemlos folgen. Der Reiz der Geschichte liegt in dem Mix von Spannung, Witz, dem Fantasyelement und einer Spur Romantik. Der Cliffhanger am Ende weckt den Wunsch auf den zweiten Teil der zweiten Staffel. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.


Freitag, 23. Dezember 2022

Rezension: Café Leben von Jo Leevers

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Café Leben
Autorin: Jo Leevers
Übersetzerin aus dem Englischen: Maria Hochsieder
Erscheinungsdatum: 02.11.2022
Verlag: Droemer Knaur (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783426282809
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Zwei unterschiedliche Frauen mit bewegter Vergangenheit sind die Protagonistinnen im Roman „Café Leben“ der englischen Autorin Jo Leevers. Jeder Mensch blickt auf verschiedene Begebenheiten in seinem bisherigen Leben zurück. Das (fiktive) „Projekt Lebensbuch“ in London möchte diese Geschichten erfassen. Vor allem bei schwerkranken Menschen eilt manches Mal die Zeit, um die Momente auf Papier oder im aufgenommenen Wort festzuhalten.

Eine dramatische Erinnerung aus ihrer Kindheit begleitet die 32-jährige Henrietta, die sich beim Projekt dafür bewirbt, die Erzählungen der Kunden niederzuschreiben und entsprechend dem Konzept daraus ein Buch zu erstellen. Die Krebspatientin Annie, Mitte 60, ist die erste, die ihr aus ihrem Leben erzählt. Deren ein Jahr jüngere Schwester verschwand als Jugendliche in einer regnerischen Nacht unauffindbar. Für Henrietta ist es unverständlich, dass Annie und ihre Eltern sich damit abgefunden haben. Doch Annie weicht ihren diesbezüglichen Nachfragen aus, so dass sie selbst zu den damaligen Geschehnissen zu recherchieren beginnt.

Jo Leevers hat mit Henrietta und Annie zwei interessante Figuren geschaffen, bei denen von Beginn an zu spüren ist, dass sie mit den erlittenen Schicksalsschlägen zwar verschieden umgehen, aber beide die Gedanken an das Vergangene auf ihre je eigene Weise verdrängt haben. Als Leserin war ich gespannt darauf, was beide zu verbergen wollen, was für eine gewisse Hintergrundspannung und einen Lesesog sorgte. Während Henrietta ihre eigenen Prinzipien hat und diese penibel verfolgt, auch wenn sie von höherer Stelle nicht erwünscht sind, fühlt Annie sich seit dem Tod ihres Ehemanns frei und ungebunden. Bereits durch ihre Kleidung ist sie auffällig, während Henrietta versucht, unscheinbar zu wirken. Für das, was sie liebt, setzt sie sich dennoch tatkräftig ein.

Die Kapitel wechseln zwischen den beiden Protagonistinnen. Obwohl es zunächst danach aussieht, als ob Henrietta und Annie nicht harmonieren, lernen sie, bestimmte Eigenschaften der jeweils anderen zu schätzen. Sie begegnen sich mit Respekt, der dafür sorgt, dass sie immer vertrauter werden und sich füreinander öffnen. Durch die Akzeptanz der weniger geschätzten Eigenschaften der jeweils anderen, gelingt es ihnen, sich auf dieselbe Gesprächsebene zu begeben und dabei Besorgnis auszudrücken und Verständnis und Wärme zu vermitteln.

Die Autorin schreibt einfühlsam über das Sterben, weil es zum Leben dazugehört, aber ohne es in den Vordergrund zu stellen und dem Roman dadurch die Leichtigkeit der Unterhaltung zu nehmen. Sie zeigt, dass bedrückende Ereignisse in jedem Lebensalter emotional verarbeitet werden sollten, denn man kann sie nicht ungeschehen machen.

Figuren, die sich in ihrem Leben weiterentwickeln oder weiterentwickelt haben, verborgene Geschichten in der Vergangenheit, die aufgedeckt werden wollen und ein berührendes gegenwärtiges Setting sind die Zutaten des feinsinnig geschriebenen, herzbewegenden Romans „Café Leben“ von Jo Leevers, den ich sehr gerne weiterempfehle.

Montag, 19. Dezember 2022

Rezension: Ein ganzes Herz voll Weihnachten - Geschichten und Rezepte für die schönste Zeit im Jahr (Hrsg. Lea Daume)

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Ein ganzes Herz voll Weihnachten 
Herausgeberin: Lea Daume
Übersetzerinnen: Vanessa Lamatasch und Christiane Steen
Erscheinungsdatum: 13.09.2022
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783499010835
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Vierzehn Autorinnen, darunter zwölf deutsche, tragen mit ihren Geschichten im Buch „Ein ganzes Herz voll Weihnachten“ dazu bei, ihre Leser und Leserinnen in eine festliche Stimmung zu bringen. Ausgewählt und zusammengestellt wurden die Erzählungen von Lea Daume. Für mich ging es in der ersten davon mit Julie Caplin nach London, um dann in der nächsten zweihundert Jahre in die Vergangenheit nach Hamburg zu reisen. Weitere Stationen sind beispielsweise Nebraska, Schottland, Island, Österreich und die Nordseeküste.

Einige Geschichte spielen im Umfeld der Welt, die die jeweilige Autorin für ihre Figuren geschaffen und bereits ein Buch oder mehrere Bücher darin veröffentlicht hat. Dadurch lernte ich nicht nur die verschiedenen Schreibstile kennen, sondern konnte auch in verschiedene Buchuniversen hineinschnuppern wie zum Beispiel in Thielemanns Backhus mit Rebekka Eder, in den Reichstag mit Micaela A. Gabriel und ins Inselkrankenhaus auf Sylt mit Liv Holland. Mit Katharina Herzog freute ich mich, wieder nach Swinton-On-Sea zurückzukehren und den schon bekannten fiktiven Personen zu begegnen. Für das Verständnis der Erzählungen muss man die bereits erschienenen Romane der Autorinnen nicht kennen.

Zum Ende jeder Erzählung gibt es ein Rezept mit einem leckeren Gericht, Gebäck oder Getränk, das zur Advents- und Weihnachtszeit passt. Entsprechend des Fests der Liebe beherbergt jede Geschichte zwar eine gewisse Dramatik, endet aber wohlwollend. Mir haben die Auswahl und die Zusammenstellung der Erzählstücke sehr gut gefallen. Ich habe das Buch in der Adventszeit gelesen und mir haben sie die Freude aufs Weihnachtsfest vermittelt. Gerne empfehle ich es weiter. 

Sonntag, 18. Dezember 2022

Rezension: Happy New Year von Malin Stehn


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Happy New Year
Autorin: Malin Stehn
Übersetzerin: Maria Poets
Broschiert: 464 Seiten
Erschienen am 16. November 2022
Verlag: FISCHER Scherz

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Nina und Fredrik sind bei ihren Freunden Lollo und Max zur Silvesterparty in ihr Haus eingeladen. Währenddessen feiern die Teenager-Töchter der beiden Paare, Smilla und Jennifer, im anderen Haus ihre eigene Party. Der nächste Morgen scheint zunächst ganz normal zu sein. Doch dann fällt auf: Jennifer, die bei Smilla übernachten sollte, hat die Party nachts verlassen und ist unauffindbar. Ist sie untergetaucht oder ist ihr etwas zugestoßen? Während die Suche anläuft, geht es Fredrik zunehmend schlechter. Denn er scheint der einzige zu sein, der in der Silvesternacht noch Kontakt zu Jennifer hatte. Eine Tatsache, die er lieber verschweigen will...

Das Buch beginnt am Silvesterabend des Jahres 2018. Nina und Fredrik feiern den Abend bei ihren Freunden Lollo und Max. Die beiden Paare verbindet eine lange Freundschaft, doch inzwischen sehen sie sich nur noch zweimal im Jahr. Die Stimmung angespannt, denn Fredrik hat vergessen, ein Taxi für den Heimweg zu bestellen. Auch sonst hält sich die Freude in Grenzen, da Nina Lollo beneidet und Max mit rassistischen Sprüchen auffällt.

Die Dinge geraden in Bewegung, als Fredrik eine SMS erhält, die ihn von der Party weglockt. Als Leserin begleitete ich ihn und beobachtete sein Handeln, was viele Fragen aufwirft. Dann gibt es plötzlich einen Cut, die Handlung geht am nächsten Morgen weiter und Jennifer ist verschwunden. Schnell stellte ich erste Theorien auf, was geschehen ist, während die Charaktere noch gar nicht so recht wissen, wie ihnen geschieht. 

Jennifers Schicksal bleibt sehr lange unklar, wodurch die Geschichte seine Spannung vor allem aus der psychologischen Komponente zieht. Ich beobachtete interessiert, wie die verschiedenen Charaktere mit der Situation umgehen. Dabei war niemand so wirklich sympathisch. Die meisten machen sich in erster Linie Gedanken um ihren Ruf und was für Auswirkungen die Situation auf sie selbst hat. Dass Fredrik irgendetwas verheimlicht wird mehr als deutlich gemacht, doch ich war mir sicher, dass noch mehr Geheimnisse darauf warten, gelüftet zu werden. Einige sind jedoch so gut versteckt, dass ich nicht die geringsten Hinweise darauf wahrgenommen habe, bis sie zum Ende hin plötzlich aus der Kiste springen und vieles in eine neue Richtung lenken.

Insgesamt ließ sich das Buch zügig lesen und ich war neugierig, endlich mehr über Jennifers Verschwinden zu erfahren. Für meinen Geschmack war das Buch aber zu lange auf einen Aspekt fixiert und neue Themen wurden zu spät eingebracht. Ein Roman für alle, die psychologische Spannung und ein eiskaltes Setting mögen!

Samstag, 17. Dezember 2022

Rezension: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd - Eine bewegte Geschichte von Charlie Mackesy

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und
das Pferd - Eine bewegte Geschichte
Autor: Charlie Mackesy
Übersetzerin aus dem Englischen: Susanne Goga-Klinkenberg
Erscheinungsdatum: 24.11.2022
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783471360644
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Eine Antwort auf die Frage „Zuhause ist nicht immer ein Ort, oder?“ ist der Antrieb des kleinen Jungen im Buch „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“ sich auf die Suche danach zu begeben, was ein Zuhause wirklich ausmacht. Die Geschichte wurde von dem Briten Charlie Mackesy erdacht und illustriert. Weil das Buch bei den Lesenden und Betrachtenden so gut ankam, hat der Autor und ein Produktionsteam dazu einen Film erstellt. Das nun vorliegende Buch trägt den Untertitel „Eine bewegte Geschichte“ wodurch es Bezug auf den Film nimmt. Die Formen in den Zeichnungen sind gegenüber der ersten Fassung noch weicher, runder und detaillierter, was ich als noch bewegender empfunden habe.

Es ist kalt und es schneit. Ein Junge hat sich verlaufen und findet den Weg nach Hause nicht mehr. Er trifft auf einen Maulwurf, der sich ein Loch an die Oberfläche gegraben hat. Jetzt ist der Junge nicht mehr einsam, denn gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, sein Zuhause zu finden. Doch zuerst befreien sie einen Fuchs und begegnen einem Pferd. Durch gemeinsame Erlebnisse kommen sie sich näher und entwickeln Verständnis füreinander.

Die zwischen den Freunden gesprochenen Sätze sind einfühlsam, manchmal poetisch und zum Nachdenken auffordernd. Dunklere Bilder und Gedanken wechseln zu hellen Illustrationen, die Hoffnung widerspiegeln. Die Farbgestaltung ist überwiegend in Blau- und Beigetönen sowie Weiß. Es macht Freude, die Zeichnungen zu betrachten. Beispielsweise gibt es beeindruckende Schneelandschaften, einen Sonnenuntergang oder den nächtlichen Himmel, die man auf sich wirken lassen sollte.

Die Freunde machen einander Mut und geben sich gegenseitig Kraft. Sie erleben Angst und teilen Freude miteinander. Dabei verschwinden alle Unterschiede zwischen ihnen und es kommt nur darauf an, dass sie füreinander Zuneigung empfinden. Das Verlangen des Maulwurfs nach Kuchen bringt Humor in die Erzählung. Die Suche führt den Jungen zu der Erkenntnis, dass ein Zuhause nicht an einen Ort gebunden sein muss, sondern auch durch Gefühle gebildet werden kann.

Am Beginn und am Ende des Buchs finden sich Noten einer „Hymn to the Robin“, die von Charlie Mackesy und Isobel Waller-Bridge komponiert wurde. Sie drückt die Stimmungslage des Jungen in den verschiedenen Situationen musikalisch aus.

Diese ergreifende und herzerhellende Geschichte der vier Freunde empfehle ich gerne weiter sowohl an ältere Leser und Leserinnen wie auch an jüngere, die das Buch gemeinsam mit Erwachsenen erkunden sollten.


Mittwoch, 14. Dezember 2022

Rezension: Totenwinter von Sabine Hofmann

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Totenwinter
Autorin: Sabine Hofmann
Erscheinungsdatum: 11.10.2022
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch mit Klappen
ISBN: 9783746639635
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Zwischen November 1946 und März 1947 erlebte Deutschland einen der kältesten Winter des letzten Jahrhunderts. Mitten in dieser Zeit spielt die Handlung des Romans „Totenwinter“ von Sabine Hofmann. Wie im ersten Band der Reihe „Edith – Eine Frau geht ihren Weg“ ist die aus Ostpreussen stammende, jetzt in Bochum lebende Edith Marheinecke die Protagonistin der Geschichte. Das Buch kann jedoch ohne Vorkenntnisse des Vorgängers gelesen werden.

Nach einem trockenen Sommer sind die Ernteerträge gering und die früh beginnende Kälte, scheint nicht mehr aufzuhören. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist kaum zu bemerken. Edith ist beim Tausch auf dem Schwarzmarkt von Rechtsanwalt Pollmann angesprochen worden, dem ihre Englischkenntnisse aufgefallen sind. Er hat ihr ein Arbeitsangebot gemacht, das sie angenommen hat. Als die Leiche eines Arbeitsführers der Stahlwerke in Bochum in einem Eisenbahnwaggon erschossen aufgefunden wird, sieht Edith einen Zusammenhang mit den Aktivitäten des Chauffeurs von Pollmann. Doch die Kripo hat ganz andere Verdächtige für den Mord. Sie vermuten Missgunst unter den Kollegen und prüfen, ob die Vorgesetzten des Ermordeten die Tat veranlasst haben. Außerdem bekommen sie einen Tipp, dass das Opfer in Schwarzmarktgeschäfte verwickelt war.

Die Kriminalpolizei kämpft auch eineinhalb Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in der Britischen Zone immer noch mit der politischen Gesinnung und der Loyalität einiger Mitarbeiter. Hunger und Kälte lassen manchen von ihnen danach streben, sich Vorteile zu verschaffen. Hella, die Tochter von Ediths Quartiergeberin, begibt sich erneut in Gefahr, um Heizmaterial zu stehlen, sehr zum Missmut ihrer Mutter. Zu Recht macht sie sich große Sorgen. Obwohl die Entlohnung auf ihrer neuen Stelle gut ist, missfällt Edith manches Mal das Vorgehen ihres Chefs, um neue Mandate zu erhalten. In der Kanzlei lernt sie jemanden kennen, dem sie sich bald zugeneigt fühlt. Für sie wird die Frage immer wichtiger, wem sie überhaupt noch Vertrauen schenken kann.

Sabine Hofmann beschreibt verständlich die politischen Zusammenhänge zwischen der Befehlsgewalt der britischen Besatzung, den Fabrikherren und den Arbeitern der damaligen Zeit. Sie stellt die Kälte, den Hunger und die Ängste der Bochumer einfühlsam dar. Die Spannung stieg mit der steigenden Anzahl der Verdächtigten allmählich an. Die Autorin begründet die Handlungen ihrer Figuren vorstellbar und lässt sie in einem wirklichkeitsnahen Umfeld agieren. Zum Schluss hin zieht sie das Tempo nochmals an und bringt Edith in eine schwierige Situation.

Im zweiten Band der Reihe „Edith – Eine Frau geht ihren Weg“ mit dem Titel „Totenwinter“ von Sabine Hofmann, der in Bochum des bitterkalten Jahres 1946/47 spielt, führt ein Mord mit einer zunehmenden Zahl Tatverdächtiger, eine Protagonistin, die an der Integrität ihres Chefs zweifelt sowie dem lebensnah geschilderten täglichen Kampf um Lebensmittel und Brennstoff zu einer lesenswerten Geschichte, die nicht nur bewegend sondern auch spannungsvoll ist. Gerne empfehle ich das Buch an Lesende von historischen Romanen weiter.

Freitag, 9. Dezember 2022

Rezension: Das Tor zur Welt - Hoffnung von Miriam Georg

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Tor zur Welt - Hoffnung (Band 2 von 2)
Autorin: Miriam Georg
Erscheinungsdatum: 18.10.2022
Verlag: Rowohlt Taschenbuch (Link zur Buchseite des Verlags
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN:  9783499008580

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Im zweiten Band der Dilogie „Das Tor zur Welt“ von Miriam Georg kehrt Claire, die bei ihrer Flucht nach Amerika erkrankt ist, wieder nach Hamburg zurück. Sie ist eine der beiden Protagonistinnen des Romans. Im ersten Teil der Serie hat sie ihrer besten Freundin Ava die Chance auf ein besseres Leben in der Neuen Welt genommen. Mit ihrer Rückkehr und besten Vorsätzen für die Zukunft will sie ihr die Hoffnung zurückgeben, kämpft gleichzeitig mit ihrer Schuld und wünscht sich, dass auch sie selbst einen geeigneten Platz im Leben finden wird.

Ava, die zweite Protagonistin der Geschichte, hat während der abenteuerlichen Reise von Claire, eine neue Bleibe in der Nähe ihres Arbeitsplatzes in den Auswanderungshallen, der sogenannten BallinStadt, gefunden. Sie hat sich inzwischen Claires Mutter angenähert, die sich verzweifelt wünscht, ihre Tochter wiederzufinden. Für Ava geht der Alltag weiter. Obwohl ihr Traum in weite Ferne gerückt ist, gibt sie nicht auf. Sie ist freundlich und hilfsbereit und in ihrer Liebe zu einem verheirateten Mann gefangen.

Für den weiteren Verlauf der Erzählung ist die Kenntnis des ersten Bands sinnvoll. Die offengebliebenen Hintergründe zu mehreren Figuren aus dem ersten Teil deckt die Autorin im vorliegenden Roman schrittweise auf. Immer wieder ist ein Kapitel eingeschoben, dass mehrere Jahre vorher spielt. Darin sind die Figuren nicht immer benannt. Zum Ende hin lassen sich die Einzelschicksale jedoch in den Kontext einfügen.

Das große Können von Miriam Georg liegt in ihrem mitreißenden Schreibstil. Sie schreibt auch diesmal wieder vorstellbar und mit Liebe zum Detail. Einfühlsam stellt sie das harte kärgliche Dasein in einigen Gegenden Europas dar ebenso wie den Kampf der Frauen um mehr Rechte. Dadurch, dass Claire ihre gehobene Stellung als Tochter betuchter Eltern verloren hat, hebt die Autorin diesen Aspekt der Geschichte besonders hervor. Für einen raschen Lesefluss sorgt nicht nur die Frage, ob Claire Einfluss auf die Beziehung ihrer Mutter zu deren Arzt nehmen kann, sondern auch die spannende Schilderung von Möglichkeiten die Auswanderungswilligen zu betrügen. Außerdem lernt Claire, dass es verschiedene Auffassungen zum Thema Liebe gibt.

Die Ereignisse aus dem Jahr 1912 werden umrahmt von Begebenheiten aus dem Jahr 1963, bei denen ich von einer der Protagonistinnen lesen konnte, die das Alte Land aufsucht. Insgesamt hat mir der erste Teil noch etwas besser gefallen, weil ich die Handlung etwas agiler fand.

Mit „Das Tor zur Welt – Hoffnung“ findet die Dilogie von Miriam Georg eine lesenswerte Fortsetzung, die dem ersten Band kaum nachsteht. Wieder kommt es zu überraschenden Wendungen bis zu einem unerwarteten Ende. Der Freundschaft der beiden Protagonistinnen kann der Weg über viele Höhen und Tiefen nichts anhaben, auch wenn sie einige Strecken davon allein gehen müssen. Das Buch empfehle ich gerne weiter, für die Lesenden des ersten Teils ist es ein Muss.

Dienstag, 6. Dezember 2022

Rezension: The Atlas Six - Wissen ist tödlich von Olivie Blake

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: The Atlas Six - Wissen ist tödlich (Band 1 von 3)
Autorin: Olivie Blake
Übersetzerinnen aus dem amerikanischen Englisch: 
Heide Franck und Alexandra Jordan
Verlag: Fischer Tor (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783596707638

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In der Dark-Academia-Trilogie „The Atlas Six – Wissen ist tödlich“ der US-Amerikanerin Olivie Blake, einem Pseudonym der Autorin Alexene Farol Follmuth kämpfen sechs besonders fähige junge MagierInnen darum, in einen Geheimbund aufgenommen zu werden, der ihnen weiterhin das Studium des Archivs der Alexandrinischen Bibliothek erlaubt. Ein Jahr lang erhalten sie die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten an einem verborgenen Ort in der Gemeinschaft zu verbessern. Nur fünf von ihnen werden zu den Medäern, der Bildungelite der magischen Bevölkerung, die Zugang zum Archiv hat, initiiert werden. Ausgesucht wurden sie von Atlas Blakely, dem Kurator der Bücherei und titelgebenden Figur.

Als Leserin fand ich die Vielfalt der Fähigkeiten, die die Medäer besitzen können, interessant. Zu den sechs Hauptfiguren gehören zwei Physiomagier, eine Telepathin, ein Empath, ein Illusionist und eine Naturmagierin. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern der Welt und mehr oder weniger spielt ihr familiärer Hintergrund mit in die Geschichte ein. Die Künstlerin Little Chmura hat den Figuren eine Gestalt gegeben. Ihre Zeichnungen finden sich zwischen den Kapiteln.

Ein Teil der Erzählung besteht aus der Beschreibung der wissenschaftlichen Studien, die die Auserwählten betreiben. Man sollte sie nicht hinterfragen, aber ein gewisses Interesse dafür ist nützlich. Wichtig für die angehenden Medäer ist es nicht nur, dass sie ihre je eigenen Kenntnisse weiterentwickeln, sondern dass sie lernen, sich gegenseitig zu ergänzen und zu unterstützen. Sie verfügen weniger über physische Waffen. Die Mittel zur Abwehr und zum Angriff, die sie anwenden, entstehen durch ihre psychischen Begabungen. Weil sie Konkurrenten um die Studienplätze des zweiten Jahres sind, fällt ihnen die Zusammenarbeit nicht leicht. Daher beobachten sie sich argwöhnig und verbünden sich in unterschiedlichen Konstellationen.

Immer weiter lüftet Olivie Blake den Schleier, der über manchem Geheimnis liegt, dass die Kandidaten mit sich führen. Sie verbergen beispielsweise ihren wahren Charakter oder ihre Fürsorge für Freunde. Die Geschichte konzentriert sich stark auf die Figuren und deren Wandlungsfähigkeit. Niemand von ihnen wurde mir sympathisch, denn alle scheinen letztlich nur auf ihren Vorteil bedacht zu sein. Das Tempo der Handlung ist gemächlich, die Spannung basiert hauptsächlich auf der Frage, wer von den Sechsen nicht initiiert werden wird.

„The Atlas Six – Wissen ist tödlich“ ist der erste Band einer Dark Fantasy Trilogie von Olivie Blake. Es macht ihn besonders, weil er den Fokus auf die Beschreibung der Interaktionen der sechs Auserwählten legt, die sich eine große Karriere in der führenden Gesellschaftsschicht der magischen Bevölkerung erhoffen. Doch nur fünf von ihnen werden in die Gemeinschaft aufgenommen. Bis kurz vor dem Ende bleibt offen, wer die Gruppe verlassen muss und vor allem, auf welche Weise. Gerne empfehle ich das Buch an Fantasyleser weiter.


Samstag, 3. Dezember 2022

Rezension: Dark Ivy - Wenn ich falle von Nikola Hotel


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Dark Ivy - Wenn ich falle
Autorin: Nikola Hotel
Broschiert: 416 Seiten
Erschienen am 15. November 2022
Verlag: Kyss

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Eden hat es geschafft: Dank eines Stipendiums kann sie ein Studium an der Woodford Academy beginnen. Sie ist fest entschlossen, diese Chance für einen Neuanfang zu nutzen, denn nach dem Tod eines ihr nahe stehenden Menschen hat sie schwere Monate hinter sich. Schon bei ihrer Ankunft lernt sie die sympathische Kendra kennen, die sie sich zur Freundin wünscht. Diese stellt Eden ihrem Bruder Devin und seinem Kumpel William vor, welche bei ihr jedoch keinen guten ersten Eindruck hinterlassen. Dennoch übt William eine Faszination auf Eden aus. Verbirgt sich hinter der Fassade des verschlossenen Millionenerben vielleicht doch mehr?

Das Buch beginnt mit einem kurzen Prolog, den ich nicht recht einordnen konnte und in welchem sich die Ich-Erzählerin wünscht, zu Tode zu erfrieren. Ich fragte mich, was es damit wohl auf sich hat. Danach begleitete ich Edens Ankunft an der Woodford Academy, die auf einer Insel liegt. Die meisten Studenten werden von ihren Eltern bis zur Anlegestelle der Fähre gebracht, William Grantham III. wird gar von seinem Chauffeur in einer Limousine vorgefahren. Eden hingegen kommt mit dem Bus, weil sie sich das Studium nur dank eines Stipendiums leisten kann und ihr Vater, der sie allein groß gezogen hat, arbeiten muss.

Die sozialen Unterschiede zwischen Eden und den anderen Studenten sind ein Thema, das im Laufe der Geschichte immer wieder aufgegriffen wird. Eden kann es sich nicht leisten, ständig essen zu gehen oder sich ein neues Handy zu kaufen. William hingegen wünscht sich, dass die Leute in ihm etwas anderes sehen als den Erben eines riesigen Vermögens. Nach einer eher unglücklichen ersten Begegnung nähern sich die beiden vorsichtig einander an und ich war gespannt, was daraus entstehen wird. Die beiden senden sich Botschaften als Blackout Poetry, welche im Buch abgedruckt ist und die dem Buch eine besondere Note gibt.

Edens Gedanken- und Gefühlswelt wird von dem Verlust dominiert, den sie elf Moante zuvor erlitten hat. Sowohl Kendra als auch William reagieren verständnisvoll und helfen ihr, nach vorne zu Blicken. In dem Zusammenhang gibt es einige bittersüße, emotionale Szenen, die mir sehr gefallen haben. Etwas gewundert habe ich mich, dass es am Anfang des Buches kurz um den Fund von Pillen ging, die dann die ganze Zeit gar kein Thema mehr sind. Stattdessen erlebt Eden typische erste Uniwochen - erste Freundschaften, Vorlesungen, Partys - und beginnt, sich zu verlieben. Es gibt viele schöne Entwicklungen, bis mir als Leserin auf den letzten Seiten des Buches komplett der Boden unter den Füßen weggezogen wird und die Geschichte mit einem fiesen Cliffhanger endet. Insofern bin ich jetzt schon mehr als gespannt auf den zweiten Teil dieser Dilogie, der im April erscheinen wird! 

Mittwoch, 30. November 2022

Rezension: Der Pfirsichgarten von Melissa Fu

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Pfirsichgarten
Autorin: Melissa Fu
Erscheinungsdatum: 26.10.2022
Verlag: S.Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971675
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Im Roman „Der Pfirsichgarten“ erzählt die heute in England lebende, in den USA aufgewachsene Melissa Fu die berührende Geschichte von Dao Renshu, einer fiktiven Figur, den das Leben von Changsha in der chinesischen Provinz Hunan in den 1930er Jahren mit einigen Zwischenstationen ab 1968 nach Los Alamos in New Mexico/USA führt. Das wunderschön gestaltete Cover fordert dazu auf, das Buch in die Hand zu nehmen und in die Geschichte einzutauchen. Der Titel erschließt sich erst im Laufe des Lesens; er nimmt Bezug auf eine alte chinesische Sage in der ein Fischer durch Zufall einen üppig blühenden Garten voller Pfirsichbäumen und mit glücklichen und zufriedenen Bewohnern betritt. Meilin, die Mutter des Protagonisten, erzählt ihrem kleinen Sohn die Geschichte mit einem erfreulicheren, von ihr erfundenen Ende, was er aber erst als Erwachsener bemerkt.

Dao Renshu ist der einzige Sohn des Sohns eines Petroleumhändlers. Er trägt den Namen der Familie weiter und ist daher besonders schutzwürdig. Sein Vater kehrt aus dem Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg nicht nach Hause zurück. Gemeinsam mit seiner Mutter flieht er vor der drohenden Besatzung. Immer wieder müssen sie vor Angriffen fliehen, bis sie es auf die Insel Taiwan schaffen. Verluste begleiten sie auf ihrem Weg, aber Meilin gelingt es mit ihrem Einfallsreichtum und zahlreichen Einschränkungen, den Lebensunterhalt zu sichern. In ihrem Gepäck trägt sie fortwährend eine kostbare Schriftrolle mit alten Märchen, die sie von ihrem Mann erhalten hat. Für sie geht ein Traum in Erfüllung, als ihr Sohn ein Stipendium für ein Studium in den Vereinigten Staaten erhält. Dort nennt Renshu sich Henry. Seine Tochter Lily wächst nach seinem Wunsch weitgehend ohne Kontakt zur chinesischen Kultur auf, bis sie sich als Studentin auf die Reise in die Vergangenheit ihres Vaters begibt.

Melissa Fus Vater ist ebenso wie Renshu ein Einwanderer aus Taiwan. Ihr Roman wurde von seiner Lebensgeschichte inspiriert. Meilin ist in einer weltoffenen Familie groß geworden, die aber die Traditionen nicht verleugneten. Sie war die einzige Frau ihres Manns und hat außer Renshu keine weiteren Kinder. Obwohl jeder Anfang an einem neuen Ort schwierig ist, verfolgt sie unnachgiebig zwei feste Ziele. Einerseits wünscht sie sich für ihren Sohn eine schönere Zukunft als ihre eigene und andererseits möchte sie sich nicht mehr fest an Jemanden binden. Die Sagen ihrer Vorfahren, die sie schon ihr Leben lang begleiten, bieten ihre eine Rückzugsmöglichkeit, auch wenn diese nur in ihrer Gedankenwelt existiert.

Renshu wächst trotz der Ortswechsel wohlbehütet durch seine Mutter heran. Einige Entscheidungen von ihr kann er als Junge noch nicht nachvollziehen, später lernt er, diese zu akzeptieren. Er nimmt wahr, dass Bildung sehr nützlich ist und Anerkennung bringt. In der Schule entwickelt er den Ehrgeiz, zu den Besten zu gehören. Bereits als Student versteht er sehr bald, dass seine Kenntnisse auch für politische Systeme von Interesse sind, die diese ungern einem anderen Land zugestehen. Renshus/Henrys Tochter Lily begreift zunächst nicht, warum ihr Vater sich über seine Vergangenheit ausschweigt. Sie muss erst ihre eigenen Werte entdecken und Unabhängigkeit erreichen, bevor sie die Zusammenhänge sieht, ihre eigenen Schlüsse daraus zieht und dadurch zu sich selbst findet. Geschichten werden auch für sie zu einem Schatz, aus dem sie Erfahrungen gewinnt, durch die sie getröstet wird und durch die sie sich mit ihrer Großmutter in der Ferne verbunden fühlt.

Der Roman „Der Pfirsichgarten“ ist ein großartiger Roman von Melissa Fu. Zwar geschieht einiges Leid, das aber auch Neuanfänge hervorbringt mit der Hoffnung auf eine verheißungsvollere Zukunft. Als Leserin tauchte ich eine in eine mir noch weitgehend unbekannte ostasiatische Welt in den späten 1930er und 1940er Jahren und erlebte abwechslungsreiche Figuren, die sich je nach Lebenslage neu ausrichteten. Das Buch war mir ein durchgehendes Lesevergnügen und darum empfehle ich ihn gerne weiter.

Montag, 28. November 2022

Rezension: Sterne glitzern auch im Schnee von Meike Werkmeister

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Sterne glitzern auch im Schnee"
Autorin: Meike Werkmeister
Erscheinungsdatum: 21.09.2022
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783442493715
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Acht Tage vor Weihnachten ist Anni noch nicht in der richtigen Stimmung für das anstehende große Fest, denn Ihr Auftragsbuch ist übervoll. Auch hat ihr Partner Thies das Haus noch nicht passend geschmückt, wie er es sonst in der Adventszeit macht. Im Roman „Sterne glitzern auch im Schnee“ von Meike Werkmeister begegnete ich dem miteinander lebenden Pärchen, das ebenfalls im ersten Roman der Autorin „Sterne glitzern auch im Dunkeln“ die Hauptrolle spielt, in einer für die beiden gerade anstrengenden Zeit. Den Vorgängerband kenne ich nicht, dennoch fiel mir das Lesen leicht.

Die Autorin erzählt eine Geschichte, wie sie im wirklichen Leben zu finden sein könnte. Die 38-jährige Anni sorgt sich um Thies und bemerkt, dass es in ihrer Beziehung Dinge gibt, die unausgesprochen sind. Neben der vielen Arbeit hat die Protagonistin noch weitere Schwierigkeiten zu bewältigen. Einerseits setzt anhaltender Schneefall ein, der die Pläne einiger ihrer liebsten Menschen durcheinanderbringt, andererseits bekommt das Paar überraschenden Besuch, der Geduld und Diplomatie im Umgang erfordert. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass Anni und Thies jedes Problem beseitigen können, auch in ihrer Beziehung, und wurde nicht enttäuscht.

Das Buch ist, wie der Untertitel schon sagt, ein kleiner Winterroman. Auf dem Cover glitzert der Titel festlich und die Schneekristalle vermitteln bereits beim Betrachten ein winterliches Feeling. Die vordere Klappe ist mit einem Zitat aus dem Roman gestaltet von finepic aus München mit liebevollen Illustrationen von Renata Wolff, deren Werke im gesamten Buch zu finden sind.

Nach der Geschichte gibt es im Anhang „Annis Adventskalender“. Für die ersten 24 Tage des Dezembers findet sich auf jeweils einer entweder ein illustrierter Spruch, eine Bastelanleitung oder ein Rezept. So wird das Buch zu einem Begleiter durch die Adventszeit.

„Sterne glitzern auch im Schnee“ vom Meike Werkmeister ist ein bezaubernder vorweihnachtlicher Roman, der den Lesenden in Freude auf das Fest bringt und ihm am Beispiel der Protagonistin Anni zeigt, dass es für einige Alltagssorgen in dieser Zeit pragmatische Lösungen gibt. Gerne empfehle ich das Buch weiter.



Samstag, 26. November 2022

Rezension: Wintersonne von Katrine Engberg


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Wintersonne
Autorin: Katrine Engberg
Übersetzer: Ulrich Sonnenberg
Hardcover: 432 Seiten
Erschienen am 26. Oktober 2022
Verlag: Diogenes

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In Kopenhagen wird auf einem Hügel hinter einem Spielplatz ein Koffer gefunden, in welchem sich die Hälfte einer zersägten Leiche befindet. Die Ermittlungen werden Annette Werner übertragen, denn ihr Chef Jeppe Kørner nimmt sich eine Auszeit vom Polizeidienst und arbeitet als Holzfäller auf der Insel Bornholm. Dorthin verschlägt es auch Esther de Laurenti, die von der Tochter der verstorbenen Anthropologin Margrethe Dybris, über die Esther eine Biographie schreiben will, eingeladen wurde. Auch die Spuren der zersägten Leiche deuten schon bald in Richtung Bornholm...

Das Buch beginnt mit einem kurzen Prolog, in dem ein Mann aus der Bewusstlosigkeit erwacht, um voller Schrecken festzustellen, dass er im Begriff ist, zersägt zu werden. Danach springt die Handlung zu Annette Werner und dem Fund einer halben zersägten Leiche in einem Koffer in Kopenhagen. Annette trägt erstmals die Verantwortung für eine Mordermittlung, weil ihr Chef Jeppe sich nicht im Dienst befindet. Ich war gespannt, wie sie diese neue Rolle ausfüllen wird.

Natürlich ist Jeppe nicht aus der Welt, und auch das Wiedersehen mit meiner liebsten Nebenfigur Esther de Laurenti lässt nicht lange auf sich warten. Beide hat es auf die Insel Bornholm verschlagen - der eine fällt dort Bäume, die andere recherchiert für eine Biographie. Manch einer in ihrem Umfeld verhält sich merkwürdig und ich fragte mich, ob das nur Verschrobenheit ist oder mehr dahinter steckt.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, weil es nur eine halbe Leiche gibt und diese nicht identifiziert werden kann. Annette analysiert mit ihrem Team die aktuellen Vermisstenfälle und folgt gleichzeitig der Spur des Koffers, in welchem die Leiche gefunden wurde. Diese weist nach Bornholm und schnell ist da die Idee, ob Jeppe nicht wenigstens kurz... 

Die Ermittlungen schreiten in mäßigem Tempo voran. Dabei muss man darüber hinwegsehen, dass es schon ein extrem großer Zufall ist, dass drei Charaktere aus völlig unterschiedlichen Gründen alle auf Bornholm zu tun haben. Es gibt wenig klassische Ermittlungsarbeit, sondern ich erfuhr immer mehr über diverse Bornholmer, ihre Verstrickungen und Geheimnisse. Dabei ist lange nicht klar, ob und was davon irgendeine Relevanz für den Mordfall hat. In dieser Hinsicht ähnelt das Buch seinem Vorgänger. Zum einen bin ich traurig, dass dies der letzte Fall der Reihe ist, zum anderen habe ich das Gefühl, dass sich die Ermittler-Konstellation etwas abgenutzt hat, sodass ich mich auf ganz neuen Lesestoff der Autorin freue. Wer die vorherigen Teile der Reihe mochte, der sollte diesen Abschluss nicht verpassen!

Freitag, 25. November 2022

Rezension: Book of Night von Holly Black


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Book of Night
Autorin: Holly Black
Übersetzer:innen: Diana Bürgel und Julian Müller
Hardcover: 512 Seiten
Erschienen am 1. Oktober 2022
Verlag: Knaur TB

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Charlie Hall hat jahrelang als Diebin der besonderen Art gearbeitet. Unter dem Decknamen Charlatan hat sie Gloamisten bestohlen, also magiebegabte Menschen, die gelernt haben, ihre Schatten zu kontrollieren. Nachdem etwas Schreckliches passiert ist, hat sie jedoch beschlossen, ihre Finger von solchen Aufträgen zu lassen. Stattdessen arbeitet sie als Barkeeperin, so auch an jenem Abend, an dem eine Bekannte sie völlig aufgelöst aufsucht und um Hilfe bittet. Deren Freund Adam, der Charlies Nachfolger in Sachen Diebesaufträge ist, ist spurlos verschwunden. Charlie ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihren Abstand zu der Welt der Gloamisten zu wahren, und ihrer Bereitschaft, zu helfen. Schließlich willigt sie ein, dass sie versucht, zu Adam Kontakt aufzunehmen. Damit setzt sie Ungeahntes in Gang...

In einem kurzen Prolog zu Beginn des Buches lernte ich Remy kennen, einen Jungen, der mit seinem Schatten spielt und ihn mit seinem Blut füttert. Danach springt die Geschichte zu Charlie, die sich dazu entschieden hat, ein normales Leben zu führen, dass keine Diebestouren mehr enthält. Jahrelang hat sie vor allem Bücher über Magie gestohlen. Während sie der Welt der magischen Schatten den Rücken zukehren will, ist ihre kleine Schwester Posey besessen von der Idee, ihren eigenen Schatten zu beleben. Charlies Freund Vince ist sein Schatten hingegen gestohlen worden, über die Umstände schweigt er sich aus.

Von Beginn an hatte ich meine Probleme damit, in die Geschichte hineinzufinden. Die Autorin hat eine komplexe magische Welt geschaffen, nimmt sich allerdings kaum Zeit, diese zu erklären. Stattdessen muss man sich die Spielregeln der Welt aus dem Kontext erschließen, was mir mal mehr und mal weniger gut gelang. Auch wenn dieser düstere Fantasy-Roman in gutem Tempo voranschreitet und Charlie allerlei brenzlige Situationen bewältigen muss, konnte meine Begeisterung für die Story nicht vollends geweckt werden. 

Es gab zahlreiche überraschende Entwicklungen, die vor allem daraus entstanden, dass man selbst und auch viele Charaktere erst im Verlauf der Geshichte herausfinden, was mit Magie alles möglich ist. Zum Ende hin wartet ein spannender Showdown, der viele Antworten gibt, aber auch einige Fragen offen lässt. Gemeinsam mit dem abschließenden Cliffhanger wird so der zweite Teil vorbereitet. Wer Lust auf eine komplexe Fantasy rund um das magische Thema belebter Schatten hat, der kann diesem Buch eine Chance geben.

Sonntag, 20. November 2022

Rezension: Ein kleines Stück von Afrika - Aufbruch von Christina Rey

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Ein kleines Stück von Afrika - Aufbruch
Band 1 von 2
Autorin: Christina Rey
Erscheinungsdatum: 30.01.2022
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783785728208
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In ihrem Roman „Ein kleines Stück von Afrika“ nahm Christina Rey mich im ersten Band der Dilogie mit dem Untertitel „Aufbau“ mit nach Kenia ins Jahr 1910. Das Cover gibt bereits einen Einblick auf die Vielfalt der Tiere, die dort in freier Wildbahn zu sehen sind, was auch in der Geschichte ein großes Thema ist. Umspielt wird die bewegende fiktive Liebesgeschichte zwischen der jungen Britin Ivory und dem Großwildjäger Adrian von realen historischen Begebenheiten.

Die 17-jährige Ivory Parkland Rowe ist in betuchten Verhältnissen einer Londoner Unternehmerfamilie aufgewachsen und steht kurz davor in der Gesellschaft zu debütieren. Doch ihr Vater hat sie dazu auserkoren, ihn auf eine Safari nach Afrika zu begleiten. Ivory weigert sich jedoch standhaft, Jagd auf wilde Tiere zu machen. Stattdessen bewundert sie die Schönheit der Natur und das Zusammenspiel der Tiere. Sie weckt die Aufmerksamkeit des Jagdführers Adrian, dem sie aber seinen Job übelnimmt. Adrian gelingt es, sich ihr anzunähern. Ivory folgt ihm auf seine Farm, auf der er organisierte Safaris anbietet. Bald merkt sie, dass ihr Mann sie vor der Hochzeit bewusst über bestimmt Dinge im Unklaren gelassen hat. Eine Kluft zwischen ihnen tut sich auf. Als Adrian zum Kriegsdienst eingezogen wird, übernimmt sie die Leitung auf dem Anwesen und setzt eine neue Akzente.

Christina Rey baut in der Erzählung ein realistisch erscheinendes Bild der damaligen Verhältnisse in Kenia auf. Die eigenen Erfahrungen der Autorin und ihre sehr gute Recherche spürt man in der Geschichte, weil sie ihre Begeisterung für das Land einfließen lässt. Zunächst konnte ich eine Jagdgesellschaft begleiten und die Flora und Fauna des Landes kennenlernen. Ich teilte Ivorys Ansichten, was mir die junge Frau zunehmend sympathisch machte. Adrian erschien mir von Beginn an zwielichtig.

Bedauert habe ich den Umgang der Briten mit der schwarzen Bevölkerung, den ich als wirklichkeitsnah und nachvollziehbar empfunden habe. Ivory hat bereits als Kind in London eine Begegnung mit einem schwarzen Jungen gehabt und dabei Ungerechtigkeit in dessen Behandlung kennengelernt. Aber auch für sie als britische Frau, die nach einem selbstbestimmten Leben sucht, ist es schwierig, ihre offene Haltung zu Angehörigen eines anderen Kulturkreises in der öffentlichen Gesellschaft zu zeigen.

Neben dem faszinierenden Setting baut die Autorin solche wichtigen Themen in die Geschichte ein wie Gleichberechtigung der Frauen, Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung und bezahlter Abschuss heute geschützter Tiere aus Freude an der Jagd. Daneben konnte ich noch einiges über die Riten der Einheimischen erfahren und deren Missionierung, die Christine Rey kritisch sieht. Interessiert konnte ich auch die Entwicklungen in Kenia in technischer Hinsicht verfolgen, die das Land für Ausländer besser erschlossen.

Gerne habe mich mit dem Roman „Ein kleines Stück von Afrika – Aufbruch“ von Christina Rey mit nach Kenia nehmen lassen. Eine wunderbare Landschaft, der Reichtum der Tierwelt sowie eine junge Frau mit festen Ansichten, von denen sie sich nicht abbringen lässt, machten die Erzählung für mich zu einem reinen Vergnügen. Mit viel Freude auf die Fortsetzung vergebe ich eine klare Leseempfehlung.


Dienstag, 15. November 2022

Rezension: Das Gesetz der Natur von Solomonica de Winter

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Gesetz der Natur
Autorin: Solomonica de Winter
Übersetzerin: Meredith Barth
Erscheinungsdatum: 28.09.2022
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover Leinen mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257072181
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Die Welt, in der die junge Gaia Marinos lebt, besteht in ihrer Form erst seit „Jenem Tag“. Seither gilt „das Gesetz der Natur“, das dem dystopischen Roman von Solomonica de Winter den Titel gegeben hat. Das darin beschriebene zukünftige Amerika ist weitgehend abgeschnitten von der restlichen Welt. In diesem neugegliederten Land haben sich über die Bundesstaaten hinweg vier Stämme gebildet, die sich gegenseitig als Feind sehen. In jedem Stamm ist nur eine einzige Person mit Lesen und Schreiben beauftragt.

Gaia lebt mit zwei erwachsenen Männern zurückgezogen im Wald. Einer von ihnen hat ihr das Jagen beigebracht, der andere das Lesen, welches er sich selbst zu früherer Zeit im Familienkreis heimlich angeeignet hat. Als ihr Aufenthaltsort entdeckt wird, gerät sie in Gefangenschaft. Inzwischen hat sie eine mystische Eigenschaft entwickelt, die für die Kriegsführung nützlich ist. Sie wünscht sich ihr Leben im Wald zurück. Aber auch der ihr anvertraute Auftrag, Bücher aus alten Zeiten an einem abgelegenen Ort zu finden, hat für sie ihren Reiz. Darin wurden Worte der Vergangenheit festgehalten.

Man bezeichnet Gaia als Mutantin, wobei der Begriff im Sinne von verändertem Individuum gebraucht wird. Die Veränderung wird in ihrem Aussehen deutlich und in einer bestimmten Eigenschaft. Seit Jenem Tag hat es noch mehr solcher Individuen gegeben, aber die Menschheit war bestrebt, sie auszurotten. Der genaue Grund wird nicht beschrieben und auch nicht, wodurch es zu der Veränderung kam. Vielleicht findet Gaia die Antworten in den verborgenen Büchern, die sie sucht. Weil der Roman Teil einer Serie liest er eventuell darüber in der Fortsetzung.

Die Protagonistin hat ihre Eltern verloren. Das Leben in den Wäldern ist mühsam, aber Gaia erfreut sich auch an der Natur. Für sie ist Gerechtigkeit und Güte von Beginn an wichtig. Durch die Gefangennahme gerät sie immer wieder in Situationen, in denen sie für sich abwägen muss, was gut ist und was böse. Oft ist ihr Leben in Gefahr. Die Autorin wirft indirekt die Frage auf, wie viel ein Leben Wert ist. Die neuen Gesetze der Stämme regeln das Zusammenleben der Menschen auf eine rigide Weise. Ausschluss aus der Gemeinschaft und Tod drohen den Abweichlern ebenso wie den Angehörigen. Entsprechend der harten Linie, gestaltet sich der Kampf der Stämme gewaltsam. Gaia durchläuft eine harte Ausbildung in militärischer Auseinandersetzung. Von ihr wird Gehorsam verlangt ohne Rücksicht auf ihre eigenen Gefühle.

Im Amerika des Romans ist die Rollenverteilung klassisch, wobei Gaia eine besondere Position einnimmt. Ihre Einzigartigkeit macht sie überall bekannt und zunehmend ist es für sie schwieriger, sich zu verbergen, weil ihr Ruf ihr vorauseilt und stigmatisiert sie. Ihr Anspruch darauf, gerecht zu handeln, gerät immer wieder ins Wanken. Es gelingt ihr nicht, auf Rache zu verzichten. Gaia spürt zunehmend die Last ihrer Schuld für ihre Handlungen, die keine Güte zeigen.

Der Schreibstil der Autorin ist eigenwillig. Er wirkt manchmal distanziert und versucht Gaias Entscheidungen zu begründen. Gelegentlich finden sich Balladen in den Kapiteln. Sie lenken die Aufmerksamkeit des Lesenden auf sich. Im Mittelteil kommt es während der Kampfvorbereitungen zu Längen.

Der Roman „Das Gesetz der Natur“ von Solomonica de Winter hatte auf mich eine unerwartet fesselnde Wirkung. Bestürzt verfolgte ich die Entwicklung der Stämme im neuen Amerika, die meiner Meinung nach wenig aus dem Fehlern ihrer Vorfahren gelernt haben. Zum Ende hin bleibt die Hoffnung, dass Gaia in der Fortsetzung der Serie durch ihre Entdeckung ein Stück Frieden in die Welt tragen kann. Aufgrund der teilweise gewalttätigen Darstellung mancher Aktionen vergebe ich eine eingeschränkte Leseempfehlung an ältere Leser von Dystopien.

Montag, 14. November 2022

Rezension: Zirkus der Wunder von Elizabeth Macneal


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Zirkus der Wunder
Autorin: Elizabeth Macneal
Übersetzerin: Eva Bonné
Hardcover: 430 Seiten
Erschienen am 28. Oktober 2022
Verlag: eichborn

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Als sich im Jahr 1866 in einem kleinem südenglischen Dorf "Jasper Jupiters Zirkus der Wunder" ankündigt, ist die Aufregung groß. In Scharen treibt es die Bewohner in die Vorstellung, um Kuriositäten wie eine Frau mit Bart und eine walisische Riesin zu bestaunen. Dabei machen sie Witze, dass Nell, deren Haut von Geburt an mit Muttermalen übersät ist, ebenfalls zur Truppe passt. Doch daraus wird wenige Tage später Ernst, als Nell von ihrem Vater tatsächlich an den Impresario verkauft wird. Nach dem anfänglichen Schock merkt Nell, dass ihr neues Leben durchaus Vorteile hat: Sie verdient mehr Geld als je zuvor und ist zum ersten Mal in ihrem Leben von Menschen umgeben, die in ihrem Erscheinungsbild ebenso von der Norm abweichen wie sie.

Ich konnte schnell in die Geschichte eintauchen und war gespannt, was Nell nach ihrem Verkauf erleben wird. Die Autorin machte die Faszination für Freakshows im viktorianischen Zeitalter nachvollziehbar und gibt einen fiktionalisierten Einblick in die Zirkuswelt. Dabei wird die Geschichte abwechselnd aus den Perspektiven von Nell, dem Impresario Jasper und seinem Bruder Toby erzählt.

Jasper ist ein überaus ehrgeiziger Mann, der davon träumt, sich einen Stellplatz in London leisten und vor der Queen auftreten zu können. Er ist stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht und von seiner eigenen Genialität überzeugt. Im Gegensatz dazu ist Toby ein stiller, zurückhaltender Charakter, der seine Wünsche stets zurückgestellt hat. Obwohl die Brüder als Kinder von einem gemeinsamen Zirkus träumten, ist Jasper nun der alleinige Besitzer. Toby arbeitet als Fotograf für ihn und sehnt sich nach seiner Anerkennung. Rückblicke nahmen mich als Leserin mit in den Krieg auf der Krim, wo die beiden etwas Einschneidendes erlebt haben, über das sie nicht sprechen.

Das Erzähltempo ist ruhig, zwischen den einzelnen Abschnitten des Buches gibt es aber Zeitsprünge, sodass die Geschichte dennoch zügig vorankommt. Ich hatte zu Beginn keine konkrete Vorstellung, in welche Richtung sie sich entwickeln wird, und erlebte einige Überraschungen. Die Auseinandersetzung mit dem Leben der als Kuriositäten bezeichneten Menschen im Zirkus mit seinen Licht- und Schattenseiten fand ich gelungen. 

Es gibt viele schöne Szenen, aber auch zahlreiche düstere Momente, welche bei mir zunehmend die Erwartung schürten, dass etwas Schreckliches passieren wird. Obwohl ich mehrfach Zeugin wegweisender Entscheidungen und lebensverändernder Momente wurde, blieben die Figuren zu mir auf Distanz. Ich hätte mir noch mehr Einblicke in ihre Emotionen und ein intensiveres Betrachten der zwischenmenschlichen Momente gewünscht. Nach vielen unerwarteten Wendungen ist auch das Ende anders als gedacht. Für mich rundet es diesen Roman, in dem Freude und Leid oft nah beieinander liegen, stimmig ab. Ein Nachwort gibt Informationen zu den historischen Vorbildern. Gerne empfehle ich dieses Buch an alle weiter, die Lust auf einen historischen Roman haben, der aus dem Rahmen des Gewöhnlichen herausfällt!

Freitag, 11. November 2022

Rezension: Ihr könnt doch noch nicht satt sein! von Renate Bergmann

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Ihr könnt doch noch nicht satt sein! Die Online-Omi tischt auf
Autor: Torsten Rohde als Renate Bergmann (Kunstfigur) 
Erscheinungsdatum: 27.10.2022
Verlag: Ullstein (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783471360484 

 


 


„Ihr könnt doch noch nicht satt sein!“ rief Renate Bergmann ganz entsetzt, als sie sah, dass ihre Gäste das Besteck auf ihren leer gegessenen Tellern ablegten und sich zufrieden den Mund mit ihrer Serviette abputzten. Die über Achtzigjährige Berlinerin hatte den Tisch mit einem karierten Tuch gedeckt …

Solch eine Szene stelle ich mir in meiner Fantasie vor, wenn die Mahlzeit beendet ist, die die Kunstfigur Renate Bergmann für andere gekocht hat. Von den Romanen, die der Autor Torsten Rohde unter dem Pseudonym seiner Protagonistin schreibt,  habe ich zwar noch keinen gelesen, aber schon viel von ihnen gehört. Der bestürzte Ausruf Renates ist der Titel eines Koch- und Backbuchs mit dem Untertitel „Die Online-Omi tischt auf“. Ich erwartete, darin bodenständige leckere Rezepte zu finden und wurde nicht enttäuscht.

Den Einband des großformatigen Buchs wurde von ZERO Media im rot-weißen Karo gestaltet. Auf dem Cover ist Renate beim Abschmecken am Herd in ihrer Küche zu sehen. Die Abbildung hat Rudi Hurzlmeier erstellt. Die Innenseiten wurden von Axel Raidt ausgearbeitet. Insgesamt machte das Buch auf mich einen hochwertigen Eindruck.

Gleich zu Beginn konnte ich anhand der Inhaltsangabe die Kategorien sichten und mir aufgrund der aufgelisteten Gerichte einen ersten Überblick verschaffen. Dazu steht bei jedem Kapitel ein anregendes, zum Thema passendes Foto. Im folgenden Vorwort erklärt Renate Bergmann ihr Anliegen, dem Interessierten ihre Hausfrauenküche nach den Rezepten ihrer Oma nahe bringen zu wollen. Daraus lässt sich rückfolgern, dass diese sich seit langem bewährt hat.

Vor jeder Koch- beziehungsweise Backkategorie gibt es eine Einführung mit ersten Tipps und Kniffen und dem Hinweis auf drei folgende Rezepte, die mit Fotos angeteasert werden. Der Anleitungsteil ist appetitanregend gestaltet und fordert zum Nachkochen oder -backen auf. Zu jedem Gericht gibt es ein einseitiges Foto des zubereiteten Rezepts und auf der gegenüberliegenden Seite stehen die Rezeptur mit der Angabe der Personenzahl sowie die Zubereitung. Schön finde ich es, dass die benötigten Zutaten leicht zu besorgen sind. Außerdem ist oberhalb der Bezeichnung der Speise ein Hinweis im Originalton der Online-Oma zu lesen. Auf jeder dieser Seiten steht unten zusätzlich ein Tipp verschiedenen Inhalts, beispielsweise mit der Empfehlung, einen der Inhaltsstoffe auszutauschen oder wie man das Gericht mit einer weiteren Zutat variiert.

Die Anleitung ist leicht verständlich und einfach umzusetzen. Falls der Backofen benötigt wird, ist die Temperatur und die Backzeit angegeben. Ich habe inzwischen den Gemüseauflauf ausprobiert. Das Ergebnis hat meiner Familie nicht nur sehr gut geschmeckt, sondern sah optisch wie im Buch aus. Bratkartoffeln habe ich ebenfalls nach dem Rezept getestet, weil sie anders zubereitet werden, als ich sie sonst mache. Auch dieses Gericht hat uns gemundet. Noch viele weitere Fotos lachen mich beim Blättern im Buch an und ich werde sicher immer wieder dazu greifen und noch einiges nachkochen und -backen.

Es ist verständlich, dass Renate sich darüber freut, wenn ihre Gäste ihre Teller schnell leer gegessen haben und gesättigt nach Hause gehen. Mir macht es viel Freude, die Rezepturen auszuprobieren und daher empfehle ich das Buch gerne weiter.


Mittwoch, 9. November 2022

Rezension: Mütter hat man nie genug von Monika Maifeld

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Mütter hat man nie genug
Autorin: Monika Maifeld
Erscheinungsdatum: 04.10.2022
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783426227824
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Das Glück ist der 27 Jahre alten Bogenbaumeisterin Stefanie gewogen, denn sie hat es geschafft, sich in der Passauer Innenstadt mit einer Werkstatt selbständig zu machen. Außerdem hat sie einen wohlhabenden Freund. Im Roman „Mütter hat man nie genug“ von Monika Maifeld ist sie die Protagonistin. Obwohl Stefanie bereits eine eigene Wohnung bezogen hat, ist sie gerne bei ihren Eltern in Vilshofen zu Gast und fühlt sich im Kreis der Familie geborgen.

Eines Tages kommt ihr jüngerer Bruder Felix auf die Idee, dass sie beide eine DNA-Probe abgeben, weil sie dadurch eventuell noch unbekannte Verwandte finden könnten. Das Ergebnis wirkt sich allerdings im genauen Gegenteil aus, denn es zeigt, dass Felix und Stefanie nicht miteinander verwandt sind. Nachdem aber auch die Eltern das Resultat zerknirscht bestätigen, gerät Stefanie in eine Identitätskrise.

Zu Beginn läuft die Handlung auf zwei Zeitebenen ab. Während Stefanie sich im Mai 2018 auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter begibt, hat Paula im Mai des Jahres 1990 das Anliegen, endlich ein Kind zu bekommen. Paula steigert sich wahnhaft in ihren Wunsch hinein. Das, was sie unternimmt, um ein Baby zu erhalten, klingt fast wie eine Räubergeschichte. Da mir die damaligen Umstände im Zusammenhang mit einer Geburt im Krankenhaus bekannt sind, halte ich die Schilderungen der Begebenheiten für möglich, fesselnd fand ich sie auf jeden Fall. Beim Lesen dieses Handlungsstrangs sah ich gleich einen Zusammenhang mit Stefanie und erhielt durch die Kenntnis der früheren Ereignisse einen Wissensvorsprung ihr gegenüber. Die Schilderung des Geschehens im Jahr 1990 bricht etwa nach der Hälfte der Buchseiten mit einem Cliffhanger ab.

Dank der guten Recherche der Autorin erfuhr ich mehr über den ungewöhnlichen Beruf von Stefanie. Bei deren Suche nach der Mutter durfte ich sie zu einigen sehenswerten Orten begleiten. Während der ganzen Zeit kämpfte die Protagonistin mit ihrem inneren Konflikt, was ich gut nachvollziehen konnte. Sie erhält von ihrem Freund eine ungeahnte Unterstützung. Seine Fürsorglichkeit nimmt sie in ihrer momentan schwierigen Lage gerne an. Von ihm fühlt sie sich gebraucht. Erst spät erkennt sie, wie Liebe sich in einer Beziehung wirklich anfühlt.

Die Autorin macht es ihrer Protagonistin nicht einfach. Immer wieder konfrontiert sie Stephanie mit neuen Konflikten, die mit wachem Verstand auf ihre Möglichkeiten schaut, zu einer Lösung zu gelangen, auch wenn sie an einem toten Punkt angekommen zu sein scheint. Die Erzählung ist stellenweise dialoglastig mit manch bewegendem oder auch amüsantem Austausch der Gesprächspartner, was das Lesen vorantreibt. Stein für Stein setzt die Bogenbaumeisterin die Informationen über ihre Vergangenheit zusammen. Mein durch die zweite Handlungsebene erweitertes Wissen ließ mich hoffen, dass sie ihre Suche nicht abbricht, was für eine gewisse Hintergrundspannung sorgte. Nebenher thematisiert Monika Maifeld dabei den damals zunehmenden Kinderschmuggel aus Osteuropa.

Leider kommt es im Roman zu einigen Darstellungen, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte wie das lange Siezen eines guten Freunds oder das Öffnen des Geschäfts ganz nach Belieben. Auch ein paar kleine logische Fehler haben sich eingeschlichen, die aber aufgrund der gelungenen komplexen Konstruktion unwichtig sind.

Der Roman „Mütter hat man nie genug“ von Monika Maifeld wirft den Wunsch nach der eigenen Identität auf. Als Leserin fürchtete ich, so wie die Protagonistin Stephanie, dass ihre Suche nach der leiblichen Mutter vergeblich sein wird. Möglichst bald wollte ich erfahren, ob die Hauptfigur erfolgreich sein wird und wie sie ihr Gefühlschaos meistert. Gerne empfehle ich das Buch weiter. 


Montag, 7. November 2022

Rezension: Die Bücher, der Junge und die Nacht von Kai Meyer


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Die Bücher, der Junge und die Nacht
Autor: Kai Meyer
Hardcover: 496 Seiten
Erschienen am 2. November 2022
Verlag: Knaur HC

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Im Jahr 1943 steht das Graphische Viertel in Leipzig nach einem Bombenangriff in Flammen. Eine Nacht, die für viele mit dem Tod endet, bedeutet für einen zehnjährigen Jungen Freiheit. Er war sein Leben lang in einem Raum voller Bücher eingesperrt. Bei seiner Flucht kommt ihm ein Erwachsener zu Hilfe, der jedoch von ihm verlangt, zuerst ein besonderes Buch aus dem Flammen zu retten, ehe er ihn in Sicherheit bringt. 1971 ist aus dem Jungen der Bibliothekar Robert Steinfeld geworden. Ein Anruf seiner Kollegin und Konkurrentin Marie führt ihn nach München. Sie löst dort eine private Büchersammlung auf und hat dabei Exemplare entdeckt, die aus der Buchbinderwerkstatt von Roberts Vorfahren stammen, welche er nie kennengelernt hat. Von den höchst raren Stücken gibt es hier rund zweihundert Stück. Wie sind sie dorthin gelangt?

Der Roman beginnt mit einer bildgewaltigen Szene: Ein zehnjähriger Junge flieht gemeinsam mit einem Erwachsenen aus dem brennenden Leipzig des Jahres 1943. Schon im ersten Absatz wird erwähnt, dass der Junge sein Leben lang eingesperrt war, was zahlreiche Fragen aufwirft. Weitere kommen schnell hinzu: Was ist das für ein Buch, das er aus den Flammen retten sollte, und wer ist der Erwachsene, der ihm das Leben gerettet hat?

Im weiteren Verlauf springt die Geschichte in unregelmäßigen Abständen zwischen drei verschiedenen Zeitebenen hin und her: Neben den Erlebnissen des Jungen im Jahr 1943 und Roberts Versuchen im Jahr 1971, mehr über seine Vergangenheit herauszufinden tauchte ich immer wieder ins Jahr 1933 ein, in welchem Roberts Vater eine junge Frau kennenlernt, die ihr geheimnisvolles Maniskript mit dem Titel "Das Alphabet des Schlafs" bei ihm binden lassen möchte. Mit der Zeit werden immer mehr Zusammenhänge klar, gleichzeitig passt nicht alles zusammen: Einiges von dem, was die Charaktere zu wissen glauben, muss falsch sein. 

Ich folgte den Spuren bestimmter Bücher, die eng mit dem Schicksal der Charaktere verknüpft sind, von Station zu Station. Die zahlreichen Szenen in Räumen voller Bücher lassen beim Lesen sicherlich jedes bibliophile Herz höher schlagen. Die Handlung wird von Geheimnissen, Lügen und Verbrechen geprägt, doch auch von Liebe, Zusammenhalt und Loyalität. Während die gewaltvollen Szenen der beiden frühen Zeitebenen für mich zum Geschehen passten, war ich von Roberts Gewaltausbrüchen im Jahr 1971 irritiert, die für mich nicht zu einem Bibliothekar passten. Während ein Hinweis zum nächsten führt, erlebte ich im Mittelteil eine kleine Durststrecke, bevor neue Erkenntnisse zum Ende hin wieder für deutlich mehr Bewegung und ein erhellendes Finale sorgen.

"Die Bücher, der Junge und die Nacht" ist ein historischer Roman, in dem viele Geheimnisse und Zusammenhänge darauf warten, aufgedeckt zu werden, während in der Bücherstadt Leipzig etwas Mysteriöses vor sich geht. Auch wenn manch ein Charakter an Übersinnliches glaubt,  weiß dieser Roman auch ohne Fantasy-Elemente zu überzeugen. Ich lade euch herzlich ein, Euch an der Seite der Steinefelds auf die Suche zu begeben!

Samstag, 5. November 2022

Rezension: Lügen über meine Mutter von Daniela Dröscher


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Lügen über meine Mutter
Autorin: Daniela Dröscher
Hardcover: 448 Seiten
Erschienen am 18. August 2022
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

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Ela wächst in den 1980er Jahren im Hunsrück auf. Ihre Kindheit wird von einem Thema dominiert: Dem Körpergewicht der Mutter. Für ihren Vater ist klar, dass seine Frau dringend abnehmen muss, ob mit einer Kur, Diäten oder den Weight Watchers. Er schämt sich für ihr Aussehen und möchte mit ihr in der Öffentlichkeit so nicht gesehen werden. Stets ist er bestrebt, nach außen hin einen guten Eindruck zu machen und beruflich erfolgreich zu sein. Elas Mutter zieht sich immer weiter zurück, während sie sich zu Hause um zunehmend mehr Personen kümmern muss. Daniela Dröscher schildert in diesem Buch eine fiktionalisierte Version ihrer eigenen Kindheit.

Das Buch beginnt mit einem Dialog in der Gegenwart. In diesem merkt die Erzählerin gegenüber ihrer Mutter an, dass sie bis heute vieles über sie nicht genau wisse und etwas erfinden müsse, wenn sie über sie schreiben will. Ihre Mutter ermuntert sie dazu. Sie ist sich sicher, dass ihre Tochter ihre Geschichte so erzählen kann, dass sie geschützt wird.

In der Vergangenheit begegente ich Ela erstmals im Jahr 1983 kurz vor ihrem siebtem Geburtstag und begleitete ihr Leben über vier Jahre hinweg. Ich tauchte ein in ihren Familienalltag, in dem die Kritik ihres Vaters am Gewicht ihrer Mutter das Dauerthema ist. Dabei ist auffällig, dass Elas Mutter selbst kein Problem mit ihrem Körpergewicht hat und Diäten und weitere Maßnahmen nur ergreift, um ihren Mann zu besänftigen. Auch Elas Blick auf ihre Mutter wird durch das Agieren ihres Vaters zunehmend geprägt. 

Der Kampf um Selbstbestimmung ist in diesem Buch ein zentrales Thema, und zwar nicht nur im Hinblick auf Gewicht, sondern auch im Zusammenhang mit fianziellen und beruflichen Entscheidungen. In den Augen von Elas Vater kennt seine Frau grundsätzlich kein Maß. Dabei stellt man beim Lesen schnell fest, dass er selbst es ist, der immer wieder irrationale Entscheidungen trifft, um sich selbst und seine Wahrnehmung durch andere aufzuwerten. 

Zwischen den einzelnen Kapiteln sind immer wieder kurze Passagen eingefügt, in welchen die Erzählerin das Geschehene aus der heutigen Perspektive reflektiert und einen erwachsenen Blick auf ihr kindliches Erleben gibt. Dadurch gibt sie in der Deutung eine Richtung vor, lässt aber auch Platz für eigene Überlegungen. Es gibt auch weitere Dialoge mit ihrer Mutter, hingegen keine mit ihrem Vater, was aus meiner Sicht eine deutliche Positionierung ist.

Immer wieder schildert Ela Momente, in denen ihre Mutter sich gegen den goldenen Käfig auflehnt, in dem sie lebt. Ich war neugierig, inwiefern ihr ein Ausbruch gelingen wird. Für mich war "Lügen über meine Mutter" eine sehr intensive und eindrückliche Lektüre, die ich gerne weiterempfehle.