Montag, 21. Dezember 2015

[Rezension] Anne Enright - Rosaleens Fest


*Werbung*
Titel: Rosaleens Fest
Autorin: Anne Enright
Übersetzer: Hans-Christian Oeser
Erscheinungsdatum: 09.11.2015
Verlag: DVA Verlag 
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar

Während nur noch ganz vereinzelt Blätter an Bäumen und Sträuchern hängen, beginnt Rosaleen, die Protagonistin im Buch „Rosaleens Fest“ von Anne Enright, im Jahr 2005 mit dem Schreiben von Weihnachtskarten. Sie ist 76 Jahre alt, ihr Mann längst verstorben und die inzwischen erwachsenen vier Kinder haben vor Jahren schon das Haus verlassen. Die Karten beinhalten wie jedes Jahr eine Einladung zum Fest im elterlichen Haus, der in den letzten Jahren aber nicht alle gefolgt sind. Diesmal ergänzt Rosaleen den Einladungstext um die Mitteilung, dass sie das Haus verkaufen wird. Ob das der Hauptgrund ist aus dem alle vier in diesem Jahr tatsächlich der Einladung folgen?

Bevor Rosaleen erstmals in den Fokus des Lesers tritt, lernt dieser im ersten der beiden Romanteile die Geschwister kennen. Die Erzählung beginnt im Jahr 1980 und er begegnet dort Hanna, der Jüngsten, als Kind. So wird er ganz nebenbei auch mit den übrigen Familienmitgliedern bekannt. Die weiteren Kapitel nehmen in Zeitsprüngen jeweils eins der Geschwister in den Mittelpunkt. Anlass für den Halt bei der jeweiligen Person ist ein für sie bedeutendes Ereignis. Rund um diese Begebenheit erzählt die Autorin im Rückblick oder schildert die Gedankengänge des Charakters, stets im Schreibstil eines allwissenden Erzählers. Dabei schont sie niemanden und vermag es ein ums andere Mal genau die Schwachstelle im Leben der Person zu beschreiben, immer im Bewusstsein, dass ihr Charakter darüber Bescheid weiß. Es ist nicht das Außergewöhnliche, was den Inhalt des Buchs ausmacht, sondern das was uns im täglichen Leben begegnet und von dem wir alle schon gehört haben oder betroffen sind.

Die Geschwister stehen mitten im Leben doch ihre Gedanken wandern immer wieder in ihre Heimat zu ihrer Mutter. Und sie sind sich bewusst, dass sie deren Erwartungen in Bezug auf Familie und Karriere zum größten Teil nicht erfüllt haben. Über die Jahre hinweg hat sich auch der Kontakt untereinander gelöst. Sie teilen ihre Ängste und Gefühle nicht miteinander. Selbst in ihrer neuen Umgebung haben sie keine Menschen denen sie sich vorbehaltslos anvertrauen können, jeder hat den Schein nach außen hin aufrecht zu halten, dass er das von ihm gewünschte Leben führt. Anne Enright bezieht den Leser mit der benutzen Wir-Form an einigen Stellen in ihre Geschichte ein, so dass er sich mitten in der beschriebenen Szene wiederfindet, die auch zu seinem eigenen Leben gehören könnte.

Rosaleen ist der Reibungspunkt für alle vier Geschwister. Sie ist stolz auf ihre Kinder und ihre eigene Erziehung. Aus einem betuchten Haus kommend hat sie unter ihrem Stand geheiratet. Schon früh hat sie über körperliche Wehwehchen geklagt und darüber die Aufmerksamkeit der Geschwister eingefordert. Obwohl die beiden Männer ihr Glück weit entfernt gesucht haben konnten sie sich genau wie die jungen Frauen nicht vollständig von ihrer Mutter lösen. Ein schlechtes Gewissen hat sie immer dabei begleitet, ihren eigenen Vorstellungen beruflicher Ziele nachzugehen.

Andererseits hat Rosaleen über ihre Erziehung scheinbar vergessen, dass ihre Kinder zu selbständig denkenden Menschen mit eigenen Sorgen und Problemen herangewachsen sind. Sie verschließt davor mehr oder weniger bewusst ihre Augen, blendet aus, womit sie sich in ihrem Alter nicht mehr auseinander setzen möchte, das in früheren Jahren aber auch nie gemacht hat. Sie war immer Rosaleen und hat ihre Perspektive nicht gewechselt.

Ein Ereignis am Ende des Buchs bringt alle dazu, gemeinsam zu handeln. Es stimmt den Leser nachdenklich wie Rosaleens Familie als Zweckgemeinschaft funktionieren kann und bringt die Gedankengänge hin zum Vergeben, Vergessen und einem neuen Anfang.

Die Autorin transportiert in ihrem Roman eine große Fülle Emotionen, die sie dank ihrer Beobachtungsgabe und Fähigkeit, das Gesehene, Erlebte und vielleicht Gelesene zu Papier zu bringen, glaubhaft macht. Die alltäglichen Geschichten mit ihren großen Gefühlen haben mich sehr berührt und finden sich in diesem Buch zu einer einzigen großen Erzählung zusammen in die jeder eventuell ein Teil von sich wiederfinden wird. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.



-->