Fünf Jahre nach ihrem Buch „Rückwärtswalzer“ ist Vea Kaisers
vierter Roman „Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels“ erschienen. Die
Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, die die Autorin auf eine Weise in
Szene setzt, als hätte sie mit der titelgebenden Figur Angelika Moser mehrere
lange Gespräche (lat. fabulae) geführt. Das lateinische Wort „rasa“ verweist
auf einen Neuanfang, denn die Protagonistin sucht nach einem Weg, ihren Sohn in
besseren Verhältnissen aufwachsen zu lassen, als sie selbst es erfahren hat.
Vor wenigen Jahren hat die Buchhalterin eines Wiener Grand
Hotels mehrere Millionen Euro veruntreut. Vea Kaiser hat von dieser Tatsache in
einer Zeitung gelesen und sie zum Hintergrund ihres Romans gemacht. Sie nimmt die
Lesenden zunächst mit in die 1980er Jahre, eine Zeit, in der Angelika bereits
in der Verwaltung des Grand Hotel Frohner arbeitet. Sie ist als Tochter der
alleinerziehenden Hausbesorgerin Erna aufgewachsen. Ihren Vater hat sie bis
dato nie kennengelernt. Mit ihrer Freundin Ingi geht sie gerne auf
Vergnügungstour, vielleicht als Ausgleich zu den Zahlenkolonnen, mit denen sie
tagsüber jongliert und Ordnung in ihr Leben bringt.
Eines Tages bittet der Hoteldirektor sie um ihre Mithilfe.
Sie soll das Zahlenwerk früherer Jahre aufhübschen. Die Verwandten der früheren
Besitzer des Hotels erheben Anspruch auf eine Entschädigung, aber der Direktor
möchte ihnen zeigen, dass das Hotel unrentabel ist. Angelika erfindet Ausgaben,
die das Hotel bezahlt. Bald erkennt sie, dass sich aus dieser Schwindelei auch
für sie persönliche Vorteile ergeben könnten.
Erneut gelingt es Vea Kaiser Figuren mit
Wiedererkennungswert zu schaffen. Angelika entspricht trotz Herkunft und Beruf
nicht dem Klischee einer „grauen Maus“, sondern genießt das Leben, träumt von
beruflichem Aufstieg und wünscht sich Unabhängigkeit. Der Seniorchef des Grand
Hotels präsentiert sich gern als rechtschaffenes Aushängeschild des Hauses.
Erst im Verlauf der Geschichte erlebt man an der Seite von Angelika, wie seine
Fassade bröckelt. Mehrere Galans bemühen sich um die Protagonistin, aber ich
möchte nicht vorwegnehmen, welchem sie ihr Herz schenkt.
Die Autorin verweist auf die gesellschaftliche Kluft
zwischen Arm und Reich in der österreichischen Hauptstadt. Während sich die
einen auf dem Opernball amüsieren, freut man sich in den Hinterhöfen über eine
warme Wohnung. Vea Kaiser zeigt die schillernde Amüsiermeile der Nachtkultur
als auch deren Schattenseiten mit Alkohol- und Drogenmissbrauch. Sie schreibt
nah am Leben, mit viel Verve und einer guten Portion Schmäh.
Auch Angelikas Handeln als Mutter wirkt nachvollziehbar und
realistisch, ebenso die beschriebene Art, für das Hotel abzurechnen. Von Beginn
an wird deutlich, welches Vergehen sie begangen hat, was der Geschichte eine deutliche
Richtung gibt. Im Mittelteil kommt der Roman allerdings durch detailreiche
Passagen zu einer gewissen Länge.
Über mehr als drei Jahrzehnte hinweg beschreibt Vea Kaiser
in ihrem Roman „Fabula Rasa oder Die König des Grand Hotels“ den Aufstieg und
Fall ihrer Protagonistin Angelika. Die Geschichte überzeugt mit lebendigen
Figuren, einem atmosphärischen Schauplatz und bedeutsamen gesellschaftlichen
Themen. Durch den amüsanten Unterton ist sie unterhaltsam, jedoch auch
berührend und hallt lange nach. Gerne empfehle ich sie weiter.
