Dienstag, 31. März 2020

Rezension: Das Beste kommt noch von Richard Roper


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Beste kommt noch
Autor: Richard Roper 
Übersetzerin: Katharina Naumann
Erscheinungsdatum: 10.03.2020
Verlag: Wunderlich (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783805200448
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In seinem Debütroman „Das Beste kommt noch“ thematisiert der Engländer Richard Roper die Einsamkeit im Alter, oft verbunden mit Altersarmut, auf eine besondere Art und Weise. Dazu nutzt er die Figur seines Protagonisten Andrew Smith, der Nachlassverwalter bei der Stadtverwaltung in London ist. Damit verbunden hat er eine Geschichte über die weitreichenden Folgen einer Flunkerei von Andrew. Nach einigen Jahren in einer gedanklichen Parallelwelt wartet eventuell, nach Bekennen seiner Lüge, ein Neuanfang auf Andrew, bei dem in seinem Leben vieles sich zum Besseren ändern könnte. So richtig will er aber nicht daran glauben.

Andrew ist 42 Jahre alt und Single. Er wohnt schon sehr lange allein in einer kleinen Wohnung. Alle drei Monate ruft seine ältere Schwester an, das ist sein einziger Bezug zur Familie. Nachdem seine letzte Arbeitsstelle wegrationalisiert wurde hat er sich bei der Stadtverwaltung im Nachlassamt beworben. Leider ist ihm dabei ein Missgeschick unterlaufen und durch eine Fügung hat er seinem Chef von einer Ehefrau, zwei Kindern und einem Haus, das die Familie bewohnt, erzählt. Nie war der richtige Zeitpunkt gekommen, um das richtig zu stellen. Jetzt plant sein Chef eine neue teambildende Maßnahme, bei der nacheinander jeder seine Kollegen nach Hause zu einem Essen einladen soll. Bald schon wird Andrew an der Reihe sein. Doch inzwischen wird das Team durch eine neue Kollegin, mit einer Frisur wie sie auf dem Cover abgebildet ist, ergänzt und er versteht sich von Beginn an bestens mit ich. Es entwickelt sich zwischen ihnen mehr wie eine berufliche Beziehung. Aber beide sind nach eigenen Angaben glücklich verheiratet …

Zu Andrews Aufgaben gehört es, die Wohnung der Verstorbenen nach Hinweisen auf Bezugspersonen und finanzielle Mittel zur Begleichung der Beerdigungskosten zu suchen. Er versieht seine Arbeit mit viel Respekt für die Toten und erscheint daher auch zu deren Begräbnis, zu dem sonst meist nur der Pfarrer anwesend ist. Die Einsamkeit, in der die Gestorbenen lebten, kann er aufgrund seiner eigenen Lebensweise gut nachvollziehen und fühlt sich ihnen dadurch auf gewisse Art verbunden. Der Gedanke, dass er sich irgendwann in einer ähnlichen Situation befinden wird, ist ihm nah. Damit er in Kontakt mit anderen die richtigen Gesten und Worte findet, beobachtet er andere sehr genau, versucht sich in die Betrachteten einzufühlen und merkt sich deren Verhalten, so dass er meist ein angenehmer Gesprächspartner ist.

Richard Roper schreibt ohne Sentimentalität über einen Umstand unserer heutigen Gesellschaft, bei der viele Senioren sehr zurückgezogen leben und ihr Tod lange Zeit unbemerkt bleibt. Die Geschichte ist bewegend, die dabei aufkommende Traurigkeit wird aber von den teils amüsanten Schilderungen der Begebenheiten rund um Andrew übertönt, die vor allem dadurch entstehen, dass er so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit über sein Privatleben reden möchte.

Schon nach kurzer Zeit wurde mir als Leser deutlich, dass etwas in der Vergangenheit von Andrew geschehen sein muss, dass auf ihn verstörend gewesen ist. Die seltenen Anrufe seiner Schwester und seine fehlende Initiative, selbst anzurufen oder sie zu treffen, warfen Fragen auf, genauso wie seine Reaktion auf einen ganz bestimmten Song. Erst im Laufe der Zeit entstand das Bild eines Menschen, der mehrfach in seinem Leben beängstigende Erlebnisse hatte und nun versucht weitere Verletzungen seiner Gefühle zu vermeiden. Schließlich erklärte sich dadurch auch seine Lüge beim Vorstellungsgespräch. Als sich zwischen Peggy und ihm eine starke Zuneigung entwickelt, begann ich Mitleid mit ihm zu haben und hoffte für ihn auf eine Lösung für sein Dilemma.

Richard Roper erzählt mit viel Einfühlungsvermögen in seinem Roman „Das Beste kommt noch“ von einer folgenschweren Schwindelei und der Schwierigkeit, sie richtig zu stellen. Dabei verknüpft er den Beruf seines Protagonisten Andrews mit einem Blick auf das Alleinsein im Alter und stimmt dadurch nachdenklich. Aufgrund einiger aufheiternder Szenengestaltungen ist die Erzählung berührend, aber nicht bedrückend. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Montag, 30. März 2020

Rezension: Miracle Creek von Angie Kim


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Miracle Creek
Autorin: Angie Kim
Übersetzerin: Marieke Heimburger
Hardcover: 512 Seiten
Erschienen am 9. März 2020
Verlag: hanserblau

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In der amerikanischen Kleinstadt Miracle Creek kommt es zur Explosion eines Sauerstofftanks, wodurch ein achtjähriger Junge sowie eine fünffache Mutter sterben. Angeklagt wegen Mordes ist nun die Mutter des Jungen: Sie soll das Feuer gelegt haben, das zur Explosion geführt hat. Für die Mehrheit ist klar, dass sie schuldig ist - schließlich hat man sie in der Nähe des Tatorts mit Wein und Pralinen gefunden, bei sich Zigaretten und Streichhölzer der gleichen Marken wie die Tatwerkzeuge. Doch im Kreuzverhör wird bald klar, dass nicht alles so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei der Verhandlung anwesend sind auch die anderen Personen, die an jenem Abend vor Ort waren. Und manch einer hat der Polizei nicht alles erzählt.

Das Buch beginnt mit einer kurzen Erklärung zur sogenannten HBO-Therapie, bei der in Überdruckkammern reiner Sauerstoff verabreicht wird. Ein Risiko dabei ist die hohe Explosionsgefahr. Das erste Kapitel nimmt den Leser mit ins Jahr 2008, wo es zu solch einem Vorfall gekommen ist. Es ist aus der Sicht von Young geschildert, deren Mann Pak die Überdruckkammer betreibt und sie an jenem Abend bittet, kurz seinen Platz an der Schalttafel einzunehmen. Doch dann muss auch sie hinaus, um etwas aus dem nahegelegenen Haus zu holen. Als sie wiederkommt, brennt es bereits und sie sieht, wie ihre Tochter durch den Knall der Explosion durch die Luft fliegt.

Fast ein Jahr später beginnt der Prozess gegen Elizabeth, deren Sohn in der Überdruckkammer ums Leben kam. Sie ist an diesem Abend zum ersten Mal nicht mit ihrem Sohn gemeinsam in die Kammer gegangen - das ist nur eins von vielen Indizien, die für sie als Verursacherin des Feuers sprechen. Neugierig sog ich als Leserin alle Informationen auf, las Argumente und Gegenargumente und begann, mir mein eigenes Bild zu machen.

Das Besondere an dieser Geschichte ist aber nicht der Prozess an sich, sondern die wechselnden Perspektiven. Drei Mütter mit ihren Kindern und ein Mann waren an jenem Abend zur Therapie da, außerdem Young, Pak und ihre Tochter Mary. Die Überlebenden wohnen dem Prozess bei und denken darüber nach, wie sie den Vorfall sowie die Zeit davor und danach erlebt haben. Dabei wird bald klar, dass es einige Dinge gibt, die sie der Polizei nicht erzählt haben, um sich selbst oder andere zu schützen. Sie reden sich ein, dass es sich um nebensächliche Details handelt, die nichts an der Tatsache ändern, dass Elizabeth die Mörderin ist. Für den Leser, der als einziger alle Geheimnisse erfährt, entsteht dadurch jedoch ein neues Bild, das zahlreiche neue Fragen aufwirft.

Während ich gespannt weiterlas, erhielt ich umfassende Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Beteiligten. Young und Pak sind aus Korea ausgewandert, um ihrer Tochter Mary in Amerika ein besseres Leben zu bieten. Dazu mussten sie zahlreiche Entbehrungen in Kauf nehmen und vor allem Mary wird in der Schule immer wieder rassistisch beleidigt. In Teresa sehen viele Mitmenschen nur die Mutter eines behinderten Kindes, und auch bei Elizabeth war das lange so. Neben all den Geheimnissen, Lügen und der Frage, was denn nun wirklich passiert ist bietet der Roman eine interessante Auseinandersetzung mit der koreanischen Kultur, Rassismus und dem Umgang mit Kindern, die nicht dem Durchschnitt entsprechen.

Mich konnte das Buch von Beginn an packen. Auch während ruhigerer Episoden las ich neugierig weiter. Ich wurde ins Nachdenken gebracht und schließlich wieder von der nächsten Wahrheit überrascht, durch die manches neu interpretiert werden muss. Ein intensives Buch, das ich sehr gerne weiterempfehle!

Samstag, 28. März 2020

Rezension: Der tote Carabiniere von Dino Minardi


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der tote Carabiniere - Pellegrinis zweiter Fall
Autor: Dino Minardi
Erscheinungsdatum: 27.02.2020
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783311120100

Meine Rezension zu Pellegrinis erstem Fall "Ein Espresso für den Comissario": KLICK!
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„Der tote Carabiniere“ ist der zweite Fall für Marco Pellegrini von der Polizia di Stato von Como in Italien im gleichnamigen Kriminalroman des deutschen Autors Dino Minardi. Er spielt etwa fünf Monate nach den Ereignissen des ersten Teils, dessen Kenntnis man für das Lesen nicht unbedingt benötigt, es allerdings das Lesevergnügen steigert. Einen Blick über den Comer See und die schöne Landschaft, in der die Handlung angesiedelt ist, bietet das Cover. Der Titel deutet bereits auf das geschehene und aufzuklärende Verbrechen hin. Doch Pellegrini ist nicht mit den Ermittlungen beauftragt.

Marco Pellegrini wohnt in Brunate, einem Ort unweit von Como entfernt, auf einer Anhöhe gelegen. Um zu seinem Dienstsitz zu gelangen, nimmt er fast immer die Funiculare, die Standseilbahn, die eines morgens abrupt stoppt. Ursache dafür ist der Körper eines Toten, der die Gleise blockiert. Pellegrini kennt den Verstorbenen, es ist ein örtlicher Carabiniere mit dem er bisher regelmäßig einen Kaffee getrunken hat. In Italien gibt es zwei Polizeiorgane, daher ergibt es sich, dass Pellegrini nicht mit den Ermittlungen betraut wird, sondern die Aufklärung des Falls von den Carabinieri übernommen wird. Aber es kann ihm keiner verbieten, mit den Einheimischen über den Fall zu reden und dabei auf Hinweise zu achten.

Pellegrini ist als Sohn eines örtlichen Hoteliers im Dorf bekannt, beliebt und in die Dorfgemeinschaft integriert. Man vertraut einander und hilft sich auch mal gegenseitig. Daher ist es umso unfassbarer, dass einer von ihnen unter so tragischen Umständen ums Leben gekommen ist. Dino Minardi verbirgt den Täter geschickt und legt mehrere Fährten aus zu Tatverdächtigen, so dass der Krimi bis zum Ende spannend bleibt.

Der Autor führte mich an sehenswerte Orte in und um Como und ließ mich seine eigene Begeisterung für diese Gegend spüren. Gerne hätte ich mich manchmal mit den Figuren zu Tisch gesetzt und die angebotenen Speisen gekostet. Die Handlungen seiner Charaktere beschreibt er authentisch, so dass ich mir die Szenarien gut vorstellen konnte. Auch das Privatleben von Pellegrini kommt nicht zu kurz. Gerade weil er diesmal nicht selbst ermittelt, erlebte ich ihn umso häufiger in privaten Kontakten. Zwar verhält er sich nicht immer vorbildlich, doch das macht ihn umso sympathischer.

„Der tote Carabiniere“ von Dino Minardi hält durchgehend seine Spannungskurve. Es hat mir insgesamt noch etwas besser gefallen als der erste Fall. Gerne empfehle ich das Buch daher an alle weiter, die gerne Krimis lesen.

Freitag, 27. März 2020

Rezension: Offene See von Benjamin Myers


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Offene See
Autor: Benjamin Myers
Übersetzer: Klaus Timmermann und Ulrike Wasel
Hardcover: 270 Seiten
Erschienen am 20. März 2020
Verlag: DuMont Buchverlag

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Der Zweite Weltkrieg ist seit einem Jahr vorbei, als Robert 16 Jahre alt wird. Er ist in der Bergbaustadt Durham aufgewachsen und sein beruflicher Weg scheint vorbestimmt: Er wird in der Zeche arbeiten wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Doch vorher will er etwas vom Land sehen, und so bricht er nur mit dem Nötigsten ausgestattet auf. Er schläft im Freien und verdient sich seine Mahlzeiten, indem er seine helfenden Hände anbietet. Schließlich erreicht er die Küste, wo er von der Bewohnerin eines Cottages auf einen Brennesseltee eingeladen wird. Diesen hat er noch nie getrunken, und so sagt er zu. Dulcie entpuppt sich als als weltoffene Dame, die Roberts mit gänzlich neuen Perspektiven und Ideen in Kontakt bringt.

Die Geschichte nimmt den Leser mit in das Jahr 1946 und den Nordosten Englands, wo Robert durch die Landschaft streift mit dem Ziel, endlich mehr vom Land zu sehen als nur seine Heimatstadt. Das Tempo ist ruhig und der Autor nimmt sich Zeit, dem Leser die Umgebung, durch die Robert sich bewegt, ebenso wie die Gedanken, die ihn dabei begleiten, zu schildern.

Die Begegnung mit Dulcie gibt seiner Reise eine ganz neue Richtung. Bislang hat er sich vor allem physisch vom ihm Bekannten wegbewegt. Durch Dulcie erhält er Zugang zu neuen Gedanken, Gefühlen und Geschmäckern. Ich fand es interessant, den Umgang zweier so unterschiedlicher Charaktere, die sich zufällig begegnet sind, zu erleben. Aus der Einladung zum Tee wird eine Einladung zum Abendessen, und schließlich beitet Robert an, sich auf dem Grundstück nützlich zu machen, um noch einige Zeit bei der ihn intellektuell faszinierenden Dulcie zu verbringen.

Dulcie ist eine exzentrische, schon etwas ältere Dame, die schon viel von der Welt gesehen hat. Sie ist sarkastisch, nimmt Wörter in den Mund, die Robert Röte ins Gesicht treiben und teilt bereitwillig ihre Mahlzeiten mit ihm, welche sich für die Nachkriegszeit als erstaunlich üppig und vielfältig erweisen. In ihrem Leben hat sie viele Künstler getroffen und gefördert. Als sich das Gespräch der Literatur und Lyrik zuwendet, leiht sie Robert zahlreiche Bücher, die sie begeistern konnten und an die er sich mit zunehmender Begeisterung wagt.

Die Sprache der Geschichte ist sehr poetisch und der Fokus liegt auf Roberts Gesprächen mit Dulcie und dem Einfluss, den das auf sein Denken und Tun hat. Dulcie hütet zudem ein schmerzliches Geheimnis, das sie Robert Stück für Stück offenbart. Lyrik und die daraus erwachsenden Gefühle spielen eine große Rolle. Mir fällt es nicht leicht, Zugang zu Lyrik zu finden, sodass ich mich auch hier ein wenig schwer damit getan habe.

„Offene See“ ist ein Coming of Age Roman, der in ruhigen und poetischen Tönen von einer Reise zu neuen Ufern berichtet. Die Atmosphäre ist lebensbejahend und melancholisch zugleich. Eine Geschichte rund um die Frage, wer man ist und sein will, die ich gerne an lyrisch interessierte Leser weiterempfehle.


Donnerstag, 26. März 2020

Rezension: Verity von Colleen Hoover



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Verity
Autorin: Colleen Hoover
Übersetzerin: Katarina Gansland
Broschiert: 368 Seiten
Erschienen am 13. März 2020
Verlag: dtv bold

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Lowen ist Schriftstellerin und übt ihren Job am liebsten im Stillen aus - ohne Interviews, Lesereisen und Social Media. Nach dem Tod ihrer Mutter verlässt sie das Haus zum ersten Mal für einen Verlagstermin und wird auf dem Weg dorthin Zeugin eines tödlichen Unfalls. Dank der Hilfe eines Fremden kann sie zumindest ihre blutbefleckte Bluse gegen sein Hemd tauschen. Doch dann stellt sich der Fremde als ihr neuer Auftraggeber Jeremy heraus. Lowen soll die Thriller-Reihe seiner Frau, der berühmten Verity Crawford, fortsetzen, denn sie selbst ist dazu nicht in der Lage. Weil Lowen ihre Wohnung wegen Mietrückständen räumen muss stimmt sie zu, ein paar Tage bei ihm zu verbringen und das Material von Verity zu sichten. Dabei stößt sie auf einen Text, der ihr den Boden unter den Füßen wegzieht.

Ich muss gestehen, dass ich bislang nichts von Colleen Hover gelesen habe, da ich eher selten im New Adult Genre unterwegs bin. „Verity“ hat mich aufgrund der versprochenen Spannungselemente aber neugierig gemacht. Dass der Roman brutale Elemente enthält wird schon auf der ersten Seite deutlich, als vor Lowens Augen jemand überfahren wird. Der Mann, der ihr auf der Herrentoilette eines Coffeeshops ganz anständig sein Hemd leiht, behauptet allerdings, schon schlimmeres gesehen zu haben: Vor einigen Monaten musste er die Leiche seiner Tochter aus einem See ziehen.

Das Tempo ist von Beginn an hoch und die zweite Begegnung mit Jeremy lässt nicht lang auf sich warten. Es stellt sich heraus, dass er nicht nur eine Tochter, sondern zwei verloren hat, und seine Frau einen schweren Autounfall hatte. Kann eine solche Häufung von Unglücksfällen wirklich Zufall sein? Diese Frage stellt sich auch Lowen. Doch sie braucht das Geld und hat keine Wohnung mehr, sodass sie trotzdem für ein paar Tage bei Jeremy einzieht.

Der Autorin gelingt es in diesem Roman, eine höchst unheimliche Atmosphäre zu erzeugen und gleichzeitig emotionale Momente einzubinden. Veritys Aufzeichnungen enthüllen schreckliche Dinge über sie und ihre stille Anwesenheit als Pflegefall im Haus verursacht Lowen großes Unbehagen. Zu Jeremy fühlt sie sich jedoch immer mehr hingezogen. Komisch fand ich es in diesem Zusammenhang, wie lange die beiden sich in der deutschen Ausgabe Siezen - hier hätte ich einen früheren Wechsel zum Du als natürlicher empfunden.

Lowen liest in Veritys Aufzeichnungen nur kapitelweise, da sie hin- und hergerissen ist, ob sie so tief in ihre Privatsphäre eindringen darf und ihr das Gelesene gleichzeitig zusetzt. Dadurch entwickelte sich bei mir ein großer Lesesog, denn ich wollte natürlich wissen, ob hier Antworten auf den Tod der Töchter und Veritys Unfalls gegeben werden. Auch in der Gegenwart scheint etwas vor sich zu gehen.

Was hier schließlich geschildert wird ist wirklich nichts für schwache Nerven und die Trigger-Warnung zum Thema „Verlust eines Kindes“ wird niemanden überraschen, der die Rezension bis hier gelesen hat. Auch wenn ich einige Dinge erahnt habe und das Szenario nicht hundertprozentig plausibel fand konnte mich der Roman mit seinen Twists zum Ende hin noch mal richtig packen und ließ mich aufgewühlt zurück. „Verity“ ist eine spannende Geschichte, die Psychothriller- und New Adult-Elemente verbindet und die ich sehr gerne weiterempfehle!

Mittwoch, 25. März 2020

Rezension: Hin und nicht weg von Lisa Keil



Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Hin und nicht weg
Autorin: Lisa Keil
Erscheinungsdatum: 25.03.2020
Verlag: Fischer TB (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783596703982
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Der Roman „Hin und nicht weg“ von Lisa Keil ist die Fortsetzung ihres Debüts „Bleib doch, wo ich bin“. Zum Lesen benötigt man aber keine Vorkenntnisse des ersten Teils, bei dem Kaya und Lasse im Mittelpunkt standen. Diesmal fokussiert die Erzählung auf Rob, Kayas bestem Freund von Kindertagen an und Anabel, einer Cousine von Lasse. Wieder spielt die Geschichte im fiktiven Neuberg, ländlich gelegen und etwa zwei Stunden von Köln entfernt.

Rob und Anabel lernen sich auf der Hochzeit von Kaya und Lasse kennen. Rob ist Tierarzt und hat vor einigen Jahren die Praxis seines verstorbenen Vaters übernommen. In Berlin hat Anabel einige Zeit in einer Wohngemeinschaft gelebt und als Kellnerin gejobt. Davon kann sie allerdings nicht leben und es reicht auch nicht aus, um ihre Schulden beim Vater zurückzuzahlen. Es kommt ihr daher gerade recht, vertretungsweise als Praxishilfe bei Rob einzuspringen. Immer wieder müssen die beiden beruflich neue Situationen meistern und kommen sich dabei näher. Aber vielleicht bildet Anabel, die im kleinen Neuberg mit ihren lila gefärbten Haaren, ihrem Piercing und ihren bunten Tattoos auffällt, sich das nur ein und Rob wird auf ewig seiner verflossenen Liebe Kaya nachhängen …

Mit Anabel und Rob hat Lisa Keil zwei gegensätzliche Charaktere geschaffen. Während Anabel nicht nur äußerlich auffällt, sondern auch selbstbewusst wirkt, punktet Rob mit seinem guten Aussehen und seiner liebenswerten Art. Er ist in Neuberg bekannt für seine Hilfs- und seiner beinahe ständigen Einsatzbereitschaft. Die lebenslustige Anabel verdeutlicht ihm, dass er zu wenig an seine eigenen Bedürfnisse denkt. Anabel weiß, wovon sie spricht, denn in dieser Hinsicht hat sie selbst eigene Erfahrungen gemacht. Beiden gemeinsam sind ihre Probleme zu den Eltern beziehungsweise zur Mutter, zu denen man im Laufe der Zeit mehr erfährt.

Lisa Keil gelingt eine realistische Ausgestaltung ihres Romans. Ihre Charaktere sind wandelbar. Man spürt ihre Freude am Schreiben vor allem in den Situationen, in denen sie aus dem Alltag des Tierarztes erzählt, in denen sie ihre eigenen Erfahrungen aus diesem Beruf einfließen lässt. Auch ihre Begeisterung für das ländliche Leben spiegelt sich in ihrer Erzählung. Der Grundton der Geschichte ist heiter, aber dennoch geraten die beiden Protagonisten in manch heikle Verwicklungen, die auch mich als Leser berührten. Die Kapitel wechseln mit einer Ausnahme zwischen Rob und Anabel als Ich-Erzähler, so dass ich ihre Gedankengänge sehr gut nachvollziehen konnte. Durch einige unvorhersehbaren Ereignissen ist der Roman abwechslungsreich gestaltet.

Die wirklichkeitsnahe Gestaltung der Figuren und Handlungen, angereichert mit Witz und Drama trägt dazu bei, dass die romantische Liebeskomödie „Hin und nicht weg“ von Lisa Keil für unterhaltsame Lesestunden sorgt. Gerne vergebe ich daher eine Leseempfehlung und freue mich auf die Fortsetzung im nächsten Jahr. 


Montag, 23. März 2020

Rezension: Elijas Lied von Amanda Lasker-Berlin


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Elijas Lied
Autorin: Amanda Lasker-Berlin
Hardcover: 256 Seiten
Erschienen am 5. März 2020
Verlag: FVA

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Elija, Noa und Loth sind drei Schwestern um die Dreißig, deren Leben sich in gänzlich unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Elija liebt das Theater, wo sie die schwangere Hagar spielt, die in die Wüste geschickt wird. Sie selbst wird hingegen nie ein Kind bekommen können und viele Menschen sehen außerhalb der Bühne nur ihre Behinderung. Noas einziger Lichtblick bei ihrem Kantinenjob ist Akim, dem sie manchmal seine Mahlzeit übergibt und der sie dann für den Abend zu sich einlädt. Daneben hat sie noch einen zweiten Job, über den sie nicht oft redet. Loth ist in eine patriotische Hausgemeinschaft in Halle gezogen, wo sie und ihre Mitstreiter, die ihre rechte Gesinnung teilen, Videos drehen und Aktionen planen. Es war ihre Idee, als Schwestern noch einmal gemeinsam wandern zu gehen, so wie sie es früher häufiger mit ihren Eltern gemacht haben.

Das Debüt von Amanda Lasker-Berlin beschreibt den Tag, an dem die drei Schwestern ihre Wanderung unternehmen. Loth hat diesen Vorschlag schon Monate zuvor gemacht und schließlich haben Elija und Noa doch noch zugesagt. Schon auf den ersten Metern wird dem Leser klar, dass die drei so einen Tag mit ganz unterschiedlichem Tempo angehen. Loth will mit ihrem malträtierten Körper möglichst schnell ans Ziel bringen, während Elija nicht so schnell kann und Noa ein wenig auf sie Acht gibt.

Die Wanderung wird mit einer intensiven Sprache erzählt, durch welche die Natur - das Moor, der Wald, der Berg - für mich lebendig wurde. Während es vorwärts geht, hängen alle ihren Gedanken nach. Diese erhält man als ungefilterten Fluss und erfährt Stück für Stück, was die Schwestern eigentlich ausmacht, wie ihr Alltag aussieht und durch welche Erfahrungen sie geprägt wurden. Auch zentrale Informationen wie dass Elija mit Trisomie geboren wurde oder Noa der Neuen Rechten angehört erschließt man sich als Leser über diesen Kanal.

Mit den Informationen über die unterschiedlichen Lebenswege der Schwestern blickte ich auf ihr Verhalten während der Wanderung und erkannte, welche Kluft sich zwischen ihnen über die Zeit hinweg aufgetan hat. Die Chance auf ein erneutes Zusammenfinden scheint vertan. Schade fand ich, dass bei den Gedankengängen der einzelnen Charaktere nicht auf das frühere Verhältnis zueinander eingegangen wird. Auch in der Gegenwart werden keine Worte für eine Aussprache gefunden.

„Elijas Lied“ bietet interessante, kontroverse Charaktere und eine starke Sprache mit Sätzen, die zum Anstreichen einladen. Ich erhielt tiefe Einblicke Gefühls- und Gedankenwelt der drei Schwestern, die mich nachdenklich stimmten. Gerne hätte ich noch besser verstanden, wie sich das Verhältnis der Schwestern über die Jahre hinweg entwickelt hat. Ein intensives literarisches Debüt!

Sonntag, 22. März 2020

Rezension: Die Glasschwestern von Franziska Hauser


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Glasschwestern
Autorin: Franziska Hauser
Verlag: Eichborn (Link zur Buchseite des Verlags)
Erscheinungsdatum: 28.02.2020
ISBN: 9783847900450
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„Die Glasschwestern“ im gleichnamigen Roman von Franziska Hauser sind die Zwillinge Dunja und Saphie. Aufgewachsen sind die beiden Frauen vor fast vierzig Jahren in einem kleinen Dorf im Osten Deutschlands. Ihr Vater war Glasbläser und hat für seine Töchter gerne Schmuck aus Glas hergestellt, den die beiden gerne trugen. Das führte zu ihrem Spitznamen und damit zum Titel des Buchs.

Zu Beginn des Romans, der in der Gegenwart spielt, führt Saphie ein Hotel in der Heimat. Dunja lebt etwa 60 Kilometer entfernt in der Großstadt und unterrichtet dort deutsch. Sie hat zwei erwachsene Kinder, war aber mit deren Vater Winne nie verheiratet und lebt inzwischen von ihm getrennt. Dennoch trifft es sie tief, als Winne stirbt. Auch Saphie ist bestürzt und traurig, viel mehr aber noch darüber, dass ihr Ehemann Gilbhart zufällig am gleichen Tag aus dem Leben scheidet.

Die beiden Schwestern sind vom Charakter her sehr verschieden. Dunja ist von Kindheit an eher zurückhaltend und ängstlich, Saphie dagegen stellt sich den ihr übertragenen Aufgaben und zeigt dabei kaum Furcht. Welche Gefühle Saphie dabei wirklich hat, lernt sie immer mehr zu unterdrücken. Stattdessen schlüpft sie in eine Rolle, in der sie der Welt ihr wahres Gesicht und Wesen verweigert. Als Inhaberin eines Hotels kommt sie in vielen Dingen einfach ihrer Pflicht nach. So war es ursprünglich nicht geplant. Denn früher hat sie sich eigentlich ein Leben in der Stadt erträumt und auch bei Dunja haben sich ihre jugendlichen Vorstellungen von der Zukunft nicht erfüllt. Gerne hätte sie die Werkstatt ihres Vaters übernommen, doch durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze ist dieser Traum geplatzt.

Durch den Tod ihrer Partner ist plötzlich eine riesige Veränderung für beide da. Es hat immer Phasen gegeben, in denen die Schwestern einander brauchten und genauso haben sie gelernt einander loszulassen und ihren eigenen Weg zu gehen, denn trotz räumlicher Distanz wussten sie immer, dass es jemanden gab, der sie im Hilfsfalle unterstützen würde. Jetzt ist es wieder soweit, Dunja sucht die Nähe von Saphie und zieht vorläufig in deren Hotel. Während Dunja versucht, sich mit Arbeit von ihrem Kummer abzulenken, zieht Saphie sich zunehmend zurück und durchbricht damit ihre tägliche Routine, die viele Erinnerungen an ihren Mann mit sich bringen.

Franziska Hauser beschreibt detailreich die sich über mehrere Monate hinziehenden Veränderungen im Wesen der Zwillinge, was sich auch dadurch ausdrückt, dass zunächst Dunja diejenige ist, die mehr im Fokus steht und sich dieser zum Ende hin eher auf Saphie richtet. Die Schwestern kennen sich genau und jede weiß von der anderen, wie diese in welcher Situation reagieren würde. Beide blicken immer wieder auf ihr Leben an der Seite ihres jeweiligen Partners zurück. Bis zum Schluss bleiben Winne und Gilbhart unvergessen und nehmen weiter einen breiten Platz in den Gedanken der Zwillinge ein. Mir persönlich war das im Rahmen der charakterlichen Änderungen unverständlich, zumal es mir erschien, dass aufgrund diverser Differenzen in beiden Beziehungen schon lange keine oder nur noch wenig Liebe im Raum steht.

„Die Glasschwestern“ von Franziska Hauser ist ein ruhig erzählter Roman, in dessen Mittelpunkt die Zwillinge Dunja und Saphie stehen. Die Autorin beschreibt detailliert und bewegend mit sehr viel Feingefühl wie beide sich aufgrund des plötzlichen Verlusts ihres Ehemanns beziehungsweise früheren Partners charakterlich verändern und sie in kleinen Schritten ihre dadurch gewonnene Chance auf eine von ihnen neu gestaltete Zukunft nutzen. Gerne empfehle ich den Roman an empathische Leser weiter.

Samstag, 21. März 2020

Rezension: Was wir sind von Anna Hope


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Was wir sind
Autorin: Anna Hope
Übersetzerin: Eva Bonné
Hardcover: 368 Seiten
Erschienen am 17. Februar 2020
Verlag: Hanser

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Im Jahr 2004 leben die drei Freundinnen Cate, Hannah und Lissa in einer WG in London. Sie sind neunundzwanzig und führen ein relativ unbeschwertes Leben. Sechs Jahre später haben die drei noch Kontakt, doch sie stehen vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen. Cate fühlt sich als Mutter eines kleinen Sohns überfordert und tut sich schwer damit, sich außerhalb der Stadt ein neues Umfeld aufzubauen. Hannah ist beruflich erfolgreich, sehnt sich aber nach einem Kind, doch auch mit künstlicher Befruchtung hat es bislang nicht geklappt. Lissa hofft hingegen noch immer auf den Durchbruch als Schauspielerin, während sie sich mit Callcenter-Jos und ähnlichem durchschlägt.

Das Buch beginnt mit einem kurzen Rückblick ins Jahr 2004, als die drei Freundinnen in London zusammenlebten und am liebsten die Zeit angehalten hätten. Doch diese ist unaufhaltsam weitergelaufen und hat die drei Frauen sechs Jahre später in sehr unterschiedliche Situationen gebracht.

Ich fand es interessant, die unterschiedlichen Charaktere mit ihren Wünschen und Problemen genauer kennenzulernen. Hannah hat den beruflichen Erfolg, den Lissa sich so sehr wünscht. Gleichzeitig wäre Hannah gerne Mutter, während Cate sich in dieser Rolle überfordert fühlt. Sie alle glauben weiterhin daran, dass das Leben, das sie gerne führen würden, in greifbarer Nähe liegt.

Als Leser begleitet man die Frauen ein Stück auf ihrem Weg und ich war neugierig, welche Konsequenzen die Entscheidungen haben werden, die zu treffen sie gezwungen sind. In Rückblicken erfährt man, wie die drei sich eigentlich kennengelernt haben und welche wegweisenden Entwicklungen es bereits gegeben hat. Das half mir nicht nur dabei, die einzelnen Charaktere besser zu verstehen, sondern auch ihre Freundschaft zueinander.

Es gibt manche schöne Entwicklungen, doch vieles läuft für die drei Protagonistinnen nicht wie gedacht. Sie machen schmerzliche Erfahrungen und erleben Momente des Scheiterns. Auch die Freundschaft wird durch die Ereignisse auf eine harte Probe gestellt. Ich habe mich in einigen Situationen und Gedanken durchaus wiedergefunden, dennoch blieb eine Distanz zu den Charakteren erhalten und ich hätte mir noch mehr Emotionalität gewünscht.

„Was wir sind“ ist eine Geschichte über Freundschaft und Lebensträume, von denen sich nicht alle verwirklichen lassen. Cate, Hannah und Lissa müssen sich damit auseinandersetzen, was ihnen wirklich wichtig ist und wo sie hinwollen. Ein Buch für alle, die Lust auf eine nachdenklich stimmende Geschichte über das Erwachsenwerden und den Weg von den Zwanzigern in die Dreißiger haben.

Freitag, 20. März 2020

Rezension: Einfach Alles! von Christopher Lloyd


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Einfach Alles - Die Geschichte der Erde, Dinosaurier, Roboter und zu vieler anderer Dinge, um sie hier aufzuzählen
Autor: Christopher Lloyd
Übersetzerin aus dem Englischen: Hanne Henninger
Illustrationen: Andy Forshaw
Verlag: wbg Theiss (Link zur Buchseite des Verlags)
Erscheinungsdatum: 05.02.2020
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783806240689
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Das Buch „Einfach Alles – Die Geschichte der Erde, Dinosaurier, Roboter und zu vieler anderer Dinge, um sie hier aufzuzählen“ von Christopher Lloyd ist, wie der Titel bereits vermuten lässt, ein Geschichtsbuch ganz besonderer Art. Es versucht die Entwicklung unserer Welt von Beginn der Entstehung des Universums an, unter Einbeziehung möglichst vieler Aspekte zu beschreiben.
Die Intention des Autors besteht darin, viele Themen anzuschneiden, die aufgrund ihrer Unvollständigkeit Fragen über Fragen aufwerfen werden. Außerdem möchte er damit die Wissbegier des Lesers ansprechen, der weiter in anderen Quellen nach Antworten suchen wird. Dieses Ziel hat Christopher Lloyd meiner Meinung nach erreicht.

Gegliedert ist das Buch in 15 Kapiteln. Zu Beginn jedes Teils ist eine zweiseitige Illustration zu finden und am unteren Seitenrand eine zeitliche Leiste, die die geschichtliche Einordnung erleichtert. Die Übergänge zwischen den Kapiteln sind fließend. Der Autor verzahnt bedeutende historische Ereignisse miteinander.

Das Buch besticht mit wunderschönen Graphiken, die den Text veranschaulichen und dadurch verständlicher gestalten. Es gibt keine zwei aufeinander folgenden Seiten ohne Bild. Aufgrund der einfach gehaltenen Sprache, in der es dennoch gelingt komplexe Dinge zu erklären, ist das Buch gleichermaßen geeignet für jüngere Leser, Jugendliche und Erwachsene. Auch zum Vorlesen kann man es nutzen und gemeinsam die Abbildungen dazu betrachten.

Am Ende des Buchs findet sich eine kurze Liste weiterführender Literatur. Ein Glossar beschreibt in einem oder wenigen Sätzen einige wichtige Wörter und der Registerteil hilft dabei, bestimmte Stichworte schnell wieder aufzufinden.

Insgesamt hat mir das Lesen des Buchs viel Freude bereitet. Einiges habe ich hinzugelernt, altes Wissen konnte ich wiederauffrischen und an anderen Stellen führten meine Fragen mich dazu, noch weiter nachzulesen. Selten habe ich auf eine solch unterhaltsame Art so viel über unsere Weltgeschichte erfahren. Daher empfehle ich das Buch gerne weiter.

Donnerstag, 19. März 2020

Rezension: Die Bagage von Monika Helfer


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Bagage
Autorin: Monika Helfer
Erscheinungsdatum: 01.02.2020
Verlag: Hanser (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446265622
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Das Jahr 1914 ist schicksalsträchtig für die Familie der Autorin Monika Helfer, denn damals wurde im September ihr Großvater zum Wehrdienst eingezogen. Aber sie erzählt in ihrem Roman „Die Bagage“ nicht nur die Geschichte ihrer Großeltern und deren Kinder, sondern erinnert sich auch an Episoden aus ihrem eigenen Leben.

Ihre Großeltern Josef und Maria Moosbrugger wohnten ganz am Ende eines kleinen Dorfs in Vorarlberg auf einer Anhöhe. Ihr kleiner Bauernhof stand dort recht einsam, der Boden war karg und die Arbeit darauf mühsam. Später sollte das Paar einmal sieben Kinder haben, zur Zeit der Einberufung waren es vier. Grete, die Mutter von Monika Helfer wurde zu Kriegszeiten geboren. Wer Gretes Vater tatsächlich ist, weiß wohl nur Maria. Wie es zu diesem Mysterium gekommen ist, davon erzählt die Autorin in ihrem Roman. Der Titel des Buchs ergibt sich aus der Nutzung des Begriffs „Bagage“ für diejenigen, die am unteren Ende der gesellschaftlichen Schicht standen. Auch hier bei uns am Niederrhein wird die Bezeichnung abwertend für eine als lästig empfundene Gruppe genutzt.

Monika Helfer schildert das Geschehen in einem eigenwilligen Schreibstil mit meist kurzen Sätzen. Dennoch beschränkt sie sich nicht nur auf das Wesentliche, sondern versucht mögliche Erklärungen für das Verhalten ihrer Verwandtschaft zu finden. Eine wesentliche Quelle für sie, waren die Gespräche mit ihrer Tante Katharina, der ältesten Schwester ihrer Mutter, die damals im Herbst 1914 elf Jahre alt war. Manchmal verlässt die Autorin abrupt die Erzählebene des außenstehenden Betrachters um sie als Ich-Erzähler mit Ereignissen aus ihrer eigenen Erinnerung fortzusetzen.

Maria legt sehr viel Wert auf saubere Kleidung. Ihr ist bewusst, dass sie allgemein als schön gilt und ihr daher Männer gerne Avancen machen. Es ist ein ärmliches Leben, das durch das Fehlen des Vaters zu Kriegszeiten dazu führt, dass kaum mehr genug zu essen da ist. Maria versucht das beste aus der Situation zu machen. Es wird deutlich, dass zu vergangenen Zeiten der Liebe ein anderer Stellenwert zukommt wie heute, denn um eine Ehe zu führen war sie früher nicht entscheidend.

Monika Helfer füllt die fehlenden Informationen mit ihrer Fantasie und versucht auf diese Weise die Beweggründe ihrer Großmutter nachzuvollziehen. Ganz bestimmte Ansichten über einzelne Familienmitglieder stellt sie durch Wiederholungen heraus. Anhand vieler, kleiner Episoden, die sich in der Realität so zugetragen haben, baut sie Szenen weiter aus. Zeitsprünge, auch zu Erlebnissen im Leben der Autorin, machten mir das Lesen nicht immer einfach.

Monika Helfers Roman „Die Bagage“ ist nur teilweise fiktiv. Die meisten Begebenheiten beruhen auf Geschichten aus ihrer eigenen Familie. Sie gab mir als Leser Einblicke in den harten Alltag ihrer Großmutter, deren Handlungen auch die nachfolgenden Generationen geprägt haben. Die Autorin versteht es, die Fakten ansprechend aufzubereiten, so dass es unterhaltsam ist, den Schilderungen zu folgen. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Mittwoch, 18. März 2020

Rezension: Unter der Erde von Stephan Ludwig


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Unter der Erde
Autor: Stephan Ludwig
Broschiert: 400 Seiten
Erschienen am 26. Februar 2020
Verlag: FISCHER Scherz

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Nach über dreißig Jahren Funkstille ist Elias von seinem Großvater zu seinem 90. Geburtstag eingeladen worden. Mit gemischten Gefühlen macht er sich auf den Weg ins Dorf Volkow in der Lausitz, wo sein Großvater in einem halb verlassenen Dorf am Rand des Tagebaus lebt. Kurz vor dem Ziel baut er einen Unfall, sodass sich sein Aufenthalt unfreiwillig verlängert, bis sein Wagen repariert ist. Sein Großvater verspricht ihm ein ausführliches Gespräch am nächsten Tag, um seine Fragen zu beantworten, unter anderem die, warum Elias im Heim aufwachsen musste, wenn es doch ihn gab. Aber am nächsten Morgen ist sein Großvater tot, und die anderen Dorfbewohner verhalten sich höchst merkwürdig...

Den Protagonisten Elias lernt der Leser kurz vor dessen Ankunft in Volkow kennen. Das Dorf liegt gefühlt am Ende der Welt, denn der Tagebau hat die Gegend eingenommen und so wird auch Volkow bald Geschichte sein. Ich stamme selbst aus einer Gegend, in welcher der Tagebau eine große Rolle spielt, sodass ich neugierig war, wie das kontroverse Thema in diesem Thriller verarbeitet wird. Leider spielte der Tagebau an sich keine größere Rolle und wird vor allem genutzt, um Atmosphäre zu schaffen.

Elias ist ein Schriftsteller im Horrorgenre, der nach neun erfolgreichen Büchern in der Krise steckt, denn alle Themen erscheinen ihm ausgelutscht. Den Besuch bei seinem Großvater möchte er möglichst kurz halten. Doch daraus wird nach seiner Autopanne und einer Gehirnerschütterung nichts. So groß scheint sein Wunsch, nach Hause zu kommen, aber auch nicht zu sein, denn er entscheidet sich bewusst dagegen, sich ein Taxi zu rufen.

In Volkow wohnen nur noch wenige Menschen, da die meisten aufgrund der nötigen Umsiedlung bereits weggezogen sind. Elias lernt diese auf der Feier seines Großvaters und am Tag danach kennen und wird aus ihnen nicht richtig schlau. Was machen Menschen wie ein Autoverkäufer und ein Arzt noch im Dorf, wenn es quasi keine Kunden mehr gibt? Als Leser erfährt man in kurzen Zwischensequenzen, dass Elias die ganze Zeit beobachtet wird und diskutiert wird, ob man ihn erschießen soll, man weiß jedoch nicht, wer dahinter steckt. Dadurch weiß man früher als Elias selbst, dass er in großer Gefahr schwebt.

Ich wusste als Leser lange nicht, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird. Das Buch nimmt einen langen Anlauf, bevor die Bedrohung konkret wird und man sich in einer für meinen Geschmack ziemlich abstrusen Geschichte wiederfindet. Nichts ist, wie es scheint, und zwar so auffällig, dass ich davon nur wenig überrascht wurde. Die Motivation der Handelnden wurde mir wenig verständlich gemacht, dass es sich um irre Kriminelle handelt musste als Erklärung weitestgehend reichen. Auch Elias’ Verdrängungs- und Erinnerungsmechanismen fand ich wenig realistisch.

Pluspunkte gibt es für die Selbstironie des Autors, zu dem der Protagonist einige auffällige Ähnlichkeiten hat. Elias steht zwar auf den Bestsellerlisten, würde sich aber gern neu erfinden, doch seine Leser erwarten das Bekannte. Schließlich ist es die junge Jessi, die ihm erklärt, dass das Kriterium für ein gutes Buch einzig ist, dass man weiterlesen will, wenn man einmal angefangen hat. Legt man ausschließlich diesen Maßstab an muss ich sagen: Wie diese verrückte Geschichte endet wollte ich tatsächlich dringend wissen.

In „Unter der Erde“ findet sich ein Schriftsteller in einem halb verlassenen Dorf wieder, dessen Bewohner etwas zu verbergen haben. Es ist ein Einzelband, weshalb er sich auch für alle Thriller-Leser eignet, die wie ich noch nichts vom Autor gelesen haben. Für meinen Geschmack war die Handlung zu abstrus, dennoch wollte ich wissen, wie es ausgeht, sodass ich knappe drei Sterne vergebe.

Rezension: Die Spionin von Imogen Kealey


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Die Spionin
Autor: Imogen Kealey
Übersetzer: Gabriele Weber-Jaric
Broschiert: 457 Seiten
Erschienen am 18. Februar 2020
Verlag: Rütten & Loening

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Im Jahr 1943 sind die Nationalsozialisten in Frankreich auf dem Vormarsch. In Marseille hat sich Nancy Wake der Résistance angeschlossen und hilft unter Einsatz ihres Lebens dabei, Flüchtlinge außer Landes zu bringen. Doch die Deutschen, insbesondere der frisch in Marseille eingetroffene Major Böhm, sind ihr auf den Fersen. Als ihr Ehemann Henri verhaftet wird, muss sie selbst über die Pyrenäen fliehen und lässt sich in Großbritannien zur Spionin ausbilden. Anschließend kehrt sie nach Frankreich zurück, um das Kommando über zahlreiche Partisanen zu übernehmen und gegen die Deutschen zu kämpfen.

Das Buch hat vor allem mein Interesse geweckt, da es auf der wahren Geschichte von Nancy Wake aufbaut, die eine der wichtigsten Spioninnen der Alliierten war und dennoch relativ unbekannt ist. Der Zweite Weltkrieg ist zu Beginn des Buches bereits in vollem Gange und Nancy unterstützt seit geraumer Zeit die Résistance im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie scheint sich unbesiegbar zu fühlen, denn aller Gefahr zum trotz begibt sie sich am Tag ihrer Hochzeit in die Altstadt, in der es von deutschen Militär nur so wimmelt, um eine ganz besondere Flasche Champagner zu besorgen.

Wie gefährlich ihr Tun ist wird jedoch schnell klar, als bei einer nächtlichen Aktion jemand vor ihren Augen erschossen wird und schließlich ihr Ehemann verhaftet wird. Brenzlige und schockierende Momente jagen einander, sodass man als Leser gespannt durch die relativ kurzen Kapitel fliegt. Nancy wird als taffe Frau dargestellt, die sich nicht unterkriegen lässt und im Notfall harte Entscheidungen trifft, aber auch Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zeigt.

Eine Verfilmung des Stoffs mit Anne Hathaway in der Hauptrolle ist in Arbeit und man merkt beim Lesen, dass Imogen Robertson und Darby Kealey die große Leinwand bereits im Kopf hatten. Sie haben sich an die groben Eckdaten von Nancy Wakes Geschichte gehalten, vieles jedoch zugunsten der Dramaturgie verändert, was sie im Nachwort auch erläutern. Damit verschaffen die beiden Autoren sich Freiheiten, die zusätzliche Spannung und Emotionen möglich machen. Beispielsweise wird Nancy als einzige Frau unter Männern dargestellt, obwohl es weitere Spioninnen gab, und bei ihrem Absprung über Frankreich ist sie allein, obwohl sie eigentlich von jemanden begleitet wurde.

Ich hatte mich vor der Lektüre nicht mit dem Leben von Nancy Wake befasst, sodass ich beim Lesen um ihr Schicksal bangte. Das Hauptanliegen dieses Romans ist es, spannende Unterhaltung mit einer gehörigen Portion Pathos zu bieten, was den beiden Autoren gelungen ist. Wer mehr historische Informationen wünscht, der findet ganz hinten einige Buchempfehlungen. „Die Spionin“ kann mit einer starken Frauenfigur überzeugen und ist eine mitreißender Roman für alle, die gerne spannende Geschichten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs lesen!

Dienstag, 17. März 2020

Rezension: Der Empfänger von Ulla Lenze


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Empfänger
Autorin: Ulla Lenze
Erscheinungsdatum: 22.02.2020
Verlag: Klett-Cotta (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783608964639
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In ihrem Roman „Der Empfänger“ schreibt Ulla Lenze über ihren Großonkel Josef Klein, dessen Leben sie fiktionalisiert hat. Er wanderte im Jahr 1924 in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Durch seine Tätigkeit in einer Druckerei wurde er vor dem Zweiten Weltkrieg mit einer Gruppe bekannt, die Deutschland und seiner damaligen Politik stark verbunden war. Josef, der in Amerika nur noch Joe gerufen wurde, besaß ein Funkgerät, einen Detektorempfänger, damit soll er die Gruppe zu festgelegten Zeiten mit seinen Kenntnissen als Funker im Austausch mit Deutschland unterstützen.
 
Das erste Kapitel des Romans spielt in Costa Rica im Jahr 1953. Josef hilft zu dem Zeitpunkt beim Verzeichnen des Landes. In Rückblicken schaut er auf sein bewegtes Leben zurück. Vier Jahre vorher war er aus dem Internierungslager für feindliche Ausländer auf Ellis Island entlassen und des Landes verwiesen worden. Sein Weg führte ihn direkt in seine Heimat nach Neuss, wo die Familie seines jüngeren Bruders Carl noch immer wohnt. Von der Familie seines Bruders erfährt er ein gewisses Unverständnis für seine aktuelle Lage, auch aufgrund der Unkenntnis seiner vorigen Erlebnisse. Sein Ehrgeiz, wieder von anderen unabhängig leben zu können, veranlasst Josef dazu, seine früheren Kontakte zu nutzen, um einerseits wieder Arbeit zu finden und andererseits vielleicht sogar wieder in die Vereinigten Staaten zurück zu finden.

Durch die ersten Seiten des Romans wusste ich, wohin der Weg von Josef ihn führen wird. Meiner Meinung nach nimmt diese Gestaltung der Geschichte eine möglich gewesene gewisse Spannung, die sich aufgrund der Ungewissheit über Josefs weiteres Leben ergeben hätte. Danach lernte ich Josefs Familie in Neuss kennen. 1949 herrscht immer noch Mangel an vielen Dingen des Alltags. Sein jüngerer Bruder hat sich zum Familienoberhaupt entwickelt, Josef wird zum geduldeten Gast. Er sehnt sich aufgrund seiner früheren Erfahrungen nach Liebe und Aufmerksamkeit und sucht sie vor allem bei seiner Schwägerin, wodurch sich das Verhältnis zu ihr schwierig gestaltet.

Die Autorin wertet nicht über das Leben ihres Großonkels. Zaghaft beschreibt sie Josefs Aktivitäten als Funker und schafft ein realistisches Szenario. Dabei öffnete sie mir als Leser den Zugang zu dem interessanten Thema der geschickten Spionagetätigkeiten der Nationalsozialisten in den Vereinigten Staaten.

Josef ist inzwischen 36 Jahre alt. Eine beschriebene Liebesgeschichte blieb recht blass, denn ich konnte die Empfindungen von Josef nicht nachvollziehen. Vielleicht waren seine Gefühle nervlich zu sehr angespannt aufgrund seiner konträren Ansichten über seine Tätigkeit als Funker. Leider erfuhr ich so gut wie nichts über die ersten Jahre seines Aufenthalts in den USA. Ulla Lenze lässt die damalige brodelnde Atmosphäre in den Straßen New Yorks und das Miteinander der verschiedenen Kulturen durch ihre Beschreibungen wieder Gestalt annehmen.

In ihrem Roman „Der Empfänger“ zeigt Ulla Lenze, dass man auch nach Jahren an einem Ort fernab der Heimat innerlich noch immer nicht angekommen sein kann. Die Suche nach Liebe, Vertrauen und Geborgenheit birgt dabei ungeahnte Risiken, die ihr Großonkel in den Tagen vor und während des Zweiten Weltkriegs in den Vereinigten Staaten erfahren hat. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Montag, 16. März 2020

Rezension: Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Meine Schwester, die Serienmörderin
Autorin: Oyinkan Braithwaite
Übersetzung aus dem Englischen: Yasemin Dincer
Erscheinungsdatum: 10.03.2020
Verlag: Blumenbar (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover (Leseexemplat)
ISBN: 9783351050740
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Der Debütroman „Meine Schwester, die Serienmörderin“ der in Nigeria geborenen Autorin Oyinkan Braithwaite spielt in ihrer Heimat. Die Geschwister Korede und Ayoola sind junge Frauen, die in Lagos leben. Während die ältere von ihnen, Korede, als Krankenschwester arbeitet, entwirft Ayoola von zu Hause aus eine Modelinie, die sie selber schneidert und in den Sozialen Medien präsentiert. Die beiden sind auch vom Äußeren her sehr unterschiedlich, Korede ist einen Kopf größer als ihre Schwester und ihre Haut ist dunkler. Ayoola fällt allgemein durch ihre Schönheit auf.

Eines Tages erhält Korede einen Anruf ihrer Schwester in dem diese ihr lapidar mitteilt, dass sie ihren derzeitigen Freund umgebracht hat. Nach drei Morden zählt jemand als Serienmörder, wie Korede als Ich-Erzählerin der Geschichte mir als Leserin mitteilt und ich konnte es kaum glauben, aber genau das ist jetzt der Fall. Wer dazu zählt, bleibt zunächst verborgen, doch es ist nicht der erste Freund, den Ayoola umgebracht hat. Korede eilt Ayoola zu Hilfe, denn sie weiß am besten, wie man alle Spuren und die Leiche beseitigt.

Am Anfang wusste ich nicht, wie ich das Verhalten beurteilen sollte, denn immerhin handelt es sich um schwere Straftaten, die die beiden Schwestern vertuschen möchten. Korede erscheint über das neue Verbrechen von Ayoola kaum entsetzt, sondern macht sich eher Gedanken dazu, wie sie weiteren Delikten vorbeugen kann. Brisant wird die Situation, als Ayoola sich in den Arzt Tade auf der Station verliebt, auf der Korede arbeitet. Korede ist eifersüchtig, aber sie fühlt sich auch dem allgemeinen Verständnis verpflichtet, als ältere Schwester für die jüngere verantwortlich zu sein. Die Frage steht im Raum, ob es Korede gelingen wird, die Beziehung zwischen Ayoola und Tade zu beenden.

Die Geschichte ist bitterböse. Zunächst wirkte es auf mich, als ob Korede einfach ihrer beschützenden Rolle nachkommt. Ich glaubte, sie würde aus Solidarität alles für Ayoola tun. Korede schildert die Umstände eher schicksalergebenen und kann der Situation dennoch etwas Aufhellendes abgewinnen. Erst nach und nach, jedoch beständig erfuhr ich die Hintergründe, nicht nur für ihre Stimmungslage, sondern vor allem, warum Ayoola so schnell ihren Partnern gegenüber zu ihrer eigenen Verteidigung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bereit ist.

In Nebenhandlungen, durch einige Rückblicke und der Schilderung des Alltags ihrer Protagonistinnen, gewährte Oyinkan Braithwaite mir kulturelle Einblicke. Die Schwestern sind aus gut betuchtem Haus und rebellieren auf ihre eigene Art gegen das patriarchale gesellschaftliche System. Ihre Handlungen wurden für mich dadurch verständlicher, obwohl sie natürlich verwerflich sind. Die Geschichte bleibt durch eine unerwartete Wendung spannend bis zum Schluss.

Oyinkan Braithwaite hat in ihrem Roman „Meine Schwester, die Serienmörderin“ verschiedene Genres ungewöhnlich miteinander gemixt. Während ich als Leser darauf gespannt wartete, ob man der Mörderin auf die Schliche kommt, plädierte die Autorin in geschickt gesetzten Schilderungen von misslichen Handlungen für die Selbstbestimmung der Frauen in ihrer Heimat. Dem Roman kommt ein hoher Lesegenuss zu und darum empfehle ich ihn gerne weiter.

Sonntag, 15. März 2020

Rezension: Pique Dame von Alexander Puschkin, illustriert von Kat Menschik



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Pique Dame
Autor: Alexander Puschkin
Übersetzer: Alexander Nitzberg
illustriert von Kat Menschik
Hardcover: 96 Seiten
Erschienen am 5. März 2020
Verlag: Galiani Berlin

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Im Russland der 1830er Jahre sind Glücksspiele wie das Kartenspiel Pharo ein beliebter Zeitvertreib, bei dem so manch einer viel Geld verliert. Der junge Offizier Hermann beobachtet das Treiben interessiert, beteiligt sich jedoch nicht aktiv, denn er will das mit dem Spiel verbundene Risiko nicht eingehen. Als ihm eines Abends ein Spieler erzählt, dass seine Großmutter, die Gräfin Fedotowna, in der Lage ist, drei gewinnbringende Karten vorherzusagen, lässt ihn das nicht mehr los. Er schmiedet einen verzweifelten Plan, um der Gräfin ihr Geheimnis zu entlocken.

„Pique Dame“ ist der inzwischen achte Titel der Lieblingsbuch-Reihe, die von Kat Menschik illustriert wird. Ich habe zuvor noch nie etwas von Alexander Puschkin gelesen und habe mich über die Gelegenheit gefreut. In der ersten Szene wird ein Kartenabend beschrieben und ich konnte den Diskussionen dank der Anmerkungen im Anhang gut folgen, in denen die Regeln des Kartenspiels Pharo und einige damit verbundene Begriffe erklärt werden.

Puschkin erzählt seine Geschichte in schnörkellosen Sätzen. Schnell steht die Legende rund um die Gräfin Fedotowna im Raum und ruft Hermann auf den Plan. Er entwirft eine List und täuscht als Teil davon Interesse an der jungen Lisaweta vor, die im Haus der Gräfin aufwächst. Entsprechend stehen eine wahnhafte Gier und eine enttäuschte Liebe als Themen im Fokus. Im Nachwort des Übersetzers diskutiert dieser die Bedeutung Puschkins als Autor sowie der Novelle im Speziellen, was ich für die Einordnung sehr hilfreich fand.

Die Illustrationen von Kat Menschik haben mir wieder sehr gut gefallen. Alles dreht sich hier ums Kartenspiel, und entsprechend erinnern die Zeichnungen an Spielkarten, bei denen das Motiv oben nach unten gespiegelt wird. Dabei unterscheidet sich das Motiv oben mal sehr stark bis völlig, mal nur in wenigen Details oder überhaupt nicht von seinem gespiegelten Pendant. Das Cover ist hierfür ein gutes Beispiel: Oben hält die Dame Spielkarten in der Hand und trägt Ohrringe, unten zwinkert sie und trägt eine Kette. In ähnlicher Weise sind alle handelnden und erwähnten Charaktere sowie einige zentrale Gegenstände abgebildet.

Das Buch ist ein Must Have für alle Fans der Lieblingsbuch-Reihe von Kat Menschik und lädt dazu ein, eine bekannte Novelle aus der russischen Literatur (neu) zu entdecken!

Freitag, 13. März 2020

Rezension: Vanitas. Grau wie Asche von Ursula Poznanski


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Vanitas. Grau wie Asche
Autorin: Ursula Poznanski
Broschiert: 400 Seiten
Erschienen am 2. März 2020
Verlag: Knaur HC

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Carolin ist zurück in Wien und hat ihren Job in einer Blumenhandlung auf dem Zentralfriedhof wieder aufgenommen. Doch seit den Vorfällen in München ist sie noch vorsichtiger geworden. Als Unbekannte ein Grab öffnen, den Schädel mit einem Hühnerkopf im Mund auf dem Grabstein arrangieren und Schmierereien hinterlassen, hält sie die Situation genau im Auge. Es bleibt nicht bei dieser einen Tat. Ihr Herumtreiben an den Tatorten ruft Oliver Tassani von der Mordkommission auf den Plan, der ihr genauer auf den Zahn fühlen will. Doch ihre wahre Identität will sie ihm gegenüber geheim halten - wer weiß, bei wem diese Information sonst noch landet? Als gleichzeitig ein Student beginnt, die Blumenhandlung täglich zu besuchen und sich dabei merkwürdig zu verhalten, schrillen bei Carolin alle Alarmglocken. Ist die Angst begründet oder leider sie allmählich unter Paranoia?

Nach dem spannenden ersten Teil von „Vanitas“ habe ich mich sehr auf das Wiedersehen mit der Protagonistin Carolin gefreut. Ausgangspunkt der Handlung ist erneut der Zentralfriedhof in Wien. Von Robert, der sie im ersten Teil nach München beordert hat, hat sie schon eine Weile nichts gehört. Das beruhigt sie jedoch nicht so recht, da die Funkstille auch bedeuten könnte, dass ihm etwas zugestoßen ist. Sie bleibt auf der Hut und will sicher gehen, dass die Taten auf dem Zentralfriedhof nichts mit ihr zu tun haben.

Die Geschichte beginnt in einem angenehm zügigen Tempo. Carolin hat die erste Grabschändung schnell entdeckt und versucht, die auf den Grabstein geschmierten Symbole zu entziffern. Dabei will Tassani von der Mordkommission sie im Blick halten, was ihr gar nicht Recht ist. Kein Wunder also, dass sie ihn nicht informiert, als sie am nächsten Morgen als erste entdeckt, dass erneut etwas vorgefallen ist.

Carolin ist ein Charakter, deren Handeln stark durch die extremen Erfahrungen ihrer Vergangenheit bestimmt wird. Im ersten Band hat man als Leser bereits einige Hinweise bekommen, was damals passiert ist. Im Laufe dieses Bandes erfährt man nun mehr über ihre Narben und was sie gezwungen war mit anzusehen und zu tun. Das half mir dabei, ihr Verhalten zu verstehen und warum sie eine radikale Entscheidung trifft, welche den weiteren Handlungsverlauf entscheidend beeinflusst.

Es gibt in diesem Buch immer wieder Phasen, in denen Carolin als Charakter mit ihrer Vergangenheit und der Frage, wie es für sie weitergehen kann, im Fokus steht. Der Fall rund um die Grabschändungen gerät dabei aber nicht in Vergessenheit, auch hier kommt es regelmäßig zu neuen Entwicklungen. Aus verschiedenen Gründen beginnt die Protagonistin wie schon im ersten Band schließlich damit, Nachforschungen auf eigene Faust anzustellen. Dabei begibt sie sich auf gefährliches Terrain. Ein gelungener Spannungsbogen sorgte dafür, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.

In „Vanitas. Grau wie Asche“ von Ursula Poznanski kommt es zu grausigen Vorfällen auf dem Zentralfriedhof in Wien, welche die Protaginistin, die selbst etwas zu verbergen hat, genau im Auge behält. Carolin ist ein vielschichtiger Charakter und ich fand es interessant, sie im Rahmen von unkonventionellen Ermittlungen und der Auseinandersetzung mit ihrer verzwickten persönlichen Situation besser kennenzulernen. Dieser zweite Band lässt sich auch ohne Vorkenntnisse des ersten lesen. Thriller-Fans sollten sich diese Reihe nicht entgehen lassen!
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