Rezension von Ingrid Eßer
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Die siebenundzwanzigjährige Yeonhwa erbt in Lee Onhwas Roman
„Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ die Konditorei ihrer Großmutter. Obwohl
sie selbst eine talentierte Bäckerin ist, möchte sie das Geschäft zunächst
nicht übernehmen. Doch der Anwalt macht ihr aufgrund der Lage wenig Hoffnung
auf einen lukrativen Verkauf. Er konfrontiert sie außerdem mit den ungewöhnlichen
Bedingungen, die an das Erbe geknüpft sind: Yeonhwa muss die Konditorei
mindestens einen Monat lang führen, darf sie nur von 22 Uhr bis Mitternacht
öffnen und soll sich auf all das freuen, was in dieser Zeit geschieht.
Bereits an ihrem ersten Abend begegnet sie dem Großhändler
Sawol, der sämtliche Zutaten für den Laden besorgt, aber gleichzeitig auch als
Schamane tätig ist. Kurz darauf erscheint eine erste Kundin, die ein Geist ist,
wie sich schnell herausstellt. Von nun an taucht jede Nacht ein anderer verstorbener
Gast auf, der ihr in der Ich-Perspektive von seinem Leben und seinem Tod
erzählt. Nach den Rezepten der Großmutter bereitet Yeonhwa jedem von ihnen ein
besonderes Gebäck zu, das für die Besuchenden eine magische Wirkung entfaltet. Auf
einer dem Buch beigelegten Karte findet sich eines der Rezepte, weitere sind
über den aufgedruckten QR-Code im Internet aufrufbar.
Die tragischen und berührenden Geschichten der Toten nehmen
einen breiten Raum ein. Lee Onhwa ist eine südkoreanische Autorin, die einiges von
der Lebenswelt ihres Landes in den Roman einfließen lässt. Yeonhwa, die im Haus
ihrer Großmutter aufgewachsen ist, hat sich mit der Zeit von ihr entfremdet und
für sich einen Weg gefunden, in der die Konditorei keine Rolle mehr spielte.
Sie wirkt manchmal ein wenig naiv, zeigt jedoch große Empathie und setzt alles
daran, den Geistern Trost zu spenden. Gleichzeitig verarbeitet sie dabei ihre
eigene Trauer.
„Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ von Lee Onhwa ist ein feinfühlig erzählter Roman mit einer Spur von magischem Realismus, der bewegt und nachklingt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.