Freitag, 4. November 2022

Rezension: Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois von Honorée Fanonne Jeffers


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Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois
Autorin: Honorée Fanonne Jeffers
Übersetzerinnen: Maria Hummitzsch und Gesine Schröder
Hardcover: 992 Seiten
Erschienen am 29. September 2022
Verlag: Piper

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Ailey Pearl Garfield wird 1973 als drittes Kind geboren. Ihr Vater ist Arzt, ihre Mutter hat ihre akademische Ausbildung zugunsten des Nachwuchses abgebrochen. Aileys Vorfahren sind vor allem Schwarze mit afrikanischen Wurzeln, aber auch Weiße und Indigene. Gemeinsam mit ihren älteren Schwestern Lydia und Coco wächst sie im Norden der USA auf, verbringt ihre Sommer jedoch bei der Familie ihrer Mutter in der kleinen Stadt Chicasetta in Georgia. Diese lebt dort auf dem Land der ehemaligen Baumwollplantage, auf der ihre Vorfahren einst Sklaven waren. In einer Zeit, in der Weiße und Schwarze in Amerika offiziell dieselben Rechte haben, erfährt sie, was es heißt, eine ambitionierte schwarze Frau zu sein. Sie entwickelt zunehmend Interesse für die Geschichte ihrer Vorfahren, die sie verstehen will, um ihren eigenen Platz zu finden.

Mit seinen fast 1000 Seiten ist dieses Buch ein echter Schinken, der mich auf eine Reise durch die Jahrhunderte mitnahm. Auf einer Erzählebene begleitete ich Aileys Aufwachsen von ihrer Kindheit in den 1970er Jahren bis ins Jahr 2007. Auf der anderen Erzählebenen lauschte ich dem Flüstern der Ahnen der Creek, jener indigenen Ureinwohner, die einst auf dem Land lebten, das später zu Georgia erklärt und im Rahmen einer Landlotterie Weißen zugesprochen wurde. Sie beginnen ihre Geschichte bei Micco, der 1764 vor der Zeit der Sklaverei in einem Dorf der Creek aufwuchs. Seine Mutter war die Tochter einer Creek und eines Negroes, sein Vater ein Weißer. Von jenen Ahnen erfuhr ich, was im Laufe der Jahrhunderte auf ihrem Land geschah.

Das Themenspektrum dieser Geschichte ist enorm. Ich las mich durch über 250 Jahre und seine gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Dabei sind die Abschnitte aus der Perspektive der Ahnen sehr dicht erzählt und ich musste mich bemühen, einen Überblick über die Vielzahl an charakteren und ihre verwandtschaftlichen Verhältnisse zu bewahren. Ein hinten im Buch abgedruckter Stammbaum kann als Unterstützung genutzt werden, deckt aber auch nicht alles ab. Der Schwerpunkt liegt auf den Erlebnissen der Sklaven auf der Plantage und was es heißt, der Besitz eines weißen Mannes zu sein. Aileys Geschichte hat ein deutlich langsameres Erzähltempo. Ich sah sie aufwachsen und erlebte Sommer um Sommer in Chicasetta. Sie verehrt ihre beiden Schwestern, die gänzlich verschiedene Lebenswege einschlagen und sich allmählich von ihr entfernen. Welchen Weg wird sie letztlich selbst einschlagen?

Die Sprache des Buches erlebte ich als zugänglich, sodass ich dieses seitenstarke Werk verhältnismäßig zügig lesen konnte. Die Arbeit der beiden Übersetzerinnen ist hervorragend und ihre Nachbemerkung zum Umgang mit African American Vernacular English las ich mit großem Interesse. Immer wieder benötigte ich jedoch Zeit, das Gelesene zu verarbeiten. Sklaverei und Rassismus sind zentrale Themen und auf beiden Ebenen gibt es viele Szenen, die einen allgemeinen Eindruck des Lebensrealität der Charaktere vermitteln. Hinzu kommt ebenfalls auf beiden Ebenen das Thema des Kindesmissbrauchs und wie diese traumatischen Erfahrungen die Betroffenen ihr Leben lang prägten. Das Thema dominiert die Geschichte über weitere Strecken, nach denen es mir schwer fiel, es wieder hinter mir zu lassen. Eine tiefere Aufarbeitung dieser Vorfälle bleibt aus.

Für mich war "Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois" eine eindrückliche, emotionale und immer wieder heftige Leseerfahrung. Ein epischer generationenübergreifender und feministischer Roman, dessen Lektüre ich als bereichernd empfunden habe.

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