Montag, 14. Februar 2022

Rezension: Unser wirkliches Leben von Imogen Crimp

 

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Unser wirkliches Leben
Autorin: Imogen Crimp
Übersetzerin: Margarita Ruppel
Broschiert: 464 Seiten
Erschienen am 14. Februar 2022
Verlag: hanserblau

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Die vierundzwanzigjährige Anna hat es geschafft, an dem renommierten Opernschule am Konservatorium in London angenommen zu werden. Nur zwölf Studenten werden jedes Jahr ausgewählt. Dennoch ist der Kampf um die begehrten Rollen hart und die Miete teuer. Deshalb tritt Anna regelmäßig in einer Jazzbar auf. Dort trifft sie eines abends auf den vierzehn Jahre älteren Max, der einen gutbezahlten Job in einer Bank hat und in einem schicken Apartment mit Blick auf die ganze Stadt wohnt. Die beiden beginnen, sich regelmäßig zu treffen. Anna will alles dafür tun, um ihre Opernkarriere voranzubringen. Max zeigt sich prinzipiell unterstützend, hinterfragt aber immer wieder kritisch, ob ihr der Durchbruch als Opernstar wirklich gelingen kann und welches Leben Anna eigentlich anstrebt. Diese muss sich entscheiden, wofür sie ihre Energie investieren will.

Das Buch startet mit der ersten Begegnung zwischen Anna und Max in der Jazzbar, in welcher dieser sie nach einem Auftritt anspricht. Statt wie viele ihren Gesang zu loben gibt er zu, sich nicht sonderlich damit auszukennen. Mit seiner schlagfertigen und geheimnisvollen Art fasziniert er Anna und die beiden beginnen, sich zu treffen. Nach kurzer Zeit gibt er zu, sich in einem Scheidungsprozess zu befinden, außerdem fliegt er ständig nach New York und verbringt die Wochenenden in einem Haus auf dem Land, ohne sie einzuladen. Ihre besten Freundin Laurie, mit der sie zusammen zur Untermiete bei einem verschrobenen Ehepaar wohnt, hinterfragt immer wieder, ob er der Richtige für Anna ist. Trotz allem trifft sie sich weiterhin mit ihm.

Als Leserin erhielt ich zahlreiche Einblicke in Annas Studienalltag. Ihre Gesangslehrerin ist überzeugt von ihrem Potenzial, doch Anna sieht sich aufgrund ihrer finanziellen Situation benachteiligt. Die anderen Studenten scheinen alle finanzielle Rücklagen zu haben und sich voll und ganz auf ihr Studium konzentrieren zu können, während sie in der Jazzbar auftreten muss und in beengten Verhältnissen lebt. Auch die Vorsingen für diverse Rollen verschlingen Bewerbungsgebühren und Reisekosten, obwohl in den allermeisten Fällen eine Absage kommt. Die Autorin hat selbst kurze Zeit wie Anna an einem Konservatorium in London studiert und ich erlebte ihre Einblicke in diese Welt als authentisch.

Anna hat sich an Anfang der Geschichte voll und ganz dem Ziel verschrieben, eine erfolgreiche Opernsängerin zu werden. Max gegenüber äußert sie jedoch immer wieder auch ihre Frustration über die Rahmenbedingungen des Studiums. Ich wusste beim Lesen nie so ganz, was ich von ihm halten soll. In manchen Momenten gibt er ihr Kraft und wirkt unterstützend, in anderen sät er Zweifel und zeigt sich besitzergreifend. Dass die beiden keine gesunde Beziehung führen, ist offenbar. Das liegt aber nicht nur an Max, sondern auch Anna trägt ihren Teil dazu bei und macht sich selbst zunehmend abhängig von ihm, obwohl sie eigentlich eine eigenständige, moderne Feministin sein will. In manchen Situationen fragte ich mich, wer hier eigentlich wen mehr ausnutzt.

Beim Lesen erlebte ich eine langsame Abwärtsspirale und wartete auf den großen Knall. Nach diesem sind keine 100 Seiten mehr übrig und nachdem das Tempo lange sehr ruhig war ging mir alles zu schnell. Ich hätte mir eine ausgewogenere Länge der insgesamt vier Buchteile gewünscht. Außerdem fand ich Annas Umgang mit Geld an einigen Stellen nicht nachvollziehbar. Beispielsweise weiß sie in London günstig zu wohnen, sieht sich aber nicht in der Lage, für wenig Geld nach Paris zu kommen und dort zu übernachten.

„Unser wirkliches Leben“ ist ein Entwicklungsroman, in dem ich Anna auf dem Weg zur Opernsängerin begleitete und erlebte, wie sich dieser auf ihr Leben auswirkt, vor allem auf die Beziehung zu ihrer Freundin Laurie und ihrem Liebhaber Max, und umgekehrt. Trotz kleiner Kritikpunkte hat mir der Roman gut gefallen. Ein gewisses Interesse für die klassische Musikszene sollte man mitbringen, da die Einblicke in Annas Studium recht ausführlich sind.

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