Donnerstag, 1. Mai 2025

Rezension: Das Echo der Sommer von Elin Anna Labba

 

Das Echo der Sommer
Autorin: Elin Anna Labba
Übersetzerin: Hanna Granz
Hardcover: 464 Seiten
Erschienen am 23. April 2025
Verlag: S. FISCHER
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Die dreizehnjährige Iŋgá gehört zum Volk der Samen und lebt im Jahr 1942 im Norden Schwedens. Wie jedes Jahr kehrt sie mit ihrer Mutter Rávdná und ihrer Tante Ánne aus dem Winterquartier in der Stadt ins Sommerland am See zurück. Doch in diesem Jahr müssen sie feststellen, dass der See für die Stromproduktion der Städte im Süden weiter aufgestaut wurde und das gesamte Dorf überflutet hat. Ihre Torfkote steht schon halb unter Wasser, nur wenig kann gerettet und in eine provisorische Zeltkote gebracht werden. Rávdná würde gern statt einer neuen Torfkote ein richtiges Haus errichten, doch Baugenehmigung und -kredit werden immer wieder abgelehnt. Einige aus der Dorfgemeinschaft haben die Wanderungen ganz aufgegeben und bleiben im Winterland. Auch Iŋgá, Rávdná und Ánne müssen überlegen, wie sie ihre Zukunft in Anbetracht der Diskriminierung und der Repressalien, die sie als Samen erleben, gestalten wollen und können.

Der Roman beginnt mit einer Szene, in der Iŋgá ihrer Mutter Rávdná dabei hilft, möglichst viel aus der Torfkote der Familie zu retten. Es herrscht eine bedrückende Stimmung, schnell waren bei mir zahlreiche Bilder von Überflutungen im Kopf. Doch hier handelt es sich nicht um eine Naturkatastrophe, sondern eine vom Energieunternehmen mutwillig herbeigeführte Situation, welche ohne Information und Rücksicht auf das Dorf der Samen durchgeführt wurde. Diese erschreckende Situation basiert auf wahren Gegebenheiten und ich begleitete Iŋgá und ihre Familie bei ihren Bemühungen, den Sommer am See dennoch bestmöglich zu gestalten.

Im Verlauf des Romans erhielt ich viele Einblicke in das schwierige Leben der Samen in den 1940er Jahren. Die Regierung sieht dieses indigene Volk als Nomanden, sie haben keinen Grundbesitz, sondern die Koten am See werden geduldet und im Winterland wohnen sie in schlecht isolierten Baracken ohne Elektrizität. Rávdnás Bauantrag wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht in der Lage sei, Wohneigentum zu verwalten und weiter mit ihren Rentieren umherziehen solle. Dabei hat sie kaum noch Tiere und lebt vor allem vom Fischfand und dem Verkauf von Kunsthandwerk. Wer einen festen Job will, der tut gut daran, einen schwedischen Namen zu nutzen, die traditionelle Kleidung abzulegen und in der Stadt zu bleiben. Ich erlebte die Schilderungen der Autorin, die selbst samische Wurzeln hat, als authentisch und berührend. In ruhigen Tönen erzählt sie von himmelschreienden Ungerechtigkeiten, mit denen sich die meisten Samen längst resigniert arrangiert haben. 

Rávdná will sich mit der Situation jedoch nicht abfinden. Aus Iŋgás kindlicher Perspektive und ebenso aus der von Rávdná selbst erfuhr ich mehr über ihre Versuche, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erhalten. Nach etwa 250 Seiten gibt es schließlich einen Zeitsprung, nach welchem sich die Situation weiter verschärft hat. Hier fand ich es zunächst schwer, mich zu orientieren. Ich brauchte eine Weile, um festzustellen, dass ich in den 1970er Jahren gelandet war. Auch Iŋgá ist nun erwachsen und will mit Politik möglichst nichts zu tun haben, während sich bei Rávdná die Wut weiter aufgestaut hat und sie neue Wege der Rebellion sucht.

Mir hat die einfühlsame und oft poetische Art und Weise der Erzählung sehr gut gefallen. Die Autorin arbeitet die Verbundenheit der Charaktere mit der Natur und ihren samischen Wurzeln gelungen heraus. Gerne habe ich Iŋgá, Rávdná und Ánne dabei begleitet, die Erlebnisse auf ihre jeweils ganz unterschiedliche Art und Weise zu verarbeiten, und spreche eine Leseempfehlung aus.
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