Donnerstag, 31. August 2023

Rezension: Marschlande von Jarka Kubsova

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Marschlande
Autorin: Jarka Kubsova
Erscheinungsdatum: 30.08.2023
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103974966

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Zwei Frauen und 500 Jahre, die sie voneinander trennen und dennoch findet Jarka Kubsova in ihrem Roman „Marschlande“ verbindende Elemente in deren Suche nach einem eigenständigen Leben. Abelke Bleken lebte im 16. Jahrhundert und ist eine historisch verbürgte Person, die die Autorin mit Leben füllt. Die im Südosten Hamburgs ansässige Britta Stoever ist dagegen eine rein fiktive Figur, in deren Charakter sich manche Leserin sicher wiederfinden wird. Der Alltag der beiden ist sehr verschieden in eben jener, als Marschlande bezeichneten Gegend, stellt aber die zwei Frauen in ihrer jeweiligen Zeit vor besondere Herausforderungen.

Abelke bewirtschaftet den großen geerbten Hufnerhof ganz allein, nachdem ihr Personal nach einem Deichbruch sie verlassen hat, um andernorts mehr zu verdienen. Sie steht in der Verantwortung, die Schäden am Deich in kurzer Zeit ausbessern zu müssen. Ihre Hoffnung auf Hilfe schwindet immer mehr und sie erkennt, dass ihre Rolle als Frau damit in Zusammenhang steht, denn die meisten ihrer Zeitgenossen und -genossinnen sehen das weibliche Geschlecht als Versorgerin von Küche und Kindern. Aber Abelke ist ohne Partner*in.

Auch Brittas Mann sieht Jahrhunderte später seine Frau am liebsten am Herd und in der Umsorgung der Tochter und des Sohns. Er selbst ist im Beruf erheblich eingespannt und stolz darauf, mit seinem Gehalt den kürzlichen Hauskauf finanzieren zu können. Britta erhält in ihrem Halbtagsjob, dessen Anforderungen hinter ihren Kenntnissen zurückbleiben, kaum Anerkennung.

Bei beiden Frauen nährt sich die Wut darüber, dass sie nicht gleichberechtigt behandelt werden. Abelke fühlt sich im Vergleich mit anderen Hufbauern zurückgesetzt und Britta spürt das Ungleichgewicht, wenn es um die Aufgabenverteilung in ihrer Ehe geht. Dabei nutzt auch Reden nichts, denn diejenigen, die ihren Vorrang erworben haben und damit auch eigene Vorteile, werden von ihrer Position kaum weichen. Wenn sie aus ihrem Umfeld heraus unterstützt werden, kann es sein, dass sie gleicher als gleich werden; Orwell lässt grüßen. Währenddessen staut sich bei den Frauen der Frust an.

Britta beschäftigt sich mit dem Schicksal Abelkes, nach der in Hamburg eine Ringstraße benannt ist, und wird sich dabei umso mehr ihrer eigenen Probleme bewusst. Anders als früher findet sie heute offene Ohren für ihre Sorgen und vermag es, Konsequenzen zu ziehen.

Jarka Kubsova bindet die von ihr geschilderten Lebensabschnitte der Frauen in eine Umgebung ein, die häufiger extremen Wetterkapriolen ausgesetzt ist. Stürme und Überschwemmungen fordern den Bewirtschaftern der Böden einiges ab. Dank der schnörkellosen Beschreibungen konnte ich mir die Gegend beim Lesen gut vorstellen und empfand sowohl die Härte der damaligen Bestellungsarbeiten wie auch die Schönheit der malerischen Landschaft, wie sie sich bis heute darstellt.

In ihrem Roman „Marschlande“ beschreibt Jarka Kubsova einfühlsam zwei Frauenleben, die durch viele Jahrhunderte getrennt sind und in denen sich dennoch Gemeinsamkeiten in ihrem Streben nach Selbstbestimmung finden. Wie in ihrem Buch „Bergland“ setzt sie auch hier eine Akzentuierung auf das Ansehen der Arbeit von Frauen und zeigt im Vergleich von damals und heute, wie klein der Fortschritt auf dem Gebiet der Gleichberechtigung ist. Für mich ist das Buch erneut ein Lesehighlight und darum empfehle ich es gerne weiter.

Gittersee von Charlotte Gneuß


Gittersee
Autorin: Charlotte Gneuß
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 30. August 2023
Verlag: S. FISCHER Verlage

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Die 16-jährige Karin lebt in Gittersee, einem Stadtteil von Dresden. Es ist das Jahr 1976, sie verbringt gern Zeit mit ihrem Freund Paul und ist unentschlossen, was sie nach ihrem bald anstehenden Abschluss tun soll, während ihre beste Freundin Marie ehrgeizige Pläne verfolgt. Ihr Leben gerät aus dem Tritt, als Paul von einem Ausflug nach Tschechien nicht zurückkehrt. Er soll Republikflucht begegangen haben, wovon sie jedoch nichts geahnt hat. Trotzdem muss sie immer wieder Befragungen über sich ergehen lassen. Dabei muss sie bald erkennen, dass ihr Verhalten in diesem Zusammenhang unweigerlich Konsequenzen nach sich zieht.

Der Roman beginnt mit einer sehr kurzen Szene, in der Rühle einen verunglückten Motorradfahrer findet. Danach übernimmt die Ich-Erzählerin Karin das Wort, die sich an ihren letzten Tag mit Paul erinnert. An diesem hat er sie beharrlich zu überreden versucht, mit ihm und seinem besten Freund Rühle übers Wochenende zum Sommersonnwendfest nach Tschechien zu fahren. Aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen hat sie sich dagegen entschieden und sich auch nichts weiter dabei gedacht, als sie gesehen hat, mit welcher Menge Geld sich Paul auf den Weg macht.

Als Leserin erhielt ich Einblick in Katrins Leben im Familien- und Freundeskreis. Zu Hause hat sie für ihr Alter viele Verpflichtungen, denn sie kümmert sich gemeinsam mit ihrer Oma um die zweijährige Schwester, während ihre Eltern in Vollzeit arbeiten. Ihre Mutter hat Katrin im Teenageralter bekommen und tut sich schwer damit, für sie eine Mutterrolle auszufüllen. Katrins beste Freundin Marie träumt von einem gänzlich anderen Leben und vertraut ihr ein Geheimnis an. Doch Katrins Gedanken kreisen vor allem um Pauls Verschwinden, über das sie mehr zu erfahren versucht.

Beim Lesen fühlte ich mich schnell in die DDR der 70er hineinversetzt. Es ist ein Coming of Age-Roman, Katrin steht mit ihrem baldigen Abschluss am Scheideweg und muss sich entscheiden, welches Leben sie anstreben will. Das Erzähltempo ist langsam und intensiv, driftet für meinen Geschmack zwischenzeitlich aber zu sehr in Alltagsbeschreibungen ab. Pauls Verschwinden bleibt das zentrale Thema, das dafür sorgt, dass sich die Situation allmählich zuspitzt. Dabei hat die Autorin das Gefühl der Unsicherheit, wem man was erzählen kann und sollte, gelungen eingefangen. Eindringlich führt sie vor Augen, welche Konsequenzen es haben kann, Auskunft zu geben.

Erst ganz am Ende wird der Bogen zur rätselhaften Eingangsszene geschlagen. Dem voraus geht eine für Katrin ebenso wie für mich Augen öffnende Enthüllung, welche ein neues Licht auf die gesamte vorangegangene Handlung wirft und das Ausmaß an Manipulation deutlich macht, die hier im Spiel war. 

Mittwoch, 30. August 2023

Rezension: Marschlande von Jarka Kubsova


Marschlande
Autorin: Jarka Kuvsova
Hardcover: 320 Seiten
Erschienen am 30. August 2023
Verlag: S. FISCHER Verlage

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Britta ist vor drei Monaten mit ihrer Familie aus der Stadt in ein Haus in den Vier- und Marschlanden gezogen, einem ländlichen Gebiet im Südosten von Hamburg. Während ihr Mann Philipp viel arbeitet und in seiner Freizeit begeistert am Haus werkelt, hat Britta noch immer nicht das Gefühl, angekommen zu sein. Eines Tages stößt sie auf die Geschichte von Albeke Bleken, die im 16. Jahrhundert einen Hof in der Gegend besaß und schließlich als Hexe verbrannt wurde. Während ihre Neugier wächst, mehr über Albekes Schicksal zu erfahren, breiten sich ihre Zweifel aus, ob sie selbst sich für den richtigen Lebensweg entschieden hat.

Der Roman beginnt mit einer Szene, in welcher ein Scheiterhaufen errichtet wird, während die Menschen auf den Feldern versuchen, nicht dorthin zu blicken. Doch als sie sehen, wer dort verbrannt werden soll, breitet sich bei ihnen Entsetzen aus. Was es mit dieser Szene auf sich hat erfährt man schon kurze Zeit später, als Britta auf einem Straßenschild in ihrer neuen Nachbarschaft den Namen Albeke Bleken entdeckt und Google sie über ihr tragisches Schicksal aufklärt. Im folgenden Kapitel lernte ich Albeke selbst als erfolgreiche Hofbesitzerin kennen, ihre von wahren Ereignissen inspirierte Geschichte wird fortan abwechselnd zu der von Britta erzählt.

Britta wird seit ihrem Umzug in das Eigenheim, das in der Nachbarschaft den Spitznamen "Eispalast" bekommen hat, zunehmend von Zweifeln geplagt. Ihr Mann Philipp hat sich ohne Rücksprache mit ihr für das Haus entschieden, obwohl sie lieber etwas gemütliches Älteres gekauft hätte. Auch beruflich hat sie zurückgesteckt: Sie hat ihre Karriere als Wissenschaftlerin zugunsten von Kindern und Haushalt aufgegeben und sich für einen Teilzeitjob entschieden, den sie aus dem HomeOffice erledigen kann. Als sie sich mit Motivation in die Recherchen über Albeke Bleken stürzt, wird auch das von ihrem Mann nur belächelt.

Die Kapitel aus der Sicht von Albeke zu lesen war keine leichte Kost, da ihr Schicksal von Beginn an klar ist. Ihren Weg von der Hofbesitzerin bis zur verurteilten Hexe zu begleiten zeigt auf intensive Art und Weise, welche Widerstände Frauen erleben konnten, wenn sie sich nicht verhalten haben, wie es von ihnen erwartet wird: Wenn sie zu ehrgeizig und erfolgreich, zu wütend oder schlichtweg im Weg der Pläne eines Mannes waren. Auch wenn die Zeiten fast 500 Jahre später andere sind, so ist es doch möglich, zwischen Albekes und Brittas Erfahrungen gewisse Parallelen herzustellen.

"Marschlande" ist ein ergreifender Roman auf zwei Zeitebenen, der sich damit beschäftigt, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man als Frau Ziele verfolgt, die nicht zum Plan einer oder mehrerer Männer passen. Er ließ mich über die Erfahrungen nachdenken, die Frauen im Laufe der Zeit gemacht haben und immer noch machen. Es ist eine Geschichte, die lange nachhallt und der ich noch viele Leserinnen und Leser wünsche.

Rezension: Gittersee von Charlotte Gneuß

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Gittersee
Autorin: Charlotte Gneuß
Erscheinungsdatum: 30.08.2023
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103970883
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Gittersee liegt im Südwesten von Dresden und ist Handlungsort des gleichnamigen Romans von Charlotte Gneuß. Nicht nur das Foto auf dem Umschlag, sondern auch die Erzählung gab mir als Leserin einen Einblick in das Leben einer Familie, Mitte der 1970er Jahre. In einem kurzen Prolog, in dem geschildert wird, das einer Person etwas zugestoßen ist, wurde ich neugierig darauf, um wen es sich handelt und wie es geschehen ist, was eine gewisse Hintergrundspannung während des gesamten Lesens erzeugt.

Die Protagonistin Karin ist 16 Jahre alt und geht noch zur Schule. Ihre Mutter war noch jung, als sie mit ihr schwanger wurde und sie hat vor zwei Jahren nochmals Nachwuchs bekommen. Der Haushalt wird von der hinfälligen Mutter des Vaters geführt, während die Eltern beide in Vollzeit arbeiten. Karin hilft mit Selbstverständlichkeit überall, wo die Familie sie braucht. Ihr Alltag wird gestört, als ihr Freund Paul eines Tages von einem Ausflug nicht wiederkehrt. Daraufhin steht die Polizei vor der Tür ihres Zuhauses und hat eindringliche Fragen an sie, ob sie von Pauls Plänen gewusst hat, der vermutlich aus der Republik geflohen ist.

Karins Leben lief in geordneten Bahnen. Der Kapitalismus im Westen wurde zwar immer wieder, meist in der Schule beschimpft, aber die Teilung Deutschlands hatte für sie persönlich keine Wichtigkeit. Von ihrer Mutter erfährt Karin, dass es Personen gibt, die raus wollen aus dem biederen Umfeld, das eingesponnen ist in die sozialistischen Ideen des Staats. Sie bemerkt es außerdem an den fliegenden Ideen ihrer besten Freundin Marie. Charlotte Gneuß flicht in die Freundschaft der beiden Mädchen Eifersucht ein.

Immer wieder wendet sich der Polizist mit weiteren Fragen an die Protagonistin und untergräbt damit die Leichtigkeit, mit der sie ihren Alltag meistert. Sie beginnt über Vergangenes nachzudenken und darüber, ob liebgewonnene Menschen ihr tatsächlich stets wohlgesonnen waren und sind. Der Verlust von Paul nagt an ihr und die Umstände seines Verschwindens werden für sie zunehmend zu einem Puzzle mit vielen Teilen ohne Hoffnung darauf, es zusammenfügen zu können. Erst allmählich wird ihr bewusst, dass ihre Aussagen Konsequenzen für andere Personen haben.

Beim Lesen fühlte ich mich kulturell zurückversetzt in die 1970er Jahre. Obwohl ich im Westen aufgewachsen bin, wusste ich durch einen langjährigen Briefwechsel mit einer Freundin im Osten unseres Landes unmittelbar um die ideologischen Unterschiede und empfand die Schilderungen der Autorin als authentisch. Die Autorin beschreibt Träume und Wünsche, nicht nur von Jugendlichen und den Willen dazu, diese zu verwirklichen, aber genauso die eingeschränkten Möglichkeiten der Realität, sie zu erreichen. Sie lässt ihre Figuren auf verschiedene Weise mit Frust umgehen und stellt manches geschickte Taktieren dar, um Ziele zu erreichen. 

In ihrem Roman „Gittersee“ erzählt Charlotte Gneuß vom Erwachsenwerden im Osten Deutschlands während der 1970er Jahre. Sie zeigt anhand ihrer 16-jährigen Protagonisten den Prozess des Bewusstwerdens der eigenen Situation und Schritte der psychosozialen Reifung auf. Ich habe die Geschichte mit Interesse gelesen und empfehle sie daher gerne weiter.

Montag, 28. August 2023

Rezension: Das Licht zwischen den Schatten von Michaela Beck


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Das Licht zwischen den Schatten
Autorin: Michaela Beck
Erscheinungsdatum: 25.08.2023
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Softcover als Leseexemplar 
ISBN: 9783785728666
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In ihrem ersten belletristischen Roman „Das Licht zwischen den Schatten“ verknüpft Michaela Beck drei individuelle Schicksale mit der Geschichte Deutschlands in den Jahren von 1919 bis 1989. Gemäß dem Titel schaut sie auch auf einige unrühmliche Ereignisse der Vergangenheit, in denen sich aber wie ein Silberstreif am Horizont ebenfalls verschiedene Formen von Widerstand zeigten. Die Autorin stellt der Erzählung ein Gedicht voran, von dem später ein oder zwei Sätze einen der fünf Teile des Buchs eröffnen. Dadurch wurde ich neugierig auf den nächsten Abschnitt, denn darin wird angedeutet, worauf im  Folgenden der Fokus liegt. Es geht darum, im Leben seinen Platz zu finden, geliebt zu werden als Kind oder Partner, um Selbstverwirklichung und Reflexion.

Eine der drei Hauptfiguren ist Konrad, dem ich im ersten Kapitel erstmalig im Jahr 1919 als Zehnjährigem begegnete. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder lebt er in Berlin in einer Hinterhofwohnung. Sein Vater hat im ersten Weltkrieg sein Leben gelassen, während er seinen Vorgesetzten gerettet hat. Der wohlhabende Gerettete nimmt die kleine Familie auf und gibt der Mutter Arbeit. Später verliebt sich Konrad in eine der beiden Töchter, die ihn dazu veranlasst, Medizin zu studieren.

Das nächste Kapitel schwenkt hin ins Jahr 1950. Zu dieser Zeit lebt die elfjährige Brigitte mit ihren Eltern und dem älteren Bruder im Dorf Mecklenburg und hängt durch die Beeinflussung eines Bekannten immer noch dem alten nationalsozialistischem Gedankengut an. Im Laufe der Jahre wechselt zwar ihre Gesinnung, jedoch nicht die Hartnäckigkeit mit der sie ihre Ansichten verteidigt. Als letzten Protagonisten lernte ich den verwaisten André kennen, der als Zehnjähriger 1976 in Ostberlin wohnt. Ein erfolgreicher ehemaliger Olympionik im Kunstspringen hat ihn adoptiert und ist gleichzeitig sein Trainer. Aber in seinen Gedanken blitzen immer wieder Gedanken an seine Kindheit auf über die er nicht müde wird, Fragen zu stellen.

Das Leben der drei Hauptfiguren wird im Folgenden von Michaela Beck kontinuierlich weiter betrachtet. Dabei springen die Kapitel zwischen den Personen hin und her und nehmen jeweils einen die betreffende Hauptfigur prägenden Lebensabschnitt ins Visier. Ich bemerkte als Leserin bald, dass es Verzahnungen zwischen ihren Schicksalen geben muss. Dadurch entstand eine hintergründige Spannung. Kleine eingestreute Hinweise fügten sich zum Ende zu einem zusammenhängenden Bild. Bis dahin steuerte die Autorin ihre Hauptfiguren über manche Höhen und Tiefen.

Während Konrad ein ruhiges Erscheinungsbild zeigt und sich aufgrund seiner Unentschlossenheit gerne von anderen Versprechungen leiten lässt, ist Brigitte ein trotziger Charakter, der viel zu oft unüberlegt handelt, aber mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet ist. André dagegen fühlt unverstanden und wird aufgerieben von seinen Zweifeln am System und seiner Ohnmacht wirksam dagegen aufzubegehren.

Ich habe den Einfallsreichtum von Michaela Beck bewundert und ihren Mut, auch vor der Einbindung großer Schlagzeilen der deutschen Geschichte nicht zurückzuschrecken, sondern Konrad, Brigitte und André darin authentisch agieren zu lassen. Der Umgang mit Juden und Behinderten im Nationalsozialismus, die Frage nach der Mitschuld, der Mauerbau, Flucht in den Westen, Sozialkritik terroristische Vereinigung, Hausbesetzung, Stasi und Mauerfall sind nur größere Themen neben denen es noch viele weitere gibt.

Durchgehend beschreibt die Autorin dank bester Recherche ihre Schauplätze. Konrad, Brigitte und André agieren in einem Umfeld, das ich mir gut vorstellen konnte. Sie offenbart dem Lesenden die Gefühle der Hauptfiguren und lässt ihn teilhaben daran, wie diese zu ihren Meinungen und Entscheidungen finden. Kulturelle Gegebenheiten und geschichtliche Fakten lässt sie mühelos in die Erzählung einfließen.

Der Roman „Licht zwischen den Schatten“ von Michaela Beck besticht durch eine durchdachte Konstruktion des Lebens dreier Personen, das man ab deren Kindheit bis hin zum Mauerfall begleitet. Deren Lebensweg ist nicht nur miteinander, sondern auch mit der wechselhaften deutschen Geschichte verbunden und zeigt, wie der Staat Einfluss auf unsere Geschicke hat und uns Kinder unserer Zeit sein lässt. Das Buch hat einen angenehmen leicht zu lesenden Schreibstil und hohen Unterhaltungswert, so dass ich es gerne weiterempfehle. 


 

Samstag, 26. August 2023

Rezension: Cleopatra und Frankenstein von Coco Mellors


Cleopatra und Frankenstein
Autorin: Coco Mellors
Übersetzerin: Lisa Kögeböhn
Broschiert: 512 Seiten
Erschienen am 25. August 2023
Verlag: eichborn

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Cleo und Frank lernen sich am Silvesterabend in einem Fahrstuhl kennen. Beide sind gerade dabei, die Party vor Mitternacht zu verlassen. Eigentlich sollte Frank nur Eiswürfel holen, doch die beiden reden so lange, dass das neue Jahr längst angebrochen ist und er sie nach Hause bringt. Sechs Monate später findet die Hochzeit des ungleichen Paares statt. Sie ist Britin, Mitte 20, eine Künstlerin - er Amerikaner, Mitte 40, Besitzer einer Werbeagentur. Doch es warten einige Herausforderungen: Frank arbeitet ununterbrochen und trinkt zu viel Alkohol, Cleo sucht nach ihrem Platz im Leben und einer erfüllenden Aufgabe. Wird es den beiden gelingen, sich dem gemeinsam zu stellen?

Der Roman beginn mit dem Kennenlernen der beiden Hauptcharaktere am Silvesterabend. Aus diesem ersten Gespräch geht der Titel des Buches hervor, die Namen Cleopatra und Frankenstein geben die beiden sich als Neckerei. Auch wenn sie aus ganz verschiedenen Welten stammen, ist die gegenseitige Faszination von Beginn an spürbar. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass das Buch nach dieser ersten Szene gleich sechs Monate in die Zukunft und zur Hochzeit der beiden springt.

Insgesamt umfasst der Roman einen Zeitraum von etwa zwei Jahren und wirft Schlaglichter auf einzelne Phasen in der Beziehung der beiden. Außerdem wechselt die Perspektive nach jedem Kapitel, sodass ich auch mehr über Cleos besten Freund Quentin, Franks Schwester Zoe, seine Mitarbeiterin Eleanor sowie über Santiago erfuhr, auf dessen Party das erste Kennenlernen stattfand. Sie alle erleben Umbrüche in ihrem Leben und treffen wegweisende Entscheidungen, bei denen ich hautnah dabei war. 

Ich hatte zu Beginn mit einem Roman gerechnet, der sich gänzlich auf die tielgebenden Figuren fokussiert und war daher zunächst irritiert, dass diese immer wieder zu Nebencharakteren degradiert werden. Nach den ersten paar Kapiteln fand ich aber zunehmend Gefallen am Stil der Autorin und ließ mich auf die Erlebnisse der ganz unterschiedlichen Personen ein. Tatsächlich fiel es bis zum Schluss schwer, einen richtigen Zugang zu Frank und Cleo zu finden. Die Kapitel rund um Zoe sowie Santiago haben mir noch besser gefallen als das dramatische Auf und Ab in der Ehe der beiden. Dem Lesesog dieses Romans konnte ich in Summe aber nach den ersten Anlaufschwierigkeiten nicht mehr widerstehen. Gern empfehle ich das Buch an alle Leser:innen weiter, die Lust haben, in ein pulsierendes New York und die Geschichten ganz unterschiedlicher Charaktere in dieser Stadt abzutauchen.

Freitag, 25. August 2023

Rezension: Cleopatra und Frankenstein von Coco Mellors

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Cleopatra und Frankenstein
Autorin: Coco Mellors
Übersetzerin: Lisa Kögeböhn
Erscheinungsdatum: 25.08.2023
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar als Klappenbroschur
ISBN 9783847901440

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Eine kleine Erbschaft hat es der 24-jährigen Britin Cleo ermöglicht nach New York zu ziehen, um dort Kunst zu studieren. Am Silvestertag begegnet sie dem zwanzig Jahre älteren Frank im Aufzug, nachdem beide eine Party vor Mitternacht verlassen haben. Während sie sich in der Stadt mühsam über Wasser hält und noch nicht weiß, wie es für sie weitergehen soll, wenn ihr Studienvisum in absehbarer Zeit abläuft, betätigt Frank sich erfolgreich als Werbetexter mit eigener Agentur. Die ungleichen Charaktere sind die titelgebenden Figuren und Protagonisten des Romans Cleopatra und Frankenstein – als Verballhornung der Vornamen gedacht - von Coco Mellors in einer gelungenen Übersetzung von Lisa Kögeböhn.

Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen springt ein Funken bei Cleo und Frank über, den ich auch als Leserin wahrnehmen konnte. Die beiden liefern sich zu Beginn ihrer neuen Freundschaft einen amüsanten Schlagabtausch, bei dem sie zugibt, dass sie sich gefühlsmäßig in Liebesdingen zurückhält, vermutlich um sich nicht zu binden und bald nicht nur das Land, sondern auch jemand Geliebtes zurückzulassen. Auch später war es für mich als Lesende nicht immer einfach, Cleos Gefühle nachzuvollziehen.

Die Protagonistin versteht es, sich mit wenigen Mitteln passend und auffallend zu kleiden, jedoch zurückhaltend aufzutreten. Aufgrund ihrer Heirat mit Frank nach nur einem halben Jahr Beziehung erhält sie eine Greencard. Sie genießt es, sich ganz ihrer Kunst hingeben zu können, Beziehungen sind für sie nachrangig. Cleo und Frank haben schwachen Seiten, respektieren aber einander. Jedoch beginnt Cleo an ihrer Liebe zu zweifeln, als Frank immer wieder über die Strenge schlägt, obwohl beide sich gerne einem ausschweifenden Lebensstil hingeben.

Coco Mellors erzählt in der zeitlichen Abfolge der Ereignisse über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren hinweg. In den Kapiteln stellt sie jeweils eine andere Person in den Fokus, einerseits Verwandte, andererseits auch Freunde, was die Geschichte abwechslungsreich gestaltet. Beispielsweise gerät Quentin, der seit langer Zeit Cleos bester Freund ist, in die Gefahr, sich mit mehr als einem Joint zu berauschen. Einige Kapitel gehören dem Koch Santiago mit dem beide Protagonisten befreundet sind und der noch nach Jahren seiner verstorbenen Frau nachtrauert. Auch Franks deutlich jünger Halbschwester Zoe steht hin und wieder im Mittelpunkt, vor allem wenn sie erneut Mittel für ihren Lebensunterhalt benötigt, den er größtenteils bezahlt.

Die Kapitel werden aus einer auktorialen Erzählperspektive heraus geschildert. Eine Ausnahme macht die Autorin bei Eleanor, der neuen Angestellten im Büro von Frank. In einer Art Flash Fiktion erzählt sie in der Ich-Form. In schneller Abfolge der geschilderten Szenen entstand bei mir beim Lesen ihr Leben, aus dem sie viele Details preisgibt.  

Ich mochte den abwechslungsreich gestalteten Schreibstil gern und verfolgte gespannt die Entwicklung jeden Charakters über die Zeit hinweg. Coco Mellors schildert Liebe in vielen Variationen und lässt ihre Figuren dabei emotionale Höhen und Tiefen überwinden, die deren Handeln meist nachvollziehbar machen.  Die Autorin verschweigt nicht die Schattenseiten, die ein Leben mit Rauschmitteln verschiedener Art nach sich zieht. Ich fragte mich beim Lesen, wie viel von dem Geschilderten sie selbst erlebt hat.

Im Buch „Cleopatra und Frankenstein“ lässt Coco Mellors die Lesenden hinter die Fassade einer Gesellschaftsschicht New Yorks schauen, die sich gerne selbst verwöhnt. Die Geschichte ist dialoglastig, wodurch genauso traurig stimmende, berührende wie auch humorvolle Szenen kreiert werden, die die Figuren mit all ihren Facetten offenbaren. Ein ergreifender Debütroman, voller Liebe und Verlangen, den ich gerne weiterempfehle.


Montag, 21. August 2023

Rezension: Tod im Museum von Meike Stoverock


Tod im Museum
Autorin: Meike Stoverock
Hardcover: 272 Seiten
Erschienen am 19. August 2023
Verlag: Klett-Cotta

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Der Hase Skarabäus Lampe ist in Überstadt als Meisterdetektiv weiterhin eine Bereicherung für die vor allem aus Hunden bestehende Polizei. Als ihn die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Vaters erreicht, trifft ihn das jedoch schwer. Zwar war das Verhältnis des rennomierten Archäologen zu seinem Sohn nicht besonders eng oder herzlich, doch damit hat niemand gerechnet. Zunächst sieht alles nach einer natürlichen Todesursache aus. Doch dann gibt es auf der Trauerfeier im Museum einen weiteren Toten. Daraufhin setzt Lampe die illustre Gästeschar im Gebäude fest, bis der Mörder gefunden ist...

"Tod im Museum" ist der zweite Fall für Skarabäus Lampe. In diesem liegen die Ereignisse des ersten Bandes schon eine Weile zurück. Der Straßenkater Teddy ist inzwischen zu Lampes festem Assistenten geworden. Mit Sorge verfolgt Lampe die Aufstände in Überstadt, denn die dringend benötigten Investitionen in die Sanierung des Arbeiterviertels werden immer wieder depriorisiert, sodass sich Krankheiten dort wie Lauffeuer ausbreiten. Dass das Museum der Stadt nicht nur eine aufwändige Sanierung der Fassade vornehmen will, sondern auch eine aufwändige Trauerfeier für ihren erfolgreichen Archäologen Archibald Lampe plant, heizt die Stimmung weiter auf.

Schnell war ich mitten in der Geschichte und lernte auf der Trauerfeier eine ganze Schar neuer Charaktere kennen, die mit dem Museum und Lampes Vater in Verbindung stehen. Da ist zum Beispiel die Museumsdirektorin Ephigynie Mahlzeit (ein Flamingo), der Kunsthändler Harpo Liechtenstein (ein Gürtelbär) oder der Wolf Graf Kritor von Lugosch, ein Förderer des Museums mit besonderem Interesse an Hälsen. Auch einige alte Bekannte wie Lampes Haushälterin Helene und Inspektor Sutton mischen wieder mit. 

Das Zusammentreffen so vieler unterschiedlicher Charaktere sorgt für zahlreiche skurrile Situationen. Die drängendste Frage ist natürlich die, ob und wem von ihnen zwei Morde zuzutrauen sind. Doch auch weitere Geheimnisse kommen während der Ermittlungen ans Licht. Da sich der Großteil der Geschichte im Museum abspielt kommt die Geschichte nach der abenteuerlichen Zirkuswelt und lebensgefährlichen Situationen etwas ruhiger daher. Das tat meiner Lesefreude keinen Abbruch. Meike Stoverock erneut einen unterhaltsamen Krimi mit einer Besetzung der besonderen Art geschrieben, in dem auch wieder so einiges an Gesellschaftskritik steckt. Ich gebe gern eine Leseempfehlung!

Freitag, 18. August 2023

Rezension: Die Bücherjägerin von Elisabeth Beer

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Die Bücherjägerin
Autorin: Elisabeth Beer
Hardcover: 432 Seiten
Erschienen am 15. August 2023
Verlag: Dumont

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Sarah hat von ihrer Tante Amalia alles gelernt, was es über den Handel und die Restauration von antiquarischen Büchern zu wissen gibt. Jahrelang haben sie zusammen gearbeitet. Doch nun ist Amalia tot, und Sarah sitzt allein mit einem Schuldenberg in dem großen Haus voller Bücher. Bis eines Tages Benjamin Ballantyne von der Britischen Bibliothek vor ihrer Tür steht. Dieser wurde von Amalia kontaktiert, weil sie scheinbar etwas über den Verbleib des verschollenen Teils der mittelalterlichen Tabula Peutingeriana wusste. Der Fund dieses Teils wäre eine wahre Sensation. Ben kann Sarah überzeugen, sich mit ihm auf die Suche zu machen, und so folgen die beiden den wenigen Anhaltspunkten, die ihre Tante hinterlassen hat.

Titel und Cover des Buches vermitteln auf den ersten Blick, dass es sich hier um eine durch und durch bibliophile Geschichte handelt. Ich als Leserin begegnete Sarah erstmals sechs Monate nach dem Tod ihrer geliebten Tante Amalia. Diese hat sich um Sarah gekümmert, seit sie als Kind ihre Eltern bei einem Unglück verloren hat. Mit der Deutung von sozialen Situationen und ihrer souveränen Bewältigung tut Sarah sich häufig schwer. Amalia hat ihr hier stets geholfen und sie in Schutz genommen. Nun ist Sarah auf sich gestellt und hat dazu noch einiges an Schulden geerbt.

Der Aussicht auf ein Abenteuer steht Sarah zunächst skeptisch gegenüber. Doch Ben kann sie überzeugen, dass der Fund des Kartenteils nicht nur von ideolischen Wert, sondern für sie auch in finanzieller Hinsicht attraktiv wäre. So beginnt schließlich ein Roadtrip gen Frankreich, der meine Neugier weckte, was die beiden wohl erleben werden. Die beiden harmonieren sehr gut miteinander. Ich fand ihre Dialoge amüsant und es war einfach schön, den vorsichtigen Beginn einer möglichen Liebesgeschichte mitzuerleben.

Die Kapitel in der Gegenwart werden sehr häufig von solchen unterbrochen, in denen sich Sarah an ihr bisheriges Leben beginnend beim Tod ihrer Eltern und ihrem Einzug bei Amalia bis hin zu den letzten Wochen mit ihr erinnert. Die Erinnerungen sind bittersüß und für Sarah ein wichtiger Teil ihrer Trauerarbeit. Auch die Beziehung zu ihrer Schwester Milena, von der sie sich distanziert hat, seit diese ihr Leben zunehmend nach den Wünschen ihres Mannes ausrichtet, wird intensiv beleuchtet. 

Für meinen Geschmack war der Anteil der Erinnerungskapitel etwas zu groß, wodurch die Dynamik des Roadtrips von Sarah und Ben immer wieder ausgebremst wurde. Ich hätte hier noch mehr Hinweise und Stationen erwartet. Die Suche gestaltet sich jedoch als eher gemächlich und erfordert wenig detektivisches Gespür. Mit der Zeit wird immer deutlicher, dass das Finden der Karte nicht das wichtigste Thema ist, sondern vielmehr Sarahs Trauerprozess und ihre Suche nach dem Leben, das sie in einer Welt ohne Amalia führen möchte. Ich habe mit der Geschichte schöne Lesestunden verbracht und empfehle es daher gerne an alle weiter, die Bücher lieben.

Mittwoch, 16. August 2023

Rezension: All die ungesagten Dinge von Tracey Lien

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: All die ungesagten Dinge
Autorin: Tracey Lien
Übersetzer aus dem Englischen: Klaus Timmermann 
und Ulrike Wasel
Erscheinungsdatum: 01.08.2023
Verlag: Piper (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783492071628
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Der Titel des Romans „All die ungesagten Dinge“ der Australierin Tracey Lien nimmt Bezug darauf, dass alle Zeugen des Mords an dem siebzehnjährigen Denny in einem Restaurant sich über den Hergang der Tötung ausschweigen. Aber unter der Oberfläche der vietnamesischen Gemeinschaft von Cabramatta, einem Ort im Südwesten von Sydney, verbirgt sich noch weitaus mehr, was unausgesprochen bleibt. Dennys Schwester Ky kehrt zur Beerdigung ihres Bruders aus Melbourne heim und hört nicht damit auf, Fragen zu stellen. Während sie unter den bei der Tat Anwesenden nach Antworten sucht, wird sie innerlich von eigener Schuld aufgerieben.

Kys Eltern sind vor dem kommunistischen Regime in Vietnam nach Australien geflüchtet. Dabei haben sie einige Zeit in einem Auffanglager verbracht. Dabei trafen sie Gleichgesinnte, die sich ebenfalls in Cabramatta niedergelassen haben. Der Roman ist weit mehr als die Aufklärung einer kriminellen Handlung. Tracey Lien, deren Namen eigene vietnamesische Vorfahren vermuten lässt und die in Cabramatta aufgewachsen ist, beschreibt die Lebensumstände in der Kleinstadt in den 1990er Jahren als sich das Drogenproblem verschärft hatte.

Die Autorin zeigt in verschiedenen Szenen, meist in Auseinandersetzung von Ky mit ihren Eltern, die sich von den Australiern unterscheidenden Lebenseinstellungen der gebürtigen Vietnamesen. Kys Eltern leben zwar bereits seit etwa zwanzig Jahren in der Wahlheimat, verbringen aber fast ihre gesamte Zeit unter Einwanderern aus dem gleichen Kulturkreis. Dabei bleibt für Kys Eltern die Verständigung auf Englisch schwierig. Obwohl sie die Sprache durchaus verstehen, fühlen sie sich beim Sprechen aufgrund ihres Akzents sofort auffällig. Sie fürchten den ihnen immer wieder entgegengebrachten Rassismus in Form von Verulkungen, über die man nicht lachen kann.

Ky versteht es als Journalistin sich gut auszudrücken. Bei ihren seltenen Aufenthalten zuhause fühlt sie sich in ihre Rolle als Kind zurückgedrängt. Immer noch hat sie sich nicht gänzlich von den an sie gestellten Erwartungen und dem dabei entstehenden Druck befreit. Ihre Eltern forderten früher von ihr, sich unter Gleichaltrigen zu integrieren und beste Noten zu erhalten, sonst drohten Strafen. Sie wollten ihr dadurch den besten Start in den Beruf bieten und ein besseres Leben als ihr eigenes. Um die althergebrachte Denkweise der Eltern aufzubrechen, fordert sie diese auf, ihren Bruder nach Feier seiner Schulentlassung mit Freunden ins Restaurant gehen zu lassen, in welchem er den Tod findet. Das bereut sie sehr.

Hauptsächlich nimmt die Geschichte Ky in den Fokus. Mehrere Perspektivenwechsel treiben die Ermittlungen vorwärts und gaben mir als Leserin mit und mit mehr über die Hintergründe des Mords preis. Kys beste Schulfreundin Minnie, die ebenfalls in Vietnam geboren ist, das Zerbrechen der Freundschaft und Minnies darauffolgenden Anschluss an einen neuen Freundeskreis bieten den Schlüssel zu der erschreckenden tödlichen Handlung im Gasthof.

Mit ihrem Roman „All die ungesagten Dinge“ hat Tracey Lien ein bewegendes Debüt geschrieben. Die Handlung wirkt authentisch und nachvollziehbar, denn hier bringt die Autorin eigenes Wissen über das Umfeld ein.  Zwar wird im Buch ein Mord geklärt, aber die Erzählung hat ihren Fokus auf der Geschichte der Migration vietnamesischer Auswanderer in den 1970er in Australien und dem Umgang der nächsten Generation mit dem kulturellen Erbe der Eltern. Mich hat die einfühlsame Schilderung der Ereignisse berührt und zum Nachdenken über die Situation heutiger Flüchtlinge gebracht. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.


Dienstag, 15. August 2023

Rezension: Die Bücherjägerin von Elisabeth Beer

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Bücherjägerin
Autorin: Elisabeth Beer
Erscheinungsdatum: 15.08.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832166380
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Die Suche nach dem verschwundenen wertvollen Teil einer alten kartografischen Darstellung wirbelt das Leben von Sarah von Richtershofen, der Protagonistin des Romans „Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer, ordentlich durcheinander. Sie restauriert Bücher und handelt mit Antiquitäten, genauso wie ihre Tante Amalia es immer gemacht hat. Mit zehn Jahren wurden sie und ihre jüngere Schwester Milena zu Waisen. Amalia nahm beide damals bei sich auf und wurde ihnen zur Mutter.

Sarah trat später beruflich in die Fußstapfen ihrer Tante. Für sie wird es zu einer emotionalen Herausforderung als Amalia plötzlich stirbt. Einerseits waren die beiden ein eingespieltes Team, persönlich wie auch beim An- und Verkauf der Antiquitäten. Andererseits wirkte Amalia beruhigend auf Sarah ein, wenn dieser mal wieder in ihrem Umfeld alles zu viel wurde. Die Protagonistin hat ihre Eigenarten, vor allem bereiten ihr soziale Interaktionen Schwierigkeiten. Als der englische Bibliothekar Benjamin Ballantyne sie aufsucht und ihr davon erzählt, dass Amalia ihn wegen einer alten Karte kontaktiert hat, lässt sie sich darauf ein, ihm beim Auffinden derselben behilflich zu sein.

Die Autorin hat ihrer Protagonistin einen interessanten, weniger üblichen Beruf gegeben und mich auf die Tabula Peutingeriana, um die es im Buch immer wieder geht, aufmerksam gemacht. Dazu vermittelte sie mir einiges an Hintergrundwissen zu dieser Karte. Doch die Suche an sich drängt sich bei der Geschichte nicht in den Vordergrund, sondern das bisherige Leben von Sarah und ihr Umgang mit dem Tod ihrer Tante.

Die Hauptfigur erzählt das Geschehen in der Ich-Form. Um einen Eindruck von ihren besonderen Wesenszügen zu erhalten, fügt Elisabeth Beer mehrfach Kapitel ein, in denen die Handlung nicht fortgesetzt wird, sondern Sarah beispielsweise Listen aufführt, in denen sie ihre Gedanken zu einem bestimmten Thema festhält oder ihre Arbeitsweise erklärt. Immer wieder lässt die Autorin die Protagonistin zurückschauen und dadurch erfuhr ich zunehmend mehr über die Probleme, mit denen Sarah bereits in der Schule mit den MitschülerInnen zurechtkommen musste. Auch in Liebesdingen entwickelte sie eine eigene Art, um Nähe zu erfahren. Nachdem ihr Benjamin immer sympathischer wird, nutzt sie ihre bisher gewonnenen Erfahrungen, um sein Verhalten ihr gegenüber zu deuten.

Bei all ihren Sorgen weiß die Protagonistin jedoch, dass sie sich nicht nur auf Amalia, sondern auch auf ihre Schwester verlassen kann, was ihr Halt im Leben gibt. Amalia hat den Schwestern immer das Gefühl gegeben, dass sich für jedes Problem eine Lösung bieten wird. Routinen erleichtern Sarah den Tagesablauf. Sie denkt eher rational und löst Konflikte gerne dadurch, indem sie ihren Gesprächspartner auf direktem Weg darauf anspricht, was einige Male ihr Gegenüber verwundert, für mich als Leserin aber manchmal erheiternd war.

Die Autorin lässt Sarah in einer Kölner Villa wohnen, die ein passendes Ambiente bietet. Die dort lagernden Antiquitäten in Papierform riefen mir den Duft alter Bücher in die Nase. Auf der Reise nach Frankreich, wohin die Suche die Protagonistin führt, erhält sie Unterkunft bei einem Freund, der in einem schlossartigen Gebäude lebt. Vor meinen Augen entstand eine friedvolle Idylle. Der englische Landsitz, den sie später besucht, fügte sich in das Ensemble markanter Orte gelungen ein.

Der Roman „Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer erzählt von der Suche nach einem verschwundenen Teil einer alten Landkarte. Die mir sympathische Titelgeberin Sarah, die sich ihrer Einzigartigkeit bewusst ist, und ihre bewegte Vergangenheit stehen dabei im Mittelpunkt. Die Restauratorin entdeckt auf ihrem Weg, das verschollene Stück aufzustöbern, das, was für sie wichtig im Leben ist. Gerne empfehle ich dieses einfühlsam und warmherzig erzählte Buch weiter.


Montag, 14. August 2023

Rezension: Zwischen den Sommern von Alexa Hennig von Lange

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Zwischen den Sommern
Autorin: Alexa Hennig von Lange
Erscheinungsdatum: 01.08.2023
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832181697
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Es ist das Jahr 1939 und die Zeichen stehen auf Krieg. Das merkt auch Klara, eine der Protagonistinnen des Romans „Zwischen den Sommern“, dem zweiten Band der Heimweh-Trilogie von Alexa Hennig von Lange. Beim Betrachten des Buchumschlags fiel mir auf, dass die abgebildete weibliche Person, anders als beim ersten Teil „Die karierten Mädchen“, an die Hand genommen wurde. Später erfuhr ich beim Lesen der Geschichte, dass Klara ihren geliebten Gustav, den sie liebevoll „Täve“ nennt, heiratet und auch ein erstes Kind nicht lange auf sich warten lässt. Der Bände lassen sich unabhängig voneinander lesen.

Ihrer Aufgabe als Leiterin eines Frauenbildungsheims wird Klara weiterhin gerecht. Sie ist stolz über die von ihr erreichte Position und übt ihren Beruf mit Freude, aber auch Pflichtbewusstsein aus. Über die Jahre hinweg hat sie sich der Reglementierung durch die Nationalsozialisten in immer mehr Bereichen des täglichen Lebens anzupassen gewusst. Dabei hat sie das Wohl ihrer Schülerinnen immer im Blick gehabt. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt sie vor neue Herausforderungen, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Ein neunjähriges jüdisches Mädchen, dass sie als Tochter vor Jahren angenommen hat, versucht sie über ein jüdisches Waisenhaus nach England in Sicherheit zu bringen. Die Sorge um das Kind begleitet sie ständig und ebenso der Zweifel, ob ihr Handeln richtig war.

Auf einer zweiten Zeitebene erzählt Alexa Hennig von Lange von Isabell, der Enkelin von Klara, die ihre Großmutter tot auffindet. Sie entdeckt zahlreiche Kassetten, die ihre Oma mit ihrer Lebensgeschichte besprochen hat. Dabei lernt sie Großmutter von einer anderen Seite kennen. Die ihr manchmal streng und hartherzig erscheinende Großmutter offenbart ihre Gefühle, während sie über ihre Erinnerungen redet.

Meiner Meinung nach gelingt es der Autorin im zweiten Band noch besser als im ersten herauszuarbeiten, mit welcher schwierigen Aufgabe Klara betraut war. Einerseits hatte sie sich an die durch die Partei gesetzten Vorschriften zu halten, andererseits nahm sie durchaus wahr, dass die Vorgaben nicht immer gerecht und rechtfertigt waren. Dennoch war ihr bewusst, dass Zuwiderhandlungen bemerkt und mit einer sofortigen Strafe belegt werden würden. Nach außen spielte sie ihre Rolle, auch um die unter ihrer Obhut gestellten Schülerinnen zu schützen, innerlich war sie jedoch im ständigen Zweispalt und haderte wie viele andere damit, keinen Widerstand zu leisten. Auch diesmal bietet ihre langjährige Freundin Susanne wieder Gelegenheit die Weltlage kontrovers zu diskutieren.

Alexa Hennig von Lange zeigt sowohl Klara als auch Isabell im Umgang mit dem Nachwuchs. Ich fand es schön zu sehen, dass die Liebe zu allen Zeiten eine sichere Konstante für die Heranwachsenden ist, auf die sie aufbauen können. Der Weltkrieg zerstörte manche Zukunftsvorstellung der Haushaltsschülerinnen von Klara, doch sie versuchte durch eine nach außen gezeigte Zuversicht, ihnen Mut zu verleihen und die Hoffnung auf andere Zeiten aufrecht zu erhalten. Auch bei deren Abwesenheit wissen sowohl Klara wie auch Isabell, dass sie von ihren Partnern nach Möglichkeiten Unterstützung erhalten, was ihnen selbst Halt gibt. Auf beiden Handlungsebenen erzählt die Autorin chronologisch bis nahe zum Ende des Kriegs.

Der Roman „Zwischen den Sommern“ von Alexa Hennig von Lange setzt sich noch intensiver als der erste Band der Heimweh-Trilogie mit dem inneren Konflikt auseinander, den Klara, eine der Protagonistinnen, als angepasst agierende Leiterin einer Frauenbildungsanstalt zu Zeiten des Nationalsozialismus mit sich austrägt. Dadurch, dass die Großmutter der Autorin gesprochene Zeitzeugnisse hinterlassen hat, auf denen die Erzählung basiert, kam die Geschichte sehr authentisch und realistisch bei mir als Leserin an. Ich freue mich schon sehr auf den abschließenden Band und vergebe gerne eine Leseempfehlung für den vorliegenden mit dem zusätzlichen Tipp, ebenfalls den ersten Teil zu lesen.


Mittwoch, 2. August 2023

Rezension: Die Fabrik der süßen Dinge - Helenes Hoffnung von Claudia Romes

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Fabrik der süßen Dinge
Autorin: Claudia Romes
Erscheinungsdatum: 18.07.2023
rezensierte Ausgabe: Taschenbuch mit Klappen
ISBN: 9783746639437
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Der Vater von Helene von Ratschek, der Protagonistin des historischen Romans „Die Fabrik der süßen Dinge“ von Claudia Romes, betreibt in Köln ein Süßwarenunternehmen in zweiter Generation. Für ihn steht fest, dass seine beiden Söhne die Firma weiterführen werden. Er ordnet an, dass seine einzige Tochter einen Zulieferer heiratet, wodurch im Nebeneffekt die Geschäftsbeziehungen gefördert werden. Das Buch trägt den Untertitel „Helenes Hoffnung“, dementsprechend sie nicht als Hausfrau und Mutter, deren Meinung in der Firma nicht zählt, ihr Leben verbringen möchte. Sie will ihr Talent als Bonbonmacherin zeigen und Anteil an der Führung des Familienunternehmens erhalten. Doch zunächst scheint sich alles gegen sie verschworen zu haben, bis sie gewisse Entscheidungen selbst in die Hand nimmt.

Claudia Romes hat mit der Protagonistin eine Figur nach historischem Vorbild geschaffen, jedoch Namen, Orte und die Zeit der Handlung verändert. Helenes Familie ist betucht und lebt dadurch im Jahr 1927 in einer Gesellschaftsschicht, bei der Mann und Frau üblicherweise die klassischen Geschlechterrollen einnehmen, ganz so wie Helenes Eltern. Von ihrem Vater wird der Protagonistin die eigene Auswahl ihres Ehemanns abgesprochen. Das ist der entscheidende Auslöser, der Helene dazu bringt, ihren eigenen Weg zu suchen.

Helene findet unter neuem Namen ihr Glück in Hamburg. Nachdem sie dort angekommen ist, bewegt sie sich zunächst noch auf unsicheren Füßen, gewinnt aber zunehmend an Selbstsicherheit. Die Figur war mir in dieser Situation sympathisch. Helene genießt ihre Freiheiten. Sie entdeckt ihre Gefühle zu einem Mann und später noch zu einem weiteren, was sie in einen Gewissenszwiespalt bringt. Während sie in Hamburg deutlich respektvoller behandelt wird als Daheim, reift sie emotional, so dass sie traut, sich den familiären Zwistigkeiten zu stellen. Sie verzeiht, ist zu Kompromissen bereit und findet teils Anerkennung für ihr Tun. Nicht immer handelte sie so, wie ich es mir gewünscht hätte. Ob sie sich ihren Wunsch erfüllen kann, Liebe und ihre Leidenschaft für die Gestaltung von Süßigkeiten immer miteinander zu vereinbaren, wird sich in einem zweiten Band zeigen.

Im Roman „Die Fabrik der süßen Dinge“ erzählt Claudia Romes von der Hoffnung der Fabrikantentochter Helene, die ihrem Vater und den Brüdern Ende der 1920er Jahre zeigen möchte, dass sie sich als Frau gleichwertig ins Unternehmen einbringen kann. Die Geschichte liest sich locker und leicht und sorgt für einige unterhaltsame Stunden, auch wegen des ungewöhnlichen Berufs der Protagonistin und daher empfehle ich es gerne weiter.


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