Dienstag, 12. August 2025

Rezension: Wedding People von Alison Espach


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wedding People
Autorin: Alison Espach
Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch: Verena Ludorff
Erscheinungsdatum: 28.07.2025
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783757701291
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Phoebe Stone hat nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet an dem Tag, an dem sie beschlossen hat zu sterben, mitten in eine trubelige Hochzeitsgesellschaft geraten wird. Sie ist eine der beiden Protagonistinnen des Romans „Wedding People“ der US-Amerikanerin Alison Espach. Als Professorin für Literatur des 19. Jahrhunderts lehrt sie in St.Louis/ Missouri und ist 40 Jahre jung. Vieles in ihrem Leben ist nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Luxushotel im zweitausend Kilometer entfernten Newport/Rhode Island, das bisher für einen Urlaub aufgrund der hohen Kosten für sie nicht in Frage kam, soll ihr Glücksort sein. Doch will sie ihre letzten Stunden verbringen.

Die zweite Protagonistin ist Delilah Lancaster, von allen kurz Lila gerufen. Sie steht kurz vor ihrer Heirat mit ihrem Freund Gary. Um den Anlass ausgiebig zu feiern, hat Lila für ihre Gäste eine ganze Woche lang alle Zimmer eben jenes Hotels in Newport gemietet. Die 28-Jährige stammt aus einer großen Familie, hat ein beträchtliches Vermögen geerbt, arbeitet in der nahegelegenen Kunstgalerie ihrer Mutter und die Festwoche bis ins Detail geplant. Sie glaubt, dass es ein Irrtum sein muss, wenn nun ausgerechnet Phoebe das schönste aller Zimmer erhält. Nachdem sie von Phoebes Plänen erfahren hat, will sie diese um jeden Preis verhindern.

Für ihren Lebenstraum hat Phoebe beruflich zurückgesteckt, doch sie ist in manchem gescheitert. Einmal jedoch möchte sie es sich uneingeschränkt gut gehen lassen. Lila hingegen erfüllt sich dank ihrer soliden finanziellen Lage jeden Wunsch und macht gern auch anderen eine Freude. Wenn sie erst einmal von etwas begeistert ist, redet sie endlos darüber.

Was zunächst so erscheint, als ob beide keine gemeinsame Gesprächsebene finden, erweist sich später als ein Glücksfall, dass sie einander begegnet sind. Lila hat zwar einige FreundInnen, aber niemanden, der ihr offen begegnet und sie auch in schwierigen Momenten stützt. Phoebe erkennt das sehr schnell. Weil sie einander fremd sind, erzählen sie sich Dinge, die man Nahestehenden nicht anvertrauen würde, ohne Risiko für Ansehen oder Beziehungen, da ihre Probleme keine Berührungspunkte haben. Endlich hat Lila jemanden, mit der sie über ihre eigene und die Familie ihres Auserwählten reden kann. Beide Protagonistinnen haben ihre Ecken und Kanten, die sie auf ihre ganz eigene Weise interessant machen.

Zu Beginn wirkte der Roman wegen Phoebes Plan auf mich bedrückend. Doch Alison Espach schafft es, genau die richtige Dosierung Zynismus und Witz in die Geschichte einzubringen, ohne ihr die inhaltliche Tiefe zu nehmen. Jedem Tag der Hochzeitswoche ist ein eigenes Kapitel gewidmet, dessen Titel das jeweilige Highlight der anstehenden Aktivitäten verrät. In Rückblenden erfährt man, wieso Phoebes Ehe mit Matt, ihre Arbeit an der Universität und ihr Wunsch nach einem eigenen Kind dazu geführt haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ebenso liest man von Lilas Verlust des Vaters und wie sie ihren zukünftigen Mann kennenlernte. Bald verweben sich die beiden zunächst getrennten Handlungssträngen zu einer gemeinsamen Erzählung, in der immer wieder Neues und Unerwartetes geschieht.

Der Roman „Wedding People“ überrascht mit zwei Protagonistinnen, die sich trotz unterschiedlicher Charakterzüge und verschiedener Ansichten über manche Dinge dennoch gut austauschen können. Alison Espach bringt eine Fülle von Gefühlen zum Ausdruck: von bitterer Enttäuschung bis zu ausgelassener Freude, von Respekt bis zu Liebe und Anerkennung. Die Geschichte bewegt, unterhält und hallt nach, weswegen ich gerne eine Leseempfehlung vergebe.

Dienstag, 5. August 2025

Rezension: Im Schatten von Giganten von Jasmin Schreiber

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Im Schatten von Giganten
Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen
Autorin und Fotografin: Jasmin Schreiber
Erscheinungsdatum: 21.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783440179871
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Die Autorin Jasmin Schreiber, die das Studienfach Biologie mit einem Master abgeschlossen hat und auch für renommierte Wissenschaftsmagazine schreibt, ist eine ebenso versierte Fotografin. In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten – Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen“ bringt sie ihre Kenntnisse und ihre Leidenschaft zusammen und präsentiert 138 ihrer Bilder. Sie werden von informativen Texten der Schriftstellerin über die Lebensräume kleinster Lebewesen begleitet.

Das Buch beginnt mit einer Einführung, in der Jasmin Schreiber sich selbst vorstellt und erklärt, wie sie die Liebe zur Natur gefunden hat. Es folgen acht Kapitel, die nach Mikrohabitaten unterteilt sind. Die Autorin betrachtet darin das Leben der Kleinstlebewesen unter Steinen, im Totholz, im Kraut, im Baum, im Moospolster, in der Blüte, in der Pfütze sowie in Kadavern und Dung. Mit der Einladung, selbst die Natur zu erkunden, beendet sie das Werk.

Innerhalb der Kapitel unterteilt die Schriftstellerin erneut, indem sie zunächst das Habitat beschreibt. Beispielsweise erklärt sie die Bedeutung von Totholz, Bäumen und Moosen für die Natur und ihrer Lebewesen bevor sie, nicht nur mit der Kamera, näher heranzoomt. Sie betrachtet Asseln, Käfer, Spinnen und Schnecken, aber auch Pilze, Flechten und einiges anderes. Immer wieder heitert sie mit FunFacts die wissenschaftlich fundierten Beschreibungen der Fauna und Flora auf und lässt eigene Erfahrungen im Umgang mit der Natur einfließen. In mehreren Informationskästen werden unter anderem unterschiedliche Lebensstile erläutert, das Verfahren Lichenometrie erklärt, verschiedene Formen von Totholz aufgeführt und auch der Aufbau von Moosen.

Trotz der Fülle an Fotos findet sich nicht immer ein Bild zu dem im Text beschriebenen Tier oder der dargestellten Pflanze. Jedoch gibt es am Ende des Buches ein Glossar, dessen Seitenzahlen zu einem Foto der genannten Arten verweisen. Ein großer Pluspunkt des Buches ist es, dass alle beschriebenen Mikrohabitate direkt oder unweit der eigenen Haustür zu finden sind.

In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten“ lädt Jasmin Schreiber dazu ein, in der Natur die Lebensräume von kleinsten Organismen zu suchen und zu finden. Ihre Fotos unterstützen ihre Aufforderung. Genaues Hinschauen führt dazu, eine Welt voller Vielfalt und im ständigen Wandel zu entdecken, die vielen bisher verborgen blieb. Gerne vergebe ich eine Kaufempfehlung.

Samstag, 2. August 2025

Rezension: Durch das Raue zu den Sternen von Christopher Kloeble


Durch das Raue zu den Sternen
Autor: Christopher Kloeble
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 12. Juli 2025
Verlag: Klett-Cotta
Link zur Buchseite des Verlags

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Vor acht Monaten ist die Mutter von Arkadia Fink, genannt Moll, kurz weggegangen. Moll wartet seither auf ihre Rückkehr und kann es gar nicht ertragen, wenn andere Leute Sätze mit „Deine Mutter ist“ beginnen. Da kann es sogar vorkommen, dass sie ihrem Deutschlehrer auf die Nase haut. Daraufhin in einem leeren Klassenzimmer abgesetzt hört sie zufällig ein Vorsingen für den Knabenchor mit an und beschließt, selbst Mitglied zu werden. Wenn ihr Auftritt dann im TV übertragen wird kommt ihre Mutter bestimmt zurück. Von der Rückmeldung, dass sie als Mädchen in einem Knabenchor nichts verloren hat, will sie nichts wissen. Sie ist wild entschlossen, aufgenommen zu werden.

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und nimmt seine Leser:innen mit in das Leben von Arkadia, die zu Beginn des Romans dreizehn Jahre alt ist. Sie berichtet davon, dass sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartet und ihr Vater seit ihrem Weggang oft traurig ist. Sie bleibt gerne für sich, hört klassische Musik und telefoniert jeden Abend mit ihrer besten Freundin Bernhardina im Seniorendomizil. Selbst als sie ihren Lehrer schlägt, reagiert man darauf mit Nachsicht. Als Leserin hatte ich schnell eine Vermutung bezüglich ihrer Mutter, doch Arkadia verbietet sich jeden Gedanken in diese Richtung. Mit der Aufnahme in den Knabenchor hat sie schon bald ein Ziel, dass sie mit großer Hartnäckigkeit verfolgt.

Die grundsätzliche Frage, ob ein Mädchen in einem Knabenchor singen darf, klingt zunächst skurril. Doch wer online sucht wird stellt schnell feststellen, dass es dazu vor nicht allzu langer Zeit eine Debatte gab. Ich habe Arkadias Anstrengungen, aufgenommen zu werden, mit einer Mischung aus Bewunderung im Hinblick auf ihre Anstrengungen und Skepsis, ob dies wirklich der richtige Weg für sie ist, gelesen. Der Autor hat selbst in einem Knabenchor gesungen und lässt seine Erfahrungen einfließen, welche die Licht- und Schattenseiten zeigen. 

Mich hat die Art und Weise, wie in dieser Geschichte das Thema Trauerbewältigung verarbeitet wird, berührt. Die Grundstimmung ist melancholisch, aber dennoch hoffnungsvoll. Es gibt Szenen, die mich betroffen machten und andere, die mich zum schmunzeln brachten. Etwas irritiert hat mich, dass Arkadias Gewaltausbrüche kaum Konsequenzen haben. Es wird auch nicht weiter darauf eingegangen, dass sie in ihren Augen nichts Verwerfliches sind, weil sie ähnliches vorgelebt bekommen hat. Insgesamt kann ich „Durch das Raue zu den Sternen“ an alle Literaturbegeisterten weiterempfehlen, die Lust auf einen ergreifenden Roman haben, in dem die Musik das tragende Thema ist.

Freitag, 1. August 2025

Rezension: Onigiri von Yuko Kuhn


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Onigiri
Autorin: Yuko Kuhn
Erscheinungsdatum: 22.07.2025
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446283114
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In ihrem Debütroman „Onigiri“ (dt: Reisbällchen nach japanischem Rezept) erzählt Yuko Kuhn die fiktive Geschichte von Aki und ihrer Familie. Aki ist um die vierzig, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Keiko wurde in Japan geboren und ist dort aufgewachsen. Keiko vergisst zunehmend Dinge, weswegen sie seit geraumer Zeit in einem Wohnstift lebt. Die Nachricht vom Tod ihrer über hundert Jahre alten Großmutter in Japan erreicht Aki spät, weil der Kontakt zur mütterlichen Verwandtschaft inzwischen abgebrochen ist. Doch Aki hat Fragen. Zwar war sie einige Male in der Heimat ihrer Mutter und kennt die Umstände, unter denen diese einst als Lehrerin nach Deutschland gekommen ist. Dennoch versteht sie nicht ganz, wieso Keiko so ist wie sie ist. Sie schlägt ihr eine mehrtägige Reise zum Bruder nach Kobe vor auf der sie sie begleiten möchte.

Der Roman besteht zu einem großen Teil aus Erinnerungen von Aki. Sie schildert Szenen aus ihrer Kindheit und Jugend, die sich nicht nur in ihrem Elternhaus abspielen, sondern auch im Haus der Großmutter in Japan und bei den deutschen Großeltern. Die Liebesgeschichte ihrer Eltern findet ebenfalls ihren Platz, soweit Keiko ihr davon erzählt hat. Die Ehe scheiterte nach einigen Jahren und Aki blieb bei ihrer Mutter. Aki erinnert sich auch an die Schilderungen ihrer Eltern über die eigene Jugendzeit.

Feinsinnig arbeitet Yuko Kuhn aus dem Mosaik dieser Rückblicke kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Japanern heraus. Auch ihre Wurzeln liegen in Japan, wodurch sie eigene Erfahrungen einbringen kann. Die Verwendung von japanischen Begriffen, von denen die meisten in einem Glossar am Buchende übersetzt werden, tragen zu einer authentische Atmosphäre bei. Zudem wird deutlich, welche hohen Erwartungen ein Elternhaus an ein Kind stellen kann und welche inneren Konflikte und Herausforderungen dadurch bei der persönlichen Zukunftsgestaltung möglich sind..

Die Autorin zeigt verschiedene Ausdrucksformen von Liebe, die sich nicht immer in Gesten und Worten äußern. Dadurch wirkt der Roman stellenweise zurückhaltend, aber gerade darin liegt seine Tiefe. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Japan finden Keiko und Aki eine besondere Verbindung zueinander.

Das Debüt „Onigiri“ von Yuko Kuhn erfordert aufmerksames Lesen, denn Akis Erinnerungen sind nicht chronologisch geordnet, sondern setzen sich wie Puzzlestücke zum größeren Bild zusammen. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer berührenden Geschichte belohnt, die sich zwischen zwei Kulturen bewegt und die Welten schildert, in denen Aki lebt: ihre eigene, die ihrer Mutter und die gegensätzliche der beiden Großelternpaare. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diesen interessanten, einfühlsam geschriebenen Roman. 

Samstag, 26. Juli 2025

Rezension: Die Meerjungfrauen von Aberdeen von Ben Aaronovitch


Die Meerjungfrauen von Aberdeen
Autor: Ben Aaronovitch
Übersetzerin: Christine Blum
Broschiert: 416 Seiten
Erschienen am 10. Juli 2025
Verlag: dtv
Link zur Buchseite des Verlags

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In Aberdeen scheint eine mysteriöse Großkatze unterwegs zu sein, die Schafe reißt. Diese Nachricht veranlasst Peter Grant, gemeinsam mit Nightingale, Abigail und Abdul anzureisen, um auf die Jagd zu gehen. Mit von der Partie sind außerdem Peters Partnerin Beverley, seine Zwillingstöchter, seine Eltern und die Jazztruppe seines Vaters – allesamt in Urlaubsstimmung. Während ein Teil der Truppe sich bald auf Pumajagd befindet, wird Peter ins Leichenschauhaus gerufen. Dort liegt ein Mann mit Kiemen, der kurz vor seinem Tod einem Betrunkenen alle Kleider geklaut hat. Schon bald laufen die Ermittlungen auf Hochtouren und führen Peter zu Wesen aus dem Meer und aus anderen Dimensionen.

Nach zwei schmaleren Story-Büchern und drei Jahren ist endlich ein neuer Fall für Peter Grant erschienen! Meine Erinnerung an die vorherigen Bände ist schon etwas verblasst, was aber nicht so schlimm war, da der neue Fall nicht in London spielt, sondern alle wichtigen Charaktere nach Aberdeen reisen. In der Küstenstadt ist die Magie eng mit dem Meer verwoben, wodurch ich wieder neue Aspekte der magischen Welt kennenlernte.

Beim vorherigen Roman habe ich kritisiert, dass Abigail kaum in Erscheinung tritt, da ich ein großer Fan von ihr bin. Diesmal kam ich in dieser Hinsicht voll auf meine Kosten. Es gibt zwei Handlungsstränge, die abwechselnd erzählt werden und später miteinander verbunden werden. Peter ermittelt in einem Mordfall, während sich Abigail auf Großkatzenjagd befindet. Auch die Füchsin Indigo durfte mit und nimmt Kontakt zu den ansässigen Füchsen auf, sodass es viel unterhaltsamen Fuchscontent gibt. 

Wer die Bücher aus der Welt von Peter Grant mag, für den ist „Die Meerjungfrauen von Aberdeen“ eine gelungene Ergänzung, in der alles vorhanden ist, was das Fanherz begehrt: Ein spannender Mordfall, sympathische Fae, wilder abstruser Sch* und echte Bösewichte, denen das Handwerk gelegt werden muss. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es seit dem Abschluss der Story rund um den Gesichtslosen keine richtige übergreifende Handlung mehr gibt und sich ein Fall lose an den nächsten reiht – mal dünn als Story, mal dick als Roman. Ich bleibe der Reihe treu und freue mich schon auf weitere Abenteuer!


Mittwoch, 23. Juli 2025

Rezension: Wohin du auch gehst von Christina Fonthes

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wohin du auch gehst
Autorin: Christina Fonthes
Übersetzerin aus dem Englischen: Michaela Grabinger
Erscheinungsdatum: 23.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257073553
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In ihrem eindrucksvollen Debütroman „Wohin du auch gehst“ erzählt die in Kinshasa geborene und heute in London lebende Autorin Christina Fontes die bewegende Geschichte von Bijoux und ihrer Tantine Mireille, die als Kind Mira gerufen wurde. Zugleich schließt sie die bewegte Vergangenheit des afrikanischen Staates Kongo mit ein. Die Kapitel wechseln zwischen den beiden Protagonistinnen, wobei Bijoux aus der Ich-Perspektive erzählt und die Geschehnisse rund um Mireille von einem allwissenden Erzähler beschrieben werden.

Mira ist neun Jahre alt, als ihr Vater 1974 beruflich aufsteigt und die Familie in ein deutlich größeres Haus in einen anderen Stadtteil von Kinshasa umzieht. Wenig später sieht sie auf der Heimfahrt nach einem Restaurantbesuch eine Szene am Straßenrand, bei der eine Frau für gleichgeschlechtliche Liebe grausam bestraft wird. Sie wird sie nie wieder loslassen und ihr weiteres Leben prägen.

Dreißig Jahre später lebt Mira in einer Sozialsiedlung in London als Diakonin einer evangelikalen Kirche. Vor nunmehr zwölf Jahren wurde Bijoux von Miras Schwester Eugenie, einer verheirateten Ärztin, nach London gebracht, um dort bei der ihr bisher unbekannten Tantine Mireille zu wohnen. Inzwischen arbeitet Bijoux als Angestellte in einer Anwaltskanzlei gefunden und ist verliebt in eine Frau, die sich von ihr wünscht, gemeinsam mit ihr nach New York zu ziehen. Doch Mireille und einigen Angehörigen der Kirche erwarten von ihr, dass sie den ebenfalls aus Kongo stammenden Fabrice heiratet.

Bijoux steht an einem Scheideweg in ihrem Leben. Sie ist geprägt von ihren afrikanischen Wurzeln. Im Kongo gelten patriarchale Familienstrukturen. Trotzdem hat sie sich schon oft nach Kinshasa zurückgewünscht. Demgegenüber erlebt sie in London eine liberalere und aufgeschlossenere Gesellschaft. Die Religiosität ihrer Tantine setzt ihr Grenzen, aber die kirchliche Gemeinschaft gibt ihr gleichzeitig Zugehörigkeit und Halt. Inmitten der widersprüchlichen Einflüsse stellt Bijoux sich Fragen nach der Gestaltung ihrer Zukunft und mit wem sie sie gemeinsam verbringen möchte. Zwischen der Loyalität gegenüber ihrer Familie und persönlicher Freiheit beginnt sie nach einem Weg zu suchen, der ihr gerecht wird und von anderen respektiert wird. 

Während ihres Aufenthalts in London erfährt Bijoux nur wenig über die Vergangenheit ihrer Tantine. Erst als die Ereignisse sich zum Ende hin zuspitzen, eröffnet sich für die junge Protagonistin ein tieferes Verständnis für Mireilles Handlungen und Ansichten, ermöglicht durch Einblicke in deren Kindheit und Jugend in Kinshasa, die ich als Leserin mit wachsender Faszination über die Kapitel hinweg verfolgen konnte. Sie trägt über viele Jahre hinweg ein Geheimnis mit sich, dass Christina Fonthes in ihrem Roman geschickt zu verbergen versteht. Es gelingt der Autorin sehr gut, kulturelle Unterschiede zwischen kongolesischer und britischer Mentalität herauszuarbeiten.

Der Titel des Romans „Wohin du auch gehst“ von Christina Fonthes verweist auf das Versprechens stets einander zu folgen, dass sich die Protagonistin Bijoux und ihre Partnerin geben. Ob ihnen dies gelingt, erfährt der Lesende nach einer Achterbahn der Gefühle. Liebe, Vergeltung, Scham, Angst und Verlust sind nur einige der Emotionen, die die Autorin in ihrer berührenden Geschichte verarbeitet hat. Die Handlung ist vielschichtig mit unerwarteten Wendungen und fesselnd bis zum Schluss. Sehr gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung.



Rezension: Himmel ohne Ende von Julia Engelmann

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Himmel ohne Ende
Autorin: Julia Engelmann
Erscheinungsdatum: 23.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN: 9783257073232

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Im Roman „Himmel ohne Ende“ von Julia Engelmann dreht sich alles um Freunde und Freundschaften. Die Handlung spielt Mitte der 2000er Jahre. Im Fokus steht die fünfzehnjährige Ich-Erzählerin Charlotte, die von allen nur Charlie genannt wird. Sie ist das einzige Kind ihrer alleinerziehenden Mutter, mit der sie zusammenlebt. Charlies Vater hat seine Familie vor einigen Jahren verlassen und dadurch eine gravierende Lücke hinterlassen. Gerlade erlebt Charlie einen weiteren schmerzlichen Einschnitt, denn ihre beste Freundin hat sich von ihr abgewendet und sich mit einer Klassenkameradin angefreundet.

Charlie spürt selbst, dass sie sich verändert. Sie empfindet sich als zu still und findet ihr Verhalten im Vergleich zu Gleichaltrigen oft seltsam. In ihrem Umfeld fällt auf. Dass sie eigentlich nie lacht. Gedanken, die sie selbst als unsinnig erkennt, kreisen unaufhörlich in ihrem Kopf und lassen sich nicht verdrängen. Sie betrachtet ihr Leben häufig wie von außen und stellt sich grundlegende Fragen: Warum bin ich so, wie ich bin? Wie kann ich zu der werden, die ich sein möchte?

Dann geschehen kurz nacheinander Unerwartetes: Ihre Mutter lernt einen neuen Lebenspartner kennen und zu Beginn des neuen Schuljahrs nach den Sommerferien bekommt die Klasse den neuen Mitschüler Pommes, der eigentlich Kornelius heißt. In Gesprächen mit ihm erkennt Charlie, dass er ihre Gefühle erstaunlich gut nachempfinden kann. Mit ihm findet sie jemanden, mit dem sie offen über ihre Wünsche, Ängste und Sorgen reden kann. Pommes birgt ein Geheimnis, dass teilweise erklärt, warum er Charlie so gut versteht. Trotz des schnell wachsenden Vertrauens zwischen ihnen ist ihre Freundschaft nicht frei von Konflikten. Doch gerade durch diese Höhen und Tiefen beginnt Charlie sich selbst besser zu verstehen und emotional zu wachsen.

Julia Engelmann hat das Alter ihrer Protagonistin bewusst gewählt, denn sie begleitet Charlie einfühlsam auf dem Weg dahin, ihre Gefühle in Worte zu fassen und sich mitzuteilen, was ein wichtiger Schritt zur Selbstfindung ist. Im Titel spiegelt sich die Unendlichkeit der Gedankenwelt wider, mit denen Jugendliche sich beschäftigen, wenn sie ihren Platz im Leben suchen. Vielfach blitzt die schöne poetische Sprache auf, für die die Autorin bereits in ihren Lyrikbänden und Poetry Slam Beiträgen bekannt geworden ist.

„Himmel ohne Ende“ von Julia Engelmann ist ein feinfühlig erzählter Coming-of-Age-Roman, der sowohl Jugendliche als auch Erwachsene anspricht. Junge Lesende finden darin Parallelen zu ihrem eigenen Leben, während sich Ältere beim Lesen an ihre Jugend zurückerinnern werden. Gerne empfehle ich das Buch weiter.


Dienstag, 22. Juli 2025

Rezension: A Taste of Cornwall: Eine Prise Liebe von Katharina Herzog


A Taste of Cornwall: Eine Prise Liebe
Autorin: Katharina Herzog
Broschiert: 368 Seiten
Erschienen am 15. Juli 2025
Verlag: Rowohlt Polaris
Link zur Buchseite des Verlags

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Sophie Dubois lebt in London und hat ehrgeizige Ziele: Als eine der bekanntesten Restaurantkritikerinnen möchte sie eine eigene Fernsehshow übernehmen. Am Tag der Restauranteröffnung des Models Annabelle Scott überstürzen sich bei ihr privat die Ereignisse. Emotional aufgeladen streitet sie mit der Gastgeberin und schreibt danach einen Verriss, der einen Shitstorm gegen ihre Person auslöst. Daraufhin schlägt ihr Chef ihr einen längeren Urlaub vor, in welchem sie beweisen soll, was sie im Streit behauptet hat: Dass sie selbst ein Spitzenrestaurant eröffnen kann. In dem kleinen Hafenort Port Haven in Cornwall übernimmt sie das Smuggler's Inn, dessen verstorbener Besitzer ganz besondere Auflagen hinterlassen hat. Sie darf nicht modernisieren und muss zudem das gesamte Personal übernehmen. Zähneknirschend fügt sich Sophie in ihr Schicksal. Wird sie dem Pub zu neuem Glanz verhelfen können?

Ich habe die Reihe rund um das kleine Bücherdorf von Katharina Herzog sehr gerne gelesen und war gespannt, in dieser neuen Reihe literarisch nach Cornwall zu reisen. Bevor es an die Küste geht lernte ich Sophie zunächst in ihrer bisherigen Heimat in London kennen. Dort nistet sich ihre Mutter bei ihr ein, nachdem sie aus ihrer Seniorenresidenz geflogen ist und ihre Tochter hat Schwierigkeiten in der Schule. Sophies emotionaler Stress entlädt sich in einem Verriss von Annabelle Scotts Restaurant und dem darauffolgenden Shitstorm. Aus meiner Sicht war der Verriss nicht so schlimm geschrieben, dass es die darauf folgenden Reaktionen rechtfertigt hätte – Restaurantkritiker dürfen sich doch auch mal negativ äußern?! Aber es ist schließlich das Mittel zum Zweck, um Sophie nach rund 80 Seiten nach Cornwall zu bringen.

In Port Haven erwarteten mich als Leserin eine bunte Mischung an Charakteren, die alle ihre Eigenheiten haben, die ich aber bald in Herz geschlossen habe. Sophie stößt mit ihren Ideen zunächst auf Ablehnung und ich war neugierig, ob sie das Ruder herumreißen kann. Immer wieder gibt es Zeitsprünge von einigen Wochen, durch welche die Geschichte in zügigem Tempo vorankommt. Ich hatte aber häufiger das Gefühl, dass große Probleme zu einfach und schnell gelöst wurden. Es gibt auch eine Liebesgeschichte, die allerdings recht wenig Platz einnimmt. Dafür erhalten auch Sophies Mutter und Tochter, die mit nach Cornwall gereist sind, Raum für ihre eigenen Erlebnisse vor Ort. Sophie macht charakterlich eine große Entwicklung durch, die zu verfolgen ich schön fand. Wer Lust auf einen Wohlfühlroman mit kulinarischen Thema an der Küste Cornwalls hat, für den ist dieser Reihenauftakt das Richtige!

Montag, 21. Juli 2025

Rezension: Der Krabbenfischer von Benjamin Wood

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Der Krabbenfischer
Autor: Benjamin Wood
Übersetzer aus dem Englischen: Werner Löcher-Lawrence
Erscheinungstermin: 15.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Leseband
ISBN: 97837558ßß613
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Benjamin Woods nahm mich als Leserin in seinem Roman „Der Krabbenfischer“ mit zurück in die 1960er Jahre. Thomas Flett ist sein Protagonist und gleichzeitig die Titelfigur der Geschichte. Er ist zwanzig Jahre alt, lebt in einer kleinen englischen Stadt am Meer und hat das Handwerk des Krabbenfischens bereits als Schüler von seinem inzwischen verstorbenen Großvater gelernt. Mit Pferd und Wagen zieht er an jedem Morgen, manchmal sogar ein zweites Mal am Tag, bei Niedrigwasser Netze durchs Watt, um Krabben zu fangen. Die körperlich anstrengende Tätigkeit zehrt an ihm, Es ist eine mühselige Arbeit, die gerade genug einbringt, um sich und seiner Mutter das Überleben zu sichern.

Während andere Krabbenfänger längst motorisiert arbeiten, fehlt Thomas das Geld für moderne Technik. Die Motivation für seine Tätigkeit nimmt zusehends ab. Bisher hat er sich nicht getraut, einer jungen Frau Avancen zu machen, obwohl er sich zu der Schwester eines Freunds hingezogen fühlt.  

Seit einiger Zeit hat ein gesteigertes Interesse daran entwickelt, selbst Musik zu machen. Doch er glaubt nicht daran, dass sich sein Hobby dafür geeignet, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vor seiner Mutter hält er sein musikalisches Interesse geheim. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. In ihrer Gegenwart traut er sich nicht aufzubegehren. In all den Jahren hat sie ihm den Haushalt geführt, Regeln gesetzt und ihm Antrieb gegeben. Ohne zu hinterfragen, hat er sich ihrem Willen stets gefügt.

Das Leben von Thomas scheint in festgefahrenen Bahnen zu verlaufen, bis eines Tages ein erfahrener Regisseur bei ihm zu Hause vorspricht, um seine Expertise in Bezug auf Kenntnisse im Watt einzuholen und dafür eine hohe Bezahlung bietet. Für ihn öffnet sich dadurch eine Pforte in eine Welt, von der er bisher nicht wusste, welche Möglichkeiten sie für ihn bereithält. Benjamin Wood gelingt es eindrucksvoll, die innere Zerrissenheit seines Protagonisten und dessen Loyalität gegenüber seiner Familie herauszuarbeiten. Seine detailreichen Beschreibungen der Natur lassen das Meer und den Strand im Kopf entstehen und man glaubt, die Gerüche einzuatmen und Geräusche zu hören. Von Beginn an hofft man für Thomas, dass er es schafft, aus der Enge seines Alltags auszubrechen und sich selbst zu verwirklichen.

„Der Krabbenfischer“ von Benjamin Wood ist eine leise, aber tief berührende Geschichte über zu ergreifende Chancen im Leben, die der Autor ruhig, aber nie langweilig mit einer Spur magischen Realismus erzählt und am Schluss mit einer unerwarteten Wendung überrascht. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Dienstag, 15. Juli 2025

Rezension: Furye von Kat Eryn Rubik

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Furye
Autorin: Kat Eryn Rubik
Erscheinungsdatum: 15.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832181949
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Die Protagonistin des Debütromans „Furye“ von Kat Eryn Rubik ist 38 Jahre alt, erfolgreiche Managerin in der von Männern dominierten Neoklassikbranche, Single, kinderlos und kurz vor dem Burnout. Ihren realen Namen erfährt man nicht. Ebenso bleibt der Ort unbenannt, an dem sie lebt. Nachdem ein Herzenswunsch von ihr für immer zerplatzt zu sein scheint, begibt sie sich auf eine Reise in den Süden ans Meer. Die Schriftart lässt den Lesenden erkennen, ob die Handlung in der Gegenwart oder der Vergangenheit spielt.

Das Ziel der Hauptfigur ist die Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Dort begibt sie sich auf die Spuren ihrer Vergangenheit. Vor etwa zwanzig Jahren hat sie alles zurückgelassen, was ihr in diesem letzten heißen Sommer vor Ort wichtig gewesen ist. Damals hat sie sich mit dem beiden mit ihr befreundeten Mitschülerinnen „Die Furien“ genannt, weil sie entsprechend der Vorbilder aus der griechischen Mythologie Rache üben wollten an denen, die es ihrer Meinung nach verdient haben. Von diesem Moment an bezeichnet sie sich mit der Kurzform des Namens ihrer Heldin als Alec. Ihre Freundinnen nennen sich Tess und Meg. Sie kommen  aus gut betuchtem Hause, haben aber gestörte Verhältnisse zu ihren Eltern.

Alec ist die Tochter von Migranten, deren akademische Qualifikationen im neuen Heimatland keine Anerkennung erhalten. Beim Lesen wird die soziale Ungleichheit immer wieder deutlich. Dennoch haben die Freundinnen ein offenes Verhältnis zueinander gefunden, bei dem sie die verschiedenen Probleme im jeweiligen im Elternhaus nicht verschweigen, sondern diskutieren und dadurch einander helfen, indem sie füreinander da sind. Alec erhält besonders von Meg Unterstützung. Von ihr kann sie sich auch zu bestimmten Anlassen, Kleidung borgen, leistet ihr im Gegenzug aber manch einen Gefallen. Während Tess als ruhender Pol erscheint, nimmt Meg kein Blatt vor den Mund, ist impulsiv und echauffiert sich für Gerechtigkeit auf vielen Ebenen. Wie sich letztlich zeigt, macht Geld alleine allerdings nicht immer glücklich.

Zu Alecs intensivsten Erinnerungen gehört jedoch nicht nur die gemeinsam erlebte Zeit mit Meg und Tess, sondern auch ihre Beziehung zu dem von ihr umschwärmten, ein Jahr älteren Romain. Es war für mich als Leserin schwierig einzuordnen, ob er ehrlich an Alec interessiert ist oder sie nur eine nette Abwechslung für ihn ist. Romain wirkt charmant, empathisch und zugewandt, offenbart jedoch im späteren Verlauf Seiten, die nachdenklich stimmen.

Alec hat in ihrer Jugend eine folgenreiche Entscheidung getroffen. Es bleibt nicht das einzige Geheimnis im Roman. Nicht nur das gut verborgene Unausgesprochene lässt eine hintergründige Spannung aufkommen. Es ist ebenso faszinierend, Alec auf den Spuren ihrer Vergangenheit zu folgen und zu erfahren, welche ihrer früheren Bekanntschaften noch in ihrer alten Heimat am Meer leben und ob die Gegend noch so ist, wie sie sie in Erinnerung hats. 

„Furye“ ist ein eindrucksvolles Debüt von Kat Eryn Rubik über einen länger zurückliegenden, aber prägenden Sommer voller schmerzlicher wie auch schöner Erfahrungen, deren Nachwirkungen die Protagonistin bis in die Gegenwart begleiten. Es handelt von Herkunft, Identitätssuche, Erwartungen und die Frage, inwieweit der Lebensweg von äußeren Umständen und eigenen Überzeugungen bestimmt wird. Die dramatischen Ereignisse sind berührend und bleiben im Gedächtnis. Sehr gerne empfehle ich dieses bewegende Buch weiter.

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