Rezension von Ingrid Eßer
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Im Thriller „Knochenkälte“ des englischen Autors Simon
Beckett ermittelt der Anthropologe Dr. David Hunter in seinem siebten Fall. Obwohl
seit dem Erscheinen des letzten Bands im Frühjahr 2019 mehr als sechs Jahre vergangen
sind, setzt die aktuelle Handlung nur etwa eineinhalb Jahre nach dessen
Ereignissen ein. Der Titel verweist auf Knochen, die in einer unwirtlichen
Region lange im Erdreich verborgen lagen.
Dr. David Hunter, der schon lange als forensischer Berater
der Polizei tätig ist, soll an einer Suchaktion im schottischen Carlisle
teilnehmen. Er beschließt, bereits am Nachmittag vor der ersten Besprechung von
London aus aufzubrechen. Aufgrund starken Regens und der Umgehung einer
Unfallstelle verirrt er sich in den Cumbrian Mountains im Nordwesten Englands. Dort
fällt sein Navigationssystem aus.
Er strandet im Pub eines abgelegenen Bergdorfs, in dem ihm
die Einheimischen unfreundlich begegnen. Sein Handy hat keinen Empfang. Aufgrund
eines zweifelhaften Hinweises übernachtet er als einziger Gast in einem
heruntergekommenen Hotel, das von einem Ehepaar geführt. Schon beim ersten
Gespräch mit ihnen wird deutlich, dass sie vor Ort nicht beliebt sind. Am nächsten
Morgen stellt er auf der Rückfahrt fest, dass ein Erdrutsch ein Stück der
Straße weggespült hat. Wenig später kappt an dieser Stelle verunfallter Lastwagen
die Stromversorgung.
Simon Beckett errichtet diesmal ein Closed Circle Szenario.
Dazu gehört auch, dass Dr. Hunter an seinem nächsten Tätigkeitsort nicht so
früh erwartet wird und ihn bei der Arbeit niemand vermisst. Außerdem geschieht
gerade sehr wenig in seinem Privatleben, das nur am Rand Erwähnungen findet, und
aus dieser Sicht nicht nach ihm gesucht wird. Im Dorf gibt es mehrere für den
vorliegenden Fall bedeutsame Personen beziehungsweise Gruppen: die bereits
erwähnte Familie, die das Hotel betreibt, eine alteingesessene Familie, deren
Oberhaupt gerade neunzig Jahre alt geworden ist und dem alle Anverwandten hörig
sind sowie die Betreiberin des ortsansässigen Forstunternehmens.
Es ist ein äußerst kompliziertes, für Dr. Hunter kaum zu
durchschauendes mit- und gegeneinander im Ort, dem er selbst eine neue
Angriffsfläche bietet. Ohne die Identität des Finders einer Leiche preiszugeben,
deutet Simon Beckett im Prolog an, dass die Sachlage nicht so einfach ist, wie
sie sich zunächst für den Anthropologen und die Leserschaft darstellt. Ohne
seine gewohnten Kolleg*innen bleiben ihm nur begrenzte Möglichkeiten, die Funde
zu untersuchen, und bald bleibt es nicht beim ersten Toten. Die Funde und die
Anwesenheit von Dr. Hunter strapazieren die Nerven der Dorfbewohner und es
kommt zu einem neuen Mordfall.
Die Spannung hält Simon Beckett bis zum Schluss hoch, auch
wenn die forensischen Details aufgrund des Settings weniger Raum einnehmen als
in früheren Bänden. Dafür beschreibt er die regenfeuchte, später verschneite Umgebung,
mit der der Ermittler zurechtkommen muss, umso ausführlicher. Dr. Hunter wird
körperlich bis zur Grenze der Belastbarkeit gefordert, so dass zwar die
Handlung fesselnd bleibt, aber manchmal am Rand der Glaubwürdigkeit steht. In
einigen Situationen verhält er sich gegenüber den Dorfbewohner nahezu eingeschüchtert,
was in der Folge zum Erhalt der Dramatik beiträgt, aber nicht immer unbedingt realistisch
erscheint.
„Knochenkälte“, der siebte Band der Serie um den ermittelnden Anthropologen Dr. David Hunter, von Simon Beckett ist ein grundsolider Thriller in einem Closed Circle Szenario. Er kann unabhängig von den anderen Teilen gelesen werden. Die bedrückende, nicht nur metaphorisch gemeinte eiskalte Stimmung in einem abgelegenen Dorf in den Bergen, das von hohen Bäumen umgeben ist und die sich zuspitzenden Ereignisse sorgen für ein intensives Leseerlebnis. Das Buch ist ein Muss für jeden Dr. Hunter-Fan, ein guter Einstieg in die Serie für diejenigen, die den Ermittler kennenlernen wollen und insgesamt eine spannende Unterhaltung für jeden Trillerlesenden.
