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Donnerstag, 8. Februar 2024

Rezension: Weltalltage von Paula Fürstenberg

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Weltalltage
Autorin: Paula Fürstenberg
Erscheinungsdatum: 08.02.2024
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783462003369
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Im ihrem Roman „Weltalltage“ lässt Paula Fürstenberg eine unbenannte Du-Erzählerin, im Folgenden von mir als Freundin bezeichnet, die Geschichte der langjährigen Freundschaft mit ihrem besten Freund Max erzählen. Die enge Beziehung kommt an einen Punkt, bei dem sich die darin eingenommenen Rollen wesentlich verändert haben. Die Du-Form wird über die gesamte Geschichte hinweg beibehalten und spiegelt die inneren Konflikte der Freundin wider, sozusagen in einem nicht endenden Dialog mit sich selbst. Weltalltage nennt die Freundin die Tage, an denen ihr Körper von Kindheit an scheinbar über den Dingen schwebt. Die Schrift auf dem Titel verdeutlicht, wie schwankend die Welt sich für die Freundin an solchen Tagen verstellt. Max ist ihr am Rand eine Stütze, doch als er krank wird, kommt die von ihm gebotene Strebe in Schräglage.

Die Freundin und Max kennen sich seit der siebten Klasse. Beide sind nun Anfang Dreißig, ohne feste Partnerschaft und teilen sich eine Wohnung. Max hat eine Festanstellung als Architekt. Als Redaktionsassistentin erhält die Freundin den Auftrag, Max zu porträtieren, doch das Ergebnis ist umfasst viel mehr Seiten als gewünscht. Dadurch kommt sie auf die Idee, aus dem Geschriebenen einen Roman zu gestalten. Sie kündigt ihren Job, aber es fällt ihr schwer, einen Anfang für ihre Geschichte zu finden. Eines Tages teilt Max ihr mit, dass er im Krankenhaus behandelt werden soll. Im Nachhinein wird ihr bewusst, dass sich Max über längere Zeit verändert hat. Sie war stets die chronisch Kranke, der Max bestimmte Hilfeleistungen anbot. Nun beginnt die Freundin zu grübeln, ob ihre Worte und ihr Tun für eine Heilung nützlich sind.

Aus der Suche nach einem Anfang für die Geschichte von Max wird eine Suche nach der passenden Sprache. Das Engagement der Protagonistin als Schriftstellerin bringt Max zum Nachdenken und plötzlich steht die berechtigte Frage im Raum, wem eine zu veröffentlichende Lebensgeschichte gehört. Für die Freundin ist es wichtig, dass ihre Welt Ordnung und Struktur hat, was vor dem Schreiben nicht Halt macht. Daher besteht der Roman aus ausgeführten Listenpunkten. Mal ist es das Alphabet, mal sind es Zahlen, aber auch Monate und Jahre oder ein aufgeworfenes Thema, die die Abschnitte der jeweils abzuarbeitenden Liste bilden.

Die eigenwillige Kunstform funktioniert im Roman par excellence! Paula Fürstenberg fokussiert ihre Protagonistin, die im gleichen Alter ist wie sie selbst, immer wieder auf wichtige Themen und schneidet dabei so manches Auffällige an, manchmal mit dem Finger auf der Wunde, auch mal mit ironischer Ergebenheit. Eigene Erfahrungen und Beobachtungen fand ich bestätigt. Dabei fragte ich mich, in weit die Autorin eigene Erlebnisse einfließen lässt, weil sie sehr einfühlsam, nachvollziehbar und wahrhaftig schreibt. Immer wieder zitiert sie Persönlichkeiten. Ein Literaturverzeichnis befindet sich am Ende des Buchs.

Die Krankheit von Max wird für beide Protagonisten unfassbar und stellt ihre Freundschaft auf eine harte Bewährungsprobe. Anhand von Rückblicken versucht die Freundin das Verhältnis zu klären. Sozusagen als Bonus findet sich auf der Innenseite des hinteren Einbands eine Abrechnung. Erst die Probleme in der Freundschaft bieten der Freundin die Chance, die gewohnte Routine zu verlassen, sich im vorsichtigen Rahmen über ärztliche Verbote hinwegzusetzen und dabei neue Möglichkeiten für sich und ihren Körper zu erkunden. Empfindsame Lesende sollten wissen, dass in der Geschichte neben Symptomen des Schwindels, unter anderem auch Depression und Endometriose thematisiert werden.

Das Denken an die Vergangenheit führt die Freundin in den Osten Deutschlands, das Studium in den Westen, wodurch sich in ihre Erinnerungen Überlegungen zur gesellschaftspolitischen Lage mischen. Die Großmutter von Max, die im Ostenlebt, ist sich sicher, dass die deutschen Verhältnisse zum Ableben einiger Familienmitglieder beigetragen haben. Diese interessante These wird im Laufe der Erzählung geklärt.

Gerne vergebe ich für den sichtbar außergewöhnlich gestalteten, tiefgründig geschriebenen und mich begeisternden Roman „Weltalltage“ von Paula Fürstenberg eine Leseempfehlung.