In ihrem eindrucksvollen Debütroman „Wohin du auch gehst“
erzählt die in Kinshasa geborene und heute in London lebende Autorin Christina
Fontes die bewegende Geschichte von Bijoux und ihrer Tantine Mireille, die als
Kind Mira gerufen wurde. Zugleich schließt sie die bewegte Vergangenheit des
afrikanischen Staates Kongo mit ein. Die Kapitel wechseln zwischen den beiden
Protagonistinnen, wobei Bijoux aus der Ich-Perspektive erzählt und die
Geschehnisse rund um Mireille von einem allwissenden Erzähler beschrieben
werden.
Mira ist neun Jahre alt, als ihr Vater 1974 beruflich
aufsteigt und die Familie in ein deutlich größeres Haus in einen anderen
Stadtteil von Kinshasa umzieht. Wenig später sieht sie auf der Heimfahrt nach
einem Restaurantbesuch eine Szene am Straßenrand, bei der eine Frau für
gleichgeschlechtliche Liebe grausam bestraft wird. Sie wird sie nie wieder
loslassen und ihr weiteres Leben prägen.
Dreißig Jahre später lebt Mira in einer Sozialsiedlung in
London als Diakonin einer evangelikalen Kirche. Vor nunmehr zwölf Jahren wurde
Bijoux von Miras Schwester Eugenie, einer verheirateten Ärztin, nach London
gebracht, um dort bei der ihr bisher unbekannten Tantine Mireille zu wohnen. Inzwischen
arbeitet Bijoux als Angestellte in einer Anwaltskanzlei gefunden und ist
verliebt in eine Frau, die sich von ihr wünscht, gemeinsam mit ihr nach New
York zu ziehen. Doch Mireille und einigen Angehörigen der Kirche erwarten von
ihr, dass sie den ebenfalls aus Kongo stammenden Fabrice heiratet.
Bijoux steht an einem Scheideweg in ihrem Leben. Sie ist
geprägt von ihren afrikanischen Wurzeln. Im Kongo gelten patriarchale
Familienstrukturen. Trotzdem hat sie sich schon oft nach Kinshasa
zurückgewünscht. Demgegenüber erlebt sie in London eine liberalere und
aufgeschlossenere Gesellschaft. Die Religiosität ihrer Tantine setzt ihr
Grenzen, aber die kirchliche Gemeinschaft gibt ihr gleichzeitig Zugehörigkeit
und Halt. Inmitten der widersprüchlichen Einflüsse stellt Bijoux sich Fragen nach
der Gestaltung ihrer Zukunft und mit wem sie sie gemeinsam verbringen möchte.
Zwischen der Loyalität gegenüber ihrer Familie und persönlicher Freiheit
beginnt sie nach einem Weg zu suchen, der ihr gerecht wird und von anderen
respektiert wird.
Während ihres Aufenthalts in London erfährt Bijoux nur wenig
über die Vergangenheit ihrer Tantine. Erst als die Ereignisse sich zum Ende hin
zuspitzen, eröffnet sich für die junge Protagonistin ein tieferes Verständnis
für Mireilles Handlungen und Ansichten, ermöglicht durch Einblicke in deren
Kindheit und Jugend in Kinshasa, die ich als Leserin mit wachsender Faszination
über die Kapitel hinweg verfolgen konnte. Sie trägt über viele Jahre hinweg ein
Geheimnis mit sich, dass Christina Fonthes in ihrem Roman geschickt zu
verbergen versteht. Es gelingt der Autorin sehr gut, kulturelle Unterschiede
zwischen kongolesischer und britischer Mentalität herauszuarbeiten.
Der Titel des Romans „Wohin du auch gehst“ von Christina
Fonthes verweist auf das Versprechens stets einander zu folgen, dass sich die
Protagonistin Bijoux und ihre Partnerin geben. Ob ihnen dies gelingt, erfährt
der Lesende nach einer Achterbahn der Gefühle. Liebe, Vergeltung, Scham, Angst
und Verlust sind nur einige der Emotionen, die die Autorin in ihrer berührenden
Geschichte verarbeitet hat. Die Handlung ist vielschichtig mit unerwarteten
Wendungen und fesselnd bis zum Schluss. Sehr gerne vergebe ich eine
uneingeschränkte Leseempfehlung.