Samstag, 30. März 2019

[Rezension] hell/dunkel - Julia Rothenburg

 

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hell/dunkel
Autorin: Julia Rothenburg
Hardcover: 280 Seiten
Erscheinungsdatum: 7. März 2019
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt

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Valerie ist neunzehn und entdeckt kurz nach Schulschluss eine SMS ihrer Mutter. Sie ist ins Krankenhaus gefahren und bleibt über Nacht. Stattdessen erwartet sie zu Hause überraschend ihr vier Jahre älterer Halbbruder Robert. Der ist schon vor einiger Zeit nach Marburg gezogen, um dort eine Ausbildung zu machen, während Valerie in Berlin die Höhen und Tiefen der Krankheit ihrer Mutter begleitet hat. Im Krankenhaus erfahren die beiden, dass die Lage ernst ist: Der Darmkrebs der Mutter ist so weit fortgeschritten, dass sie in Kürze sterben wird. Sie haben beide ein schwieriges Verhältnis zu ihr. Nun müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie sie mit der Nachricht umgehen und Abschied nehmen können.

Das erste Kapitel des Buches ist aus der Sicht von Valerie geschrieben, die vom erneuten Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter erfährt und kurz darauf ihren Bruder Robert, den sie in Marburg wähnte, in ihrer Wohnung in Berlin vorfindet. Das erste Gespräch zwischen den beiden ist unbeholfen. Robert hat sich schon über den Zustand der Mutter informiert und will ins Krankenhaus fahren, doch Valerie reagiert ausweichend und verweist auf Hausaufgaben, um nicht mitfahren zu müssen.

Valerie begleitet das Auf und Ab ihrer Mutter schon über eine ganze Weile und ihr Verhältnis ist kompliziert. Warum das so ist wird nicht explizit erklärt, man hört aber heraus, dass die Mutter ihren Kindern nicht allzu viel Liebe und Wärme entgegengebracht hat. Mir wurde verständlich gemacht, warum es Valerie so schwer fällt, ein gutes Verhalten für die letzten Tage ihrer Mutter zu finden. Die Nachricht beschäftigt sie sehr, an Schule kann sie nicht denken, doch am Bett ihrer Mutter will sie auch nicht sitzen.

Auch Roberts weiß gerade nicht so recht, wohin mit sich. Seine Ausbildung hat er abgebrochen und mit seiner Freundin, die in Marburg auf ihn wartet deren Verhalten und Ratschläge für ihn gerade zu verständnisvoll sind, will er nicht reden. Stattdessen sitzt er in Berlin, wo er versucht, sich über seine Zukunft klar zu werden und gleichzeitig zu seiner zugeknöpft agierenden Schwester durchzudringen.

Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht von Valerie und Robert geschrieben, sodass ich mich in beide gut hineinversetzen konnte. Sie stehen im Zentrum des Geschehens, während die sterbende Mutter, deren Vorname nur selten genannt wird genannt wird, als Objekt der Trauer selbst kaum als handelnde Person in Erscheinung tritt. In poetischer Sprache wird geschildert, wie jeder der beiden auf seine Weise mit dem nahenden Abschied umgeht.

Das Verhältnis der Halbgeschwister zueinander wandelt sich in Laufe des Buches. Sie überschreiten beim Versuch, einander Halt zu geben, schließlich eine Grenze. Diese Entwicklung kam für mich überraschend und dominiert in der zweiten Buchhälfte über weite Teile die Handlung. Die beiden kapseln sich ab, nicht nur in Richtung Umfeld, sondern auch in Richtung Leser, sodass ich das Gefühl hatte, nicht mehr ganz an sie heranzukommen.

Behutsam schildert die Autorin das Innenleben der Protagonisten, ihre Zweifel, Sorgen und Hoffnungen. Mich konnte das Buch berühren und nachdenklich stimmen. Ein gelungener Roman über zwei ungleiche Geschwister und ihre Suche nach einem Weg, um mit ihrer Trauer und dem nahenden Verlust umzugehen.

Freitag, 29. März 2019

[Rezension] Die Gescannten - Robert M. Sonntag


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Die Gescannten
Autor: Robert M. Sonntag
Hardcover: 192 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. Februar 2019
Verlag: FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch

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Im Jahr 2048 ist Jaro aufgeregt und gespannt, als er in die Zentrale der Gilde gebracht wird, die sich ganz nah an der Stadt befindet. Seine Eltern gehören schon lange zur Gilde, einer Widerstandsorganisation. Deshalb ist Jaro auf dem Land aufgewachsen, wo es kein Netz gibt und von dem die Stadtbewohner glauben, dass es sich um eine verseuchte Zone handelt. Niemand von ihnen würde auf die Idee kommen, nachzuschauen, denn dank Ultranetz finden sie es gut dort, wo sie sind. Nun wurde Jaro vom Gründer der Gilde ausgesucht, um in der Stadt eine wichtige Mission zu erledigen. Was wird er dort vorfinden?

Nachdem mir vor einigen Jahren die Dystopie „Die Scanner“ sehr gut gefallen hat, war ich neugierig auf diese Fortsetzung. Sie spielt ein gutes Jahrzehnt nach dem ersten Band. Der Megakonzern Ultranetz hat weiter an Macht gewonnen bestimmt das Leben der Stadtbewohner durch und durch. Über einen sogenannten Denker-Port am Hinterkopf sind sie inzwischen direkt mit dem Netz verbunden. So kann man mit allen Sinnen erleben, was man selbst – oder das Ultranetz – will. Der Konzern hat daraus ein umfassendes Geschäftsmodell gemacht. Für die Kontaktpflege und aufregende Erlebnisse muss man nicht mehr vor die Tür, sondern kann alles bequem von zu Hause erleben. Das kostet natürlich. Und wer nicht genug Geld hat, der muss eben regelmäßig Werbung schauen.

Jaro ist in einem netzfreien Gebiet aufgewachsen, denn seine Elterngehören zum Widerstand. Er weiß, warum diese das Ultranetz höchst kritisch sehen. Trotzdem stellt er sich für einen Einsatz in der Stadt gern zur Verfügung, da er das Ultranetz einfach mal erleben möchte. Aus seiner Perspektive erfährt man alles darüber, wie das Ultranetz funktioniert und welche Konsequenzen es hat. Viele Ideen klingen in der Tat im ersten Moment aufregend. Doch schnell wird klar, dass die Stadtbewohner sich komplett abhängig vom Ultranetz gemacht haben, das sie nahtlos überwacht und kontrolliert. Der Autor skizziert hier, was passieren könnte, wenn die Möglichkeiten nahtloser Überwachung und der Zugriff auf sämtliche persönliche Daten in die falschen Hände geraten. Kombiniert mit der futuristischen Funktion, seinen Kopf direkt ans Netz anzuschließen, ergibt sich eine dystopische Version der Zukunft, die in vielen Punkten erschreckt.

Jaro und Nana als Charaktere sind vor allem dazu da, den Leser die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu lassen. Aus der Handlung hätte man noch mehr machen können. Die Seiten sind vor allem mit Beschreibungen gefüllt, wie die dystopische Welt funktioniert, und nicht so viel Zwischenmenschlichem. Zum Ende hin gibt es noch einige überraschende Enthüllungen, die ins Nachdenken bringen und mir gut gefallen haben. Insgesamt ist „Die Gescannten“ wie sein Vorgänger eine gelungene Dystopie, die sich mit der zunehmenden Überwachung und der wachsenden Macht der Internetkonzerne beschäftigt.

Donnerstag, 28. März 2019

Rezension: Liebes Kind von Romy Hausmann


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Liebes Kind
Autorin: Romy Hausmann
Erscheinungsdatum: 28.02.2019
rezensierte Buchausgabe: Vorab-Leseexemplar
ISBN: 9783423262293
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Dass der Titel des Thrillers „Liebes Kind“ von Romy Hausmann nicht wirklich liebevoll gemeint ist, sieht man gleich anhand der Covergestaltung, denn die Buchstaben sind in zerlaufenden schwarzen Buchstaben geschrieben. Sie stehen über einer geschlossenen Gitterbox, die auf mich beim Anblick beängstigend wirkte, weil ich mich fragte, was darin eingeschlossen wurde. Der Thriller hat drei Protagonisten: Lena, Hanna und Matthias, die in unregelmäßigen Wechseln jeweils einen Teil der Geschichte in Ich-Form erzählen.

Die frühere Lehramtsstudentin Lena ist seit vierzehn Jahren in einer Hütte im Wald gefangen und kümmert sich um ihre beiden Kinder, 11 und 13 Jahre alt, die sie gemeinsam mit ihrem Entführer hat. Ihm obliegt die Aufgabe, seiner Arbeit nachzugehen, um mit den Einnahmen seine Familie zu versorgen und vor der Umwelt zu beschützen. Das ältere der beiden Kinder ist Hannah. Sie begleitet ihre Mutter ins Krankenhaus nachdem Lena ein Ausbruchversuch gelingt und damit ungeahnte Folgen auslöst. Matthias ist der Vater von Lena, der seit ihrem Verschwinden die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass Lena doch noch zu ihren Eltern zurückkehren wird.

Romy Hausmann bietet mit ihrem Thriller-Debüt eine anhaltend spannende Unterhaltung. Sie blickt auf vielfältige Art und Weise in die Abgründe des Einzelnen. Ihre Figuren handeln in einigen Fällen irrational, für mich manchmal vielleicht unlogisch, jedoch innerhalb der Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Aus der Situation heraus, im Abgleich mit den bisherigen eigenen Erfahrungen der einzelnen Charaktere, ergeben sie dennoch durchaus Sinn. Beeindruckend erschienen mir die Handlungen von Lena, die ihren Kindern mit viel Liebe, ihrer Fantasie und den wenigen, ihr zur Verfügung stehenden Dingen, eine begreifbare Welt gestaltet. Aus der Extremsituation des beschränkten, abgeschlossenen Raums heraus und über viele Jahre hinweg ist aber eine gewisse psychische und körperliche Schädigung nicht abzuwenden. Die Erzählung ist aus dieser Sicht verstörend und erzeugt daher Unbehagen über den gesamten Thriller hinweg.

Wer nach einem von Beginn bis zum Ende hin spannenden Thriller sucht, dessen Handlung berührend, erschreckend und bestürzend ist, ist bei „Liebes Kind“ von Romy Hausmann genau richtig. Gerne empfehle ich das Buch an alle Thrillerfans weiter.

Mittwoch, 27. März 2019

[Rezension] Blackwood. Briefe an mich - Britta Sabbag


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Blackwood. Briefe an mich
Autorin: Britta Sabbag
Hardcover: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. März 2019
Verlag: FISCHER FJB

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Gesine, genannt Ge, muss nach dem Unfalltod ihrer Mutter von Wien zu ihrer Tante Wanda nach Irland ziehen. Wanda lebt im kleinen Örtchen Blackwood in einem von Felsen umschlossenen Steinhaus. Doch trotz der gemütlichen Postkartenidylle will Ge am liebsten sofort wieder zurück nach Wien. Bei ihrer nächtlichen Fluchtaktion wird sie schon nach wenigen Metern von Arian aufgegabelt, der ihr danach nicht mehr aus dem Kopf geht. Vielleicht soll sie es doch mal mit Blackwood und seinen Bewohnern versuchen? Zu Ges Enttäuschung ist Arian vergeben, und bei Wanda tritt sie mehrfach ins Fettnäpfchen. Doch zum Glück gibt es da auch noch die Cafébesitzerin Mimi, die Ge mit buttriger Nervennahrung versorgt, und ihren Klassenkameraden Sam, der als angehender Reporter stets den neuesten Tratsch kennt. Schließlich staunt Ge nicht schlecht, als sie an einem schlechten Tag einen Brief an sich selbst schreibt und in den Schreibtisch legt – und am nächsten Tag eine Antwort erhalten hat! Gibt es in Blackwood etwa tatsächlich Magie?

Zu Beginn des Buches erfährt der Leser von Bran Foley, Reporter des Radio Blackwood, dass die Gemeinde einen Neuzugang in Form der fünfzehnjährigen Ge zu verzeichnen hat. Damit weiß jeder Bescheid, denn das Radio ist in Blackwood die Informationsquelle, über die alle Neuigkeiten ausgetauscht werden. Dabei hat Ge kein großes Interesse daran, im Mittelpunkt zu stehen. Sie trauert um ihre Mutter und will wieder zurück nach Wien zu ihren Freunden. Gut konnte ich nachvollziehen, wie entwurzelt sich Ge trotz des herzlichen Empfangs vorkommt.

Nach ihrer ersten Begegnung mit Arian beschließt Ge, Blackwood eine Chance zu geben und den Schulbesuch vorzeitig zu beginnen. Doch die Schule ist kein Zuckerschlecken. Lilian, die wie Arian aus reichem Hause stammt, ist die unangefochtene Königin der Klasse und von Ges Anwesenheit nicht sonderlich begeistert. Ein Lichtblick ist das bald stattfindende Theaterstück, doch die Rolle, die sie erhält, macht alles noch komplizierter. In lockerem Tonfall und mit einem Augenzwinkern wird von Ges Versuchen berichtet, in Blackwood anzukommen und Ärger aus dem Weg zu gehen, was mit ihrer tollpatschigen Art eher schlecht als recht gelingt.

Mit Blackwood hat die Autorin einen wunderbaren Ort geschaffen, in den ich am liebsten sofort gezogen wäre. Über allem liegt eine heimelige Atmosphäre und als Leser erhält man genügend Zeit, um sich dort an Ges Seite ausführlich umzuschauen und die interessanten, liebevoll ausgearbeiteten Bewohner kennenzulernen. Es gibt herzliche Charaktere, die man sofort ins Herz schließt, aber auch klare Unsympathen und solche, die Rätsel aufwerfen. Aus der Interaktion mit ihnen entwickelt sich eine lebendige Geschichte, in der Ge Herausforderungen bewältigen und Krisen meistern muss, wobei es nach Rückschlägen meist schnell wieder bergauf geht und es nie allzu dramatisch wird.

Nach rund 120 Seiten war es dann endlich so weit, und der erste lang erwartete Brief aus der Zukunft trifft ein. Diese Idee reizte mich von Beginn an besonders. Die Briefe greifen jedoch nicht so stark in die Handlung ein, wie ich gedacht hätte. Sie geben Ge vor allem emotionalen Halt statt eines Wissensvorsprungs, denn dazu ist die Ge aus der Zukunft viel zu vernünftig. So darf man als Leser wie Ge gespannt bleiben, ob sie ihr Glück finden wird. Zum Ende hin spielen die Briefe schließlich doch noch eine entscheidende Rolle, denn sie lösen eine unerwartete und dramatische Wende aus, die mich mitfiebern ließ, wie sich Ge entscheiden muss.

„Blackwood: Briefe an mich“ nimmt den Leser mit nach Irland in einen kleinen Ort, wo Neuankömmling Ge ihren Platz sucht. Ich fühlte mich an diesem verwunschenen Fleckchen Erde gleich wohl und begleitete Ge durch Höhen und Tiefen. Die Briefe aus der Zukunft geben der Geschichte einen magischen Touch und kommen anders zum Zug, als ich erwartet hätte. Spannungsmomente wurden für meinen Geschmack oft ein wenig zu schnell aufgelöst. Insgesamt ist das Buch eine echte Feelgood-Geschichte, die den Leser mit offenen Armen empfängt und zum Schmökern einlädt.

Dienstag, 26. März 2019

Rezension: Eine irische Familiengeschichte von Graham Norton


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Eine irische Familiengeschichte
Autor: Graham Norton
Übersetzerin: Silke Jellinghaus
Erscheinungsdatum: 26.03.2019
ISBN: 9783463408203
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Das Cover des Romans „Eine irische Familiengeschichte“ von Graham Norton lässt ahnen, in welch einzigartiger, aber auch abgeschiedener Landschaft ein Teil der Erzählung spielt. Wie der Titel bereits andeutet, umfasst die Schilderung Ereignisse über mehrere Jahrzehnte hinweg. Sie beginnt in dem kleinen fiktiven irischen Ort Buncarragh, der nördlich von Kilkenny liegt. Hier ist die Protagonistin Elizabeth Keane aufgewachsen.

Elizabeth kommt nach dem Tod ihrer Mutter Patricia nach Irland zurück, um dort den Nachlass ihrer Mutter zu regeln. Sie lebt seit vielen Jahren in New York als Dozentin an der Universität, ist geschieden und hat einen 17-jährigen Sohn. Beim Stöbern im Haus ihrer Mutter findet sie Briefe an den ihr unbekannten Vater Edward aus einer Zeit vor ihrer Geburt. Sie erinnert sich nicht an ihn. Patricia hat ihr erzählt, dass er starb, als sie noch ein kleines Kind war. Das Testament ihrer Mutter birgt eine Überraschung, denn sie wird Besitzerin des Anwesens von Edward in Muirinish, dem sogenannten „Castle House“, das auf einer Klippe am Rand der Keltischen See steht. Elizabeth macht sich auf die Suche nach den Hintergründen der Briefe und lernt dabei mehr über die schwierige Beziehung ihrer Eltern zueinander.

Graham Norton erzählt eine berührende Geschichte über zwei Zeitebenen. Gleich zu Beginn machte er mich neugierig mit einer Begebenheit, aus der sich bereits das Spannungsverhältnis von Edward zu seiner bei ihm lebenden Mutter herauslesen lässt. Die Abfahrt eines Krankenwagens ließ mich nichts Gutes ahnen. Es dauerte sehr lange, bis ich die Szene in den Kontext der Erzählung einordnen konnte. Bis dahin lernte ich abwechslungsreich gestaltete Charaktere in einem Roman voller Tragik kennen. In der Vergangenheit kämpft der arglose Edward um die Gunst von Patricia, die ihr Leben bisher der Pflege ihrer kranken Mutter gewidmet hat. Doch die weiteren Jahre ihres 32-jährigen Lebens möchte sie nun nach deren Tod an der Seite eines Ehemanns verbringen.

Die Bekanntschaft mit Patricia führt Edward die Schwierigkeit im Zusammenleben mit seiner Mutter, die die Schatten der Vergangenheit nicht ablegen kann, vor Augen und veranlasst ihn zu einer Überreaktion. Manche Geschehnisse zum damaligen Zeitpunkt erschienen mir ein wenig überzogen. In der Gegenwart verfolgte ich die Suche von Elizabeth nach den Geheimnissen ihrer Eltern, die mich durch ständige Wechsel der zeitlichen Perspektive ungeduldig auf die Auflösung warten ließ. In einer Nebenhandlung erzeugt der Autor rund um den Sohn von Elizabeth eine weitere bewegende Story.

„Eine irische Familiengeschichte“ von Graham Norton ist eine Erzählung voller Drama über Liebe, Hass, Trauer und verpassten Chancen, die vor der grünen irischen Landschaft mit schroffen Steilküsten spielt und mich gut unterhalten hat. Gerne empfehle ich den Roman an Leser von bewegenden Büchern mit Familiengeheimnissen weiter.

Montag, 25. März 2019

[Rezension] Der Bücherdrache - Walter Moers


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Der Bücherdrache
Autor: Walter Moers
Hardcover: 192 Seiten
Erscheinungsdatum: 25. März 2019
Verlag: Penguin Verlag

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In einem Traum wird Hildegunst von Mythenmetz in ein Buch verschleppt, wo er den Buchling Hildegunst Zwei trifft, der das gesamte Werk des Schriftstellers auswendig lernt. Der Buchling erzählt ihm eine Geschichte aus seinem Leben: Einst hörte er während einer Schulstunde die Legende von Nathaviel, dem Bücherdrachen. Dieser soll im Ormsumpf hausen und sich schon so lange in ormgetränkter Literatur wälzen, dass er zum Orakel geworden ist. Als er einigen Mitschülern berichtet, dass ihm eine besonders gute Frage für den Bücherdrachen eingefallen ist, offenbaren die ihm, dass die Legende wahr ist und sie den Weg kennen. Der Weg zum Drachen soll gar nicht weit sein! So machte sich Hildegunst Zwei spontan auf dem Weg und erlebt Dinge, mit denen er niemals gerechnet hätte.

Das Cover des Buches ist für mich ein echter Hingucker: Der Bücherdrache blickt den Leser mit ernsten Augen an, davor steht ein kleiner Buchling mit einem Blick, in dem eine Mischung aus Neugier und Angst liegt. Nach acht Jahren endlich wieder ein neuer Zamonien-Roman, der von Walter Moers selbst illustriert wurde! Auch das Thema reizte mich sehr: Ein Drache, der sich so lange in ormgetränkten Büchern gewälzt hat, dass diese nicht nur seinen ganzen Körper eingehüllt haben, sondern er auch all ihr Wissen aufgesogen hat.

Bevor man mehr über den Bücherdrachen erfährt wird dem Leser berichtet, wie Hildegunst von Mythenmetz von dieser Geschichte erfahren hat: Über einen Traum, in welchen er in ein Buch verschleppt wird, wo er ein Buch findet, in das er verschleppt wird und Hildegunst Zwei trifft, der ihm eine Geschichte erzählen will. Ein verwirrendes, Inception-mäßiges Intro, das meiner Neugier aber keinen Abbruch tat.

Schon bald beginnt Hildegunst Zwei, dem Schriftsteller seine Geschichte zu erzählen. Sie führt den Buchling hinaus aus der Ledernen Grotte, in dem sein Volk in Frieden lebt, und hinein in die unbekannte Welt der Katakomben von Buchhain. Dort macht er aufregende Entdeckungen, erlebt einige Überraschungen und erfährt große Geheimnisse.

Die lebendigen Beschreibungen und gelungenen Illustrationen machten die wundersame Welt der Katakomben und des Ormsumpfes greifbar und ließen mich tief ins Buch eintauchen. Der Kern des Buches und mein Highlight ist ein längerer Dialog - humorvoll, philosophisch und voller Wortwitz. Hier läuft der Autor zu Höchstform auf und konnte mich absolut begeistern.

Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es an einem einzigen Abend durchgelesen. Zum Ende hin wird es noch einmal spannend und ist dann viel zu schnell vorbei. Denn nach nur 165 Seiten heißt es Abschied nehmen, auf den letzten 20 Seiten des Buches ist eine Leseprobe von „Die Insel der 1000 Leuchttürme“ abgedruckt. Insgesamt eine absolut gelungene Geschichte aus den Katakomben von Buchhaim. Ein Must Read für alle Zamonien-Fans!

Sonntag, 24. März 2019

Rezension: Luftgänger von Jewgeni Wodolaskin


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Luftgänger
Autor: Jewgeni Wodolaskin
Übersetzerin: Ganna-Maria Braungardt
Erscheinungsdatum: 15.03.2019
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN; 9783351037048
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Ein vereister See mitten in einem verschneiten Wald als Titelbild des Romans „Luftgänger“ von Jewgeni Wodolaskin spiegelt die Kälte und Einsamkeit wieder, die der Protagonist Innokenti Petrowitsch Platonow in seinen jungen Jahren erfahren hat. Als Kind hat er mit seinem Cousin Sewa Drachen fliegen lassen und sich für die Aeronautik interessiert. Gerne hätte er sich vom Aufwind tragen lassen und wäre durch die Luft gegangen. Er war derjenige, der lenkte, Sewa stand hinter ihm. Doch wie sich später in der Geschichte herausstellen wird, hat sein Cousin in einer wichtigen Situation eine Entscheidung getroffen, die seinen weiteren Lebensweg maßgeblich beeinflusst.

Platonow, etwa dreißig Jahre alt, erwacht im Krankenhaus aus der Bewusstlosigkeit. Geiger, der behandelnde Arzt, stellt sich ihm vor und fragt ihn nach seiner Erinnerung. Obwohl ihm die Frage seltsam erscheint, stellt er fest, dass er sich nur an Unbedeutendes erinnert. Schrittweise kehren Szenen und Eindrücke zurück an eine Zeit der ersten Jahrzehnte im letzten Jahrhundert: Eine Kindheit in St. Petersburg zur Zarenzeit, eine erste aufkeimende Liebe während des Russischen Bürgerkriegs und schließlich der Aufenthalt im Straflager auf den Solowki-Inseln. Obwohl sein Umfeld sorgsam vorbereitet wurde, bleibt ihm nicht lange verborgen, dass Jahrzehnte seitdem vergangen sind. Geiger bestätigt ihm, dass inzwischen das Jahr 1999 geschrieben wird. Nach und nach löst sich im Folgenden durch weitere Erinnerungen das scheinbare Paradoxon langsam auf.

Schon bald nach Beginn der Erzählung wurde mir genauso wie dem Ich-Erzähler Platonow bewusst, dass es etwas Störendes zwischen den Erinnerungen und dem Erwachen als junger Mann in der Gegenwart gibt. Bis zur Auflösung verblieb eine gewisse Spannung im Hintergrund. Deutlich überlagert wurde sie jedoch von der bewegenden und berührenden Geschichte des Protagonisten. Mit der zunehmenden Rückkehr seiner Erinnerungen erfuhr ich als Leser immer mehr über seine Kindheit, Jugendzeit, als Student und schließlich als Strafgefangener. Gleichzeitig beginnt seine Rekonvaleszenz im Jahr 1999, die verbunden ist mit einer schrittweisen Rückkehr in den Alltag. Noch während Platonow um seine Gesundheit kämpft, holt die Vergangenheit ihn ein. Er erlebt eine Begegnung auf die er nicht zu hoffen gewagt hat und die bei mir unterschiedliche Gefühle auslöste. Ich habe mich für Platanow gefreut, war aber auch erstaunt und habe ihn in der Situation aus bestimmten Gründen ebenfalls ein wenig bemitleidet. Zum Schluss habe ich jedoch vergeblich darauf gewartet zu erfahren, was aus denjenigen wurde, die ein ähnliches Schicksal wie Platonow erlitten hatten.

Der Roman besteht aus zwei Teilen. Im ersten Romanabschnitt hält der Protagonist in Tagebuchform die für ihn wichtigsten Gedanken fest. Im zweiten Teil schreiben auch zwei Bezugspersonen der Hauptfigur ein Tagebuch. Die Fassungen der drei verschiedenen Personen verschmelzen immer mehr. Dadurch wird deutlich, dass die Vergangenheit Platonows nicht nur ihn, sondern ein ganzes Land betrifft. Seine Erlebnisse stehen stellvertretend für viele und sollen nicht in Vergessenheit geraten. Sein Leben zeigt, dass nicht immer die Pläne derjenigen überleben, die die Macht innehaben. Doch Alternativen dazu sind fragil, unbekannt und stoßen daher auf Befremdung. Am Ende bleiben einige Fragen offen.

„Luftgänger“ von Jewgeni Wodolaskin ist eine emotional ergreifende Erzählung, die in die wechselhafte Geschichte des Russlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts führt. Die Gestaltung der Schilderung ist außergewöhnlich und daher besonders lesenswert. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Montag, 18. März 2019

[Rezension] Die Liebe im Ernstfall - Daniela Krien

 

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Die Liebe im Ernstfall
Autorin: Daniela Krien
Hardcover: 228 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. Februar 2019
Verlag: Diogenes

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Die fünf Frauen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde stehen mitten im Leben und haben doch immer wieder das Gefühl, den Halt zu verlieren. Paulas Leben ist aus den Fugen geraten, als sie das jüngere ihrer beiden Kinder verloren hat. Judith sucht seit Jahren über Online-Plattformen nach immer neuen Männern. Brida versucht, einen gemeinsamen Urlaub mit ihren Kindern, ihrem Ex-Mann und dessen neuer Freundin durchzustehen. Malika steht schon immer im Schatten ihrer Schwester Jorinde. Doch auch deren Leben ist alles andere als perfekt.

In fünf Kurzgeschichten von etwa gleicher Länge taucht der Lesen ein in die Leben von ganz verschiedenen Frauen, deren Geschichten sich an einigen Stellen kreuzen. Sie alle haben in ihrem Leben schon so einiges erlebt: Liebe, Freude und Erfolg, aber auch Trennungen und Verluste. Sie alle haben schon einmal erlebt, wie es ist, in ein Loch zu fallen und sich wieder aufrappeln zu müssen. Und sie alle haben dabei nie den Willen verloren, sich selbst treu zu bleiben.

Ich habe jede der Geschichten in hohem Tempo gelesen, da der Aufbau jeweils neugierig darauf macht, mehr über das Schicksal der jeweiligen Protagonistin erfahren zu wollen. Es gibt immer sowohl eine Handlung in der Gegenwart als auch zahlreiche Rückblicke, sodass man Einblicke in diverse Episoden erhält, welche die Protagonistin nachhaltig geprägt haben. Dabei muss ich sagen, dass für meinen Geschmack in diesem Buch zu viel fremdgegangen wurde und die deutliche Mehrheit der Männer in keinem guten Licht dasteht. Ich habe mich schwer damit getan, mich emotional auf die fünf Protagonistinnen einzulassen.

Großzügige Zeitsprünge sorgen dafür, dass man die Konsequenzen gewisser Entscheidungen miterleben kann. Alle müssen ihr Leben schließlich neu ordnen und entscheiden, wie es für sie weitergehen kann. Dabei endet jede Geschichte relativ offen und überlässt die Beantwortung einiger Fragen der eigenen Fantasie. Ein Buch für alle Leserinnen, die Lust darauf haben, fünf ganz unterschiedliche Frauen durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu begleiten.

Sonntag, 17. März 2019

Rezension: Goldschatz von Ingrid Noll



Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Goldschatz
Autorin: Ingrid Noll
Erscheinungsdatum: 27.02.2019
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leineneinband mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257070545
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Einen „Goldschatz“ findet die Ich-Erzählerin und Protagonistin Trixie im gleichnamigen Roman von Ingrid Noll. Sie schildert in ihrer Geschichte, wie es dazu kam und zu welchen Verwicklungen der Fund führt. Verliebt und ein wenig verlegen wirkt die junge Frau auf dem Ausschnitt eines Gemäldes des französischen Malers Boulet, das auf dem Cover zu sehen ist. Auch die Hauptfigur des Romans ist verliebt und lässt sich auf ein alternatives Wohnprojekt ihres Freunds ein, ohne über weitere Konsequenzen länger nachzudenken.

Trixie studiert Heidelberg mit dem Ziel, Sonderschullehrerin zu werden. Sie gehört zum Klub „Gegenstrom“, den ihr Freund Henry mit einigen Freunden gegründet hat. Die Mitglieder stellen sich bewusst gegen übertriebenen Konsum und wenden sich hin zur Wiederverwertung von Sachen. Die Eltern von Trixie haben gerade ein marodes Bauernhaus in Mannheim von einer Tante geerbt. Trixie kommt die Idee hier eine Wohngemeinschaft mit Henry und weiteren Freunden und Bekannten zu gründen. Geld zum Renovieren ist keines vorhanden. Doch beim Aufräumen der Hinterlassenschaft finden die Trixie und ihre Freundin Saskia einen Sack mit Münzen. Der Schatz weckt Begehrlichkeiten,  die über die notwendigen Anschaffungen für Reparaturen hinausgehen. Doch dann ist der Schatz genauso schnell wieder verschwunden, wie er gefunden wurde. Ein alter Nachbar, der den Hausgenossen mit Misstrauen begegnet, scheint in das Verschwinden involviert zu sein. Der Beginn einer Jagd nach dem Schatz ist damit gelegt.

Ingrid Noll widmet sich in ihrem neuen Roman dem Trend der Nachhaltigkeit. Auf den ersten Seiten des Buchs weist sie auf den Umstand hin, dass es heute ein dringendes Bedürfnis der Generation Z nach Sicherheit zu geben scheint. Ebenso mangelt es den jungen Leuten aber an der Aufmüpfigkeit der vorigen Altersgruppen, die konsequent bestimmte Ziele verfolgten. Kritisch schaut sie auf die Möglichkeit durch Konsumverzicht ein neues gemeinsames Interesse zu schaffen. Geschickt spielt die Autorin  mit materiellen Anreizen, die bei mir schnell die Frage aufwarfen, wie lange ihre Figuren dem schnöden Mammon widerstehen können. Natürlich wollte ich wissen, zu welchen Maßnahmen sie greifen werden, um in seinen Besitz zu kommen und ob sie dabei ihre Vorsätze gelinde vergessen oder sich diese in ihrem Sinne zurechtbiegen werden. Nach einem gelungenen Start der Hausgemeinschaft kommt es recht bald zu der Andeutung auf mögliche Funde im alten Gerümpel, jedoch noch ohne spezifische Benennung. Dadurch wird die Spannung sachte aufgebaut und hält bis zum Ende an. Wie sich erst spät und nach vielen Wendungen herausstellt, verbirgt sich hinter dem Fund des Münzbeutels ein mörderisches Geheimnis.

Auch diesmal erzählt die Autorin mit ihrem typischen sarkastisch lakonischen Stil und spielt mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie schildert Situationen, in die die Handelnden scheinbar zufällig geraten und von ihren Gefühlen getrieben werden, wodurch es manchmal zu spontanen, nicht beabsichtigen Reaktionen kommt, die bitterböse sein können. Ingrid Noll vermittelt gerne den Eindruck der Schuldlosigkeit ihrer Figuren, die trotz ihrer verschlagenen Art sympathisch bleiben.

Mit „Goldschatz“ hat Ingrid Noll wieder einen kurzweiligen Roman geschrieben. Meisterhaft führt sie dem Leser vor Augen, welche Reize ein greifbares Vermögen bietet und wie rasch alle Vorsätze abgelegt werden, es zu verwenden. Das Buch ist für jeden Fan der Autorin ein „Muss“ und gerne gebe ich auch an alle anderen eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Samstag, 16. März 2019

[Rezension] Rückwärtswalzer - Vea Kaiser


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Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger
Autorin: Vea Kaiser
Hardcover: 304 Seiten
Erscheinungsdatum: 7. März 2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

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Lorenz Prischinger ist Schauspieler und lebt in Wien. Seine Karriere ist in letzter Zeit jedoch ins Stocken geraten, und in Kombination mit seiner ungebrochenen Kauflust steht er nun vor einem Schuldenberg. Notgedrungen zieht er bei Tante Hedi und Onkel Willi ein, in deren Küche auch Hedis Schwestern Mirl und Wetti ständig anzutreffen sind. Warum die drei so viel Zeit miteinander verbringen, darüber hat Lorenz sich bislang nicht viele Gedanken gemacht. Als Willi überraschend stirbt, soll er seinem Wunsch entsprechend im Familiengrab in Montenegro beigesetzt werden. Doch auch die Tanten sind knapp bei Kasse, sodass sie kurzerhand beschließen, die Überführung auf eigene Faust mit Willis Panda zu erledigen. Von Wien bis Montenegro sind es schließlich nur 1029 Kilometer…

Gleich im ersten Kapitel begegnet der Leser dem Schauspieler Lorenz Prischinger, für den es derzeit nicht gut läuft. Er ist hoch verschuldet und kann daran nichts ändern, da seit einiger Zeit die Engagements ausbleiben. Auch seine Freundin will nichts mehr von ihm wissen. Lorenz‘ Situation wird mit tragisch-komischem Tonfall geschildert und ich war neugierig, ob es ihm gelingt, aus der Misere herauszukommen.

Als vorübergehende Maßnahme zieht Lorenz bei seiner Tante Hedi und seinem Onkel Willi ein. Hedi und ihre Schwestern Mirl und Wetti verhalten sich Lorenz gegenüber stets wie Glucken, die ihn mit Unmengen Paniertem versorgen. Sie machten auf mich einen weltfremden und kauzigen Eindruck, zum Beispiel fahren sie alle kein Auto trotz bestandener Führerscheinprüfung und waren noch nie im Ausland.

Doch nicht immer haben die Tanten ihre Tage gemeinsam in der Küche verbracht. Der Roman springt nach jedem Kapitel in der Gegenwart einmal in die Vergangenheit und gibt aufschlussreiche Einblicke in die Geschichte der Familie Prischinger. Die drei Frauen sind gemeinsam mit ihren beiden Brüdern auf einem Wirtschaftshof aufgewachsen, in dessen Gasthaus russische Besatzungssoldaten lebten. Sie alle hat es schließlich hinaus in die Welt gezogen, wo es immer wieder Momente gab, in denen sie wegweisende Entscheidungen treffen mussten und die der Leser miterleben darf. Doch nicht alle alten Geschichten werden bereitwillig geteilt. Man merkt schnell, dass es gewisse Themen gibt, die bewusst umschifft werden und bis heute emotional nicht aufgearbeitet wurden.

Sowohl die Rückblenden als auch die Kapitel in der Gegenwart, in denen schließlich ein skurriler Roadtrip auf dem Programm steht, konnten mich begeistern. Vea Kaiser ist es gelungen, eine in erster Linie unterhaltsame Geschichte zu schreiben, die trotz reichlich schräger Situationen nicht ins alberne abrutscht und auch viele Momente beinhaltet, die mich berühren konnten und nachdenklich gestimmt haben. Dieses Familienepos ist ein Lesehighlight, das ich uneingeschränkt weiterempfehle!

Mittwoch, 13. März 2019

Rezension: Rheinblick von Brigitte Glaser


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Rheinblick
Autorin: Brigitte Glaser
Erscheinungsdatum: 22.02.2019
Verlag: Ullstein
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
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Der Roman „Rheinblick“ von Brigitte Glaser brachte mich handlungsmäßig nach Bonn in das Jahr 1972. Sonja und Hilde, die Protagonistinnen der Geschichte, genießen gerne den Blick über den Rhein auf den Drachenfels im Siebengebirge, wie er auf dem Cover zu sehen ist. Ich war auch schon mehrfach hier zu Besuch, weil ich die Gegend sehr mag.

Die 23-jährige Logopädin Sonja Engel wohnt in einer Wohngemeinschaft mit den Studenten Kurt, Max und Tine. Im November 1972 wird ein zunächst geheimnisvoller Politiker eingeliefert, den sie nach einer Stimmband-OP betreuen soll. Es ist der gerade neu gewählte Kanzler Willy Brandt ist. Es stellt sich die Frage, ob er für eine Weile ohne Stimme seine Geschäfte in seinem Sinne fortführen kann oder ob es vielleicht Parteigenossen gelingen wird, sich einen Teil seiner Macht zu eigen zu machen.

Unterdessen herrscht das alltagsübliche Treiben in der Gaststätte „Rheinblick“ von Hilde Kessel. Nach dem Tod ihres Ehemanns vor zwei Jahren führt sie das Lokal alleine weiter. Hier treffen sich Politiker aller Couleur, deren Mitarbeiter und viele Bonner Bürger zum Essen, auf ein Kölsch und zum Gedankenaustausch. Hilde hat sich als diskret erwiesen und wird von manchem Gast ins Vertrauen gezogen. Doch jetzt findet sie sich in einem politischen Intrigenspiel um Postengerangel im Kanzleramt wieder.

Brigitte Glaser schafft es, ein realistisches Bild der Geschehnisse zur Kanzleiwahl und den darauffolgenden Tagen im November 1972 entstehen zu lassen. Neben den historisch verbrieften Persönlichkeiten, wie beispielsweise Brandt, Schmidt, Bahr und Wehner lässt sie auch fiktive Figuren agieren, die ihre eigenen Ecken und Kanten haben. Sonja und Hilde blicken manchmal auf die vergangenen Jahre zurück und haben sich aus ihren Erfahrungen heraus weiterentwickelt. Jedoch wird auf dem politischen Parkett nach wie vor integriert, gehasst und gegeneinander ausgespielt. Die beiden Frauen sind auf ihre Weise damit verknüpft und obwohl das Ränkespiel ihnen bewusst ist, besteht die Schwierigkeit nicht nur darin, unbehelligt aus einer solchen Situation herauszufinden sondern vor allem erscheint es nahezu unmöglich, sich davon fernzuhalten.

Neben der Darstellung der politischen Lage schreibt die Autorin auch über erste Erfolge der Emanzipation von Frauen und über deren Ansehen in der Gesellschaft. Sie schildert das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft und das studentische Leben. Neben der Hoffnung auf Genesung des Kanzlers bindet sie eine zarte Liebesgeschichte in den Roman ein und lässt in einer Nebenhandlung einen Mord aufklären der verbunden ist mit dem düsteren Kapitel der Misshandlung von Kindern in Heimen. Ebenso trägt ein kurzer Einblick in den Journalismus einer Zeitschrift zur abwechslungsreich ausgestalteten Erzählung des Romans.

Im Anhang findet sich ein Soundtrack, denn die Geschichte wird von Brigitte Glaser mit entsprechender Musik, die damals gehört wurde, unterlegt und viele werden sich beim Lesen an die Lieder erinnern. Anhand einer Literaturliste findet der Leser passende Lektüre über die damaligen Politiker und ihre Zeit, in einem Glossar sind die wichtigste Begriffe aus Wirtschaft und Politik erklärt sowie biografische Daten berühmter Staatsmänner aufgeführt.

„Rheinblick“ ist eine anschauliche Lektüre über ein wenig bekanntes Kapitel der deutschen Geschichte, nämlich der Stimmbanderkrankung von Willy Brandt unmittelbar an seine Kanzlerwahl 1972. Brigitte Glaser lässt die Ereignisse gekonnt authentisch präsent werden und baut nebenher noch durch die Handlungen eine gewisse Spannung auf und hält sie bis zum Schluss. Ich wurde von dem Roman bestens unterhalten und empfehle ihn gerne weiter.

Dienstag, 12. März 2019

[Rezension] Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer - José Eduardo Agualusa





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Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer
Autor: José Eduardo Agualusa
Übersetzer: Michael Kegler
Hardcover: 304 Seiten
Erscheinungsdatum: 14. Februar 2019
Verlag: C.H. Beck

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Der angolanische Journalist Daniel Benchimol lebt schon lange getrennt von seiner Frau Lucrécia. Der Bruch erfolgte, weil er kritische Artikel zur politischen Lage im Ausland veröffentlichte und Lucrécia sich auf die Seite ihres Vaters, eines reichen Unternehmers, stellte. Daniel strebt nach journalistischen Erfolgen und führt seine Interviews nicht nur in der Realität, sondern auch im Traum. Doch Lucrécias Vater stellt sich seiner Karriere aktiv in den Weg, und nun ist auch die Scheidung vollzogen. Als Daniel kurz darauf schwimmen geht, findet er einen Fotoapparat mit Aufnahmen einer ihm unbekannten einer Frau, die schon mehrfach in seinen Träumen vorkam. Seine Recherche bringt Erstaunliches zutage…

Als ich mit der Lektüre begann, war ich vor allem neugierig auf das Setting des Romans. Ich habe bislang kein Buch über Angola gelesen und kannte mich auch mit der politischen und gesellschaftlichen Situation vor Ort nicht detailliert aus. Dieses Wissen hilft jedoch, um gewisse Dynamiken im Buch zu verstehen, weshalb ich mich parallel zur Lektüre damit beschäftigte. Die wichtigsten Ereignisse findet man als Leser auch hinten im Buch.

Daniel ist ein Charakter, der durch sein Schreiben etwas bewegen will, sich mit Taten aber gleichzeitig zurückhält. Dass er ständig von Interviews träumt beschäftigt ihn, vor allem, als er Fotos einer Frau findet, die ihm bislang nur im Traum begegnet ist. Es handelt sich um Moira, die sich selbst intensiv mit ihren Träumen beschäftigt und diese in Kunstwerken verarbeitet. Auf Daniels Kontaktaufnahme reagiert sie mit Interesse.

Wie der Titel schon sagt spielen Träume in diesem Buch eine zentrale Rolle. Daniel flieht oft aus der Stadt zu seinem Freund, dem Hotelbetreiber Hossi. Dieser erinnert sich nie an seine Träume, doch er selbst erscheint immer wieder in den Träumen von Menschen in seiner Umgebung. Seine Zeit als Guerillo holt ihn gedanklich immer wieder ein, und er hat das Gefühl, dass gewisse Personen noch immer nach ihm suchen. Daniels Tochter, die behütet und von Reichtum umgeben bei ihrer Mutter aufgewachsen ist, träumt von einer anderen Zukunft, seit sie sich mit der Situation im Land auseinandergesetzt hat. Sie wird bei einer Protestaktion gegen den Präsidenten festgenommen und trifft eine folgenschwere Entscheidung.

Der Roman beleuchtet die Situation in Angola sowohl der letzten Jahrzehnte als auch heute. Er spielt sich im wohlhabenderen Umfeld ab und thematisiert vor allem die politische Situation, während die extreme Armut eher eine Nebenrolle spielt. Die vergangenen Bürgerkriege und der Traum von echter Freiheit bewegt die Handelnden. Sie alle haben ein Thema, das sie in besonderem Maße antreibt: Selbstverwirklichung und Wahrheitssuche, das Aufarbeiten der Vergangenheit, Klarheit erlangen über den weiteren Weg und selbst ein Zeichen setzen für eine bessere Zukunft.

Während die Geschichte mehrfach die Perspektive wechselt und durch die Zeit springt bleibt Daniel der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Dennoch fiel es mir immer wieder schwer, den roten Faden zu finden, denn die Kapitel hängen nur lose zusammen und die Handlung bewegt sich mal hierhin, mal dorthin. Dabei sammelt man als Leser Informationen, die man selbst zusammensetzen muss, um einen Blick aufs große Ganze zu erhaschen. Die Geschichte steckt voller Symbolik, die sich mir nur langsam erschloss. Insgesamt fand ich den Ansatz spannend, sich über das Thema Träume mit der politischen und gesellschaftlichen Lage in Angola zu beschäftigen!
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