Freitag, 24. Oktober 2025

Rezension: Dius von Stefan Hermans

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Dius
Autor: Stefan Hermans
Übersetzerin aus dem Niederländischen: Ira Wilhelm
Erscheinungsdatum: 22.10.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257073560
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Es sind die 1980er Jahre. Anton ist Dozent an der Kunsthochschule und arbeitet gerade an seiner Doktorarbeit. Eines Tages klingelt einer seiner Studenten, Egidius de Blaeser, kurz Dius genannt, an seiner Haustür. Er bittet ihn darum, eintreten zu dürfen und begründet seinen Wunsch mit einer Überraschung für den Kunsthistoriker. Noch ahnen beide nicht, dass aus diesem ersten Besuch eine Freundschaft entstehen wird, die ihr Leben nachhaltig verändert.

Der Belgier Stefan Hertmans schildert in seinem Roman „Dius“ die besondere Verbundenheit von Anton und der titelgebenden Figur. Die eingangs beschriebene Szene hat er selbst erlebt. Im Übrigen ist die Geschichte fiktiv, jedoch inspiriert von eigenen Freundschaften des Autors. Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen und wird von Anton in einer reflektierenden Ich-Perspektive erzählt, die es ihm erlaubt, seine Erinnerungen aus der Distanz der Gegenwart zu betrachten und ihnen eine neu gewichtete Bedeutung zu verleihen.

Der Autor beschreibt Gefühle mit Tiefe und Authentizität, die auch in der deutschen Übersetzung aus dem Niederländischen erhalten bleiben, nicht zuletzt weil Stefan Hertmans selbst sehr gut Deutsch spricht und eng mit der Übersetzerin zusammengearbeitet hat. Die Freundschaft zwischen Anton und Dius ist geprägt von gegenseitigem Respekt und Akzeptanz. Über ihre gemeinsame Liebe zur Kunst hinaus gewährt sie Einblicke in private Lebenswelten und innere Konflikt. Die beiden sind in schwierigen Situationen füreinander da. Es gibt aber auch Handlungen, die zu Unverständnis und Verärgerung des jeweils anderen führen.  

Viele Meisterwerke der Kunst beschreibt Stefan Hertmans so eindringlich, dass man beim Lesen selbst nachsehen möchte, ob das erwähnte Detail tatsächlich auf dem Objekt zu finden ist. Ebenso lebendig sind seine Schilderungen der Polderlandschaften an der belgischen Küste. Anhand der eindringlichen Beschreibungen kann man sie sich bestens vorstellen. Für beide Protagonisten ist das Genießen der Natur ein Weg, zur Ruhe zu kommen und wieder zu sich selbst zu finden. Zugleich wird in der Ausführung deutlich, wie der fortschreitende Klimawandel und die zunehmende Bebauung das Gesicht der Region im Laufe der Jahre verändert haben.

Stefan Hertmans fasziniert mit seinem Roman „Dius“ durch die feinfühlige Darstellung einer außergewöhnlichen Freundschaft, die zwischen Nähe und Distanz, Bewunderung und Verletzlichkeit schwebt. In schöner Sprache und mit emotionaler Tiefe entfaltet sich eine Erzählung voller Kunst, Musik und Gedanken über die Spuren, die Menschen in der Welt hinterlassen. Es ist eine berührende und nachhallende Geschichte, die ich uneingeschränkt weiterempfehle.

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