Dienstag, 13. Mai 2025

Rezension: Leben und Sterben von Alena Buyx

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Leben & Sterben - Die großen Fragen ethisch entscheiden
Autorin: Alena Buyx
Erscheinungsdatum: 26.03.2025
Verlag: S. Fischer
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103975239
--------------------------------------------------------------------------------

Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. Alena Buyx berichtet in ihrem Buch „Leben & Sterben - Die großen Fragen ethisch entscheiden“, wie in der medizinischen Praxis relevante Aspekte des Lebens geklärt werden, um gut und richtig zu handeln. Dabei spielt es eine Rolle, was moralisch erlaubt, zulässig und gesollt ist. Mit ihren Ausführungen möchte sie allen eine fundierte Grundlage vermitteln, um sich eine sorgfältig abgewogene Meinung zu medizinethischen Problemen bilden zu können. Zu beachten sind vier Prinzipien: der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten, die Schadensvermeidung, die Fürsorge beziehungsweise das Wohltun und die Gerechtigkeit. Nachdem die Autorin die Prinzipien erläutert hat, folgen vier Kapitel, die sich den Fragen am Lebensbeginn (z.B. Frühgeburt und künstliche Befruchtung), am Ende des Lebens (z.B. Palliativmedizin, Sterbehilfe), dem Arzt-Patienten-Verhältnis und schließlich dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Robotik in der Medizin widmen.

Anhand von wenigen Fallbeispielen, an deren Klärung im Sinne der Ethik sie mitgearbeitet hat, verdeutlicht sie die Problemstellung, die meist viel komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Man merkt, dass Alena Buyx gewöhnt ist, ihr Wissen im studentischen Umfeld zu vermitteln, denn sie spricht die Lesenden im Text regelmäßig darauf an, ob eine eigene Meinung zum beschriebenen Themenkreis besteht. Es gelingt ihr, die Vielseitigkeit der Fragen zu zeigen. Häufig verweist sie auf weiterführende Literatur im fünfundzwanzigseitigen Anhang, der nach Kapiteln und darin alphabetisch geordnet ist. Dadurch kann die gelesene Textstelle nicht immer direkt der weiterführenden Lektüre zugewiesen werden. Sicherlich ist es sinnvoll, die Ausführungen im Buch zu beschränken, aber die Hinweise auf den Anhang unterbrechen den Lesefluss.

Das Buch „Leben & Sterben“ von Prof. Dr. Alena Buyx behandelt auf eine begreifbare Weise existenzielle Fragen unseres Daseins, die mit Sinn, Verstand und Empathie geklärt werden müssen. Die Ausführungen regen dazu an, sich intensiv mit den verschiedenen geschilderten Situationen auseinanderzusetzen, insbesondere im Hinblick auf persönliche Entscheidungen wie das Verfassen einer Patientenverfügung. Ich fand die Themen interessant und anregend. Daher empfehle ich das Buch allen, die sich trotz der kleinen Kritikpunkte mit medizinethischen Aspekten zwischen Leben und Sterben beschäftigen möchten.

Donnerstag, 8. Mai 2025

Rezension: Geheimname Eisvogel von Liz Kessler


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Geheimname Eisvogel
Autorin: Liz Kessler
Übersetzerin aus dem Englischen: Eva Rieckert
Erscheinungsdatum: 26.03.2025
Verlag: Fischer Sauerländer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783737344005

-------------------------------------------------------------------------

Die in England lebende Liz Kessler verknüpft in ihrem Jugendbuch „Geheimname Eisvogel“ das aktuelle Thema Mobbing mit dem historischen Kontext des Antisemitismus. 

Die Protagonistin Liv besucht die achte Klasse und erlebt, dass sich ihre beste Freundin von ihr abwendet und sie mit der Unterstützung neuer Freundinnen zunehmend provoziert. In Gabi, einer Klassenkameradin, mit der sie bisher wenig Kontakt hatte, findet sie unerwartet eine stille, besonnene Verbündete. Als Livs über 90-jährige Großmutter Bubbe aufgrund ihrer Demenz in ein Seniorenheim zieht, entdecken Liv und Gabi bei der Auflösung ihres Haushalts auf dem Dachboden einen Stapel mit alten Dokumenten und Fotografien. Eines der Fotos zeigt ein Ehepaar mit zwei Jungen und zwei Mädchen. Auf der Rückseite sind sie als Mila und Hannie bezeichnet. Das Bild ist auf den Juli 1942 datiert und in Amsterdam aufgenommen. Liv versteht zunächst nicht, weshalb sich das Foto im Besitz ihrer Großmutter befindet.

In einem parallelen Handlungsstrang erzählt die Autorin von der zwölfjährigen Mila und ihrer älteren Schwester Hannie. Die beiden jüdischen Mädchen wurden im Zweiten Weltkrieg von ihren Eltern mit neuer Identität ausgestattet und an eine arische Familie gegeben, um einer drohenden Deportation zu entgehen. Hannie entwickelt ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und schließt sich und dem Codenamen Eisvogel einer Widerstandsbewegung an, für die sie geheime Botengänge übernimmt. Mila hingegen leidet zunehmend unter der wachsenden Distanz zu ihrer Schwester.

Sowohl Liv wie auch Mila berichten in der Ich-Perspektive, wodurch ihre Erlebnisse und Empfindungen dem Lesenden besonders eindringlich nahegebracht werden. Auch wenn ihre Lebenswelten kaum vergleichbar sind, spiegelnd die Sorgen der beiden Mädchen und Milas Schwester Hannie auf unterschiedliche Weise wichtige Probleme ihrer jeweiligen Generation wider. Gemeinsam ist ihnen der Mut, sich gegen unterschiedlicher Formen von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit zu wehren. 

Um die Erzählung noch lebendiger zu gestalten, spielt Liz Kessler zusätzlich mit weiteren Erzählperspektiven. Durch die geschickte Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart rückt sie ein historisches Kapitel in den Fokus von jungen Lesenden. Das Buch spricht jedoch auch ältere Leserinnen und Leser an. 

„Geheimname Eisvogel“ ist ein bewegender Roman über Freundschaften, Hoffnung, Verzeihen und Akzeptanz des Unvermeidlichen, bei der nicht alles zum Besten endet, aber gerade dadurch tief berührt und nachhallt. Die Autorin Liz Kessler zeigt eindrucksvoll ein unrühmliches Kapitel der Geschichte, das bis in unsere Gegenwart greift und nicht in Vergessenheit geraten sollte. Die thematisierten Aspekte haben tiefgehende Bedeutung, so dass das Buch auch für den Einsatz in Schulklassen geeignet ist. Ich empfehle es daher ausdrücklich weiter.


Donnerstag, 1. Mai 2025

Rezension: Das Echo der Sommer von Elin Anna Labba

 

Das Echo der Sommer
Autorin: Elin Anna Labba
Übersetzerin: Hanna Granz
Hardcover: 464 Seiten
Erschienen am 23. April 2025
Verlag: S. FISCHER
Link zur Buchseite des Verlags

----------------------------------------

Die dreizehnjährige Iŋgá gehört zum Volk der Samen und lebt im Jahr 1942 im Norden Schwedens. Wie jedes Jahr kehrt sie mit ihrer Mutter Rávdná und ihrer Tante Ánne aus dem Winterquartier in der Stadt ins Sommerland am See zurück. Doch in diesem Jahr müssen sie feststellen, dass der See für die Stromproduktion der Städte im Süden weiter aufgestaut wurde und das gesamte Dorf überflutet hat. Ihre Torfkote steht schon halb unter Wasser, nur wenig kann gerettet und in eine provisorische Zeltkote gebracht werden. Rávdná würde gern statt einer neuen Torfkote ein richtiges Haus errichten, doch Baugenehmigung und -kredit werden immer wieder abgelehnt. Einige aus der Dorfgemeinschaft haben die Wanderungen ganz aufgegeben und bleiben im Winterland. Auch Iŋgá, Rávdná und Ánne müssen überlegen, wie sie ihre Zukunft in Anbetracht der Diskriminierung und der Repressalien, die sie als Samen erleben, gestalten wollen und können.

Der Roman beginnt mit einer Szene, in der Iŋgá ihrer Mutter Rávdná dabei hilft, möglichst viel aus der Torfkote der Familie zu retten. Es herrscht eine bedrückende Stimmung, schnell waren bei mir zahlreiche Bilder von Überflutungen im Kopf. Doch hier handelt es sich nicht um eine Naturkatastrophe, sondern eine vom Energieunternehmen mutwillig herbeigeführte Situation, welche ohne Information und Rücksicht auf das Dorf der Samen durchgeführt wurde. Diese erschreckende Situation basiert auf wahren Gegebenheiten und ich begleitete Iŋgá und ihre Familie bei ihren Bemühungen, den Sommer am See dennoch bestmöglich zu gestalten.

Im Verlauf des Romans erhielt ich viele Einblicke in das schwierige Leben der Samen in den 1940er Jahren. Die Regierung sieht dieses indigene Volk als Nomanden, sie haben keinen Grundbesitz, sondern die Koten am See werden geduldet und im Winterland wohnen sie in schlecht isolierten Baracken ohne Elektrizität. Rávdnás Bauantrag wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht in der Lage sei, Wohneigentum zu verwalten und weiter mit ihren Rentieren umherziehen solle. Dabei hat sie kaum noch Tiere und lebt vor allem vom Fischfand und dem Verkauf von Kunsthandwerk. Wer einen festen Job will, der tut gut daran, einen schwedischen Namen zu nutzen, die traditionelle Kleidung abzulegen und in der Stadt zu bleiben. Ich erlebte die Schilderungen der Autorin, die selbst samische Wurzeln hat, als authentisch und berührend. In ruhigen Tönen erzählt sie von himmelschreienden Ungerechtigkeiten, mit denen sich die meisten Samen längst resigniert arrangiert haben. 

Rávdná will sich mit der Situation jedoch nicht abfinden. Aus Iŋgás kindlicher Perspektive und ebenso aus der von Rávdná selbst erfuhr ich mehr über ihre Versuche, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erhalten. Nach etwa 250 Seiten gibt es schließlich einen Zeitsprung, nach welchem sich die Situation weiter verschärft hat. Hier fand ich es zunächst schwer, mich zu orientieren. Ich brauchte eine Weile, um festzustellen, dass ich in den 1970er Jahren gelandet war. Auch Iŋgá ist nun erwachsen und will mit Politik möglichst nichts zu tun haben, während sich bei Rávdná die Wut weiter aufgestaut hat und sie neue Wege der Rebellion sucht.

Mir hat die einfühlsame und oft poetische Art und Weise der Erzählung sehr gut gefallen. Die Autorin arbeitet die Verbundenheit der Charaktere mit der Natur und ihren samischen Wurzeln gelungen heraus. Gerne habe ich Iŋgá, Rávdná und Ánne dabei begleitet, die Erlebnisse auf ihre jeweils ganz unterschiedliche Art und Weise zu verarbeiten, und spreche eine Leseempfehlung aus.
-->