Dienstag, 12. August 2025

Rezension: Wedding People von Alison Espach


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wedding People
Autorin: Alison Espach
Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch: Verena Ludorff
Erscheinungsdatum: 28.07.2025
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783757701291
----------------------------------------------------------------------------------------

Phoebe Stone hat nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet an dem Tag, an dem sie beschlossen hat zu sterben, mitten in eine trubelige Hochzeitsgesellschaft geraten wird. Sie ist eine der beiden Protagonistinnen des Romans „Wedding People“ der US-Amerikanerin Alison Espach. Als Professorin für Literatur des 19. Jahrhunderts lehrt sie in St.Louis/ Missouri und ist 40 Jahre jung. Vieles in ihrem Leben ist nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Luxushotel im zweitausend Kilometer entfernten Newport/Rhode Island, das bisher für einen Urlaub aufgrund der hohen Kosten für sie nicht in Frage kam, soll ihr Glücksort sein. Doch will sie ihre letzten Stunden verbringen.

Die zweite Protagonistin ist Delilah Lancaster, von allen kurz Lila gerufen. Sie steht kurz vor ihrer Heirat mit ihrem Freund Gary. Um den Anlass ausgiebig zu feiern, hat Lila für ihre Gäste eine ganze Woche lang alle Zimmer eben jenes Hotels in Newport gemietet. Die 28-Jährige stammt aus einer großen Familie, hat ein beträchtliches Vermögen geerbt, arbeitet in der nahegelegenen Kunstgalerie ihrer Mutter und die Festwoche bis ins Detail geplant. Sie glaubt, dass es ein Irrtum sein muss, wenn nun ausgerechnet Phoebe das schönste aller Zimmer erhält. Nachdem sie von Phoebes Plänen erfahren hat, will sie diese um jeden Preis verhindern.

Für ihren Lebenstraum hat Phoebe beruflich zurückgesteckt, doch sie ist in manchem gescheitert. Einmal jedoch möchte sie es sich uneingeschränkt gut gehen lassen. Lila hingegen erfüllt sich dank ihrer soliden finanziellen Lage jeden Wunsch und macht gern auch anderen eine Freude. Wenn sie erst einmal von etwas begeistert ist, redet sie endlos darüber.

Was zunächst so erscheint, als ob beide keine gemeinsame Gesprächsebene finden, erweist sich später als ein Glücksfall, dass sie einander begegnet sind. Lila hat zwar einige FreundInnen, aber niemanden, der ihr offen begegnet und sie auch in schwierigen Momenten stützt. Phoebe erkennt das sehr schnell. Weil sie einander fremd sind, erzählen sie sich Dinge, die man Nahestehenden nicht anvertrauen würde, ohne Risiko für Ansehen oder Beziehungen, da ihre Probleme keine Berührungspunkte haben. Endlich hat Lila jemanden, mit der sie über ihre eigene und die Familie ihres Auserwählten reden kann. Beide Protagonistinnen haben ihre Ecken und Kanten, die sie auf ihre ganz eigene Weise interessant machen.

Zu Beginn wirkte der Roman wegen Phoebes Plan auf mich bedrückend. Doch Alison Espach schafft es, genau die richtige Dosierung Zynismus und Witz in die Geschichte einzubringen, ohne ihr die inhaltliche Tiefe zu nehmen. Jedem Tag der Hochzeitswoche ist ein eigenes Kapitel gewidmet, dessen Titel das jeweilige Highlight der anstehenden Aktivitäten verrät. In Rückblenden erfährt man, wieso Phoebes Ehe mit Matt, ihre Arbeit an der Universität und ihr Wunsch nach einem eigenen Kind dazu geführt haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ebenso liest man von Lilas Verlust des Vaters und wie sie ihren zukünftigen Mann kennenlernte. Bald verweben sich die beiden zunächst getrennten Handlungssträngen zu einer gemeinsamen Erzählung, in der immer wieder Neues und Unerwartetes geschieht.

Der Roman „Wedding People“ überrascht mit zwei Protagonistinnen, die sich trotz unterschiedlicher Charakterzüge und verschiedener Ansichten über manche Dinge dennoch gut austauschen können. Alison Espach bringt eine Fülle von Gefühlen zum Ausdruck: von bitterer Enttäuschung bis zu ausgelassener Freude, von Respekt bis zu Liebe und Anerkennung. Die Geschichte bewegt, unterhält und hallt nach, weswegen ich gerne eine Leseempfehlung vergebe.

Dienstag, 5. August 2025

Rezension: Im Schatten von Giganten von Jasmin Schreiber

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Im Schatten von Giganten
Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen
Autorin und Fotografin: Jasmin Schreiber
Erscheinungsdatum: 21.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783440179871
--------------------------------------------------------------

Die Autorin Jasmin Schreiber, die das Studienfach Biologie mit einem Master abgeschlossen hat und auch für renommierte Wissenschaftsmagazine schreibt, ist eine ebenso versierte Fotografin. In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten – Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen“ bringt sie ihre Kenntnisse und ihre Leidenschaft zusammen und präsentiert 138 ihrer Bilder. Sie werden von informativen Texten der Schriftstellerin über die Lebensräume kleinster Lebewesen begleitet.

Das Buch beginnt mit einer Einführung, in der Jasmin Schreiber sich selbst vorstellt und erklärt, wie sie die Liebe zur Natur gefunden hat. Es folgen acht Kapitel, die nach Mikrohabitaten unterteilt sind. Die Autorin betrachtet darin das Leben der Kleinstlebewesen unter Steinen, im Totholz, im Kraut, im Baum, im Moospolster, in der Blüte, in der Pfütze sowie in Kadavern und Dung. Mit der Einladung, selbst die Natur zu erkunden, beendet sie das Werk.

Innerhalb der Kapitel unterteilt die Schriftstellerin erneut, indem sie zunächst das Habitat beschreibt. Beispielsweise erklärt sie die Bedeutung von Totholz, Bäumen und Moosen für die Natur und ihrer Lebewesen bevor sie, nicht nur mit der Kamera, näher heranzoomt. Sie betrachtet Asseln, Käfer, Spinnen und Schnecken, aber auch Pilze, Flechten und einiges anderes. Immer wieder heitert sie mit FunFacts die wissenschaftlich fundierten Beschreibungen der Fauna und Flora auf und lässt eigene Erfahrungen im Umgang mit der Natur einfließen. In mehreren Informationskästen werden unter anderem unterschiedliche Lebensstile erläutert, das Verfahren Lichenometrie erklärt, verschiedene Formen von Totholz aufgeführt und auch der Aufbau von Moosen.

Trotz der Fülle an Fotos findet sich nicht immer ein Bild zu dem im Text beschriebenen Tier oder der dargestellten Pflanze. Jedoch gibt es am Ende des Buches ein Glossar, dessen Seitenzahlen zu einem Foto der genannten Arten verweisen. Ein großer Pluspunkt des Buches ist es, dass alle beschriebenen Mikrohabitate direkt oder unweit der eigenen Haustür zu finden sind.

In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten“ lädt Jasmin Schreiber dazu ein, in der Natur die Lebensräume von kleinsten Organismen zu suchen und zu finden. Ihre Fotos unterstützen ihre Aufforderung. Genaues Hinschauen führt dazu, eine Welt voller Vielfalt und im ständigen Wandel zu entdecken, die vielen bisher verborgen blieb. Gerne vergebe ich eine Kaufempfehlung.

Samstag, 2. August 2025

Rezension: Durch das Raue zu den Sternen von Christopher Kloeble


Durch das Raue zu den Sternen
Autor: Christopher Kloeble
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 12. Juli 2025
Verlag: Klett-Cotta
Link zur Buchseite des Verlags

----------------------------------------


Vor acht Monaten ist die Mutter von Arkadia Fink, genannt Moll, kurz weggegangen. Moll wartet seither auf ihre Rückkehr und kann es gar nicht ertragen, wenn andere Leute Sätze mit „Deine Mutter ist“ beginnen. Da kann es sogar vorkommen, dass sie ihrem Deutschlehrer auf die Nase haut. Daraufhin in einem leeren Klassenzimmer abgesetzt hört sie zufällig ein Vorsingen für den Knabenchor mit an und beschließt, selbst Mitglied zu werden. Wenn ihr Auftritt dann im TV übertragen wird kommt ihre Mutter bestimmt zurück. Von der Rückmeldung, dass sie als Mädchen in einem Knabenchor nichts verloren hat, will sie nichts wissen. Sie ist wild entschlossen, aufgenommen zu werden.

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und nimmt seine Leser:innen mit in das Leben von Arkadia, die zu Beginn des Romans dreizehn Jahre alt ist. Sie berichtet davon, dass sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartet und ihr Vater seit ihrem Weggang oft traurig ist. Sie bleibt gerne für sich, hört klassische Musik und telefoniert jeden Abend mit ihrer besten Freundin Bernhardina im Seniorendomizil. Selbst als sie ihren Lehrer schlägt, reagiert man darauf mit Nachsicht. Als Leserin hatte ich schnell eine Vermutung bezüglich ihrer Mutter, doch Arkadia verbietet sich jeden Gedanken in diese Richtung. Mit der Aufnahme in den Knabenchor hat sie schon bald ein Ziel, dass sie mit großer Hartnäckigkeit verfolgt.

Die grundsätzliche Frage, ob ein Mädchen in einem Knabenchor singen darf, klingt zunächst skurril. Doch wer online sucht wird stellt schnell feststellen, dass es dazu vor nicht allzu langer Zeit eine Debatte gab. Ich habe Arkadias Anstrengungen, aufgenommen zu werden, mit einer Mischung aus Bewunderung im Hinblick auf ihre Anstrengungen und Skepsis, ob dies wirklich der richtige Weg für sie ist, gelesen. Der Autor hat selbst in einem Knabenchor gesungen und lässt seine Erfahrungen einfließen, welche die Licht- und Schattenseiten zeigen. 

Mich hat die Art und Weise, wie in dieser Geschichte das Thema Trauerbewältigung verarbeitet wird, berührt. Die Grundstimmung ist melancholisch, aber dennoch hoffnungsvoll. Es gibt Szenen, die mich betroffen machten und andere, die mich zum schmunzeln brachten. Etwas irritiert hat mich, dass Arkadias Gewaltausbrüche kaum Konsequenzen haben. Es wird auch nicht weiter darauf eingegangen, dass sie in ihren Augen nichts Verwerfliches sind, weil sie ähnliches vorgelebt bekommen hat. Insgesamt kann ich „Durch das Raue zu den Sternen“ an alle Literaturbegeisterten weiterempfehlen, die Lust auf einen ergreifenden Roman haben, in dem die Musik das tragende Thema ist.

Freitag, 1. August 2025

Rezension: Onigiri von Yuko Kuhn


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Onigiri
Autorin: Yuko Kuhn
Erscheinungsdatum: 22.07.2025
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446283114
----------------------------------------------------------------------

In ihrem Debütroman „Onigiri“ (dt: Reisbällchen nach japanischem Rezept) erzählt Yuko Kuhn die fiktive Geschichte von Aki und ihrer Familie. Aki ist um die vierzig, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Keiko wurde in Japan geboren und ist dort aufgewachsen. Keiko vergisst zunehmend Dinge, weswegen sie seit geraumer Zeit in einem Wohnstift lebt. Die Nachricht vom Tod ihrer über hundert Jahre alten Großmutter in Japan erreicht Aki spät, weil der Kontakt zur mütterlichen Verwandtschaft inzwischen abgebrochen ist. Doch Aki hat Fragen. Zwar war sie einige Male in der Heimat ihrer Mutter und kennt die Umstände, unter denen diese einst als Lehrerin nach Deutschland gekommen ist. Dennoch versteht sie nicht ganz, wieso Keiko so ist wie sie ist. Sie schlägt ihr eine mehrtägige Reise zum Bruder nach Kobe vor auf der sie sie begleiten möchte.

Der Roman besteht zu einem großen Teil aus Erinnerungen von Aki. Sie schildert Szenen aus ihrer Kindheit und Jugend, die sich nicht nur in ihrem Elternhaus abspielen, sondern auch im Haus der Großmutter in Japan und bei den deutschen Großeltern. Die Liebesgeschichte ihrer Eltern findet ebenfalls ihren Platz, soweit Keiko ihr davon erzählt hat. Die Ehe scheiterte nach einigen Jahren und Aki blieb bei ihrer Mutter. Aki erinnert sich auch an die Schilderungen ihrer Eltern über die eigene Jugendzeit.

Feinsinnig arbeitet Yuko Kuhn aus dem Mosaik dieser Rückblicke kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Japanern heraus. Auch ihre Wurzeln liegen in Japan, wodurch sie eigene Erfahrungen einbringen kann. Die Verwendung von japanischen Begriffen, von denen die meisten in einem Glossar am Buchende übersetzt werden, tragen zu einer authentische Atmosphäre bei. Zudem wird deutlich, welche hohen Erwartungen ein Elternhaus an ein Kind stellen kann und welche inneren Konflikte und Herausforderungen dadurch bei der persönlichen Zukunftsgestaltung möglich sind..

Die Autorin zeigt verschiedene Ausdrucksformen von Liebe, die sich nicht immer in Gesten und Worten äußern. Dadurch wirkt der Roman stellenweise zurückhaltend, aber gerade darin liegt seine Tiefe. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Japan finden Keiko und Aki eine besondere Verbindung zueinander.

Das Debüt „Onigiri“ von Yuko Kuhn erfordert aufmerksames Lesen, denn Akis Erinnerungen sind nicht chronologisch geordnet, sondern setzen sich wie Puzzlestücke zum größeren Bild zusammen. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer berührenden Geschichte belohnt, die sich zwischen zwei Kulturen bewegt und die Welten schildert, in denen Aki lebt: ihre eigene, die ihrer Mutter und die gegensätzliche der beiden Großelternpaare. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diesen interessanten, einfühlsam geschriebenen Roman. 

-->