Sonntag, 30. Juni 2019

Rezension: Der Zopf meiner Großmutter von Alina Bronsky


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Zopf meiner Großmutter
Autorin: Alina Bronsky
Erscheinungsdatum: 09.05.2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462051452
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Im Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ von Alina Bronsky erzählt der inzwischen erwachsene Maxim von seiner Kindheit und Jugend. Er wurde von seinen Großeltern erzogen, an seine Eltern kann er sich nicht erinnern. An ihrer Seite kam er aus der russischen Großstadt nach Deutschland als Kontingentflüchtling, denn zu denen zählte die Familie, weil ein entfernter Verwandter angeblich jüdisch wäre, wie seine Großmutter Margarita Iwanowna, kurz Margo gerufen, ihm erklärt. Um seine Oma kreist sein gesamter Kosmos, sie behütet und beschützt ihn vor allen äußeren Einflüssen, von denen sie glaubt, dass sie Max schaden könnten. Die ungewohnte Umgebung im Wohnheim für Flüchtlinge in einem Ort in der Nähe von Frankfurt bringt neue Herausforderungen für die Großmutter mit und so fällt es ihr nicht auf, dass ihr Ehemann sich in die alleinstehende Nachbarin verliebt mit der sie sich umständehalber angefreundet hat.

„Der Zopf meiner Großmutter“ ist der erste Roman, den ich von Alina Bronsky gelesen habe. Die Vielschichtigkeit mit der sie ihre Figuren gestaltet, hat mir sehr gut gefallen. Zunächst war ich irritiert darüber, warum die Großeltern den Weg nach Deutschland gesucht haben, warum sie ihren Enkel großziehen und warum Margo ihn von allem absondert. Ist es unbändige Liebe mit der sie ihn erdrückt oder vielleicht eher Berechnung? Erst ganz zum Ende hin klärte sich, wie von mir erwartet, meine Verunsicherung. Bis dahin erfuhr ich von der früheren Karriere der Großmutter als Tänzerin, die sie für ihre Familie aufgegeben hat. Langsam wurde mir deutlich, dass sie jeder Sache, auf die sie sich einlässt mit Leib und Seele nachgeht, allerdings auch unter ständigem Klagen, dass auf Dauer zusammen mit ihren fehlenden Sprachkenntnissen zu ihrer Vereinsamung führt. Sie reagiert oft unwirsch, ist aber sofort um eine Lösung bei Problemen bemüht, sie sucht sowohl nach Mitleid wie auch nach Bewunderung. Letzteres erhält sie in ausreichendem Maße von ihrem Ehemann, der ihr fast jeden Wunsch erfüllt. Sein fehlendes Durchsetzungsvermögen sucht er durch Heimlichkeiten zu ersetzen. Durch seinen Fleiß ernährt er die Familie. Für Max ist er ungeahnt ein Vorbild, denn auch er entzieht sich im Laufe der Jahre immer mehr dem Einfluss seiner Großmutter durch stillschweigendes Ausprobieren von ihr verbotener Handlungen und durch seine Fantasie. Trotz der zunehmenden Infragestellung ihrer Anweisungen, bleiben ihm ihre Ermahnungen dennoch ständig präsent.

Alina Bronsky schildert mit scharfem Blick fürs Detail und feiner Ironie eine Geschichte über eine durch das Schicksal reduzierte Familie, bei der es eine Auseinandersetzung mit Schuld und Unvermögen lange nicht gegeben hat. Gleichzeitig ist es eine Suche nach Neuorientierung und heimisch werden. Symbolisch dazu lässt die Autorin zum Schluss einen alten Zopf abschneiden, eine veraltete Methode um sich neuen Ideen zuzuwenden. Ich habe mich köstlich beim Lesen dieser bitter-süßen Erfahrungen von Max amüsiert, die unterhalten aber auch bewegend sind. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter. 

Donnerstag, 27. Juni 2019

Rezension: Glück ist meine Lieblingsfarbe von Kristina Günak


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Glück ist meine Lieblingsfarbe
Autorin: Kristina Günak
Erscheinungsdatum: 31.05.2019
Verlag: Bastei Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783404178360
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„Glück ist meine Lieblingsfarbe“ ist ein einfühlsam geschriebener Liebesroman von Kristina Günak. Die Ich-Erzählerin Juli hat ihren Job bei einer Versicherung in Hamburg kurzfristig gekündigt. Ihre Gründe dafür bleiben lange im Dunkeln, doch von Beginn an spürte ich aufgrund von Andeutungen, dass ihr Entschluss auf einem Ereignis beruhte, das sie unvorhergesehen gefühlsmäßig schmerzlich getroffen hatte. Ein Freund aus ihrer Kindheit lebt auf La Palma/Spanien und sie folgt nach diesem großen Einschnitt in ihrem Leben gerne seiner Einladung. Inzwischen hat sie dort eine kleine Kellerwohnung in einem Dorf bezogen und verdient ein wenig Geld als Hundeausführerin und Verkäuferin auf einem Foodtruck. Auf einer Party lernt sie den deutschen Immobilienmakler Quinn kennen. Er erscheint ihr zwar freundlich und hilfsbereit, sie spürt jedoch, dass er eine Fassade aufgesetzt hat. Der erfolgreiche Geschäftsmann, der seiner Arbeit rund um die Uhr nachzugehen scheint, verbirgt eine große Verletzlichkeit. Beide finden weder die Gelegenheit noch die Worte dazu, über ihre Vergangenheit miteinander offen zu reden. Das fragile Vertrauen zueinander, droht dadurch wieder zum Einsturz zu kommen.

Durch ihre freimütige, aber manchmal unbeholfene Art gewinnt Juli schnell Freunde. Im Umgang mit Hunden entwickelt sie zunehmend einen entschlossenen, sensiblen Ton, dem die Tiere gerne folgen. Sie sucht nach einer Tätigkeit von der sie sowohl ihren Lebensunterhalt bezahlen kann, die aber auch sinnerfüllend ist und Spaß macht. Dabei erkennt sie, dass sie eventuell auch das, was sie sich bisher aufgebaut und lieb gewonnen hat, zurücklassen muss. Hinter den Problemen der handelnden Figuren tritt die Beschreibung der Insel zurück. Dafür konnte ich aber die Besorgnis und den Zusammenhalt der Bewohner des Dorfes, in dem Juli lebt, deutlich spüren.

Kristina Günaks Roman ist gut durchdacht und bewegend. Durch die gewählte Erzählform konnte ich mich in die innere Zerrissenheit der Protagonistin einfühlen. Verlust und Vergangenheitsbewältigung werden geschickt von der Autorin durch amüsante Szenen überspielt. Sie geben dem Roman eine gewisse Leichtigkeit. „Glück ist meine Lieblingsfarbe“ ist eine unterhaltsame Geschichte mit Tiefgang, die sich jetzt im Sommer auch besonders gut als Strandlektüre eignet.

Freitag, 21. Juni 2019

[Rezension] Meistens kommt es anders, wenn man denkt - Petra Hülsmann

 

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Meistens kommt es anders, wenn man denkt
Autorin: Petra Hülsmann
Taschenbuch: 512 Seiten
Erscheinungsdatum: 31. Mai 2019
Verlag: Bastei Lübbe

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Voller Elan beginnt Nele ihren neuen Job in der Hamburger PR-Agentur M&T. Sie ist fest entschlossen, dort Karriere zu machen, nachdem sie ihre alte Agentur nach der Trennung von ihren Freund und Kollegen Tobi freiwillig verlassen hat. Der Start verläuft reibungslos - bis der zweite Agenturinhaber Claas Maurien aus dem Urlaub kommt. Gemeinsam mit ihm soll sie an einer Imagekampagne für einen Politiker arbeiten, der Bürgermeister werden will. Dabei bringt er ihren Entschluss, den Männern abgeschworen zu haben, ganz schön ins Wanken. Und das als ihr Chef! Auch privat ist bei Nele einiges los, denn ihre Eltern wollten nach dreißig Jahren als Paar heiraten und ihr Bruder Lenny, der das Down-Syndrom hat, will ausziehen und sich einen neuen Job suchen.

Die Protagonistin Nele habe ich in Petra Hülsmanns vorherigem Buch „Wenn’s einfach wär, würd’s jeder machen“ schon kennengelernt. Deshalb freute ich mich darauf, mehr über sie zu erfahren. Die Trennung von ihrem Freund Tobi hat sie inzwischen halbwegs verdaut und ist bereit für einen beruflichen Neustart, während sie in Liebessachen eine Pause einlegen will.

Schnell war ich mittendrin in der Geschichte und in Neles trubeligem Leben. Langeweile kennt sie nicht. In der neuen Agentur ist viel zu tun und bei die Imagekampagne für einen Politiker ist ihre Chance, sich zu beweisen. Als ihr Kollege, der mit ihr an der Kampagne arbeitet, um Hilfe fragt, sagt sie natürlich zu. Auch als Trauzeugin ihrer Mutter übernimmt sie zahlreiche Aufgaben rund um die Vorbereitung. Und ihren Bruder Lenny, der ausziehen und Tierpfleger werden will, unterstützt sie bei der Recherche.

Nele ist jemand, der gern gebraucht wird und aufpassen muss, dass sie dabei nicht ausgenutzt wird. Ich war neugierig, ob sie im Laufe des Buches lernt, sich besser abzugrenzen und auch mal Nein zu sagen. Da es rund um ihre tausend ToDos viel zu erzählen gibt, verfliegen die Seiten nur so. Besonders gut gefallen hat mir Neles Bruder Lenny. Die Autorin thematisiert einfühlsam das Thema Down-Syndrom mit allem, was dazugehört. Das fügt sich gelungen in die Geschichte ein und bringt ins Nachdenken, ohne dass es belehrend wirkt.

Von Beginn an fühlt sich Nele zu ihrem Chef Claas hingezogen, will die Gefühle aber um keinen Preis zulassen. Die beiden verbringen aufgrund der Kampagne, an der sie gemeinsam arbeiten, viel Zeit miteinander und lernen sich besser kennen. Das ist für Neles Entschluss genauso wenig hilfreich wie Claas‘ süße Hündin Sally, die ihr sofort ans Herz wächst. Das Buch liest sich leicht und schafft ein warmes, fluffiges Gefühl, das durchweg anhält. Für meinen Geschmack lief alles ein bisschen zu glatt und nur mit wenigen ganz kurzen Krisen ab. Eine Feelgood-Lektüre, in der die Liebe nicht zu kurz kommt, aber auch Familie und das Thema Down-Syndrom eine wichtige Rolle spielen!

Donnerstag, 20. Juni 2019

Rezension: Marina, Marina von Grit Landau


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Marina, Marina
Autorin: Grit Landau
Erscheinungsdatum: 02.05.2019
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur mit gestalteten Klappen
ISBN: 9783426281994
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Der Roman „Marina, Marina“ wurde nach dem gleichlautenden italienischen Hit der 1960er Jahre von Rocco Granata benannt, der ebenfalls in Deutschland ein sehr großer Erfolg war. Auch die Protagonistin des Romans von Grit Landau, dem Pseudonym einer deutschen Autorin, heißt Marina. Überhaupt spielt Musik eine große Rolle im realen Leben der Autorin wie auch in ihrem Roman. Die Geschichte, die sie in ihrem Buch erzählt, beginnt im Jahr 1960, spielt in Episoden und endet zunächst 1968. Jedes Jahreskapitel ist mit einem Hit aus den italienischen Charts dieser Zeit betitelt und umfasst ein oder mehrere Unterteilungen. Die Lieder sollten fast jedem Leser bekannt sein und sorgten während des Lesens bei mir für Ohrwürmer.

Nicht nur die handelnden Figuren sind fiktiv, sondern auch der Handlungsort Sant’Amato an der ligurischen Riviera. Grit Landau hat den Ort in der Nähe von Imperia angesiedelt und mit zahlreichen Dorfbewohnern besiedelt. In Imperia habe ich vor ein paar Jahren selbst Urlaub gemacht und so habe ich mich durch die Beschreibungen der Autorin gerne wieder daran zurück erinnert an die vielen engen Straßen, das quirlige Miteinander und das karge Hinterland. Vor allem zwei Familien spielen im Roman eine bedeutende Rolle: Zum einen ist es die Familie des Lanteri, die Oliven anbaut und verarbeitet, zum anderen die Familie Vassallo, die im Ort einen Friseursalon betreibt. Alle anderen Charaktere, denen im Buch eine mehr oder weniger wichtige Rolle zukommt, stehen zu ihnen in verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehung. Zu Beginn der Geschichte findet sich zur besseren Übersicht und für ein kurzes Nachschlagen während des Lesens eine nützliche Auflistung der Charaktere.

Marina Vasallo stammt eigentlich aus ärmlichen Verhältnissen in Rom. Sie ist ihrem Gatten an die Riviera gefolgt. Gemeinsam haben sie zwei Kinder im Teenageralter. Nini, der halbwüchsige Sohn des Olivenbauern Davide Lanteri, ist unglücklich in sie verliebt. Aber niemand weiß, dass Marina ihrerseits ihr Herz an jemand anderen verschenkt hat. Außereheliche Affären wurden damals mit Strafen belegt und so scheint es für Marina und ihren Geliebten keine Zukunft zu geben. Grit Landau lässt auch ein Erlebnis in ihren Roman einfließen, das ihre Mutter in den 1960 selbst erlebt hat, und verbindet es mit einer weiteren romantischen Liebesgeschichte.

Zunächst ist es eine kleine Herausforderung sich an die italienischen Wörter zu gewöhnen, die die Autorin einflechtet, die allerdings eine typische Stimmung wie man sie vom Urlaub in Italien her kennt zaubern. In einem Glossar im Anhang konnte ich die Übersetzung nachschlagen, wenn sie sich nicht aus dem Textzusammenhang ergeben hat. Doch Sprache und Figuren im Blick zu behalten lohnt sich und es entspinnt sich eine Erzählung mit zahlreichen Intrigen und Verwicklungen eines ganzen Dorfs. Ich merkte rasch, dass im Hintergrund noch einige Geheimnisse in der Vergangenheit lauern, die das Verhalten einiger Bewohner in bestimmten Situationen begründen könnten und deren Schatten bis in den Zweiten Weltkrieg zurück reichten. Die Autorin schreibt dazu ein eigenes Kapitel im Anschluss an das Jahr 1968, das offene Fragen und viele Zusammenhänge klärt. Als Historikerin verbindet die Autorin hierin geschickt geschichtliche Ereignisse mit dem fiktiven Schicksal des Ortes Sant’Amato. Beendet wird der Roman mit einem Sprung ins Jahr 1980, was ich als Leser besonders angenehm fand, denn dort durfte ich erfahren, welche Entwicklungen die mir sympathisch gewordenen Figuren inzwischen durchlaufen hatten.

„Marina, Marina“ ist eine Spiegelung des Lebens der Bewohner eines italienischen Dorfs an der ligurischen Riviera. Dabei thematisiert Grit Landau deren Wünsche, Träume und Vorstellungen von einer sinnerfüllten Zukunft, die jedoch den orts- und familiengegebenen Abhängigkeiten bei der Verwirklichung unterliegen. Gerade das macht den Roman realistisch und nachvollziehbar. Gerne empfehle ich ihn weiter.

Sonntag, 16. Juni 2019

Rezension: Stumme Patientin von Alex Michaelides


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die stumme Patientin
Autor: Alex Michaelides
Übersetzerin: Kristina Lake-Zapp
Erscheinungsdatum: 02.05.2019
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur mit gestalteten Klappen
ISBN: 9783426282144
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Die stumme Patientin im gleichnamigen Psychothriller von Alex Michaelides heißt Alicia Berenson. Sie ist Malerin und wird mit blutigen Schnitten an ihren Armen neben ihrem toten Ehemann gefunden. Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Gatten an einen Stuhl gefesselt und anschließend mit fünf Schüssen auf den Kopf getötet hat. Inzwischen lebt sie seit sechs Jahren in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt. Seit dem Mord spricht sie kein einziges Wort und verweigert sich jeder Therapie. Über ein Bild von ihr wird immer noch gerätselt, ob es in Bezug zur Tat stehen könnte. Es entstand während ihres Hausarrests nach dem Verbrechen und thematisiert eine griechische Sage.

Theo Faber ist ein engagierter Psychotherapeut, der dem Fall von Beginn an viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Als in der Sicherheitsabteilung, in der Alicia eingewiesen ist, eine Stelle frei wird, bewirbt er sich darum und wird angenommen. In der Folgezeit setzt er alles daran, die Geschehnisse in der Nacht der Tat aufzuklären. Er fungiert in diesem Psychothriller als Ich-Erzähler. Dadurch konnte ich auch an seinen Gefühlen teilhaben. Hielt ich ihn zunächst für absolut integer, so stellte sich im Laufe der Geschichte heraus, dass er eine schwierige Kindheit hatte und selbst immer noch mit psychischen Problemen kämpft. Erstaunlich ist sein Wissen und sein Interesse über die einzelnen Details der Gewalttat.

Seine Erzählung wird durch einige Kapitel im Buch unterbrochen, in denen ich im Tagebuch von Alicia über die letzten Wochen vor dem Mord lesen konnte. Ein erster Hinweis darauf wurde im Prolog gegeben. Doch was ursprünglich als „freudige Aufzeichnung von Ideen und Bildern“ der Titelfigur gestartet wird, geht bald über in düstere Schilderungen.

Nach einigen Seiten begann ich unwillkürlich mit zu rätseln, was sich tatsächlich in der Mordnacht ereignet hat. Obwohl Alicia durch ihr mündliches und schriftliches Schweigen keine Hinweise geben kann, präsentiert Alex Michaelides einige eventuelle Mitwisser an den Ereignissen. Natürlich habe ich ständig darauf gehofft, dass es Theo gelingen wird, das Schweigen von Alicia zu brechen. Ich fand es interessant, dass der Autor, der selbst eine Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert hat, einige Einblicke in Therapiemethoden gibt. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen kleinen Weiterentwicklungen und Rückschritten im Verhalten von Alicia was die Spannung noch steigerte, denn der Weg zur Aufklärung der Tat war steinig. Neben seinem Vorgehen bei der Arbeit schildert Theo auch seine Eheprobleme und seinen Umgang damit. Er präsentiert sich einerseits als guter Therapeut, andererseits aber auch als Mensch mit Ecken und Kanten.

„Die stumme Patientin“ ist ein Psychothriller bei dem die Spannung auf subtile Art und Weise von Alex Michaelides herbeigeführt wird und bis zum Schluss nicht abbricht. Trotz möglicher eigener Lösungsansätze, die beim Lesen automatisch Gestalt annehmen, überrascht der Autor zum Ende mit einer großen Wende. Gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

Donnerstag, 13. Juni 2019

[Rezension] Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt - Jan Brandt


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Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt
Autor: Jan Brandt
Hardcover: 424 Seiten
Erscheinungsdatum: 17. Mai 2019
Verlag: DuMont Buchverlag

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Jan Brandt lebt als Autor in Berlin. Als ihm seine aktuelle Wohnung, in der er schon mehrere Jahre lebt, aufgrund von Eigenbedarf gekündigt wird, muss er sich wieder auf die Suche begeben. Dabei muss er feststellen, dass sich die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt seit seiner letzten Suche deutlich verschärft hat. In dieser Zeit überlegt er auch, in sein Heimatdorf Ihrhove in Ostfriesland zurückzukehren und dort ein Haus zu kaufen. Als er entdeckt, dass der Hof seiner Vorfahren zum Verkauf angeboten wird, überlegt er, zuzuschlagen. Doch das Gebäude ist stark renovierungsbedürftig und der Kredit wäre eine große Belastung, wenn überhaupt einen erhält.

Mir hat die Idee sehr gefallen, das Buch als Wendebuch zu gestalten und damit zwei Gegensätze gegenüberzustellen. Das führte aber auch zur ersten großen Frage vor dem Lesen: Womit starte ich? Dem Haus auf dem Land oder der Wohnung in der Stadt? Ich entschied mich für die etwas dünnere Haus-Geschichte. Ich bin selbst auf dem Land aufgewachsen und habe eine schöne und bezahlbare Wohnung in einer Großstadt zu gefunden. Insofern war ich neugierig, welche Erfahrung der Autor mit Stadt und Land gemacht hat.


Zu Beginn der Haus-Geschichte holt Jan Brandt weit aus und erzählt in nüchternem Ton die Geschichte seiner Vorfahren und eine Episode, in der er in Amerika ein Haus seiner Vorfahren besucht hat. Es folgt die Geschichte rund um den Hof seiner Vorfahren in Ostfriesland. Fakten über Fakten erwarteten mich, die mir den Einstieg nicht leicht machten. Erst nach 50 Seiten kommt der Autor im Jahr 2016 an, in dem er entdeckt, dass der Hof zum Verkauf steht. Er berichtet davon, wie er abwägt, ob er das Geld auftreiben kann und sich die Investition wirklich lohnt.

Die Geschichte rund um das Haus ist eigentlich schnell erzählt. Dass sie trotzdem auf über 180 Seiten kommt liegt daran, dass alles sehr ausschweifend erzählt wird. Da gibt es zum Beispiel seitenweise Geplauder mit den alten Klassenkameraden ebenso wie 30 Seiten pure Auflistung historischer Ereignisse, die seit dem Bau des Hofs geschehen sind. Ohne Jahreszahlen. Das ist ein künstlerischer Ansatz, aber Lesen wollte ich das Kapitel dann doch nicht.

Die Haus-Geschichte ein paar interessante Feststellungen rund um die Veränderung der Wohn- und Geschäftssituation auf dem Land bereit, hat mich insgesamt aber gelangweilt, weshalb ich meine Hoffnungen auf die Stadt-Geschichte setzte. Diese hat mir tatsächlich besser gefallen, denn Storys rund um Wohnungsbesichtigungen zeigen immer wieder anschaulich, wie weit der Mietirrsin gekommen ist.

Der Autor gibt Einblicke, in welchen Wohnungen in Berlin er früher gewohnt hat, was er 2016 an seiner aktuellen Wohnung so schätzt und weshalb er die Kündigung nicht hinnehmen will. Man begleitet ihn auf zahlreichen Besichtigungen ebenso wie beim Versuch, Beweise für die Hinfälligkeit der Kündigung zu sammeln. Bei letztem wird vor allem erzählt, wie er sich auf die Lauer legt, um seinem Vermieter nachzuweisen, dass der woanders wohnt als angegeben. Trotz interessanterem Inhalt kommt auch hier das große Manko des Buches wieder zum Tragen: Die Ausführlichkeit. Die Erlebnisse des Autors, während er stundenlang herumsteht und wartet, sind zwar ein gutes Symbol für seine Verzweiflung, aber inhaltlich nicht sonderlich lesenswert.

Aus der Stadt-Geschichte nehme ich insgesamt noch mehr Erkenntnisse mit als aus der Haus-Geschichte. Unterm Strich ist dieser Selbsterfahrungsbericht für meinen Geschmack jedoch viel zu ausschweifend geraten, weshalb ich knappe drei Sterne vergebe.

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