Sieben Jahre nach der Zwangsräumung der Wohnung seiner
Mutter sitzt der Ich-Erzähler von Leon Englers Roman „Botanik des Wahnsinns“ vor
Kartons, in denen sich all das befindet, was seinerzeit seine Mutter als „unbedeutend“
eingepackt hatte. Durch eine fatale Verwechslung wurden bei der Entrümpelung nicht
die belanglosen Dinge entsorgt, sondern die persönlichen Erinnerungsstücke.
Psychische Erkrankungen durchziehen das Leben seiner Eltern
und Großeltern wie ein unsichtbarer roter Faden. Jeder seiner Vorfahren aus den
vergangenen beiden Generationen litt an einer Erkrankung der Seele: Depression,
Alkoholismus, Paranoia, Schizophrenie gehören dazu. Der Erzähler selbst lebt
mit der Angst, irgendwann ebenfalls daran zu erkranken, er leidet an
Agateophobie. Als Kind wurde dem Erzähler erklärt, dass die Leiden seiner
Verwandten organische Natur seien, weil man ihm das Verständnis für eine
psychosomatische Krankheit nicht zugestand.
Der Titel des Buchs erklärt sich dadurch, dass sich Pflanzen
in der Botanik katalogisieren lassen und dem ähnlich auch Erkrankungen in ein
Schema eingeordnet werden können. Der Erzähler vertieft sich in die Literatur,
um auch für sich eine Diagnose zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich
längst auf die Seite der Behandler geschlagen und arbeitet als Psychologe in
einer Psychiatrie, in der er auf mehreren Stationen eingesetzt wird.
Obwohl er vorher versucht, an verschiedenen Aufenthaltsorten,
auch im Ausland, Abstand von seinen Wurzeln zu gewinnen, bleibt die
Familiengeschichte sein ständiger Begleiter. Mit seinem Fachwissen und aufgrund
seiner beruflichen Erfahrungen gewährt der Autor einen tiefen Einblick in den
Klinikalltag. Das Verhalten der Patienten bringt ihn zum Nachdenken über die Leiden
seiner Verwandten. Schritt für Schritt vollzieht er nach, wer an was erkrankt
war und welche Gründe dazu geführt haben. Leon Engler wirft die Frage auf, wer
bestimmt, was als regulär anzusehen ist und welches Maß erreicht werden muss,
damit eine psychische Krankheit beginnt. Dazu schaut er auch auf die Geschichte
der Psychologie.
Der Roman „Botanik des Wahnsinns“ von Leon Engler ist ein
liebevoller Blick auf eine nicht alltägliche Familie, von der man sich fragt,
inwieweit sie derjenigen des Autors entspricht. Feinfühlig setzt sich aus den
Erinnerungen des Erzählers ein Bild der ihn prägenden Erfahrungen mehrerer
Generationen zusammen. Die Schilderung der gehäuft auftretenden
psychosomatischen Krankheiten in der Familie des Protagonisten ist tief
berührend und hallt lange nach. Gerne empfehle ich das Buch weiter, vor allem
an Lesende mit Interesse an Psychologie.