Samstag, 30. Januar 2021

Rezension: Sprich mit mir von T.C. Boyle

 


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Sprich mit mir
Autor: T.C. Boyle
Übersetzer: Dirk Gunsteren
Hardcover: 352 Seiten
Erschienen am 25. Januar 2021
Verlag: Hanser Verlag

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Aimee lebt allein und kommt mit ihrem Studium nur mühsam voran. Doch dann sieht sie eines Tages im Fernsehen den Auftritt von Professor Schermerhorn und des Schimpansen Sam, die sich miteinander in Gebärdensprache unterhalten können. Als sie feststellt, dass Schermerhorn ausgerechnet an ihrer Uni lehrt und neue studentische Hilfskräfte für Sams Betreuung sucht, meldet sie sich sofort.

Was als Teilzeitjob geplant war wird schnell zu einer Beschäftigung rund um die Uhr und Aimee damit Teil einer ungewöhnlichen Art Familie. Doch auch wenn Sam wie ein Mensch erzogen wird neigt er zu gelegentlichen aggressiven Ausbrüchen. Deshalb werden Projekte wie seines meist nach einigen Jahren abgebrochen, wenn die Schimpansen zu groß und gefährlich geworden sind. Aimee weiß das und ist dennoch wild entschlossen, Sam niemals in einem Käfig enden zu lassen.

In den 1960er und 1970er Jahren erlebte die Forschung zum Spracherwerb bei Menschenaffen ihren Höhepunkt. In dieser Zeit spielt auch die Geschichte des fiktiven Schimpansen Sam, der auf einer Ranch lebt und der Forschungsgegenstand des Professors Guy Schermerhorn ist. Aimees Faszination für Sam und seine Gebärdensprache springt auch auf den Leser über und so lebt sie schon bald mit Sam und Guy auf der Ranch - als Pflegerin, Familienmitglied, Schimpansenmutter.

Aimee geht es von Anfang an vor allem darum, eine Beziehung zu Sam aufzubauen und zu verstehen, wie er denkt. An den Forschungsaktivitäten ist sie kaum beteiligt. Auch das Verhältnis von Guy zu Sam und von Aimee zu Guy wird intensiv beleuchtet. Dem Leser wird ein komplexes Beziehungsgeflecht offenbart, in der Liebe, Loyalität und die völlige Vermischung von Berufs- und Privatleben eine wichtige Rolle spielen. Aimee und Guy werden schließlich mit einem Dilemma konfrontiert, bei dem ihre Meinungen, was die richtige Entscheidung ist, auseinandergehen.

Nach jedem Kapitel aus der Sicht der Menschen folgt ein Kapitel aus der Sicht von Sam. Der allwissende Erzähler gibt Sams Erleben und Empfindungen wieder. Dabei unterscheidet er zwischen Eindrücken, die Sam nicht benennen kann und solchen, für die er ein Wort gelernt hat. Bis heute streiten Forscher über die Frage, wie gut Schimpansen wirklich sprechen lernen können und wie weit ihre Denkprozesse ausgereift sind. Als Autor wagt Boyle hier eine Prognose, die sich durchaus plausibel liest.

Die Geschichte erstreckt sich über mehrere Jahre und von Beginn an kennen die Beteiligten die verschiedenen Richtungen, in die sich das Projekt rund um Sam entwickeln kann. Bereits nach dem ersten Kapitel erfährt man als Leser außerdem, dass Sam sich in der Zukunft an einem Ort befindet, an dem er nicht sein möchte. Der Spannungsbogen ist gelungen und ich wurde von Handlungsverlauf immer wieder überrascht. T.C. Boyle legt mit „Sprich mit mir“ eine beeindruckende Geschichte vor, die mich emotional packte, gespannt mitfiebern ließ und nachdenklich stimmen konnte.

Dienstag, 26. Januar 2021

Rezension: Bergsalz von Karin Kalisa

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Bergsalz
Autorin: Karin Kalisa
Erscheinungsdatum: 02.11.2020
Verlag: Droemer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783426282083

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Der Roman „Bergsalz“ von Karin Kalisa verbindet Gegenwart und Vergangenheit auf ungewöhnliche Weise. Die Autorin greift dazu weit zurück, bis zum Vorgang der Vereinödung im Allgäu im 16. Jahrhundert. Hierzu unterbricht eine Geschichte immer wieder die Kapitel, die im Jetzt spielen. Die Verbindung beider Handlungsebenen wird erst zum Ende des Buchs deutlich. Der Titel nimmt Bezug auf den Inhalt des Romans, denn er nennt ein lebensnotwendiges und völkerübergreifend bekanntes Lebensmittel, dass für jeden so wichtig ist wie Gemeinschaft.

Viele Jahre später erlebt die dörfliche Einsamkeit eine neue Bedeutung, denn nun sind es die Mütter und Ehefrauen, die in den kleinen Dörfern nach dem Auszug der Kinder und dem Tod oder der Scheidung allein in ihren Häusern zurückbleiben. Und obwohl Haus neben Haus im Ort steht, sind sich die Nachbarn fremd geworden, jeder hat sein Wirkungsfeld gegen andere abgegrenzt und abgesichert, auch die inneren Mauern sind mit den Jahren gewachsen.

Doch eines Tages steht in einem 500-Seelen Dorf in der Voralpenregion Johanna, noch nicht lange verwitwet, vor der Tür ihrer alleinstehenden Nachbarin Franzi und bittet diese um Mehl. Franzi begreift schnell, dass es hier nicht darum geht, ein fehlendes Lebensmittel zu erfragen. Kurz entschlossen lädt sie Johanna zu ihrem Mittagsmahl ein. Aber dann klingelt es nochmal und die Nachbarin Elisabeth kommt ihr Paket abholen. Auch für sie ist noch genug zu essen da. Daraus entwickelt sich eine Bewegung, die schließlich die Möglichkeit aufgreift, im stillgelegten Dorfgasthof für die dort inzwischen ansässigen Flüchtlinge und alle Interessierten zu kochen

Es ist schön zu verfolgen, wie sich aus der Graswurzelbewegung zunehmend etwas Großes entwickelt und das Miteinander auch auf politischer Ebene auf diese Weise Gehör findet. Berührt verfolgte ich, wie immer mehr Personen sich in den Dienst der gemeinsamen Sache stellten und nach ihren eigenen Fähigkeiten entsprechend Hilfe leisteten. Erfreut stellte ich fest, dass sich auch die jüngere Generation und die Migranten zum Mittun angesprochen fühlten und die gelungene Zusammenarbeit letztlich das Dorf attraktiver machte.

Aber im letzten Viertel des Buchs verliert der Roman seine Basis und schweift ab von der immer größer werdenden Aktion des Miteinanders jenseits von Herkunft, Alter und Geschlecht bis sie sich in einer mystischen Beschreibung verliert. Ich fand das unpassend fand und denke, dass es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, die damit gewollte Aussage realistischer darzustellen. Gerne hätte ich mehr über das gemeinsamen Aktivitäten und dem Austausch zwischen den Kulturen erfahren.

„Bergsalz“ von Karin Kalisa ist ein Roman mit gelungenem Anfang über die Kraft der Gemeinschaft, die dabei hilft Einsamkeit zu überwinden, der leider sein Potenzial nicht voll ausschöpft.


Sonntag, 24. Januar 2021

Rezension: Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid von Alena Schröder

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Autorin: Alena Schröder
Erscheinungsdatum: 20.01.2021
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag (Leseexemplar)
ISBN: 978423282734
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In ihrem Roman „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ schildert die in Berlin lebende Alena Schröder eine Familiengeschichte über vier Generationen hinweg. Die Erzählung spielt in der Gegenwart in der Bundeshauptstadt und nimmt die 27-jährige Doktorandin Hannah und ihre fast hundertjährige Großmutter Evelyn in den Fokus. In weiteren Kapiteln erfolgt ein Rückblick bis in die 1920er auf die Familiengeschichte. Der Titel nimmt Bezug auf ein verschollenes Bild aus dem Vermögen des im Zweiten Weltkrieg enteigneten jüdischen Kunsthändlers Goldmann, dessen einzige Erbin Evelyn ist, die sich diesem Umstand aber nicht stellen möchte und auf ihre ganz eigene Art damit ihre Enkelin betraut.

In der Generationengeschichte kommt auch Senta eine bedeutende Rolle zu, denn sie ist die Mutter von Evelyn. Sie wächst in den 1910er Jahren am Rand von Rostock auf und träumt davon, den Verlockungen Berlins zu folgen. Doch dann trifft sie Ulrich, den Kriegshelden, der Geschichten vom Fliegen erzählt. Bald wird sie schwanger und nach der Heirat immer unzufriedener. Sie lässt sich scheiden und erfüllt sich doch noch ihren Traum von Berlin. In der Hauptstadt erfährt sie an der Seite ihres jüdischen Ehemanns die zunehmenden Repressalien gegen die Religionsgemeinschaft. Silvia vervollständigt schließlich noch die Stammlinie als Tochter von Evelyn und Mutter von Hannah.

Es sind starke Frauenfiguren, authentisch und vielfältig, die Alena Schröder in ihrem Roman zeichnet, mit eigenen Vorstellungen vom Leben und einem enormen Willen, diese Vorstellungen zu verwirklichen. Das Verständnis von Generation zu Generation ist dadurch teils gestört, es kommt zu Brüchen, aber auch zu Annäherungen. Und obwohl manchmal große Weiten zwischen den Aufenthaltsorten liegen und auch die innere Verbundenheit nur ein loser Faden ist, gerät man einander nie vollständig in Vergessenheit. Auch wenn sich Senta, Evelyn und Silvia im Nachhinein nicht für gute Mütter halten, hat jede auf ihre Weise eine Möglichkeit gefunden, dem Nachwuchs eine vernünftige Perspektive für die Zukunft zu schaffen, die Freiraum zur Entfaltung der Persönlichkeit bietet.

Zwischen Gegenwart und Vergangenheit schildert die Autorin eine unterhaltsame Geschichte, die nie stillsteht und die sie bewusst so führt, dass immer eine gewisse unterschwellige Spannung auf den Fortgang bestehen bleibt. Raubkunst als Thema im Hintergrund fand ich ungewöhnlich, aber eine interessante Idee, über dessen Aufspüren ich durch die Erzählung gerne mehr erfahren habe.

Mit „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ hat Alena Schröder einen bewegenden und fesselnden, abwechslungsreichen Roman geschrieben, der mit einem unverbrauchten Hintergrundthema und faszinierenden Frauenfiguren aufwartet. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und empfehle es daher uneingeschränkt weiter.


Freitag, 22. Januar 2021

Rezension: Das Verschwinden der Erde von Julia Phillips

 

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Das Verschwinden der Erde
Autorin: Julia Phillips
Übersetzer: Pociao und Roberto de Hollanda
Hardcover: 376 Seiten
Erschienen am 22. Januar 2021
Verlag: dtv

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An einem Augusttag besuchen die beiden Schwestern Sofija und Aljona, sechs und neun Jahre alt, die Bucht von Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Sie haben Sommerferien, doch ihre Mutter muss arbeiten. Auf dem Heimweg helfen sie einem Mann, der zum Dank anbietet, sie nach Hause zu fahren. Dort kommen sie nie an. Monatelang ist das Verschwinden der beiden Thema, Suchtrupps ziehen immer wieder los. An das Schicksal der beiden denken ganz unterschiedliche Frauen auf der Halbinsel, die sich den Herausforderungen ihres Alltags stellen.

Das erste Kapitel des Buches ist aus der Perspektive von Aljona beschrieben, die gemeinsam mit ihrer Schwester ins Auto eines Fremden steigt und nicht mehr gesehen wurde. Es endet in dem Moment, als ihr klar wird, dass der Mann sie nicht nach Hause fährt. Was ist aus den Schwestern geworden? Diese Frage steht anschließend im Raum.

Die folgenden Kapitel beschäftigten sich jedoch nicht mit den Ermittlungen im engeren Sinne. Stattdessen wird jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Frau erzählt. Jede von ihnen weiß vom Verschwinden der Mädchen und kennt den Stand der Dinge - Suchtrupps wurden losgeschickt, der Vater der Mädchen ohen Ergebnis befragt. Im Leben der jeweiligen Erzählenden spielt das jedoch nur eine untergeordnete Rolle, denn sie hat andere Sorgen.

Julia Phillips zeigt dem Leser ganz unterschiedliche Facetten des Lebens auf Kamtschatka. Auf den Erfahrungen der Frauen, die dort leben, liegt das Hauptaugenmerk des Romans. Die Autorin sagt selbst, dass sie mit den unterschiedlichen Perspektiven das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen untersuchen wollte - von der Entführung bis hin zu alltäglichen Situationen. Ihr ist es gelungen, mich mit diesen höchst unterschiedlichen Einblicken nachdenklich zu stimmen.

Nach jedem Kapitel ist ein weiterer Monat vergangen und von den Mädchen fehlt weiterhin jede Spur. Aufgrund des zuvor genannten Ziels, das die Autorin mit diesem Roman verfolgt, gibt es im Buchverlauf auch wenig neue Informationen zum Fall. Die Kapitel hängen nur lose miteinander zusammen und enden oft vor einem entscheidenden Moment. Dieser Mangel an Antworten ließ mich mit der Zeit ungeduldig werden. Erst ganz zum Schluss wurde ich mit einigen Enthüllungen belohnt.

„Das Verschwinden der Erde“ von Julia Philipps nahm mich mit auf die russische Halbinsel Kamtschatka, einen entlegenen Winkel der Erde, wo ein Vermisstenfall der Aufhänger ist, um Einblicke in die Leben ganz unterschiedlicher Frauen zu geben. Ein atmosphärisch erzähltes Debüt, das ich gerne weiterempfehle.

Mittwoch, 20. Januar 2021

Rezension: Willst du Blumen, kauf dir welche - (kein) Romantik-Roman von Ellen Berg

 


Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Willst du Blumen, kauf die welche
Autorin: Ellen Berg
Erscheinungsdatum: 13.10.2020
Verlag: atb (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 97833746635873
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In ihrem Roman „Willst du Blumen, kauf dir welche“ erzählt Ellen Berg die Geschichte der selbständigen Buchhändlerin Lena, Anfang Dreißig, Single und mit romantischer Veranlagung. Gerne baut sie Buchtitel in ihre Unterhaltung ein oder zitiert aus den Romanen Jane Austens. Auf einer Lesung in ihrem Laden in einer Kleinstadt behauptet der erfolgreiche Autor Benjamin Floros allerdings, dass Romantik Schwindel sei und man sich entsprechend des Buchtitels beispielsweise seine Blumen selbst kaufen und nicht darauf hoffen sollte, welche von einem Verehrer in Liebe geschenkt zu bekommen.

Außerdem behauptet er, dass man mit einem von ihm ausgeklügelten System online auf analytische Weise nach dem perfekten Partner suchen kann. Lena ist verärgert, lässt sich aber von Benjamin zu einer Wette überreden, die vorsieht, dass der Autor für Lena mit Hilfe seines Berechnungsverfahrens den Mann fürs Leben finden wird.

Ellen Berg greift in ihrer Geschichte den Traum vieler Frauen auf, die große Liebe zu finden und mit dem neuen Freund dann gemeinsam Zeit mit viel Gefühl und Leidenschaft zu verbringen. Lena muss über einige Höhen und Tiefen gehen, bevor sie sich klar darüber wird, was ihr tatsächlich wichtig ist in einer Beziehung.

Die Autorin bleibt dabei eng am Thema, spielt mit Klischees und sorgt durch mehrere Datings immer wieder für neue amüsante Szenen mit eigenwilligen Liebesuchenden. Dennoch scheinen die Handlungen mitten aus dem Alltag aufgegriffen zu sein. Mit einer älteren Tante, die eine neue Bekanntschaft schließt, und einer Freundin, die selbst auf Partnersuche ist, begegnete ich Figuren mit Herz auf der Zunge, die für weiteren Witz in der Erzählung sorgten.

„Willst du Blumen, kauf die welche“ von Ellen Berg ist ein unterhaltsamer Roman über das Für und Wider der Romantik in der Liebe verbunden mit der Möglichkeit seinen Partner über das Online-Dating zu finden. Er sorgt dank seines lockeren und leichten Schreibstils für einige aufheiternde Lesestunden und daher empfehle ich ihn gerne weiter.


Sonntag, 17. Januar 2021

Rezension: Der Tausch von Julie Clark

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Tausch - Zwei Frauen, zwei Tickets, ein Ausweg
Autorin: Julie Clark
Übersetzerinnen: Gabriele Burkhardt und Astrid Gravert
Erscheinungsdatum: 11.01.2021
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur als Leseexemplar 
ISBN: 9783453424975

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Der Roman „Der Tausch – Zwei Frauen, zwei Tickets, ein Ausweg“ der US-Amerikanerin Julie Clark ist eine hochspannende und gefühlvoll erzählte Geschichte von Claire und Eva, die ihre Identität miteinander tauschen. Das Cover zeigt den Blick aus einem Flugzeugfenster und symbolisiert dadurch, dass die beiden Frauen den Wechsel am Flughafen, kurz vor ihrem Einchecken zu ihrem jeweiligen Flug ausführen. Claire und Eva sind sich bewusst, dass es dadurch kein Zurück in ihr altes Leben ohne eine tödliche Bedrohung für sie geben wird.

Claires Ehemann Rory gehört zu einer erfolgreichen einflussreichen Politikerdynastie und führt die bisher geleistete Arbeit der Familie fort. Von der Kunstgeschichtlerin Claire wird erwartet, dass sie Repräsentationsaufgaben übernimmt. Um seine Ansichten durchzusetzen, wird Rory Claire gegenüber zunehmend gewalttätiger. Daher hat sie viele Wochen dazu benötigt, den perfekten Zeitpunkt abzupassen, um aus ihrem Leben zu fliehen. In letzter Minute führt eine Änderung bei der Übernahme von Verpflichtungen durch Rory dazu, dass ihr Plan auffliegt. Spontan ergibt sich stattdessen am Flughafen eine andere Möglichkeit, als sie dort auf Eva trifft, die ihr davon erzählt, dass sie sich mit Fragen zu Ungereimtheiten zum Tod ihres Manns auseinanderzusetzen habe und sie am liebsten an einen anderen Ort fliehen möchte. Ein Tausch der Bordkarten könnte für beide die Chance auf einen Neuanfang bedeuten. Allerdings hat Eva ihr nicht die Wahrheit erzählt.

Für beide Frauen ist es beängstigend, dass sie an einem Punkt stehen, an dem ihnen ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr möglich erscheint. Denn durch ihr Umfeld werden sie auf eine je eigene Weise von anderen Personen fremdgesteuert, die Erwartungen an sie stellen. Die vermuteten Sanktionen bei Nichterfüllung der Ansprüche flössen ihnen Furcht ein. Es wird deutlich, dass Verschwinden zwar eine Option ist, aber sehr schwierig. Julie Clark versteht es, von Beginn an Spannung aufzubauen. Der Titel des Prologs weist darauf hin, dass die Handlung am Tag des Absturzes stattfindet. Für mich passte diese Angabe zunächst nicht zur Inhaltsangabe und allein durch die Überschrift war ich auf das Schlimmste gefasst, was mich auch schnell weiterlesen ließ.

Die Autorin lässt Claire als Ich-Erzählerin auftreten. Sie blickt zurück bis auf ihre Kindheit und die Anfänge ihrer Liebe zu Rory. Durch ihre Schilderungen konnte ich gut den Wandel in der Beziehung der Eheleute nachvollziehen und Claires zunehmende Angst. Evas Leben wird von Julie Clark als allwissende Erzählerin beschrieben. Auch hier wird deutlich, warum Evas Eigenständigkeit zunehmend eingeschränkt ist und sie keinen anderen Ausweg mehr sieht, als ihre Identität zurück zu lassen.

Sowohl Claire als auch Eva lassen sich zwar einschüchtern, doch sie geben nicht auf, nach einer Lösung zu suchen. Während die Geschichte sich anhand der Schilderungen von Claire ständig in die Zukunft entwickelt, wird Evas Leben im Rückblick erzählt. Dadurch bleibt ein bestimmtes Detail bis zum Schluss offen und steigert zusätzlich die Spannung des Romans, die allein schon durch die Frage hoch ist und bleibt, ob die beiden Frauen in ihrem neuen Leben sich zurechtfinden werden.

„Der Tausch“ von Julie Clark ist ein geschickt konstruierter Roman, der mich bis zum Ende, das nochmal mit einer unerwarteten Wendung glänzt, ganz in seinen Bann gezogen hat und den ich daher sehr gerne uneingeschränkt empfehle.


Dienstag, 12. Januar 2021

Rezension: Auch die große Liebe fängt mal klein an von Sylvia Deloy

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Auch die große Liebe fängt mal klein an
Autorin: Sylvia Deloy
Erscheinungsdatum: 21.12.2020
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783404183531
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Ihren Roman „Auch die große Liebe fängt mal klein an“ lässt Sylvia Deloy in Köln spielen, dort, wo sie auch selbst mit ihrer Familie lebt. Man spürt es in den Schilderungen, dass die Autorin ihre Heimatstadt mag. So bunt und abwechslungsreich wie das Cover gestaltet ist, so wechselvoll ist auch das Leben der Protagonistin Marie mit Höhen und Tiefen. Maries große Liebe ist schon vor längerer Zeit in die Brüche gegangen, aber in dieser Hinsicht steht noch eine Überraschung für sie bereit. Aus einer kleinen, wieder aufflackernden Zuneigung wird sich deutlich mehr entwickeln, die Frage ist nur, wie beständig die Gefühle der Protagonisten sind.

Marie leitet seit dem Tod ihres Vaters das Restaurant „Petite Pauline“ in Köln, das sich der französischen gehobenen Küche verschrieben hat. Der inzwischen an Demenz erkrankte und daher im Pflegeheim lebende Großvater hat die Gaststätte gegründet und seither hat sich weder am Interieur noch am Angebot wenig verändert. Die Kölner wenden sich inzwischen lieber angesagteren Locations zu.

Um das Restaurant zu retten und das Geld für dringend notwendige Reparaturen aufzubringen, schließt Marie das Restaurant und beginnt kurzfristig in der Küche eines Brauhauses. An ihrem ersten Tag trifft sie auf ihren ebenfalls dort arbeitenden Ex-Freund Anton. Die Zubereitung der Gerichte erfordert unvermeidbar eine Zusammenarbeit unter den Kollegen. Für die beiden führen die Umstände dazu, dass sie sich mit ihrer Beziehung auseinandersetzen.

Sylvia Deloy schafft es, locker und leicht zu erzählen, aber dennoch ernste Thematik dabei zu berücksichtigen. Diesmal greift sie dabei die Themen Demenzerkrankung, sich der Familiengeschichte verpflichtet fühlen und an eine alte Liebe wieder anzuknüpfen, auf. Glücklicherweise führte auch diese romantische Komödie wieder zu einem versöhnlichen Ende, aber bis dahin muss Marie einiges an Beziehungsarbeit leisten und über die langen Schatten springen, den die Familienangelegenheiten werfen. Sowohl hier wie da ist es das Problem der Protagonistin, dass sie ihre Entscheidungen auf den Erfahrungen in der Vergangenheit zu treffen versucht.

Die Figuren wie überhaupt die gesamte Erzählung scheinen aus dem Leben gegriffen und vorstellbar. Marie fand ich als Person liebenswert, dennoch gehört es zur Geschichte, dass mir nicht jede Figur sympathisch war. Über den Besuch bekannter Orte, Sprache und auch Rezepte vermittelt die Autorin einiges an Kölner Lokalkolorit. Am Ende des Buchs findet sich die Zubereitung von ein paar einfachen, für die Stadt und Region Köln bekannten Gerichten. Der Roman wird abwechslungsreich durch freundlich ausformulierte, interessante Erzählungen in Nebenhandlungen.

Mit dem Roman „Auch die große Liebe fängt mal klein an“ hat Sylvia Deloy eine amüsante Geschichte mit ernsten Untertönen geschrieben, die mich bestens unterhalten hat und die ich daher gerne weiterempfehle. Das Buch ist ein Muss für Fans von romantischen Liebeskomödien. 


Montag, 11. Januar 2021

Rezension: Die Geschichte eines Lügners von John Boyne

 

 

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Die Geschichte eines Lügners
Autor: John Boyne
Übersetzer: Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg
Hardcover: 432 Seiten
Erschienen am 11. Januar 2021
Verlag: Piper

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Im Jahr 1988 lernt der erfolgreiche Schriftsteller Erich Ackermann in einem Hotel in Westberlin den Kellner Maurice Swift kennen, der sich als großer Bewunderer seines Werks zu erkennen gibt. Maurice ist Anfang zwanzig und würde gerne Literatur studieren, doch dafür fehlt ihm das Geld. Erich, der sich zu dem attraktiven jungen Mann hingezogen fühlt, bietet ihm an, ihn als Assistent durch Europa und bis nach New York zu begleiten. Doch Maurice plant nicht, sich dauerhaft von einem Förderer abhängig zu machen. Er knüpft neue Kontakte und nutzt das, was Erich ihm im Vertrauen erzählt, um seine Karriere als Schriftsteller zu starten und Erichs zu zerstören. Damit hat Maurice jedoch noch lange nicht genug...

Schon der Titel des Buchs verkündet, dass wir es hier mit einem Protagonisten zu tun haben, der ein Lügner ist. Wie weitreichend die Lügen sind, auf denen Maurice Swift sein Leben aufbaut, wird im Laufe der Geschichte immer deutlicher. Das Buch ist in drei Teile und zwei Zwischenspiele unterteilt, welche die verschiedenen Stationen in Maurices Leben beleuchten und von seinen Taten erzählen.

Los geht es mit Maurices Bekanntschaft zu Erich Ackermann, der ihm als Mentor zur Seite stehen will. Erich ist sehr viel älter als Maurice und hat seine Homosexualität nie ausgelebt. Zu Maurice fühlt er sich stark hingezogen und erhofft sich mehr, bleibt jedoch zurückhaltend. Er ahnt nicht, dass Maurice mit ihm spielt und sein Vertrauen ausnutzt. Ich fand diesen Einstieg und das folgende Zwischenspiel weniger spannend als erhofft, da er sehr auf Männer und ihre lüsternen Gedanken fokussiert war.

Im zweiten Teil ist Maurice einige Jahre älter und die Geschichte wird aus der Perspektive einer Frau erzählt. Nach dem, was ich bislang über Maurice erfahren hatte, konnte ich kaum glauben, dass er sich klaglos in das geschilderte Leben fügt. Gespannte wartete ich auf den nächsten Twist, den ich früh kommen sah und dessen Umsetzung ich gelungen fand. Er macht Maurice von einem höchst unangenehmen Charakter zu einem Menschen, den man einfach verabscheuen muss.

Das Niveau bleibt danach hoch und gespannt verfolgte ich Maurices weitere Schritte. Im Zentrum steht immer Frage, wo Schriftsteller die Ideen zu ihren Geschichten hernehmen. Maurice ist ein Meister der Manipulation und scheint nicht aufzuhalten zu sein. Bis zum Schluss konnte mich die Geschichte mit ihren Wendungen überraschen. Wer Lust auf einen gelungenen Roman mit einem Protagonist hat, den man so richtig verabscheuen kann, der ist hier genau richtig!

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