Dienstag, 18. Dezember 2018

[Rezension] Die kleinen Wunder von Mayfair von Robert Dinsdale


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die kleinen Wunder von Mayfair
Autor: Robert Dinsdale
Übersetzer: Simone Jakob
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783426226723
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Im Buch „Die kleinen Wunder von Mayfair“ des Engländers Robert Dinsdale geschehen magische Dinge. Die Haupthandlung spielt in einem Spielzeugladen in London in den man auf dem Titelbild schon einen kleinen Blick hineinwerfen kann. Die Spielzeuge regen die Fantasie der Hersteller und Käufer so an, dass sie für die Bewunderer und Nutzer zum Leben erwachen. Auch als Leserin konnte ich mich darin verlieren.

Alles beginnt im November 1906 als die erst fünfzehnjährige Cathy aus der kleinen ostenglischen Stadt Leigh-on-Sea feststellt, dass sie von einem Nachbarsjungen schwanger ist. Ihre Eltern möchten, dass sie die Zeit bis nach der Geburt in einem Heim für alleinstehende, werdende Mütter verbringt und das Kind zur Adoption freigibt. In der Tageszeitung fällt ihr Blick auf die Stellenanzeige eines Spielwarenhändlers. Papa Jacks Emporium in London sucht zum sofortigen Beginn eine Aushilfe, Kost und Logis sind inbegriffen. Cathy läuft von zu Hauses weg und erhält die Anstellung. Neben dem Inhaber leben auch seine zwei Söhne Emil und Kaspar im Haus, die sich schon bald um die Gunst von Cathy bemühen.

Jedes Jahr vom ersten Frost an bis zum Erblühen der Schneeglöckchen öffnet das Spielwarengeschäft seine Pforten. Nicht nur Papa Jack, sondern auch seine Söhne stellen die Spielzeuge selbst her. Spielzeugsoldaten gehören zu den umsatzstärksten Artikeln des Geschäfts. Es vergeht kaum ein Tag an dem nicht Emil und Kaspar in einem anhaltenden Krieg seit ihrer Kindheit gegeneinander ihre Soldaten antreten lassen. Doch nachdem Kaspar seinen Dienst im Ersten Weltkrieg an der Front abgeleistet hat, ändert sich seine Einstellung zum Kriegsspiel, die Emil nicht nachvollziehen kann. Die Rivalität der beiden Brüder wächst und nimmt existenzielle Formen an.

Beim Lesen des Romans habe ich mich gefragt, warum das Kriegsspiel mit den Spielzeugsoldaten so viel Raum in der Geschichte einnimmt. Von Papa Jack und seinen Söhnen werden sie so wie fast jedes Spielzeug als Möglichkeit gesehen, sich auch im Erwachsenenalter an die Träume der Kindheit zu erinnern und auf diese Weise ein Stück einer angenehmen Episode im Leben wieder aufleben zu lassen. Aber es ist nicht nur ein Spiel, sondern steht auch als Platzhalter für die Kämpfe im Leben jedes Einzelnen. An einer Stelle des Buchs wird die weitere Entwicklung der Spielzeugsoldaten mit dem Kampf der Frauen für mehr Rechte verglichen. Doch der Kampf um den Sieg der Schlachten hat für die Brüdern Emil und Kaspar noch eine weitere Bedeutung.

Kaspar hat er im Ersten Weltkrieg die Realität hinter den feindlichen Auseinandersetzungen erlebt, die seinem Bruder, der den größten Teil seines Lebens die kleine Welt des Spielwarengeschäfts nicht verlassen hat, verschlossen bleibt. Emils Denken erweist sich als borniert. Schon immer waren die beiden Brüder ganz unterschiedliche Charaktere. Sie wetteifern jeweils auf ihre ganz eigene Weise um die Gunst von Cathy und um die ihres Vaters. Während Emil durch besonderes handwerkliches Geschick auffällt, hat Kaspar die besten visionären Fantasien. Kaspar lässt es sich nicht nehmen, gerade in den ruhigen Sommermonaten auch mal einen Tag in London zu verbringen. Für Emil ist es wichtig, ob er der bessere Spielzeugbauer der beiden ist, denn er glaubt unbegründet daran, dass nur der Beste von ihnen eines Tages vom Vater beerbt wird.

Neben den beiden unterschiedlichen Charakteren der Brüder beschreibt Robert Dinsdale mit Cathy, Papa Jack und weiteren einzigartige Figuren mit Ecken und Kanten. So wurde aus dem zu Beginn undurchschaubaren, kauzigen und eher brummigen Besitzer des Emporiums später ein Mann voller Mitgefühl und einer traurigen Vergangenheit. Cathy erweckte schnell meine Sympathie und sorgte durch ihr ausgeglichenes Wesen immer wieder für Bodenhaftung der Familienmitglieder ohne jedoch den Blick auf das Magische zu verstellen.

Der Roman endet erst im Jahr 1953. Robert Dinsdale brachte mich als Leser auf den dazwischenliegenden Seiten mit seinen Spielzeugideen zum Staunen, mit seiner Liebesgeschichte zum Hoffen und mit dem Kampf der Spielzeugsoldaten zum Nachdenken. Neben der Beschreibung von Begeisterung und Leidenschaft für eine Sache ist es auch eine Geschichte über die Notwendigkeit, schöne Erinnerungen wachzuhalten. Von Anfang an hat mich der Roman in seinen Bann gezogen und seine Faszination hat bis zum Schluss angehalten. Darum empfehle ich den Roman gerne an solche Leser weiter, die wie ich gerne hinter eine glänzende Fassade blicken wollen und zu träumen wagen.

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