Mittwoch, 5. Dezember 2018

[Rezension Ingrid] Befreit von Tara Westover


Titel: Befreit - Wie Bildung mir die Welt erschloss
Autorin: Tara Westover
Übersetzer: Eike Schönfeld
Erscheinungsdatum: 07.09.2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462050127
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„Befreit – Wie Bildung mir die Welt erschloss“ ist die Autobiographie der heute 32-jährigen Amerikanerin Tara Westover. Sie ist dahingehend ungewöhnlich, weil die Autorin in den Bergen Idahos ohne Schulbesuch aufgewachsen ist und dennoch den Weg über die Universität bis hin zum Doktortitel geschafft hat. Befreit hat sie sich in dieser Zeit von den Glaubensgeboten und Leitsätzen, die hauptsächlich ihr fundamentalistisch denkender Vater ihr gesetzt hat, der von ihrer Mutter und einem Teil ihrer sechs älteren Geschwister unterstützt wird. Um einige Personen zu schützen, hat sie teilweise deren Namen geändert.

Tara wächst in einer ländlichen Umgebung auf. Ihre drei ältesten Brüder haben einige Jahre die Schule besucht, doch dann haben die Eltern beschlossen, ihre Kinder selbst zu unterrichten. Es gibt keine festgelegten Lehrstunden, oft lernen die Kinder ganz nebenher durch Erklären von Alltäglichem und näherem Betrachten von Bekanntem und Unbekanntem. Taras Vater Gene betreibt einen Schrotthandel und schon früh wird sie zur Mitarbeit aufgefordert. Auch ihrer Mutter Faye ist sie behilflich im Haushalt und bei der Herstellung verschiedener Kräuterheilmittel. Im Laufe der Jahre passieren mehrere schwere Unfälle in die mindestens eins der Familienmitglieder involviert ist. Doch ein Arztbesuch ist kostspielig und Gene setzt auf die Vorsehung zur Heilung und Naturheilstoffe. Der Vater steigert sich in einige religiöse Ansichten hinein und dringt auf deren Einhaltung, notfalls auch mit Gewalt. Faye stellt sein Verhalten nicht in Frage. Erst viel später erfährt sie, dass Gene eine psychische Erkrankung hat.

Tara Westover setzt sich in ihrer Biografie kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinander. Sie beschönigt nichts. Als Kind blieb ihr viel Raum, ihre Umwelt auf eigene Faust zu entdecken. Bis auf Anstandsregeln, die hauptsächlich ihre Kleidung betrafen, und religiösen Wertvorstellungen waren ihr kaum Grenzen gesetzt. Doch sie hat auch gelernt, dass jedes Familienmitglied so früh wie möglich dabei helfen muss, die Existenz zu sichern. Aus ihrer Sicht als erwachsene Frau, versucht sie die Handlungen ihrer Eltern zu verstehen, denn allein mit einer fundamentalistischen Glaubenseinstellung sind nicht alle Entscheidungen von ihnen zu begreifen. Gerade auch die Gewalt, die einer ihrer Brüder ihr gegenüber ohne das Einschreiten von Vater oder Mutter zeigt, bleibt unfassbar. Und dennoch fällt ihr die Ablösung vom Elternhaus schwer, denn hier reicht ihr Wissen für Haushalt, Kräuterherstellung und die Arbeit auf dem väterlichen Schrottplatz ohne sich mit anderen messen zu müssen. Die Gewohnheit gibt ihr auf eine gewisse Art Sicherheit. Und sich von der Liebe ihrer Eltern zu lösen, die doch da ist, aber sich nicht in der den meisten bekannten Weise äußert, fällt der Autorin schwer. Überhaupt war es für mich als Leserin nicht immer einfach, die Handlungen und Ansichten der Familienmitglieder nachzuvollziehen.

Ohne Groll blickt Tara Westover auf die vergangenen Jahre zurück. Sie definiert nicht nur die Schattenseiten, sondern teilt mit ihren Lesern viele glückliche Momente, die sie in einer gefühlvollen, ausdrucksstarken Sprache erzählt. Sie sucht den Kontakt zu Personen außerhalb der Familie und mit deren Hilfe und der Unterstützung ihrer Brüder öffnet sich ihr Blick und weitet sich ihr Verstand. Ihre Neugier auf das Leben außerhalb der Familie wächst und mit ihrer Persönlichkeit macht sie auf sich aufmerksam und nimmt immer mehr Personen für sich ein. Das gibt ihr Kraft und Stärke und ihre Unsicherheit verliert sich zunehmend. Für mich war es beruhigend, darüber zu lesen.

Tara Westovers Autobiographie ist beeindruckend. Entspräche ihre Geschichte nicht den Tatsachen hätte ich an einigen Stellen innegehalten und die Fiktion für unrealistisch erklärt. Die Schilderungen der Autorin sind intensiv und bewegend. Der Lebensweg der Autorin ist lesenswert und wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

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