Vater, Mutter, kleine Hand, dunkle Tage, helle Tage – wie
Perlen auf einer Schnur reihen sich die Erinnerungen der Ich-Erzählerin
Marianne im Debütroman „Perlen“ der Engländerin Sian Hughes, der für den
Bookerpreis 2023 nominiert war. Die Autorin erzählt in feinfühliger Sprache die
Geschichte eines Verlusts, der ein Leben lang nachhallt.
Niemals hat die etwa vierzigjährige Protagonistin den Tag
vergessen, an dem ihre Mutter die Familie verließ und spurlos verschwand.
Lediglich verwischte Spuren am nahen Fluss deuten auf ihren Freitod hin.
Seither zieht sich die Frage nach dem ‚Warum‘ durch ihr ganzes Leben. Damals
war Marianne acht Jahre alt, ihr kleiner Bruder noch ein Baby. Inzwischen ist
sie selbst Mutter einer Tochter. Jährlich kehrt sie zum Totengedenken in ihrem Heimatort
zurück.
Die ersten Jahre nach dem Verschwinden der Mutter waren
keine einfache Zeit für Marianne. Trotz der Mühe ihres Vaters hat sie ständig
die Schule geschwänzt. In England scheint es andere Regeln für den Schulbesuch
zu geben, denn folgenschwere Konsequenzen ergeben sich nicht aus ihrem
Fehltagen. In der Pubertät rebelliert sie auf ihre Weise durch eine vom Vater
nicht gern gesehene Freundschaft. Je älter sie wird, desto mehr beginnt sie zu
verstehen, welche ihre Beweggründe ihre Mutter eventuell hatte. Ihre Eindrücke
manifestieren sich, als sie ein Geheimnis ihrer Eltern aufdeckt.
Gleich zu Beginn des Romans beobachtet Marianne beim Spielen
ihrer Tochter eine auffällige realitätsferne Wahrnehmung, woraufhin sie
umgehend professionelle Abklärung einholt. Die psychischen Probleme ihrer
Mutter sind rückblickend meist nur zu vermuten, denn die Protagonistin
schildert sie als liebevoll, fürsorglich und fröhlich. Jedem Kapitel ist ein
englischer Kinderreim vorangestellt, oft düster im Inhalt. Sie sind gleich oder
ähnlich denen, die Marianne von ihrer Mutter gelernt hat. Als Kind weiß sie
nicht, dass ihre Mutter eine Fassade aufrechthält. Ich hätte mir einen Triggerwarnung
und einen Hinweis auf Hilfsmöglichkeiten bei psychischen Störungen im Buch
gewünscht.
Einfühlsam beschreibt Sian Hughes in ihrem Debüt „Perlen“ den als Kind erlittenen Verlust der Mutter der inzwischen erwachsenen Protagonistin Marianne. Trotz der immer noch lebendigen Erinnerungen hat sie über Schwierigkeiten und Trauer hinweg es geschafft, sich selbst einige Wünsche im Leben zu erfüllen. Durch die Geschichte zieht sich quer ein Band der Wärme und Zuneigung. Gerne empfehle das Buch weiter.