Es sind die 1980er Jahre. Anton ist Dozent an der
Kunsthochschule und arbeitet gerade an seiner Doktorarbeit. Eines Tages
klingelt einer seiner Studenten, Egidius de Blaeser, kurz Dius genannt, an
seiner Haustür. Er bittet ihn darum, eintreten zu dürfen und begründet seinen Wunsch
mit einer Überraschung für den Kunsthistoriker. Noch ahnen beide nicht, dass
aus diesem ersten Besuch eine Freundschaft entstehen wird, die ihr Leben
nachhaltig verändert.
Der Belgier Stefan Hertmans schildert in seinem Roman „Dius“
die besondere Verbundenheit von Anton und der titelgebenden Figur. Die eingangs
beschriebene Szene hat er selbst erlebt. Im Übrigen ist die Geschichte fiktiv, jedoch
inspiriert von eigenen Freundschaften des Autors. Die Handlung spielt auf zwei
Zeitebenen und wird von Anton in einer reflektierenden Ich-Perspektive erzählt,
die es ihm erlaubt, seine Erinnerungen aus der Distanz der Gegenwart zu
betrachten und ihnen eine neu gewichtete Bedeutung zu verleihen.
Der Autor beschreibt Gefühle mit Tiefe und Authentizität,
die auch in der deutschen Übersetzung aus dem Niederländischen erhalten bleiben,
nicht zuletzt weil Stefan Hertmans selbst sehr gut Deutsch spricht und eng mit der
Übersetzerin zusammengearbeitet hat. Die Freundschaft zwischen Anton und Dius ist
geprägt von gegenseitigem Respekt und Akzeptanz. Über ihre gemeinsame Liebe zur
Kunst hinaus gewährt sie Einblicke in private Lebenswelten und innere Konflikt.
Die beiden sind in schwierigen Situationen füreinander da. Es gibt aber auch Handlungen,
die zu Unverständnis und Verärgerung des jeweils anderen führen.
Viele Meisterwerke der Kunst beschreibt Stefan Hertmans so
eindringlich, dass man beim Lesen selbst nachsehen möchte, ob das erwähnte
Detail tatsächlich auf dem Objekt zu finden ist. Ebenso lebendig sind seine
Schilderungen der Polderlandschaften an der belgischen Küste. Anhand der eindringlichen
Beschreibungen kann man sie sich bestens vorstellen. Für beide Protagonisten ist
das Genießen der Natur ein Weg, zur Ruhe zu kommen und wieder zu sich selbst zu
finden. Zugleich wird in der Ausführung deutlich, wie der fortschreitende
Klimawandel und die zunehmende Bebauung das Gesicht der Region im Laufe der
Jahre verändert haben.
Stefan Hertmans fasziniert mit seinem Roman „Dius“ durch die feinfühlige Darstellung einer außergewöhnlichen Freundschaft, die zwischen Nähe und Distanz, Bewunderung und Verletzlichkeit schwebt. In schöner Sprache und mit emotionaler Tiefe entfaltet sich eine Erzählung voller Kunst, Musik und Gedanken über die Spuren, die Menschen in der Welt hinterlassen. Es ist eine berührende und nachhallende Geschichte, die ich uneingeschränkt weiterempfehle.
