Camilla da Silva ist 31 Jahre alt und gleichzeitig von Wut
und Liebe im Bauch erfüllt: Sie liebt Noah Bach, der sich als Künstler jedoch
bis jetzt keinen Namen machen konnte. Gleichzeitig ist sie wütend auf ihn, weil
er so gut wie nichts zum gemeinsamen Auskommen beiträgt. Ihr Gehalt als
Buchhalterin reicht jeden Monat gerade so aus, um den Lebensunterhalt für sie
beide zu meistern. Allmählich wird sie von dem Gefühl beschlichen, dass ihr kaum
Zeit bleibt, um ihr Leben so zu verändern, dass sie für den Rest ihrer Jahre
keine finanziellen Sorgen mehr haben muss. Die naheliegendste Lösung schein ihr
daher, sich einen wohlhabenden Ehemann zu suchen.
Darum trennt sie sich schweren Herzens von ihrem Freund, der
ein hervorragender Schütze ist, was kaum jemand weiß. Noah möchte jedoch seine
Liebe zu Camilla nicht so leicht aufgeben. Er lernt eine ältere Witwe kennen,
die ihm ein zweifelhaftes Angebot macht.
Camilla und Noah sind die beiden Hauptfiguren im Roman „Wut
und Liebe“ von Martin Suter. Der Autor vermittelte mir fortwährend das Gefühl,
dass seine Protagonistin und sein Protagonist nicht voneinander lassen können. Camillas
Beweggrund, die Beziehung zu beenden, ist wohlüberlegt. Ich wusste nicht, ob
ich Camilla für den Mut, ihr Leben auf diese radikale Art mit weitreichenden
Konsequenzen zu verändern, verachten oder bewundern sollte. Gleichzeitig hatte
ich Mitgefühl für Noah. Aufgrund der Trennung steht sein Ziel, Anerkennung in
der Kunstszene zu finden und damit Verkäufe zu generieren, auf dem Spiel. Aber
ist er wirklich nur ein Bauernopfer in Camillas Plänen? Er weiß: „Wenn er
wieder in seinen gelernten Beruf als Grafiker zurückkehrt, wird er nicht
genügend Arbeitszeit aufbringen können, um seine angestrebte Karriere
voranzutreiben. Bei mir verlor er Sympathiepunkte, weil er ernsthaft darüber
nachdenkt, das unmoralische Angebot anzunehmen.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie sowohl Camilla wie
auch Noah nach Selbstverwirklichung streben und dabei ausgerechnet jenen
vertrauen, die ein angenehmes Leben führen und sich durch selbstsicheres
Auftreten und große Worte auszeichnen. Der Roman ist nicht nur eine gefühlvoll
erzählte Liebesgeschichte, sondern enthält auch kriminalistische Elemente.
Martin Suter gewährt einen Einblick in den Handel mit Kunstgegenständen und den
Abhängigkeiten im Netzwerk aus GaleristInnen, Kunstvermittelnden und
KünstlerInnen. Dabei streut er nebenbei Kritik am gesellschaftlichen System
ein.
In seinem Roman „Wut und Liebe“ wirft Martin Suter die Frage
danach auf, wie wichtig uns finanzielle Sicherheit im Leben ist und wie weit
wir gehen würden, um sie zu erreichen. Die Geschichte ist leicht zu lesen, überrascht
mit einigen Wendungen und ist zugleich tiefgründig. Sehr gerne empfehle ich das
Buch uneingeschränkt weiter.