Mittwoch, 17. September 2025

Rezension: Goldstrand von Katerina Poladjan

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Goldstrand
Autorin: Katerina Poladjan
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971767
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Im Roman „Goldstrand“ von Katerina Poladjan liegt der etwa sechzig Jahre alte Filmregisseur Edi in Rom auf der Couch seiner „Dottoressa“ genannten Psychotherapeutin. Die beiden ahben bereits zahlreiche Sitzungen hinter sich. Die Inhalte der mehr als dreißig bereits abgehaltenen Stunden bleiben im Dunkeln. Nun erinnert Edi sich daran, wie seine Eltern sich kennengelernt haben.

Er erzählt, wie sein Großvater zu Beginn der 1920er-Jahre mit seiner Tochter Vera und seinem Sohn Felix wegen der Hungersnot in der Ukraine aus Odessa nach Konstantinopel flieht. Auf der Überfahrt verschwindet Vera spurlos. Niemand hat gesehen, ob sie über Bord ging. Es beginnt eine jahrelange, von Hoffnung und Verzweiflung geprägte Suche nach ihr.

Später erinnert Eli daran, wie seine italienische Mutter im bulgarischen Warna den Architekten Felix kennenlernt und dieser sein Vater wurde. Mit dieser Begegnung ist der Bau des ersten Hotels am sogenannten Goldstrand verbunden, der später ein internationaler Ferienort werden sollte. Hier bestehen keine politisch bedingten Einschränkungen für einen Besuch. Das Trauma von Veras Verschwindens prägt die Familie bis in die Gegenwart. Eli benennt nicht nur seine Tochter nach ihr, sondern widmet der Geschichte seiner Vorfahren auch Filme.

Nach und nach wird deutlich, dass Eli ein unzuverlässiger Erzähler ist, was auch die Dottoressa bemerkt. Er lässt Erinnerungen, Fantasien und Zukunftsvorstellungen ineinanderfließen, sodass der Lesende unsicher wird, was tatsächlich geschehen ist.

Eli erscheint zunächst als ein familienverbundener Mensch, doch seine gescheiterte Ehe, sein distanziertes Verhältnis zur Tochter und ein erschreckender Gedanke, den er etwa in der Mitte des Romans hat, zeichnen ein komplexeres Bild. Im weiteren Verlauf bleiben die Therapiegespräche nicht mehr im vertrauten Dialog, wodurch Edi die Aufmerksamkeit der Dottoressa zu entgleiten droht.

Das Ende der Geschichte bringt eine überraschende Wendung. Obwohl die Handlung stark auf die Figuren fokussiert ist, treten auch die gesellschaftlichen Umbrüche an den Handlungsorten deutlich hervor. Die Fabulierkunst des Filmregisseurs ist stellenweise amüsant, auch wenn einige Geschehnisse tragisch sind.

„Goldstrand“ von Katerina Poladjan ist ein Roman zwischen Realität und Imagination des Protagonisten. Er ringt mit einem generationenübergreifenden Trauma und sucht auf der Couch seiner Therapeutin nach einer Möglichkeit, es zu verarbeiten. Mit seiner Fantasie kann er sich eigene Wirklichkeiten erschaffen. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese erfinderische Erzählung.

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