Sonntag, 14. Februar 2021

Rezension: Eine Formalie in Kiew von Dmitrij Kapitelman

 


Titel: Eine Formalie in Kiew
Autor: Dmitrij Kapitelman
Erscheinungsdatum: 25.01.2021
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446269378

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Dmitrij Kapitelman kam 1994 als Achtjähriger mit seinen Eltern und seiner Schwester aus der Ukraine nach Leipzig. Nachdem 25 Jahren in Deutschland, in denen er zur Schule ging, hier studierte und berufstätig wurde, hat er nun den Wunsch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Deutscher zu sein, würde für den Journalist und Autor bedeuten, hier wählen zu dürfen, bei bestimmten Verträgen mehr Vertrauen zu erhalten und auch, dass die auf dem Papier bestehende Residenzpflicht des Kontingentflüchtlings, als welcher er eingereist ist, aufgehoben würde. Aus diesem Anlass beantragt er bei der Ausländerbehörde im Technischen Rathaus der Stadt Leipzig einen deutschen Ausweis. Über seine Erlebnisse in diesem Rahmen, die ihn nach Kiew führten und warum er aufgrund der Erkrankung seines Vaters sogar länger in der ukrainischen Hauptstadt verweilte, erzählt er in seinem Buch „Eine Formalie in Kiew“.

Mit den Jahren ist bei dem Autor das politische Verständnis gewachsen, sein Wunsch ist es inzwischen, sich klar zu positionieren. Ihm ist bewusst, dass er einen Wust Papiere beizubringender hat, doch dass hält ihn nicht ab. Als Leserin ist man aber mit Dmitrij Kapitelman gemeinsam darüber verwundert, dass eine bestimmte Apostille nur in der Geburtsstadt Kiew erhältlich ist. Von Beginn an weiß er durch Gespräche innerhalb der Familie, dass es schwierig sein wird, ohne längere Wartezeit an das begehrte Dokument zu gelangen und vermutlich nur Schmiergeld helfen wird. Der Autor schildert die Begebenheiten mit einem feinen Humor und Sarkasmus. Bestimmte Szenarien, die nicht nur bei ihm ein unsichtbares Kopfschütteln aufgrund der Eigenwilligkeit hervorrufen, führt er zur Spitze hin aus, so dass es ein Vergnügen ist, daran teilhaben zu dürfen.

Der Autor lässt mich als Leser an seinen Gefühlen teilhaben. Sein bürokratisches Abenteuer startet er vor dem Hintergrund der Zerstrittenheit seiner Eltern. Seine Reise ist nicht nur die Suche nach der eigenen passenden Identität, sondern auch nach dem Verständnis für das Verhalten von Vater und Mutter aufgrund ihrer Herkunft. Deutlich wird seine Scheu davor, sich der Korruption in der Ukraine zu stellen. Für die besondere Form der Anerkennung der Dienste bestimmter Personen erfindet er sogar ein Wort, sowie er überhaupt in seinem Buch Freude daran findet, mit Worten und Wortwitz zu spielen. In die Geschichte mischt sich zunehmend seine Sorge um seine Eltern und deren Zwistigkeiten. Spürbar ist seine innere Befriedigung, als er sich endlich aktiv für beide zur Hilfe und Verständigung einsetzen kann.

Gerne bin ich Dmitrij Kapitelman in seinem Buch „Eine Formalie in Kiew“ auf seinem Weg zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit in die Ukraine gefolgt, begleitet von Bürokratie und Korruption. Obwohl er für sich eine neue staatliche Identität beansprucht, versucht er nie seine familiären Wurzeln abzustreifen, sondern strebt nach Verständnis und Einigkeit, auch in Erinnerung an seine Kindheit. Seine wortgewandten Schilderungen beim Wiederbegegnen von Altbekanntem, aber meist dem Entdecken von Neuem, stimmten manchmal traurig, verloren aber nie ihren heiteren Unterton. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung, nicht nur an kulturell interessierte Leser.


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