Dienstag, 17. März 2020

Rezension: Der Empfänger von Ulla Lenze


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Empfänger
Autorin: Ulla Lenze
Erscheinungsdatum: 22.02.2020
Verlag: Klett-Cotta (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783608964639
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In ihrem Roman „Der Empfänger“ schreibt Ulla Lenze über ihren Großonkel Josef Klein, dessen Leben sie fiktionalisiert hat. Er wanderte im Jahr 1924 in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Durch seine Tätigkeit in einer Druckerei wurde er vor dem Zweiten Weltkrieg mit einer Gruppe bekannt, die Deutschland und seiner damaligen Politik stark verbunden war. Josef, der in Amerika nur noch Joe gerufen wurde, besaß ein Funkgerät, einen Detektorempfänger, damit soll er die Gruppe zu festgelegten Zeiten mit seinen Kenntnissen als Funker im Austausch mit Deutschland unterstützen.
 
Das erste Kapitel des Romans spielt in Costa Rica im Jahr 1953. Josef hilft zu dem Zeitpunkt beim Verzeichnen des Landes. In Rückblicken schaut er auf sein bewegtes Leben zurück. Vier Jahre vorher war er aus dem Internierungslager für feindliche Ausländer auf Ellis Island entlassen und des Landes verwiesen worden. Sein Weg führte ihn direkt in seine Heimat nach Neuss, wo die Familie seines jüngeren Bruders Carl noch immer wohnt. Von der Familie seines Bruders erfährt er ein gewisses Unverständnis für seine aktuelle Lage, auch aufgrund der Unkenntnis seiner vorigen Erlebnisse. Sein Ehrgeiz, wieder von anderen unabhängig leben zu können, veranlasst Josef dazu, seine früheren Kontakte zu nutzen, um einerseits wieder Arbeit zu finden und andererseits vielleicht sogar wieder in die Vereinigten Staaten zurück zu finden.

Durch die ersten Seiten des Romans wusste ich, wohin der Weg von Josef ihn führen wird. Meiner Meinung nach nimmt diese Gestaltung der Geschichte eine möglich gewesene gewisse Spannung, die sich aufgrund der Ungewissheit über Josefs weiteres Leben ergeben hätte. Danach lernte ich Josefs Familie in Neuss kennen. 1949 herrscht immer noch Mangel an vielen Dingen des Alltags. Sein jüngerer Bruder hat sich zum Familienoberhaupt entwickelt, Josef wird zum geduldeten Gast. Er sehnt sich aufgrund seiner früheren Erfahrungen nach Liebe und Aufmerksamkeit und sucht sie vor allem bei seiner Schwägerin, wodurch sich das Verhältnis zu ihr schwierig gestaltet.

Die Autorin wertet nicht über das Leben ihres Großonkels. Zaghaft beschreibt sie Josefs Aktivitäten als Funker und schafft ein realistisches Szenario. Dabei öffnete sie mir als Leser den Zugang zu dem interessanten Thema der geschickten Spionagetätigkeiten der Nationalsozialisten in den Vereinigten Staaten.

Josef ist inzwischen 36 Jahre alt. Eine beschriebene Liebesgeschichte blieb recht blass, denn ich konnte die Empfindungen von Josef nicht nachvollziehen. Vielleicht waren seine Gefühle nervlich zu sehr angespannt aufgrund seiner konträren Ansichten über seine Tätigkeit als Funker. Leider erfuhr ich so gut wie nichts über die ersten Jahre seines Aufenthalts in den USA. Ulla Lenze lässt die damalige brodelnde Atmosphäre in den Straßen New Yorks und das Miteinander der verschiedenen Kulturen durch ihre Beschreibungen wieder Gestalt annehmen.

In ihrem Roman „Der Empfänger“ zeigt Ulla Lenze, dass man auch nach Jahren an einem Ort fernab der Heimat innerlich noch immer nicht angekommen sein kann. Die Suche nach Liebe, Vertrauen und Geborgenheit birgt dabei ungeahnte Risiken, die ihr Großonkel in den Tagen vor und während des Zweiten Weltkriegs in den Vereinigten Staaten erfahren hat. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

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