Montag, 16. September 2024

Rezension: Sobald wir angekommen sind von Micha Lewinsky

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Sobald wir angekommen sind
Autor: Micha Lewinsky
Erscheinungsdatum: 24.07.2024
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Leinen und Schutzumschlag
ISBN: 9783257073157
-------------------------------------------

Micha Lewinsky legt mit seinem belletristischen Debüt „Sobald wir angekommen sind“ eine Komödie vor, die im Plot die beiden Themen „Flüchten“ und „Getrennte Familie“ zusammenbringt. Das klingt nach tiefsinnigem Hintergrund und ist es auch, wird aber vom Autor auf eine amüsante und charmante Art und Weise dargeboten.

Der Protagonist Ben ist um die fünfzig Jahre alt und Vater von zwei Kindern. Seine Tochter rosa ist im Teenageralter, sein Sohn Moritz sieben Jahre jünger. Mit einer Noch-Ehefrau Marina lebt er das Nestprinzip, während er seit längerer Zeit mit der Künstlerin Julia eine Beziehung eingegangen ist. Der Krieg in Osteuropa beunruhigt ihn. Als es dort eines Tages zu strittigen Einschlägen kommt, kauft Marina spontan Flugtickets. Ben scheint geradezu erleichtert zu sein, dass die von ihm bereits lange in Betracht kommende Flucht, zu der er sich in jüdischer Tradition verpflichtet fühlt, nun endlich beginnt. Es bleibt ihm keine Zeit Julia zu kontaktieren, denn für ihn steht fest, dass die Sicherheit seiner Kinder an erster Stelle steht.

Bens liebster Schriftsteller ist Stefan Zweig. An ihm nimmt er sich ein Beispiel für eine gelungene Flucht und möchte auf seinen Spuren wandeln. Wie sein Vorbild schaut er nicht gerne genauer hin, wenn er sich einmal eine Vorstellung gebildet hat. Das entspricht seiner Erziehung, denn ihm wurde beigebracht, interessant zu sein, nicht interessiert. Eigentlich nimmt Ben sich gerne Vorbilder, jedoch nicht ohne deren Handeln vorher auf die Goldwaage zu legen. Mit Marina war er lange auf einer Welle, bevor die Geburten der Kinder ihre traute Zweisamkeit auf ein neues Niveau brachten. Jetzt bewundert er, wie Julia ihre Karriere vorantreibt. Seine Eltern sind für ihn Respektspersonen. Er ist unentschlossen, wie auch sonst häufig, um seinen erfolgreichen, betuchten Vater um Hilfe zu bitten, weil er eventuelle Konsequenzen fürchtet, ohne genau zu wissen, wie diese aussehen könnten.

Micha Lewinsky lässt seine Hauptfigur einige Erfahrungen sammeln, die Ben sich rückblickend lieber erspart hätte, wodurch der Roman aber sehr abwechslungsreich mit vielen überraschenden Wendungen gestaltet ist. Mit seinem Kinderbuch hatte Ben großen Erfolg gehabt, aber seitdem ist ihm kein großer Wurf mehr gelungen. Ihm ist bewusst, dass ihm der Antrieb fehlt, dennoch gibt es immer noch Personen in seinem Umfeld, die auf ihn bauen und in der Geschichte immer wieder Hoffnung aufkeimen lassen, dass Ben nicht verloren geht. Beim Nachdenken über einen neuen Roman und auch bei der Flucht, ist eine Sehnsucht in ihm zu spüren, jüdisch zu leben. Noch nie hat er sich so intensiv wie aktuell mit seiner Religion auseinandergesetzt.

An verschiedenen Stellen spricht der Autor sehr unterschiedliche kontroverse Sachverhalte wie beispielsweise die Klimakrise, Erziehung und Romantik an. Micha Lewinsky hat seinem Protagonisten den gleichen Beruf wie er selbst ihn ausübt als Schriftsteller und Drehbuchautor gegeben. Die Darstellung der Karriere seines Protagonisten mit Höhen und Tiefen, immer auf Erfolg hoffend und doch einem Misslingen ständig nah, ist realistisch und nachvollziehbar.

Der Roman „Sobald wir angekommen sind“ von Micha Lewinsky zeigt mit seiner Hauptfigur, wie eine angespannte Weltlage zu Verunsicherung führen kann. Mit amüsantem Unterton beschreibt er, wie der Autor und Schriftsteller Ben durchs Leben taumelt, bis er einige Erkenntnisse durch seine Flucht gewinnt, die sein Selbstvertrauen stärken. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Mittwoch, 11. September 2024

Rezension: Tee für die Geister von Chris Vuklisevic


Tee für die Geister
Autor: Chris Vuklisevic
Übersetzerin: Maria Hoffmann-Dartevelle
Hardcover: 464 Seiten
Erschienen am 11. September 2024

----------------------------------------

Die in Nizza lebende Félicité ist als Geisterschleuserin tätig: Im Auftrag ihrer Klienten macht sie Geister ausfindig, die vor der Beendigung eines Satzes gestorben sind. Mit ihrem besonderen Tee, den auch Geister trinken können, bringt sie diese zum Reden und hilft ihnen hinüber. Sie stammt aus einem abgelegenen Bergdorf, in das sie gelegentlich zurückkehrt, um ihre Mutter zu besuchen. Diese ist die einzige verbleibende Bewohnerin des Dorfes und doch meist nicht anzutreffen, denn seit vielen Jahren teilt sie sich ihren Körper mit über fünfzig anderen Persönlichkeiten. In einem verzweifelten Versuch, sie zum Reden zu bringen, geht Félicité unabsichtlich zu weit – kurz stirbt ihre Mutter einen gewaltsamen Tod. Félicité will mehr über die Umstände herausfinden und informiert außerdem ihre Zwillingsschwester, zu der sie seit dreißig Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Diese führt ein Hexenleben tief im Wald, nachdem sie ihr Leben lang nur Ablehnung erfahren hat. Denn bei jedem Wort entschlüpft ihrem Mund ein Schmetterling, der Zerfall bringt, und ihre Wutanfälle bringen ungeahnte Zerstörung. 

Zu Beginn des Romans wurde ich von einem Erzähler angesprochen, der sich selbst nicht vorstellt. Er kündigte an, mir die Geschichte von zwei Schwestern zu erzählen, die Geister jagen und die mit den seltsamen Ereignissen im Bergdorf Bégoumas in Verbindung stehen, dessen Bewohner es im Jahr 1956 innerhalb eines Tages verlassen haben. Schnell wurde klar, dass mich eine rätselhafte Geschichte voller Mysterien erwartet. Die Erzählung springt in der Zeit hin und her, sodass ich parallel zu den Ereignissen rund um den Tod der Mutter von Félicité und ihrer Schwester auch mehr über die Geburt und das Aufwachsen der Zwillinge erfuhr. Diese Puzzlestücke fügen sich langsam zusammen, sodass sich das Bild einer komplexen Familiendynamik ergibt, in welcher es noch mehr außergewöhnliche Umstände gibt als zunächst gedacht.

Ich habe mich gerne auf diesen literarisch-magischen Roman eingelassen. Félicité und ihre Schwester sind Licht und Schatten. Während Félicité stets gefördert wurde und zahlreiche Klienten hat, für die sie Geister mit ihrem Tee zum sprechen bringt, ist ihre Schwester von Beginn an eine Ausgestoßene. Ihre Beziehung war und ist kompliziert und ich konnte gut nachvollziehen, dass Félicité auf der einen Seite die Nähe zu ihrem Zwilling sucht und zum anderen von deren Fähigkeiten abgestoßen wird. Ihre Schwester ist jedoch nicht die böse Hexe, die manch einer in ihr sehen will, sondern vielmehr ein tragischer Charakter, der stets Ablehnung erfahren hat. 

Auf ihrer gemeinsamen Reise erhalten die beiden die Chance, ihre Schwesternbeziehung neu zu definieren und gleichzeitig mehr über die Vergangenheit ihrer Mutter und deren Familie herauszufinden. Hier wartet so manche Überraschung, die oftmals nicht von dieser Welt scheint. Gelegentlich war mir die Geschichte etwas zu verworren. Insgesamt wurde mir ein ungewöhnlicher Familienroman mit fantastischen Elementen geboten, der ein Leseerlebnis der anderen Art bietet. Wer Lust hat, sich darauf einzulassen, der wird mit einer berührenden Geschichte voller Überraschungen belohnt, in der es so einiges zu erkunden und aufzudecken gibt.

Mittwoch, 4. September 2024

Rezension: Agency for Scandal von Laura Wood

 

Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Agency for Scandal
Autorin: Laura Wood
Übersetzerin: Petra Koob-Pawis
Erscheinungsdatum: 28.08.2024
Verlag: Fischer Sauerländer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur mit Deko-Umschlag der Erstauflage
ISBN: 9783737343893

-------------------------------------------------------------------------

Die Handlung des Romans „Agency for Scandal“ von Laura Wood ist im viktorianischen England angesiedelt, in einer Zeit, zu der arrangierte Ehen keine Seltenheit sind und Angehörige des Adels darauf bedacht, nicht unter Stand zu heiraten. Einerseits sichern sie dadurch ihren Lebensstandard, andererseits bewahren sie dabei ihr Ansehen in der High Society.

Die 18-jährige Izzy Stanhope ist die Tochter eines niederen Barons, der vor zwei Jahren verstorben ist. Sein Tod hat ihr offenbart, dass die Familie verarmt ist, aber Izzy versucht, diese Tatsache vor ihrer kranken Mutter und ihrem jüngeren Bruder zu verbergen. Es ist nicht leicht für sie, jeden Monat die von ihrer Familie benötigten finanziellen Mittel zu besorgen. Einen geliebten und betuchten Mann zu heiraten, hält sie fast für unmöglich, weil sie weiß, dass sie keine „gute Partie“ ist.

Das Hobby von Izzys Vater war es, Schlösser zu knacken. Er hat ihr viele Tricks gezeigt. Ihr Können führt dazu, dass sie von der „Agency for Scandal“ angeworben wird. Die Detektei beschäftigt ausschließlich Frauen, die sich für benachteiligte Personen ihres Geschlechts der höheren Gesellschaftsschicht einsetzt und Diebstahl, Untreue, aber auch Mordfälle aufzuklären. Izzy gehört zu einem Team. Sie weiß sich geschätzt und fühlt sich wohl dabei, für Gutes einzutreten, wobei sie moralischen Überlegungen zur Seite schiebt. Als sie jedoch dabei helfen soll, das Geheimnis einer Brosche aufzuklären, sieht sie ausgerechnet den seit langem von ihr geschätzten und heimlich bewunderten Duke in die Ereignisse verwickelt.

Laura Wood findet einen Weg Romantik und Spannung auf perfekte Weise zu kombinieren. Die Geschichte wird von Izzy in der Ich-Form erzählt. Am Beginn schildert sie ihre missliche Lage und gewann meine Sympathie. Sie ist selbstbewusst und äußerst clever dabei, ihre zahlreichen Geheimnisse vor anderen zu verbergen. Aber sie hat auch oft genug Angst davor, bis hin zur Panik, dass ihr Schreckliches widerfährt, was die unterschwellige Spannung im Buch steigerte. Interessant fand ich es, dass die Autorin die Mitarbeiterinnen der Agentur mit Ecken und Kanten schildert und die Figuren nicht immer nur in Harmonie zusammenarbeiten.

Neben den Ermittlungen bindet die Autorin eine verträumte und verspielte Liebe der Protagonistin ein. Das Geplänkel von Izzy und dem von ihr Angeschmachteten bringt manche amüsante Situation. Anders als bei der im Buch erwähnten Schriftstellerin Emily Bronte wählt Laura Wood eine moderne Sprache mit der sie die Atmosphäre der damaligen Zeit realistisch wiedergibt. Die Beschreibungen von Mode, Ausstattung der Räumlichkeiten sowie kulturelle und politische Gegebenheiten lassen beim Lesen einen passenden Rahmen für die Handlung im Kopf entstehen.

Mit ihrem Genremix „Agency for Scandal“ verbindet Laura Wood spannende Ereignisse in einem vielschichtigen Ermittlungsfall mit einer Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen. Sie hat beste Unterhaltung mit humorvollen Szenen für alle ab 13 Jahren geschrieben, die es lieben, in die vergangene Zeit der 1890er Jahre einzutauchen, Mit Izzy Stanhope agiert eine auf ihre Unabhängigkeit bedachte Frau in der damals ungewöhnlichen Welt einer weiblichen Agentur, die Skandale der höheren Gesellschaftsschicht aufklärt und dabei manchmal auch förmlich über Leichen geht. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.


Dienstag, 3. September 2024

Rezension: Zwei in einem Leben von David Nicholls


Zwei in einem Leben
Autor: David Nicholls
Übersetzerinnen: Simone Jakob und Anne-Marie Wachs
Hardcover: 448 Seiten
Erschienen am 28. August 2024
Verlag: FISCHER Krüger
Link zur Buchseite des Verlags

----------------------------------------

Marnie ist achtunddreißig Jahre alt und arbeitet als Lektorin in London. Die Scheidung von Neal ist schon einige Jahre her. Da sie ihren Job aus dem Homeoffice erledigt, hat sie nicht viele Sozialkontakte. Am Neujahrstag nimmt sie sich vor, wieder mehr unter Menschen zu kommen, und stimmt daher dem Vorschlag ihrer Freundin Cleo zu, sie drei Tage auf einer Wanderung  im Norden Englands zu begleiten. Mit dabei sind außer Cleo und ihrem Sohn Anthony noch Conrad und Michael. Letzterer ist Erdkundelehrer und steckt mitten in einer Scheidung. Er hat sich vorgenommen, das Land von der Irischen See bis zur Nordsee zu durchqueren und gibt sich dabei in der Gruppe wenig gesellig. Doch dann steigt der Rest der Gruppe am zweiten Tag wegen des schlechten Wetters aus, und Marnie und Michael sind plötzlich allein unterwegs. Die beiden kommen ins Gespräch und merken allmählich, dass sie vielleicht doch auf einer Wellenlänge sind.

Der Roman ist abwechselnd aus der Sicht von Marnie und Michael geschrieben, die sich über ihre gemeinsame Freundin Cleo beim Wandern kennenlernen. Während Marnie den Großteil ihrer Zeit in ihrer Londoner Wohnung verbringt, liebt Michael das Wandern und die Natur. Eher widerwillig hat er zugestimmt, dass er bei seiner Wanderung begleitet wird, und belächelt die nagelneue Funktionskleidung und die viel zu voll gepackten Rücksäcke der anderen. Er freut sich schon darauf, nach drei Tagen allein weiterzuwandern. Ich konnte mich gut in die beiden und ihre unterschiedlichen Erwartungen im Hinblick auf die Wanderung hineinversetzen.

Natürlich ist es vorhersehbar, dass es nicht bei dem ursprünglichen Plan bleibt. Marnie und Michael sind schon bald allein unterwegs. Da die beiden nicht erwarten, dass es zwischen ihnen funken könnte, gehen sie zunehmend offen und unbefangen miteinander um. Ich habe sie gerne auf ihrem Weg begleitet. Die Wanderung bietet einige unterhaltsame und auch herausfordernde Situationen, denen sie sich stellen müssen. Als Leserin war mir schnell klar, dass die beiden einander gut tun und ich hoffte mit, dass sie ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangen. David Nicholls bietet ein unaufgeregtes und gleichzeitig berührendes Leseerlebnis. Zum Ende hin gibt es eine unerwartete Wendung, nach welcher das Buch für meinen Geschmack etwas zu schnell zum Abschluss kommt und das weitere Schicksal der Charaktere der Fantasie der Leser:innen überlässt. Insgesamt habe ich diesen emotionalen und kurzweiligen Roman sehr gern gelesen und mit Marnie und Michael die Wanderwege Nordenglands und die Frage, was das Leben noch für sie bereithalten könnte, erkundet.


Freitag, 30. August 2024

Rezension: Blue Sisters von Coco Mellors


Blue Sisters
Autorin: Coco Mellors
Übersetzerin: Lisa Kögeböhn
Hardcover: 443 Seiten
Erschienen am 30. August 2024

----------------------------------------

Die Schwestern Avery, Bonnie, Nicky und Lucky Blue sind in New York in einer Drei-Zimmer-Wohnung aufgewachsen. Ihre Mutter hat sich mehr um den alkoholkranken Vater gekümmert als um die Schwestern, weshalb Avery als Älteste diese Rolle ausgefüllt hat, bevor sie mit 19 ausgezogen und einige Zeit untergetaucht ist. Als Nicky mit Mitte 20 stirbt, erschüttert das die Leben der anderen Schwestern in ihren Grundfesten. An Nickys erstem Todestag verkündet ihre Mutter, dass die die Wohnung in New York, in der zuletzt nur noch Nicky lebte, verkaufen zu wollen. Die drei Schwestern, die über den Globus verteilt sind und zuletzt nur sporadisch Kontakt pflegen, müssen sich entscheiden, ob sie noch einmal in die Wohnung zurückkehren und Nickys Sachen durchsehen möchten. 

Nach einem kurzem Prolog, der mir in aller Kürze einen Überblick gab, wer die einzelnen Schwestern sind und was sie bislang erlebt haben, beginnt die Geschichte an Nickys erstem Todestag. Die Kapitel sind abwechselnd aus den Perspektiven von Avery, Bonnie und Lucky geschrieben, sodass ich die Gelegenheit hatte, jede von ihnen besser kennenzulernen. 

Die drei haben alle mit ihren ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Avery ist Anwältin und lebt mit ihrer Frau Chiti in London. Nachdem sie in ihren Zwanzigern eine Weile heroinabhängig war und auf der Straße lebte ist sie seit mehreren Jahren clean und hat Karriere gemacht. Doch Chtis Kinderwunsch wird immer größer und Avery weiß nicht, ob sie Mutter sein will. Bonnie war eine erfolgreiche Profiboxerin, bevor sie kurz nach Nickys Tod einen Kampf verloren und ihre Karriere beendet und den Kontakt zu Pavel, der sie jahrelang trainiert hat, abrupt abgebrochen hat. Jetzt arbeitet sie als Türsteherin. Lucky ist ein erfolgreiches Model, doch ihre zunehmend ausschweifenden Alkohol- und Drogenexzesse machen sie unzuverlässig und ihre Agentur droht, sie fallenzulassen.

Es gibt also einiges an Erzählstoff und ich war neugierig, wie sich die Leben der Drei weiter entwickeln werden. Nickys Tod hat sie alle erschüttert, aber ansonsten sieht es zunächst nicht so aus, als würden die Geschichten der Schwestern zusammenfinden, von einzelnen Telefonaten abgesehen. Das ändert sich jedoch im Laufe der Geschichte. Bis dahin durchlebte ich mit den Charakteren Ups and Downs bei ihren Versuchen, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten. Für meinen Geschmack nahm das Thema Drogen und Sucht dabei einen etwas zu großen Teil ein, ich hätte mir hier noch mehr unterschiedliche Themen gewünscht. Insgesamt hat mir der einfühlsame Ton der Geschichte gefallen. Ich fand es interessant zu beobachten, wie sich das Verhältnis der Schwestern zueinander verändert und sie sich schließlich gegenseitig Kraft geben können, um trotz der erlebten Verluste ihren Weg weiterzugehen. Ein Roman für alle, die in eine emotionale und moderne Familiengeschichte eintauchen möchten.


Donnerstag, 29. August 2024

Rezension: Das größte Rätsel aller Zeiten von Samuel Burr

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Das größte Rätsel aller Zeiten
Autor: Samuel Burr
Übersetzer: Karl-Heinz Ebnet
Erscheinungsdatum: 13.08.2024
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832182236
-----------------------------------------------------------------

Vor der Villa, in der einige Rätselmacher*innen in Bedfordshire leben, findet eine von ihnen an einem Tag im Jahr 1991 auf den Eingangsstufen eine Hutschachtel, in der ein Baby abgelegt ist. So beginnt der Roman „Das größte Rätsel aller Zeiten“ von Samuel Burr. Die Finderin Pippa Allsbrooks ist zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alt. Für sie erfüllt sich mit dem Fund ein Herzenswunsch. Den Jungen nennt sie Clayton mit Vornamen und er erhält den Nachnamen Stumper, weil es eine knifflige Frage ist, wer ihn vor der Haustür abgelegt hat.

Clayton ist 25 Jahre alt, als seine Ziehmutter stirbt. Er ist im behüteten Umfeld der etwa acht Rätselmacher aufgewachsen, die inzwischen alle im betagten Alter sind. Pippa hat ihm nie verraten, wer seine Eltern sind, für ihn ist das, entsprechend dem Buchtitel, das größte Rätsel aller Zeiten. Pippa vermacht ihm ein von ihr über Monate hinweg geplantes, mehrstufiges Rätsel. Um die Lösungen zu finden, von denen er hofft, dass sie ihm letztlich seine Herkunft offenbaren, muss er sich zum ersten Mal im Leben allein auf den Weg begeben. Die Rätselmacher waren beim Aufwachsen von Clayton immer an seiner Seite und daher erzählt der Autor in einem zweiten Handlungsstrang davon, wie es dazu kam, dass Pippa die Gemeinschaft gegründet hat und alle zusammen in einem Haus leben.

Neben Pippa und Clayton als Hauptfiguren, hat Samuel Burr eine Reihe weiterer liebenswerter Rätselmacher geschaffen, die alle Ecken und Kanten besitzen. Sie sind bei der von ihnen gewählten oder entwickelten Form von Rätseln wahre Meister. Beispiele unterschiedlicher Art zu Knobeleien gibt es im gesamten Roman, sei es ein Kreuzworträtsel, ein Labyrinth, aber auch ein Gitterrätsel. Wer möchte, kann miträtseln, wer sich lieber dem Sog der Geschichte hingibt, kann sich über kurz oder lang die Lösungen erlesen.

In der Vergangenheit hatten die Hausbewohner mit unterschiedlichen Sorgen zu kämpfen, vor allem fehlten finanzielle Mittel für Reparaturen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich über einen respektvollen Umgang miteinander ein freundschaftliches Gemeinschaftsgefühl. Das Stillschweigen über bestimmte Angelegenheiten bereitet in dieser Zeit ein großes Problem. Offene Gespräche bewähren sich als friedensstiftend und lösungsgebend.

Pippa ist intelligent und beharrlich. Sie weiß genau, an welchen lebenswichtigen Fertigkeiten es Clayton mangelt. Durch ihre Rätsel führt sie ihn genau an solche Orte, an denen er fehlende Kompetenzen. Clayton lernt auf diese Weise ständig neue Seiten an sich kennen und entdeckt bisher ungeübte Gefühle. Beide Figuren wurden mir sympathisch.

Der Roman „Das größte Rätsel aller Zeiten“ von Samuel Burr ist eine einfühlsam geschriebene Geschichte über eine Gemeinschaft von Rätselmachern und dem verständnisvollen Umgang miteinander, über Freundschaft und Selbstfindung. Ungewöhnlich sind die Rätsel zum Mitdenken, die der Protagonist zu lösen hat, um seine Herkunft zu klären und die von Beginn an für eine anhaltend hintergründige Spannung sorgen. Gerne empfehle ich das Buch weiter. 

Mittwoch, 28. August 2024

Rezension: Das Wesen des Lebens von Iida Turpeinen


Das Wesen des Lebens
Autorin: Iida Turpeinen
Übersetzer: Maximilian Murmann
Hardcover: 320 Seiten
Erschienen am 28. August 2024
Verlag: S. FISCHER Verlage
Link zur Buchseite des Verlags

----------------------------------------

Im Jahr 1741 begeben sich zwei Schiffe von der Küste Kamtschakas zu einer Forschungsreise auf, um die Küste Amerikas zu erkunden. An Bord der "Swjator Pjotr", dessen Kapitän Vitus Bering ist, befindet sich auch der Naturforscher Georg Wilhelm Steller. Er möchte möglichst viele neue Tiere und Pflanzen entdecken. Doch die Zeit auf amerikanischem Boden ist kurz, und die Rückreise gestaltet sich als schwierig. Die verbleibende Mannschaft strandet auf einer unbewohnten Insel und harrt dort monatelang aus. Vor Ort entdeckt Steller gewaltige, friedliche Seekühe. Aus Forschersicht ist es ein spannender Fund, für die schiffbrüchige Mannschaft aber vor allem eine sehr gute Nahrungsquelle. Rund hundert Jahre später ist Stellers Seekuh eine Legende, die seit Jahrzehnten niemand mehr gesehen hat. Der Wunsch ist groß, wenigstens ein Skelett zu finden, um zu belegen, dass die Art tatsächlich existiert hat. Ihr Schicksal ist nur eins von vielen Arten, die unter Beteiligung des Menschen ausgestorben sind.

Das Cover erinnert mich ein wenig an "Das Jahr des Dugong" von John Ironmonger und ich erwartete eine Geschichte, die sich ähnlich wie die Bücher des besagten Autors mit den Folgen des menschlichen Handelns auf die Natur beschäftigt. Den Rahmen des Debütromans von Iida Turpeinen bildet das Skelett von Stellers Seekuh, das heute im naturhistorischen Museum von Helsinki zu sehen ist. Die Autorin nahm mich als Leserin mit ins Jahr 1741 ihrer Entdeckung durch den Naturforscher Steller. 

Es gibt keine Dialoge, sondern eine allwissende Erzählstimme, die mich mit durch die Jahrzehnte nahm. Aus meiner Sicht befindet sich der Roman damit an der Grenze zum erzählenden Sachbuch. Nach der Forschungsreise im Jahr 1741 gibt es im zweiten Teil einen Sprung  ins Jahr 1859, wo der neue Gouverneur von Alaska gebeten wird, nach dem Skelett der Seekuh zu suchen. Auch im Jahr 1861 und in den 1950er Jahren lernte ich Charaktere kennen, deren Lebensweg mit dem der Seekuh verbunden ist. Durch die Erzählweise erfuhr ich viel Wissenswertes, baute zu den Charakteren aber keine engere Beziehung auf und erlebte Momente, in welcher sich die Geschichte etwas in die Länge zog.

Das Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie der Mensch dazu beiträgt, dass Tierarten aussterben. War man früher noch der Überzeugung, dass lang nicht gesichtete Tiere sich neue Lebensräume gesucht und bloß nicht gefunden wurden, hat erst allmählich die Erkenntnis eingesetzt, wie groß und endgültig der menschliche Einfluss hier ist. Stellers Sehkuh ist dabei ein gutes Beispiel, deren Schicksal ins Nachdenken bringt. Auch das Aussterben anderer Arten wird thematisiert, im letzten Teil gibt es zum Beispiel Einblicke in die Konsequenzen des Trends im 20. Jahrhundert, Vogeleier zu sammeln und auszupusten, wodurch ebenfalls Arten ausgestorben sind. Insgesamt ist "Das Wesen des Lebens" ein gelungener Roman rund um das Thema des Aussterbens der Arten und wie das Forschungs-, Jagd- und Sammelverhalten des Menschen dazu seit mehreren Jahrhunderten beiträgt.

Dienstag, 27. August 2024

Rezension: Stalker - Er will dein Leben. von Arno Strobel

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Stalker - Er will dein Leben.
Autor: Arno Strobel
Erscheinungsdatum: 28.08.2024
rezensierte Buchausgabe: Paperback mit Klappen
ISBN: 9783596709236
------------------------------------------------------------

In seinem Psychothriller „Stalker“ spielt Arno Strobel erneut mit den Nerven seiner Leserschaft. Spannungsaufbauend erweitert er den Titel des Buchs mit „Er will dein Leben“, was heißt, dass ein anderer danach trachtet, die Identität des Protagonisten zu übernehmen. Die Geschichte beginnt eher ruhig und scheint aus dem alltäglichen Leben gegriffen. Doch sie enthält mehr Potential, als ein Blick durch die Jalousien eines Fensters ermöglichen würde, wie es versinnbildlichend auf dem Cover dargestellt ist.

Eric Sanders ist 44 Jahre alt, verheiratet und hat einen elfjährigen Sohn. Er ist am Münchner Residenztheater als Schauspieler angestellt. Mit einer Hauptrolle im Tatort erhofft er sich den großen Durchbruch in seinem Beruf, an den seine Frau allerdings nicht recht glauben will.

Nachdem die Sendung ausgestrahlt wurde, steigen die Followerzahlen auf seinen Social Media Kanälen in die erhofften Höhen. Doch bereits Stunden später versteht Eric die Welt nicht mehr, denn jemand beantwortet von einem Fakeprofil mit seinem Namen aus die zahlreichen Kommentare unter seinen Posts und tritt dabei angeberisch auf. Noch mehr verwirrt ist Eric, als der Kommentierende ihm eine Mail schickt und behauptet, genauso wenig der echte Eric Sander zu sein, wie er.

Zeitgleich zu diesem Geschehen befindet Eric sich in therapeutischer Behandlung, denn immer wieder träumt er nachts von dem großen Feuer in seiner Kindheit, bei dem seine Eltern ums Leben kamen. Anschließend wuchs er bei seinen Großeltern auf. Wie gewohnt, zieht der Autor langsam das Tempo der Spannung an, bis derjenige, der sich für Eric ausgibt, sich weiter erfolgreich in dessen Leben drängt. Auf einmal stehen sämtliche Erinnerungen von Eric an seine Kindheit auf dem Prüfstand.

Eric war mir am Anfang sympathisch. Ich habe ihm seinen Erfolg als Schauspieler gegönnt. Er hatte mein Mitgefühl in Bezug auf den Verlust seiner Eltern. Ich empfand es als beängstigend, wie einfach es ist, mittels eines gefakten Profils sich als ein anderer auszugeben und damit erheblichen Schaden an dessen Image ausrichten zu können. Eric erhält von Bekannten einige Vorschläge gegen die Internethetze vorzugehen. Auch die Polizei schaltet er ein. Doch der Unbekannte lässt nicht locker; die subtilen Drohungen nehmen zu und veranlassen Eric zu handeln. Es gelingt leicht, sich in die Situation hineinzudenken und die Handlungen und Gefühle des Protagonisten nachzuvollziehen.

Die Geschichte kam an einen Punkt, bei dem ich glaubte, die Lösung fassen zu können, aber das wäre bei einem Thriller von Arno Strobel zu einfach. Erneut gibt es unerwartete Wendungen und ein Ende, dass ich mir so zu keinem Zeitpunkt denken konnte. Warum ich Eric schließlich nicht mehr mochte, werden alle nachvollziehen können, wenn sie das Buch selber lesen.

Der Psychothriller „Stalker“ von Arno Strobel baut von Beginn an Spannung auf, die anhält und zum Ende hin nochmal steigt. Erneut bietet der Autor mit dem extremen Belästigen und Beschuldigen anderer in den Sozialen Medien ein aktuelles, ansprechendes Thema als Hintergrund, das viele Lesende gut nachempfinden können. Gerne vergebe ich dafür eine unbedingte Leseempfehlung an alle Thriller-Fans.

Samstag, 24. August 2024

Rezension: Das größte Rätsel aller Zeiten von Samuel Burr


Das größte Rätsel aller Zeiten
Autor: Samuel Burr
Übersetzer: Karl-Heinz Ebnet
Hardcover: 448 Seiten
Erschienen am 13. August 2024
Verlag: DuMont Buchverlag
Link zur Buchseite des Verlags

----------------------------------------

Im Jahr 1991 findet Pippa Allsbrook, die Gründerin der Gemeinschaft der Rätselmacher, vor ihrem Haus in Bedfordshire ein Findelkind in einer Hutschachtel. Fünfundzwanzig Jahre später hegt Clayton, das besagte Findelkind, den Wunsch, endlich mehr über seine Herkunft herauszufinden. Die kürzlich verstorbene Pippa hat ihm dazu Hinweise in Rätselform hinterlassen. Um diesen zu folgen, muss er zu einem Abenteuer aufbrechen und sich allein auf den Weg nach London machen. Was wird er am Ende dieses Weges finden?

In einem kurzen Prolog wurde ich Zeugin, wie Clayton von der vierundsechzigjährigen Pippa vor dem Haus der Gemeinschaft der Rätselmacher gefunden wird. Im nächsten Kapitel fand ich mich auf ihrer Trauerfeier im Jahr 2016 wieder, wo der inzwischen erwachsene Clayton auf Antworten seine Herkunft betreffend hofft. Und ein weiterer Erzählstrang brachte mich gleich im Anschluss ins Jahr 1979 zum Gründungstreffen der Gemeinschaft der Rätselmacher. Meine Neugier, mehr über die Charaktere und ihren Weg zu erfahren, war geweckt.

Im weiteren Verlauf wird die Geschichte abwechselnd auf zwei Zeitebenen erzählt. Auf der gegenwartsnahen Ebene begleitete ich Clayton dabei, der Spur aus Hinweisen in Rätselform zu folgen, die Pippa ihm vor ihrem Tod hinterlassen hat, damit er mehr über seine Herkunft herausfinden kann. Für Clayton, der den Großteil seines Lebens wohlbehütet im Haus der Gemeinschaft der Rätselmacher verbracht hat, ist diese Reise etwas Außergewöhnliches, für die er seinen ganzen Mut zusammennehmen muss. Dabei macht er neue Bekanntschaften und erlebt so manche Überraschung. Clayton ist ein empathischer und sensibler Charakter, dessen Entwicklung ich sehr gerne verfolgt habe. Eine queere Liebesgeschichte fügt sich gelungen ins Geschehen ein.

Auf der Handlungsebene der Vergangenheit erfuhr ich mehr über die Gemeinschaft der Rätselmacher von ihrer Gründung bis zu dem Moment, in dem Clayton von Pippa gefunden wird. Hier gibt es zahlreiche Zeitsprünge, die mich mit durch die Jahrzehnte und zahlreiche Höhen und Tiefen nahmen. Die Gemeinschaft ist eine bunte Mischung aus ganz verschiedenen, etwas schrulligen, aber allesamt auf ihre Art liebenswürdigen Charakteren. 

Es gibt viele schöne, aber auch einige nachdenklich stimmende Momente, zum Beispiel im Hinblick auf Themen wie das eines unerfüllten Kinderwunsches und der Verarbeitung von Verlusten. Das Erzähltempo ist relativ ruhig, was mich in diesem Fall aber nicht störte. Die Geschichte war für mich wie ein Besuch bei lieben Freunden, bei der ich mich rundum wohl fühlte und gar nicht wollte, das sie endet. Sehr gerne empfehle ich den Roman weiter.

Rezension: Pi mal Daumen von Alina Bronsky

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Pi mal Daumen
Autorin: Alina Bronsky
Erscheinungsdatum: 15.08.2024
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783462004250
---------------------------------------------------

Für den Protagonisten Oscar des Romans „Pi mal Daumen“ von Alina Bronsky ist Mathematik keine Angelegenheit, bei der sich entsprechend der Redewendung des Buchtitels Ergebnisse nur ungefähr berechnen lassen. Das Zeichen für Pi, dass in der Mathematik für das Verhältnis vom Kreisumfang zu seinem Durchmesser steht, ähnelt dem von Doppelkirschen, weswegen auf dem Cover eine Frau für ebensolchen Kirschen als Ohrringe illustriert ist und einen Kirschkern ausspuckt. Diese Frau erinnerte mich beim Lesen an Moni Kosinsky, die im Roman ebenfalls eine tragende Rolle spielt. Der Zusammenhang zwischen dem Pi-Symbol und den Kirschen wird auch im Spruch „Come to the Math Side we have π“ deutlich, wobei das Zeichen wörtlich genommen und dem beliebtem Cherrypie (amerikanischer Kirschkuchen) gleichgesetzt wird.

Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff ist ein Nerd der Mathematik und eher als nicht neurotypisch anzusehen. Er stammt aus einer betuchten Familie und ist bei Studienbeginn gerade mal sechszehn Jahre alt. Er ernährt sich vegan und liebt Anime, die der Grund dafür sind, dass er seine Haare blau färbt. Einen extremen Gegensatz zu ihm ist Moni, denn sie ist ein Familienmensch und hat ein großes Herz für alle, die ihre Hilfe benötigen. Moni ist 53 Jahre alt, trägt auffälligen Lippenstift und Leopardenmuster. Niemand aus der Familie darf von ihrem Studium wissen. Oscar und Moni lernen sich am ersten Tag des Semesters kennen und bilden fortan eine Zweckgemeinschaft. Obwohl sie sich zu Beginn einander anders eingeschätzt haben, wissen sie ihre Eigenarten bald gegenseitig zu schätzen.

Der Roman wird aus der Sicht von Oscar erzählt. Durch sein zunehmendes Interesse am familiären Hintergrund von Moni konnte auch ich als Leserin mehr über die manchmal chaotischen Zustände im Umfeld der Protagonistin erfahren. Oscar zeichnet sich zur besseren Übersicht einen Stammbaum, der auf den Vorsatzseiten des Buchs abgebildet ist. Während Oscar einiges an Organisationsgeschick aufweist, punktet Moni mit ihrer Lebenserfahrung. Irritierend fand ich die Einstellung von Monis Vater über die Intelligenz seiner Kinder, die ich der damaligen Zeit geschuldet zuschreibe.

Die Autorin bedient einige gängige Klischees und stellt manche Situation überspitzt dar. Aus meiner eigenen Schul- und Studienlaufbahn konnte ich in ihren Figuren, seien es Studierende, Lehrende oder Familienmitglieder Ähnlichkeiten zu mir bekannten Personen feststellen. Feine Ironie zieht sich durch den ganzen Roman und bildet zu den Sorgen und Ängste der Hauptfiguren ein Gegengewicht. Über allem steht die Botschaft, dass es nie zu spät ist, sich Herzenswünsche zu erfüllen. Außerdem verdeutlicht die Erzählung, dass man andere nicht unterschätzen und ihnen Talent absprechen sollte. Das Ende fand ich zum eigenen Weiterdenken anregend.

Gewohnt leichtfüßig schreibt Alina Bronsky in ihrem Roman „Pi mal Daumen“ über einen ungewöhnlichen Studenten des Erstsemesters Mathematik, der zu Studienbeginn ein weibliches Pendant findet. Humorvoll und teils übersteigert schildert sie, wie die beiden sich anfreunden, auch weil sie sich mit ihren jeweiligen Eigenschaften ergänzen. Die Geschichte untermalt das Statement sich zu trauen, große Träume zu haben und sie sich zu erfüllen, egal in welchem Alter. Wenngleich in der Geschichte immer wieder mathematische Themen angesprochen werden, ist deren Verständnis für die Botschaft der Erzählung nicht notwendig. Daher empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter. 



-->