Sonntag, 23. Dezember 2018

[Rezension] Das Leben des Vernon Subutex 3 von Virginie Despentes


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Lebend es Vernon Subutex 3
Autorin: Virginie Despentes
Übersetzerin: Claudia Steinitz
Erscheinungdatum: 07.09.2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9793462051537
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„Das Leben des Vernon Subutex 3“ ist der dritte und abschließende Band einer Romanserie der Französin Virginie Despentes rund um den gleichnamigen Titelheld. Zum besseren Einstieg findet sich vor Beginn der Handlung ein Index der Personen, die in den ersten beiden Bänden eine führende Rolle gespielt haben. Der dritte Band der Reihe ist selbständig lesbar, die Gesamtzusammenhänge erschließen sich jedoch besser bei Kenntnis der ersten beiden Teile.

In der Gruppe rund um Vernon Subutex ist der Alltag eingekehrt. In unregelmäßigen Abständen finden die sogenannten Convergences statt, bei denen Vernon Platten auflegt. Die Gruppenmitglieder ziehen von Ort zu Ort und organisieren alles rund um den erfolgreichen Event. Bei einem Aufenthalt zu Hause in Paris verstirbt das Gruppenmitglied Charles. Weder seine Lebensgefährtin noch die Convergence-Gruppe haben etwas von der Million geahnt, die er hinterlässt und die sich die beiden Parteien nach seinem Willen teilen sollen. Ist es in der Gruppe rund um Vernon inzwischen schon zu Streitereien aufgrund unterschiedlicher Ansichten gekommen, so werden diese durch die Diskussion der Verwendung des in Aussicht gestellten Vermögens weiter angefacht. Das Attentat im November 2015 in Paris erschreckt fast jeden Franzosen, ändert deren Einstellungen und betrifft auch die Figuren von Virginie Despentes. Derweil hat der Filmproduzent Laurent Dopalet die Demütigung durch Aicha und Céleste nicht verwunden, die im zweiten Band ausführlich beschrieben wurde. Er gibt nicht auf, die untergetauchten Frauen zu finden und seine Rache auszuüben.

Die Autorin schreibt auch im dritten Band wieder spitzüngig, offen und auf den Punkt gebracht. Sie erzählt die Gedanken ihrer Figuren und lässt sie ihre Meinungen und Gefühle unverblümt kundtun. Dazu nutzt sie eine bunte Mischung Charaktere. Da sind die am Leben Gescheiterten, die Trost im Alkohol oder mit Drogen suchen und diejenigen, bei denen sich Gewalt durch ihr Leben zieht, aber auch die mehr oder weniger erfolgreiche Sternchen in der Unterhaltungsindustrie. Ihre Spitzen richtet sie gegen die Gesellschaft. Politik, egal welcher Couleur und Religionen sind ihr Ziel. Und dennoch sind die Handlungen der Figuren nicht vorhersehbar, denn Mitgefühl und Verstand tragen zu spontanen Entscheidungen bei. Vieles scheint der Autorin, die sich schon früh mit Randexistenzen beschäftigt hat und selbst Opfer einer Vergewaltigung war, von Herzen zu kommen. Dadurch entsteht Authentizität. Die Attentate in Frankreich lässt auch ihre Figuren zögerlicher werden, den öffentlichen Raum zu betreten. Die Rolle der sozialen Medien zur jederzeitigen Information, aber auch als Mittel zur Verbreitung sowohl der Schrecken wie auch der Hilfsmöglichkeiten wird thematisiert. Sie führt ihren Roman auf ein Ende voller Schrecken zu und weit über die Gegenwart hinaus.

Das Bild der französischen Gesellschaft, das Virginie Despentes hier zeichnet, ist in Teilen auch auf Deutschland übertragbar. Zurück bleibt ein beängstigendes, verstörendes, nachdenklich stimmendes Gefühl. Wer die ersten beiden Bände gelesen hat, für den ist der abschließende Teil ein Muss, aber auch für alle anderen Leser, die gerne gesellschaftskritische Romane lesen.

Samstag, 22. Dezember 2018

[Rezension] Raum ohne Fenster - Nather Henafe Alali




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Raum ohne Fenster
Autor: Nather Henafe Alali
Übersetzer: Rafael Sánchez Nitzl
Hardcover: 224 Seiten
Erscheinungsdatum: 4. Oktober 2018
Verlag: S. FISCHER

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Aziz lebt in einer Kriegsregion und ist gerade so mit dem Leben davon gekommen, nachdem er zum Militärdienst gezwungen wurde und sich auf einem Einsatz Befehlen widersetzt hat. Jetzt lebt er bei Salim und seiner Frau Hayat, die mit dem zweiten Kind schwanger ist, in einem belagerten Gebiet. Als Salim schwer verletzt wird, werden die drei getrennt. Schließlich scheint die Flucht der einzige Weg zu sein. Doch dieser ist lebensgefährlich und es bleibt ungewiss, ob man irgendwo ankommen kann und wie man dort empfangen wird.

Das Cover zeigt einen kräftigen Baum und lässt den Betrachter an die zahlreichen Wurzeln denken, mit denen er fest im Boden verankert ist. Solch eine Verankerung verlieren die Protagonisten dieses Buches, dessen Autor selbst aus Syrien geflohen ist und seit vier Jahren in Deutschland wohnt. Er nimmt den Leser in den ersten Kapiteln mit in ein erbarmungsloses Kriegsgeschehen.

Schon nach wenigen Seiten wird Salim, Mann von Hayat und Freund von Aziz, durch einen Granatsplitter schwer verletzt. Hayat und Aziz berichten abwechselnd von ihren Erlebnissen ab diesem einschneidenden Moment. Während Hayat mit ihren beiden Kindern versucht, im belagerten Gebiet die Angriffe der Regierungstruppen zu überleben und nicht zu verhungern, macht sich Aziz mit einem neuen Bekannten auf den Weg aus dem Land heraus.

In Rückblicken erfährt man insbesondere mehr über Aziz‘ Vergangenheit: Seinem alten Leben vor dem Bürgerkrieg, der Zwangsverpflichtung zum Militärdienst und der Verweigerung von Befehlen, von Willkür, Gefängnis und Folter. Die Schilderungen machen betroffen und machen seinen Entschluss, alles hinter sich zu lassen und ins Unbekannte aufzubrechen, verständlich.

Schließlich wechselt der Schauplatz und nimmt den Leser mit auf den weiten Weg hinaus aus einer zerstörten Heimat. Dabei wird sowohl von lebensgefährlichen Momenten berichtet als auch von zermürbendem Ausharren in Zeltstädten. Dabei hat das Buch oft philosophische Züge, wenn der Autor seine Charaktere innehalten und über ihre Situation nachdenken lässt. Es werden keine Städtenamen genannt, vermutlich damit die Geschichte allgemeingültiger ist. Die einzelnen Stationen werden dann aber so explizit beschrieben, dass man  aus meiner Sicht auch das hätte weglassen oder die Namen auch hätte nennen können.

Die Geschichte schildert, welche Strapazen Menschen auf der Flucht auf sich nehmen und wie es ihnen ergehen kann, wenn sie in einem völlig fremden Land ankommen, wo ein bürokratischer Prozess mit ungewissen Ausgang auf sie wartet. Dabei wurde mir der Ton an manchem Stellen zu belehrend. Insgesamt gibt das Buch einen gelungenen Einblick in das Leben in einer Kriegsregion und die Konsequenzen der schwierigen Entscheidung, die Heimat zu verlassen. Ein wichtiges Buch in der aktuellen Zeit, das emotionale Einblicke gibt, nachdenklich stimmt und betroffen macht.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

[Rezension] Die Stimmlosen von Melanie Metzenthin


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Stimmlosen
Autorin: Melanie Metzenthin
Erscheinungsdatum: 17.07.2018
Verlag: Tinte & Feder
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9782919801343

Rezension zum 1.Band "Die Lautlosen" --> KLICK!
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Der historische Roman „Die Stimmlosen“ der Hamburgerin Melanie Metzenthin ist die Fortsetzung des Buchs „Im Lautlosen“ und kann problemlos ohne Kenntnisse des ersten Band gelesen werden. Das Cover lässt anhand der Kleidung auf dem Foto bereits ahnen, dass die Geschichte in den 1940ern oder 1950ern spielt. Sie beginnt Weihnachten 1945, also ein halbes Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Titel bezieht sich auf die Tatsache, dass fast jeder Deutsche nach dem Krieg nur eine eingeschränkte Handlungsfreiheit hat. Die meisten Bürger Hamburgs sind, so wie im Roman dargestellt, damit beschäftigt, eine Bleibe zu finden und ihren Hunger zu stillen. Der lange Schatten der Macht der Nationalsozialisten ist auch immer noch in den Nachkriegsjahren sichtbar.

Nach dem Krieg lebt das Arztehepaar Richard und Paula Hellmer in einer Sechszimmerwohnung, nicht nur mit ihren Zwillingen sondern auch mit Paulas Vater, Richards Eltern, einer Haushaltshilfe sowie Fritz Ellerweg, dem besten Freund Richards, und seinem Sohn Harri. Tagsüber dienen die Räumlichkeiten auch als Warte- und Sprechzimmer. Melanie Metzenthin beschreibt in ihrem Buch auf eine Weise, in die ich mich sehr gut in die Geschichte einfühlen konnte, den Alltag der Wohngemeinschaft. Es ist ein täglicher Kampf um die einfachsten Dinge. Fritz hat gute Beziehungen zu einem Schieber und kommt mit seinen Freunden überein, ein lukratives illegales Tauschgeschäft einzugehen. Außerdem kommt ihnen die Freundschaft zu dem britischen Besatzungsoffizier Arthur Grifford immer wieder zu Gute.

Erst durch die Schilderungen der Autorin wurde mir bewusst, wie lange es tatsächlich gedauert hat, bis in Deutschland wieder eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit allen Dingen des täglichen Bedarfs erreicht wurde. Melanie Metzenthin hat hervorragend recherchiert. Die geschilderten Ereignisse wirken überaus glaubhaft und die Handlung lief wie ein Film in meinem Kopf ab. Sie flechtet viele historische Ereignisse in ihren Roman ein, sei es die Entwicklung auf dem Gebiet der Medien oder auch die Einführung der Deutschen Mark. Ein besonderes Augenmerk richtet sie als Psychotherapeutin nach ihrem eigenen Interesse auf die Geschichte der Medizin.

Überraschende Wendungen gibt es in der Familie von Fritz Ellerweg, aber auch bei Arthur Grifford. Hierin spiegelt die Autorin das Verhältnis der Bevölkerung von zwei Staaten wider, die Kriegsgegner waren. Sie lässt ihre Figuren das Für und Wider aktueller Themen der Nachkriegszeit diskutieren, was mich mehrfach nachdenklich stimmte. Es war mir ein Vergnügen, die Weiterentwicklung der Charaktere zu verfolgen, welche Chancen sie ergriffen haben, welche Berufe sie verfolgten und welche Liebesbande sich aufbauten. Wieder habe ich mit ihnen gebangt und gehofft, Aufgeben war nie eine Option, Träumen dagegen schon.

Melanie Metzenthin hat mit „Die Stimmlosen“ einen überzeugenden Roman über die Nachkriegsjahre geschrieben. Die Schicksale ihrer fiktiven Figuren berühren und rufen manche vergessenen Ereignisse, schöne wie auch traurige, wieder ins Gedächtnis. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich empfehle es uneingeschränkt weiter. 

Dienstag, 18. Dezember 2018

[Rezension] Die kleinen Wunder von Mayfair von Robert Dinsdale


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die kleinen Wunder von Mayfair
Autor: Robert Dinsdale
Übersetzer: Simone Jakob
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783426226723
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Im Buch „Die kleinen Wunder von Mayfair“ des Engländers Robert Dinsdale geschehen magische Dinge. Die Haupthandlung spielt in einem Spielzeugladen in London in den man auf dem Titelbild schon einen kleinen Blick hineinwerfen kann. Die Spielzeuge regen die Fantasie der Hersteller und Käufer so an, dass sie für die Bewunderer und Nutzer zum Leben erwachen. Auch als Leserin konnte ich mich darin verlieren.

Alles beginnt im November 1906 als die erst fünfzehnjährige Cathy aus der kleinen ostenglischen Stadt Leigh-on-Sea feststellt, dass sie von einem Nachbarsjungen schwanger ist. Ihre Eltern möchten, dass sie die Zeit bis nach der Geburt in einem Heim für alleinstehende, werdende Mütter verbringt und das Kind zur Adoption freigibt. In der Tageszeitung fällt ihr Blick auf die Stellenanzeige eines Spielwarenhändlers. Papa Jacks Emporium in London sucht zum sofortigen Beginn eine Aushilfe, Kost und Logis sind inbegriffen. Cathy läuft von zu Hauses weg und erhält die Anstellung. Neben dem Inhaber leben auch seine zwei Söhne Emil und Kaspar im Haus, die sich schon bald um die Gunst von Cathy bemühen.

Jedes Jahr vom ersten Frost an bis zum Erblühen der Schneeglöckchen öffnet das Spielwarengeschäft seine Pforten. Nicht nur Papa Jack, sondern auch seine Söhne stellen die Spielzeuge selbst her. Spielzeugsoldaten gehören zu den umsatzstärksten Artikeln des Geschäfts. Es vergeht kaum ein Tag an dem nicht Emil und Kaspar in einem anhaltenden Krieg seit ihrer Kindheit gegeneinander ihre Soldaten antreten lassen. Doch nachdem Kaspar seinen Dienst im Ersten Weltkrieg an der Front abgeleistet hat, ändert sich seine Einstellung zum Kriegsspiel, die Emil nicht nachvollziehen kann. Die Rivalität der beiden Brüder wächst und nimmt existenzielle Formen an.

Beim Lesen des Romans habe ich mich gefragt, warum das Kriegsspiel mit den Spielzeugsoldaten so viel Raum in der Geschichte einnimmt. Von Papa Jack und seinen Söhnen werden sie so wie fast jedes Spielzeug als Möglichkeit gesehen, sich auch im Erwachsenenalter an die Träume der Kindheit zu erinnern und auf diese Weise ein Stück einer angenehmen Episode im Leben wieder aufleben zu lassen. Aber es ist nicht nur ein Spiel, sondern steht auch als Platzhalter für die Kämpfe im Leben jedes Einzelnen. An einer Stelle des Buchs wird die weitere Entwicklung der Spielzeugsoldaten mit dem Kampf der Frauen für mehr Rechte verglichen. Doch der Kampf um den Sieg der Schlachten hat für die Brüdern Emil und Kaspar noch eine weitere Bedeutung.

Kaspar hat er im Ersten Weltkrieg die Realität hinter den feindlichen Auseinandersetzungen erlebt, die seinem Bruder, der den größten Teil seines Lebens die kleine Welt des Spielwarengeschäfts nicht verlassen hat, verschlossen bleibt. Emils Denken erweist sich als borniert. Schon immer waren die beiden Brüder ganz unterschiedliche Charaktere. Sie wetteifern jeweils auf ihre ganz eigene Weise um die Gunst von Cathy und um die ihres Vaters. Während Emil durch besonderes handwerkliches Geschick auffällt, hat Kaspar die besten visionären Fantasien. Kaspar lässt es sich nicht nehmen, gerade in den ruhigen Sommermonaten auch mal einen Tag in London zu verbringen. Für Emil ist es wichtig, ob er der bessere Spielzeugbauer der beiden ist, denn er glaubt unbegründet daran, dass nur der Beste von ihnen eines Tages vom Vater beerbt wird.

Neben den beiden unterschiedlichen Charakteren der Brüder beschreibt Robert Dinsdale mit Cathy, Papa Jack und weiteren einzigartige Figuren mit Ecken und Kanten. So wurde aus dem zu Beginn undurchschaubaren, kauzigen und eher brummigen Besitzer des Emporiums später ein Mann voller Mitgefühl und einer traurigen Vergangenheit. Cathy erweckte schnell meine Sympathie und sorgte durch ihr ausgeglichenes Wesen immer wieder für Bodenhaftung der Familienmitglieder ohne jedoch den Blick auf das Magische zu verstellen.

Der Roman endet erst im Jahr 1953. Robert Dinsdale brachte mich als Leser auf den dazwischenliegenden Seiten mit seinen Spielzeugideen zum Staunen, mit seiner Liebesgeschichte zum Hoffen und mit dem Kampf der Spielzeugsoldaten zum Nachdenken. Neben der Beschreibung von Begeisterung und Leidenschaft für eine Sache ist es auch eine Geschichte über die Notwendigkeit, schöne Erinnerungen wachzuhalten. Von Anfang an hat mich der Roman in seinen Bann gezogen und seine Faszination hat bis zum Schluss angehalten. Darum empfehle ich den Roman gerne an solche Leser weiter, die wie ich gerne hinter eine glänzende Fassade blicken wollen und zu träumen wagen.

Sonntag, 16. Dezember 2018

[Rezension] Den Himmel stürmen - Paolo Giordano




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Den Himmel stürmen
Autor: Paolo Giordano
Übersetzer: Barbara Kleiner
Hardcover: 528 Seiten
Erscheinungsdatum: 9. Oktober 2018
Verlag: Rowohlt

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Jeden Sommer fährt Teresa gemeinsam mit ihrem Vater von Turin in den Süden nach Speziale, um dort einige Wochen im Haus ihrer Großmutter zu leben. Dort wecken die Nachbarjungen Bern, Tommaso und Nicola ihr Interesse. Die drei gehen nicht zur Schule, sie werden auf dem Hof unterrichtet und helfen dort tatkräftig mit. Teresa taucht ein in ihr Leben und fiebert anschließend das ganze Jahr auf den nächsten Sommer hin. Schließlich beginnt sie eine heimliche Beziehung mit Bern. Doch im folgenden Sommer scheint er spurlos verschwunden, irgendetwas ist vorgefallen. Aber was? Nach mehreren Jahren Unterbrechung kommt Teresa schließlich wieder nach Speziale und trifft eine folgenreiche Entscheidung.

Gleich zu Beginn des Buches erlebt der Leser an Teresas Seite den Moment, an dem sie die drei Jungen vom Nachbargrundstück das erste Mal sieht. Sie sind nachts in ihren Pool eingedrungen und haben sich dort nackt ins Wasser gestürzt. Ihr Vater und der Hausmeister vertreiben sie, und so sieht Teresa Bern, Tommaso und Nicola am nächsten Morgen wieder, als sie kommen, um sich zu entschuldigen. Ich konnte ihre Neugier, mehr über die wagemutigen Nachbarjungs herauszufinden, gut nachvollziehen.

Das Leben auf dem benachbarten Hof fasziniert Teresa, die aus wohlsituierten Verhältnissen kommt. Dort muss jeder mit anpacken, damit sie sich möglichst selbst versorgen können. Die Jungen gehen nicht zur Schule, sondern werden von ihrem religiösen (Pflege-)Vater selbst unterrichtet. Teresas Vater und Großmutter beobachten mit Argwohn, wie sie dort immer mehr Zeit verbringt, ihnen sind die Nachbarn, die sich verhalten wie in einer Sekte, suspekt.

Das Buch macht viele Zeitsprünge und nimmt den Leser zunächst mit von Sommer zu Sommer. Die Charaktere werden älter und zwischen Teresa und Bern bahnt sich etwas an. Doch nicht alles läuft so, wie sie es sich vorstellt. Es kommt zu einem ersten Bruch in der Geschichte, als Teresa den Hof im folgenden Sommer verändert und ohne Bern vorfindet. Hier wird schließlich ein Perspektivenwechsel eingeschoben: Jahre später füllt Tommaso rückblickend Teresas lückenhaftes Wissen darum, was in der Zwischenzeit geschehen war. Allmählich kommt ans Licht, dass manche Geheimnisse jahrelang gehütet und fatale Ereignisse verschwiegen wurden.

Zurück in der Vergangenheit sind die Charaktere erwachsen geworden und müssen wegweisende Entscheidungen im Hinblick auf ihr berufliches Leben treffen. Teresa entschließt sich zum Entsetzen ihrer Eltern dazu, bis auf Weiteres in Speziale zu bleiben. Dort versucht sie mit anderen, mit begrenzten Mitteln ein möglichst naturverbundenes Leben zu führen. Doch auch diese Konstellation erweist sich als fragil. Unterschiedliche Vorstellungen, wie weit man für seine Überzeugungen gehen sollte, trennen die Charaktere erneut.

Der Autor erzählt eine Geschichte von Zusammenhalt und Liebe, dem Streben nach einem selbstbestimmten Leben und Verbundenheit, die zum Verhängnis werden kann. Neugierig las ich weiter, um zu erfahren, ob die Charaktere das erreichen werden, wonach sie streben. Die Atmosphäre wird dabei immer düsterer, denn manche Fehlentscheidungen lassen sich nicht wieder gutmachen. Die Beteiligten müssen mit den Konsequenzen leben und so treten Themen wie das Auseinanderleben und Loslassen ebenso wie Reue und Zorn in den Vordergrund. Wer wird vergeben können, und zu welchem Preis? Mich konnte das Buch emotional packen und begeistern. Sehr gerne empfehle ich diesen Roman weiter!

Mittwoch, 12. Dezember 2018

[Rezension] Die Tochter des Uhrmachers von Kate Morton


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Tochter des Uhrmachers
Autorin: Kate Morton
Übersetzerin: Charlotte Breuer
Erscheinungsdatum: 08.10.2018
Verlag: Diana (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783453291386
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„Die Tochter des Uhrmachers“ von Kate Morton handelt auf mehreren Zeitebenen. Die Handlung beginnt in Birchwood Manor, einem Landhaus in England. Anfangs ist noch nicht ersichtlich, dass es sich bei der Ich-Erzählerin um die Titelfigur handelt. Geheimnisvoll angehaucht ist ihre Andeutung der Geschehnisse des Sommers 1892 in dem eine Gruppe Künstler das Haus zum Malen und Dichten benutzte. Unerwartete Gäste trafen ein und ein Schuss wurde abgegeben. Den Grund für diese Handlung und wer sie ausgeführt hat wird erst nahezu am Ende des Buchs genannt.

In der Gegenwart entdeckt die 31-jährige Archivarin Elodie in einem Pappkarton, der jahrelang im Abstellraum gestanden hat, eine Aktentasche. Sie enthält neben anderen Dingen eine Dokumentenmappe, in der sich das Sepia-Foto einer jungen Frau findet. Außerdem enthält die Aktentasche ein Skizzenbuch aus dem ein Blatt Papier mit einer Liebesbekundung fällt. Eine Zeichnung im Buch fällt Elodie besonders ins Auge, ein Haus mit zwei Giebeln in der Nähe eines Flusses. Sie erinnert sich an eine Geschichte, die ihre verstorbene Mutter ihr als Kind erzählt hat, das darin vorkommende Haus entspricht genau der Zeichnung. Der Inhalt der Aktentasche geht Elodie nicht mehr aus dem Sinn. Hinter ihrer Neugier stehen sogar die Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit zurück. Zu gerne möchte sie wissen, wer die Frau auf dem Foto ist und ob sie einen Bezug zu dem Haus in der Skizze hat. Außerdem ist es ihr wichtig zu erfahren, ob es die Landschaft aus der Geschichte ihrer Mutter tatsächlich gibt. Hat die Aktentasche einen Hinweis auf die Vergangenheit ihrer eigenen Familie enthalten?

Während Elodie sich anhand ihrer Entdeckungen auf die Suche nach Antworten begibt, springt die Geschichte immer wieder zu Birdie, der Tochter des Uhrmachers. Die Kapitel, in denen Birdie ihr spannendes Leben erzählt, sind mit römischen Zahlen getitelt, während über den Ereignissen in der Gegenwart arabische Ziffern stehen. Doch im Verlauf des Romans kommen weitere Zeitebenen hinzu. Charaktere, die zunächst nur eine Nebenrolle spielten, oder auch neue Figuren stehen dabei im Mittelpunkt. Ohne zu viel darüber preiszugeben, sei angedeutet, dass Birchwood Manor Ende des 19. Jahrhundert zu einem Mädchenpensionat wurde. Später zieht für einige Zeit ein Kunststudent ins Haus ein, der seine Doktorarbeit über den Maler Edward Radcliffe schreibt und im Zweiten Weltkrieg wird es zur Zuflucht für eine Witwe mit ihren Kindern.

Die Geschichte von Elodie verblasst, wenn Kate Morton sich immer mehr der Vergangenheit zuwendet. Dabei baut sie ihre Charaktere weiter aus und bindet sie in immer neue Abenteuer ein. Jede ihrer Figuren hat auf seine eigene Art Ecken und Kanten. Trauer und Freude sind mit Birchwood Manor verknüpft. Hier wird nicht nur gelebt, sondern auch gestorben und über allem liegt eine mysteriöse Legende. Die Autorin spinnt ihren Roman sehr geschickt, es dauert eine Weile bis sie ein Geheimnis preisgibt, dem sie sich auf unterschiedliche Weisen nähert und Motive für die jeweilige Handlung schildert. Allerdings zog sich die Geschichte dadurch im Mittelteil ein wenig. In einer ausdrucksstarken Sprache dreht der Roman sich immer wieder um Kunst und auch Poesie.

„Die Tochter des Uhrmachers“ zeigt wieder einmal die Stärke von Kate Morton als Geschichtenerzählerin. Die Verknüpfung unterschiedlicher Zeitebenen und Erzählperspektiven macht den Roman sehr abwechslungsreich und einzigartig. Über allem liegt ein Hauch von Magie. Mir hat das Buch gut gefallen und ich empfehle es an Leser von Familiengeschichten mit Geheimnissen, die gerne ihre Fantasie spielen lassen, weiter.

[Rezension] Die Dame in Gold von Valérie Trierweiler


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Dame in Gold (unabhängiger Band in der Reihe 
"Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe)

Autorin: Valérie Trierweiler
Übersetzerin: Beate Reitz
Erscheinungsdatum: 14.09.2018
Verlag: Aufbau Taschenbuch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783746634494
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„Die Dame in Gold“ von der französischen Autorin Valérie Trierweiler beschreibt das Leben von Adele Bloch-Bauer, einer Muse des berühmten Malers Gustav Klimt, die in Wien lebte. Das Buch erscheint in der Serie „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ des Aufbau Verlags. Bei der Umschlaggestaltung findet die Kunst Klimts Eingang in der Umrandung der oberen Hälfte des Covers. Der Roman führte mich in der Zeitgeschichte über einhundert Jahre zurück.

Adele Bloch-Bauer war glücklich mit einem Zuckerfabrikanten verheiratet. Sie verlor zwei ihrer Kinder bereits während der Schwangerschaft, eines sehr kurz nach der Geburt und blieb kinderlos. Das Paar führte einen Salon, in dem sich unter anderem Künstler aus Wien gerne trafen. Ihr Mann förderte einige von ihnen, darunter auch Gustav Klimt, dessen Stil er besonders mag und ihn daher darum bat, seine Frau zu porträtieren. In vielen Sitzungen, bei denen Gustav Klimt zunächst skizzierte und später dann auf seine ganz eigene Weise malte, sympathisierten er und Adele nicht nur miteinander, sondern kamen sich schließlich auch körperlich näher. Klimt gelingt es, Adele wieder Freude am Leben zu schenken und ihr Mut für die Zukunft zu geben.

Obwohl Adele von ihrem Mann geliebt und von Freunden und Familie geschätzt wird, lässt sie die fehlende Mutterrolle beinahe verzweifeln. Die räumliche Nähe zu den Kindern ihrer Schwester lässt sie neidisch sein. Den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit unterworfen gibt es für sie kein Entfliehen aus den an sie gestellten Erwartungen als Gattin eines Unternehmers. Durch die langen Gespräche mit Gustav Klimt lernt sie die Welt aus einer anderen Perspektive kennen. Ihr Bewusstsein öffnet sich für neue, moderne Ansichten. Sie fühlt sich ihm ebenbürtig und entwickelt dadurch mehr Selbstwertgefühl.

Das Ehepaar Bloch-Bauer spürt deutlich die Auswirkungen der geschichtlichen Entwicklungen vor allem die des ersten Weltkriegs. Valérie Trierweiler lässt Dank ihrer sehr guten Recherche die damalige Zeit realistisch wieder aufleben. Fehlende Fakten ergänzt sie durch ihre Fantasie. Mit viel Einfühlungsvermögen gibt die Autorin den Fakten hinter der historischen Figur nachvollziehbare Gefühle. Auf diese Weise konnte ich mir Adele sehr gut in ihrem Umfeld vorstellen. Die Autorin schildert unter anderem anschaulich auch die Entstehung eines der berühmtesten Bilder Klimts, nämlich „Adele Bloch-Bauer I“, kurz „Die goldene Adele“, das zu den teuersten Gemälden der Welt zählt. Immer wieder habe ich mir das Bild aufgerufen und angesehen, um den Malstil von Klimt zu bewundern.

Valérie Trierweiler lässt mit ihrem Roman „Die Dame in Gold“ Geschichte wieder lebendig werden. Ihr Schreibstil ist angenehm leicht lesbar und unterhaltsam. Wer es mag, über historisch verbürgte Frauen zu lesen und die bisherigen Bücher der Reihe im Aufbauverlag mochte wird auch mit diesem Buch wieder die richtige Lektüre finden. 

Dienstag, 11. Dezember 2018

[Rezension] Mortal Engines. Jagd durchs Eis - Philip Reeve


 

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Mortal Engines. Jagd durchs Eis
Autor: Philip Reeve
Übersetzer: Gesine Schröder und Nadine Püschel
Taschenbuch: 368 Seiten
Erscheinungsdatum: 28. November 2018
Verlag: FISCHER Tor

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Zwei Jahre sind vergangen, seit Hester und Tom sich gemeinsam gegen Valentine und seinen finsteren Plan zur Wehr gesetzt haben. Mit ihrem Luftschiff, der „Jenny Haniver“, haben sie seither zahlreiche Orte bereist. Bei einem Stop in Airhaven werden sie von Nimrod Pennyroyal angesprochen, einem bekannten Autoren von Reiseberichten, deren Wahrheitsgehalt höchst zweifelhaft ist. Hester und Tom willigen ein, ihn mitzunehmen. Sie merken zu spät, dass ihm jemand auf den Fersen ist. Es kommt zu einem Gefecht, und der „Jenny Haniver“ gelingt knapp die Landung in Anchorage. In der einst mächtigen Eisstadt leben nach einer Epidemie nur noch ein paar Dutzend Menschen, angeführt von der weltfremden Freya. Diese hat ihren ganz eigenen Plan für ihre Gäste. Ihr Handeln verleitet Hester dazu, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.

Nachdem mich der erste Teil der Mortal Engines Reihe als Buch und auch als Film überzeugen konnte, war meine Vorfreude auf die Fortsetzung groß. Die Handlung beginnt rund zwei Jahre nach dem ersten Teil und startet ruhig. Hester und Tom haben ein neues Leben an der Bord der „Jenny Haniver“ begonnen. Das fühlt sich insbesondere für Hester immer noch unwirklich an.

Außerdem lernt man gleich einen neuen Charakter kennen: Freya ist seit dem Tod ihrer Eltern die Anführerin der Eisstadt Anchorage. Diese wäre leichte Beute, wenn sie gefunden wird, denn es sind fast alle Bewohner an einer Krankheit gestorben. Jetzt liegt es an Freya, zu entscheiden, wohin sie ihre Stadt lenkt, doch sie wartet vergeblich auf eine Eingebung. Zudem hat sie wenig Ahnung von alltäglichen Dingen, da sie ihr Leben lang von Dienern umgeben war. Von diesen hat jedoch nur ein einziger überlebt. Freyas Versuche, ihren Alltag zu meistern und sich wie eine edle Lumineszenz zu geben, sind amüsant. Sie tat mir als Leser ein bisschen Leid, machte sich mit einigen Entscheidungen aber nicht unbedingt beliebt.

Ein weiterer neuer Schlüsselcharakter ist der Autor Nimrod Pennyroyal, der bei Hester und Tom mitfliegt und dafür verantwortlich ist, dass ihr Luftschiff von seinen Verfolgern beschädigt wird. Außerdem spielen die sogenannten Verlorenen Jungs eine Rolle, eine Diebesbande, die vom mysteriösen „Onkel“ angeführt wird. Die zahlreichen neuen Charaktere bringen Schwung in die Geschichte und sorgen für neue Herausforderungen, denen Hester und Tom sich stellen müssen. Auch einige Geister der Vergangenheit holen die beiden bald in unerwarteter Gestalt ein. Es gibt nicht ganz so viele Ortswechsel wie im ersten Band und häufiger ruhige Szenen, die einem die Chance geben, die Handelnden noch besser zu verstehen.

Der Leser wird zu neuen Schauplätzen geführt, darf wieder spannende Auseinandersetzungen erleben und fiebert mit, ob Hester und Tom die Herausforderungen meistern werden. Die Situation spitzt sich immer weiter zu und zum Ende hin gab es in meinen Augen gleich mehrere Highlight-Szenen. Eine Handvoll Fragen bleibt offen, sodass ich mich freue, bald weiterlesen zu können. Wer den ersten Band mochte, der sollte sich diese Fortsetzung auf keinen Fall entgehen lassen!

Sonntag, 9. Dezember 2018

[Rezension Ingrid] Unter Wasser von Till Raether


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Titel: Unter Wasser (Band 5 für den Ermittler Adam Danowski)
Autor: Till Raether
Erscheinungsdatum: 23.10.2018
Verlag: Rowohlt Polaris (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783499291500
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„Unter Wasser“ ist der fünfte Fall für den Hamburger Hauptkommissar Adam Danowski aus der Feder von Till Raether. Adam gehört etwa ein Jahr nach den Ermittlungen, die im vorigen Band „Neunauge“ stattfanden, immer noch zur Abteilung „Operative Fallanalyse“ des Landeskriminalamts. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit seinen früheren Kollegen Meta und Finzi erfährt er von der neu gegründeten permanenten Sonderkommission Sexualisierte Gewalt, die Meta leiten wird. Nach kurzem Überlegen willigt Adam ein, die Kommission mit seiner Arbeit zu unterstützen. Die Räumlichkeiten befinden sich in der Nähe der Speicherstadt, von der ein Teil auf dem Cover abgebildet ist. Der Titel bezieht sich allerdings auf ein Schwimmbad in dem die Youtuberin Sibil Schwab, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Billie Swopp, entführt wird. Das Besondere am aktuellen Fall ist, dass Adam mit seiner jüngeren Tochter während der Tat vor Ort war. Bald schon kommt der Verdacht auf, dass Billie die Tat fingiert hat um ihre Klickrate und die Followerzahlen zu verbessern. Doch dann geht eine Lösegeldforderung ein, begleitet von einer Drohung, die kaum mehr an einen Scherz glauben lässt.

Diesmal dreht sich ein großer Teil der Handlung rund um Billie und ihrer Tätigkeit als Youtuberin, die von zwei Nerds bei der Vermarktung unterstützt wird. Im Privatleben von Adam Danowski konnte ich mehr über das Zusammenleben mit seinen beiden Töchtern Martha und Stella, inzwischen 10 und 13 Jahre alt, und den Umgang miteinander erfahren. Adam setzt sich wie andere Eltern auch mit den Chancen und Gefahren der Sozialen Medien auseinander und fragt sich, wie viel Umgang damit für jedes Kind passend ist.

Diesmal legt der Autor zwar eine falsche Fährte zu dem Täter oder den Tätern, aber nur für die Ermittler. Als Leser erfuhr ich von Billies Plänen, doch bis zuletzt blieb für alle offen, ob es sich um „Prank“, also einen Streich handelt oder die Entführung und deren Folgen ernst zu nehmen sind. Die Schilderung nimmt einiges von der heutigen Jugendsprache auf. Die Dialoge der jungen Leute waren daher für mich nicht immer leicht zu verstehen. Till Raether schreibt wie immer in einem unterhaltsamen Stil mit leicht lakonischem und amüsantem Unterton. Die Handlung ist aktuell und wirkt realistisch. Wer die Adam Danowski-Reihe mag, ist auch bei dem fünften Fall richtig.


Mittwoch, 5. Dezember 2018

[Rezension Ingrid] Befreit von Tara Westover


Titel: Befreit - Wie Bildung mir die Welt erschloss
Autorin: Tara Westover
Übersetzer: Eike Schönfeld
Erscheinungsdatum: 07.09.2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462050127
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„Befreit – Wie Bildung mir die Welt erschloss“ ist die Autobiographie der heute 32-jährigen Amerikanerin Tara Westover. Sie ist dahingehend ungewöhnlich, weil die Autorin in den Bergen Idahos ohne Schulbesuch aufgewachsen ist und dennoch den Weg über die Universität bis hin zum Doktortitel geschafft hat. Befreit hat sie sich in dieser Zeit von den Glaubensgeboten und Leitsätzen, die hauptsächlich ihr fundamentalistisch denkender Vater ihr gesetzt hat, der von ihrer Mutter und einem Teil ihrer sechs älteren Geschwister unterstützt wird. Um einige Personen zu schützen, hat sie teilweise deren Namen geändert.

Tara wächst in einer ländlichen Umgebung auf. Ihre drei ältesten Brüder haben einige Jahre die Schule besucht, doch dann haben die Eltern beschlossen, ihre Kinder selbst zu unterrichten. Es gibt keine festgelegten Lehrstunden, oft lernen die Kinder ganz nebenher durch Erklären von Alltäglichem und näherem Betrachten von Bekanntem und Unbekanntem. Taras Vater Gene betreibt einen Schrotthandel und schon früh wird sie zur Mitarbeit aufgefordert. Auch ihrer Mutter Faye ist sie behilflich im Haushalt und bei der Herstellung verschiedener Kräuterheilmittel. Im Laufe der Jahre passieren mehrere schwere Unfälle in die mindestens eins der Familienmitglieder involviert ist. Doch ein Arztbesuch ist kostspielig und Gene setzt auf die Vorsehung zur Heilung und Naturheilstoffe. Der Vater steigert sich in einige religiöse Ansichten hinein und dringt auf deren Einhaltung, notfalls auch mit Gewalt. Faye stellt sein Verhalten nicht in Frage. Erst viel später erfährt sie, dass Gene eine psychische Erkrankung hat.

Tara Westover setzt sich in ihrer Biografie kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinander. Sie beschönigt nichts. Als Kind blieb ihr viel Raum, ihre Umwelt auf eigene Faust zu entdecken. Bis auf Anstandsregeln, die hauptsächlich ihre Kleidung betrafen, und religiösen Wertvorstellungen waren ihr kaum Grenzen gesetzt. Doch sie hat auch gelernt, dass jedes Familienmitglied so früh wie möglich dabei helfen muss, die Existenz zu sichern. Aus ihrer Sicht als erwachsene Frau, versucht sie die Handlungen ihrer Eltern zu verstehen, denn allein mit einer fundamentalistischen Glaubenseinstellung sind nicht alle Entscheidungen von ihnen zu begreifen. Gerade auch die Gewalt, die einer ihrer Brüder ihr gegenüber ohne das Einschreiten von Vater oder Mutter zeigt, bleibt unfassbar. Und dennoch fällt ihr die Ablösung vom Elternhaus schwer, denn hier reicht ihr Wissen für Haushalt, Kräuterherstellung und die Arbeit auf dem väterlichen Schrottplatz ohne sich mit anderen messen zu müssen. Die Gewohnheit gibt ihr auf eine gewisse Art Sicherheit. Und sich von der Liebe ihrer Eltern zu lösen, die doch da ist, aber sich nicht in der den meisten bekannten Weise äußert, fällt der Autorin schwer. Überhaupt war es für mich als Leserin nicht immer einfach, die Handlungen und Ansichten der Familienmitglieder nachzuvollziehen.

Ohne Groll blickt Tara Westover auf die vergangenen Jahre zurück. Sie definiert nicht nur die Schattenseiten, sondern teilt mit ihren Lesern viele glückliche Momente, die sie in einer gefühlvollen, ausdrucksstarken Sprache erzählt. Sie sucht den Kontakt zu Personen außerhalb der Familie und mit deren Hilfe und der Unterstützung ihrer Brüder öffnet sich ihr Blick und weitet sich ihr Verstand. Ihre Neugier auf das Leben außerhalb der Familie wächst und mit ihrer Persönlichkeit macht sie auf sich aufmerksam und nimmt immer mehr Personen für sich ein. Das gibt ihr Kraft und Stärke und ihre Unsicherheit verliert sich zunehmend. Für mich war es beruhigend, darüber zu lesen.

Tara Westovers Autobiographie ist beeindruckend. Entspräche ihre Geschichte nicht den Tatsachen hätte ich an einigen Stellen innegehalten und die Fiktion für unrealistisch erklärt. Die Schilderungen der Autorin sind intensiv und bewegend. Der Lebensweg der Autorin ist lesenswert und wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Sonntag, 2. Dezember 2018

[Rezension Hanna] Gefährliche Freundinnen - Cat Clarke


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Gefährliche Freundinnen
Autorin: Cat Clarke
Übersetzerin: Elisabeth Müller
Broschiert: 352 Seiten
Erschienen am 24. Oktober 2018
Verlag: FISCHER FJB
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In Harpers Leben ist nichts mehr wie zuvor, seit ihre Zwillingsschwester Jenna gestorben ist. Sie und ihre trauernde Familie erreicht kurz danach die Nachricht, dass sie im Lotto gewonnen haben. Das macht Jenna nicht wieder lebendig, ermöglicht Harper aber einen Tapetenwechsel: Sie bittet ihre Eltern darum, auf das exklusive Mädcheninternat Duncraggan Castle wechseln zu dürfen. Dort wird sie bald Teil einer Vierer-Clique. Nach dem Sommer kommt mit Kirsty eine Neue in ihren Jahrgang, deren Geschichte Harpers ähnelt. Sie freundet sich schnell mit Kirsty an. Doch dadurch stehen bald Harpers andere Freundschaften auf dem Spiel.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser Harper kennen und erfährt, warum sie auf ein Internat geht. Ihre Schwester ist einiger Zeit gestorben und Harper hat ihre Eltern darum gebeten, nach Duncraggan geschickt zu werden. Dort ist sie eng mit ihrer Zimmergenossin Rowan sowie mit Lily und Ama aus dem Nachbarzimmer befreundet. Die vier sind eine verschworene Gemeinschaft geworden, die sich ihre Geheimnisse erzählt und gemäß alter Traditionen gemeine Streiche spielt. So muss der Neuzugang Kirsty wie alle anderen zuvor eine Nacht in einem winzigen Loch verbringen.

Der Titel ließ mich neugierig darauf warten, inwiefern sich Harpers Freundinnen als gefährlich herausstellen werden. Gemeinsam mit Harper brechen sie immer wieder die Regeln durch ihre Streiche oder nächtliche Partys, mehr deutet sich jedoch nicht an. Währenddessen beginnt Harper, sich mit Kirsty anzufreunden. Diese sucht ihre Nähe und signalisiert ihr, dass sie nachvollziehen kann, wie Harper sich fühlt, weil auch sie ihre Schwester verloren hat. Harpers andere Freundinnen werden mit Kirsty jedoch noch warm. Die Versuche, sie in die Aktionen ihrer Clique einzubeziehen, laufen eher schlecht als recht und werden schließlich eingestellt.

Rowan war der Charakter, der mir am Besten gefallen hat. Sie ist eine flippige Asiatin mit kurzen Haaren, die seit fast 10 Jahren aufs Internat geht. In die Protagonistin Harper konnte ich mich leider nur bedingt hinein versetzen. Ich hatte gehofft, mehr darüber zu erfahren, warum ihre Schwester gestorben ist, das wird jedoch kurz und nicht ganz nachvollziehbar abgehandelt. Harper kommt schließlich in die Situation, sich entscheiden zu müssen, wem sie vertraut. Dabei hinterfragt sie wenig und trifft Entscheidungen, über die ich als Leser nur den Kopf schütteln konnte.

Bald war mir klar, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Auf dem Weg dahin hat sich die Geschichte gezogen. Mit Halloween-Partys, nächtlichem Wahrheit oder Pflicht und den Vorbereitungen auf ein Schulmusical liest sich das Buch wie ein ganz normaler Internats-Roman. Erst zum Ende hin spitzt sich die Situation rasant zu. Es wird kurz brenzlig und man erhält Antworten, die mich aber nicht sonderlich überraschen konnten.

In „Gefährliche Freundinnen“ tritt Harpers etablierte Freundschaft zu Rowan, Lily und Ama in Konkurrenz zu der mit Neuzugang Kirsty. Harper muss sich entscheiden, wem sie mehr vertraut. Aufgrund des Titels hätte ich aber eine ereignisreichere Story erwartet. Der Leser erhält einen Internats-Roman mit vielen klassischen Elementen, in dem sich die Dramatik daraus ergibt, dass Lügen verbreitet und Geheimnisse verraten werden. Dass Harper ihre Zwillingsschwester verloren hat spielte dabei eine kleinere Rolle, als ich erwartet hätte. Leider konnte mich dieses Jugendbuch nicht so recht fesseln.

Mittwoch, 28. November 2018

[Rezension Hanna] Die Sprache der Dornen. Mitternachtsgeschichten - Leigh Bardugo


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Die Sprache der Dornen
Autorin: Leigh Bardugo
Übersetzerin: Michelle Gyo
Hardcover: 288 Seiten
Erschienen am 1. Oktober 2018
Verlag: Knaur
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In „Die Sprache der Dornen“ nimmt uns Leigh Bardugo erneut mit ins „Grishaverse“. Sechs märchenhafte Geschichten aus Semeni, Rawka, Kerch und Fjerda geben neue Einblicke in die magische Welt. Da ist zum Beispiel Ayama, die losgeschickt wird, um mit dem Monster zu verhandeln, welches das Königsreich tyrannisiert. Dabei handelt es sich um einen wegen seiner Andersartigkeit verstoßenen Sohn des Königspaars. Damit sie verschont wird und weiterleben darf verlangt er, dass sie ihm eine Geschichte erzählt. Eine Herausforderung für Ayama, die in ihrer Familie, in der sich alles um ihre bildschöne Schwester dreht, nie zu Wort kommen durfte. Außerdem taucht man ein in die Geschichten eines listigen Fuches, der sich übernimmt; eines Mädchens, das vor ihrer Stiefmutter zu einer Hexe flieht; eines verarmten Fluters, der unerwartete Hilfe erhält; eines Spielzeugs, das einen eigenen Willen entwickelt und zwei Meerjungfrauen mit besonderem Talent, die an Land gehen müssen.

Ich habe bislang alle Bücher aus dem Grishaverse gelesen und geliebt, und so war auch dieser Band eine absolute Pflichtlektüre für mich. Die Cover sind immer wunderschön gestaltet, doch dieses übertrifft meiner Meinung die anderen noch einmal. Das Buch kommt im hochwertigen Leineneinband daher und vergoldete Elemente glänzen im Licht. Auch innen ist es komplett illustriert. Bei jeder Erzählung baut sich Seite für Seite ein Ornament auf mit Elementen, die darin vorkommen. Am Ende jedes Märchens gibt es dann eine beidseitige Illustration des „fertigen“ Bildes. Die Illustratorin Sarah Kipini, deren Name man leider erst in der Danksagung erfährt, hat hier fantastische Arbeit geleistet, durch welche die Worte noch lebendiger werden.

Viele der Erzählungen sind in Ecken der von Leigh Bardugo erschaffenen Welt angesiedelt, die man in den bisherigen Erzählungen noch nicht betreten hat. So entdeckt man als Leser neue wundersame Wesen und Fähigkeiten, von denen man bislang nichts wusste. Aber es werden auch bekannte Kräfte aufgegriffen, zum Beispiel in der Geschichte des mittellosen Fluters. Dieser will die Hand der schönen Prinzessin gewinnen, indem er Aufgaben erfüllt, die eigentlich nur der reiche Prinz, den der König als Schwiegersohn im Blick hat, lösen können sollte.

In jeder Erzählung tauchte ich schnell in die märchenhafte Atmosphäre ein. Es sind viele klassische Elemente wie Prinzessinnen, Könige, böse Stiefmütter und Hexen enthalten. Die Autorin versteht es aber, das Ganze immer wieder in eine überraschende Richtung zu treiben, die man mit den bekannten Märchen im Hintergrund nicht unbedingt erwartet hätte. Schön fand ich, dass dabei besonders die weiblichen Charaktere mehr Macht und Freiraum bekommen und nicht nur in hohen Türmen auf den Retter warteten. Zwischendurch wird es auch ganz schön blutig und düster, sodass man sich wie bei den alten Märchen gut überlegen sollte, ab welchem Alter man sie Kindern erzählt. Mir haben alle sechs Erzählungen gut gefallen, wobei mein Favorit gleich die erste von Ayama war. Ein wunderschönes Buch nicht nur für alle Fans des Grishaverse, sondern auch ein perfekter Einstieg in die Welt für alle, die moderne und fantastische Märchen mögen!
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