Dienstag, 8. Januar 2019

Rezension: Vergiss kein einziges Wort von Dörthe Binkert


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Vergiss kein einziges Wort
Autorin: Dörthe Binkert
Erscheinungsdatum: 21.09.2018
Verlag: dtv (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783423289641
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„Vergiss kein einziges Wort“ von Dörthe Binkert ist eine Reise in die Vergangenheit Oberschlesiens in Romanform. Eingebunden in die Handlung sind die fiktiven Geschehnisse rund um die Familie von Carl Strebel und deren Nachbarn in der Gleiwitzer Paulstraße. Die Handlung beginnt im Jahr 1921 und reicht bis zum Jahr 1966. Ein kurzer Epilog spielt dagegen im Jahr 2004 und führt einen noch offenen Faden zum Ende. Zur weiteren Orientierung findet sich im Anhang eine Zeittafel mit historischen Ereignissen, die dem interessierten Leser weitere Fakten bietet, um die Erzählung in den weltgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.

Die 40-jährige Martha Strebel, Ehefrau von Carl, hält 1921 mit ihrer Tochter Louise ihr siebtes Kind im Arm. Ihr Ältester, Konrad, ist bereits 21 Jahre alt und in einer festen Beziehung, einer ihrer Söhne ist schon als Säugling verstorben. Die Familie wohnt in einem Mietshaus, in dem nur staatlich Bedienstete wohnen. Gleitwitz ist zu dieser Zeit deutsches Staatsgebiet. Konrad wird schon bald eine Polin heiraten, Heinrich wird sich für die NSDAP begeistern, seine älteste Schwester Ida zieht es nach Breslau, wohin ihre Schwester Klara ihr folgen wird. Hedwig wird sich unglücklich verlieben und Louise wird nach einem Fehltritt schwanger.

Dörthe Binkert erzählt auch über Schwager und Schwägerinnen, Freunde und Bekannte der Familie, deren Lebensgeschichten häufig verknüpft sind mit der wechselvollen Geschichte des Landstrichs. Ihre Romanfiguren sind Deutsche, Polen und Russen je nach politischer Lage und doch sind sie alle stets Schlesier.

Louise wird in einer unruhigen Zeit geboren, in der polnische Bürger mit Aufständen um die Angliederung von Schlesien an ihre Republik kämpfen. Obwohl die Menge der handelnden Personen durch Verzweigungen im Roman ständig steigt, lassen sich die Erzählstränge problemlos nachhalten. Hilfreich dabei ist ein Personenverzeichnis zu Beginn des Buchs. Der Autorin gelingt es mühelos, Fiktion lebendig werden zu lassen. Dank ihrer sehr guten Recherche und einem hervorragend darstellenden Schreibstil wirken nicht nur ihre Charaktere real sondern auch deren Lebensweg. Schon zu Beginn verdeutlicht Dörthe Binkert Aspekte der politischen Situation in Oberschlesien anhand der unterschiedlichen Einstellungen ihrer Figuren. Sie stellt auch im Folgenden vorurteilsfrei die Lage anhand verschiedener Meinungen dar. Auf diese Weise konnte ich mich gut in die Charaktere und die Situationen einfühlen. Die Schicksale, die die Autorin schildert, sind bewegend und berühren. Sie wirken dank der gut ausformulierten Figuren authentisch. Glück, Leid, Erfolge und Enttäuschungen konnte ich an ihrer Seite erleben.

Die Geschichte von Schlesien war seit langem wechselhaft, doch gerade im Mittelteil, in der stürmischen Zeit des Zweiten Weltkriegs, zeigt Dörthe Binkert eine beeindruckende Stärke in der Erzählung und konnte mich hier besonders fesseln. Es wird deutlich wie der Einzelne zum Spielball der Politik werden kann. Es bestehen für ihn wenige Möglichkeiten, seine Heimat so zu definieren als Ort, an dem man sich wohlfühlt im Kreis seiner Lieben. Denn eine Staatsangehörigkeit ist für die Politiktreibenden wichtig und definiert damit gleichzeitig den Anspruch des Bürgers auf Wohnraum, Arbeit, Lebensmittel und Gebrauchsgütern. Die die Schlesier sind auch heute noch viele Menschen auf der Flucht aufgrund der politischen Lage in ihrem Staat. Wer den Roman gelesen hat, kann sich vielleicht besser in deren Situation hineindenken. Ich halte den Roman für sehr lesenswert und empfehle ihn gerne weiter.

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