Freitag, 5. September 2025

Rezension: Botanik des Wahnsinns von Leon Engler


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Botanik des Wahnsinns
Autor: Leon Engler
Erscheinungstermin: 12.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800538
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Sieben Jahre nach der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter sitzt der Ich-Erzähler von Leon Englers Roman „Botanik des Wahnsinns“ vor Kartons, in denen sich all das befindet, was seinerzeit seine Mutter als „unbedeutend“ eingepackt hatte. Durch eine fatale Verwechslung wurden bei der Entrümpelung nicht die belanglosen Dinge entsorgt, sondern die persönlichen Erinnerungsstücke.

Psychische Erkrankungen durchziehen das Leben seiner Eltern und Großeltern wie ein unsichtbarer roter Faden. Jeder seiner Vorfahren aus den vergangenen beiden Generationen litt an einer Erkrankung der Seele: Depression, Alkoholismus, Paranoia, Schizophrenie gehören dazu. Der Erzähler selbst lebt mit der Angst, irgendwann ebenfalls daran zu erkranken, er leidet an Agateophobie. Als Kind wurde dem Erzähler erklärt, dass die Leiden seiner Verwandten organische Natur seien, weil man ihm das Verständnis für eine psychosomatische Krankheit nicht zugestand.

Der Titel des Buchs erklärt sich dadurch, dass sich Pflanzen in der Botanik katalogisieren lassen und dem ähnlich auch Erkrankungen in ein Schema eingeordnet werden können. Der Erzähler vertieft sich in die Literatur, um auch für sich eine Diagnose zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst auf die Seite der Behandler geschlagen und arbeitet als Psychologe in einer Psychiatrie, in der er auf mehreren Stationen eingesetzt wird.

Obwohl er vorher versucht, an verschiedenen Aufenthaltsorten, auch im Ausland, Abstand von seinen Wurzeln zu gewinnen, bleibt die Familiengeschichte sein ständiger Begleiter. Mit seinem Fachwissen und aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen gewährt der Autor einen tiefen Einblick in den Klinikalltag. Das Verhalten der Patienten bringt ihn zum Nachdenken über die Leiden seiner Verwandten. Schritt für Schritt vollzieht er nach, wer an was erkrankt war und welche Gründe dazu geführt haben. Leon Engler wirft die Frage auf, wer bestimmt, was als regulär anzusehen ist und welches Maß erreicht werden muss, damit eine psychische Krankheit beginnt. Dazu schaut er auch auf die Geschichte der Psychologie.

Der Roman „Botanik des Wahnsinns“ von Leon Engler ist ein liebevoller Blick auf eine nicht alltägliche Familie, von der man sich fragt, inwieweit sie derjenigen des Autors entspricht. Feinfühlig setzt sich aus den Erinnerungen des Erzählers ein Bild der ihn prägenden Erfahrungen mehrerer Generationen zusammen. Die Schilderung der gehäuft auftretenden psychosomatischen Krankheiten in der Familie des Protagonisten ist tief berührend und hallt lange nach. Gerne empfehle ich das Buch weiter, vor allem an Lesende mit Interesse an Psychologie.



 

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