Im Roman „Wo die Moltebeeren leuchten“ von Ulrika Lagerlöf
begegnet man zunächst der 17-jährigen Protagonistin Siv Engström. Im Frühjahr
1937 arbeitet sie bereits seit vier Jahren als Haushaltshilfe bei einer
wohlhabenden Familie in dem nordschwedischen Ort, in dem sie mit ihren Eltern
und jüngeren Geschwistern lebt. Gerne hätte Siv weiter die Schule besucht, doch
die angespannte finanzielle Lage ihrer Familie machte dies unmöglich. Sie
träumt davon, eines Tages selbst über ihre Zukunft zu bestimmen, aber eines
Tages erfährt sie, dass ihr Vater sie verpflichtet hat, schon bald für einige
Wochen als Köchin für einen Holzfällertrupp zu arbeiten. Ihr bleibt keine
andere Wahl, als die Stellung anzutreten. Die Unterkunft ist eine Hütte mit nur
einem Raum, in dem außer ihr noch zehn Männer übernachten. Ihr Bett ist lediglich
durch einen Vorhang abgeteilt. Für die neue Tätigkeit erhält Siv deutlich mehr
Lohn als zuvor.
Mehr als achtzig Jahre später wird die 48-jährige Eva Wallman
als weitere Protagonistin des Romans, von ihrem Arbeitgeber an den Ort ihrer
Kindheit im Norden Schwedens geschickt. Die geschiedene Mutter eines Teenagers arbeitet
als Forstwirtin in der Öffentlichkeitsarbeit, im Stab für Waldpflege und
Naturschutz eines Holzunternehmens. Als Umweltaktivisten ein Abholzungsprojekt
stoppen möchten, soll Eva zwischen den Interessen des Unternehmens und den
Forderungen der Naturschützer vermitteln.
Die Erinnerungen an ihre Großmutter inspirierten Ulrika
Lagerlöf zu der Figur der Lagerköchin Siv. Rund um diese Rolle entfaltet sich das
harte Leben mit und in der Natur Nordschwedens am Ende der 1930er Jahre. Neben
den Siedlern rangen dort auch die Waldsami ums tägliche Überleben, die mit
ihren Rentierherden durchs Land zogen. Ihnen wurde durch den Staat kein eigenes
Land zugebilligt. Der daraus entstandene Konflikt wird in der Erzählung kaum
mehr als angedeutet.
Nach der Eingewöhnung begreift Siv erst, wie frei und
selbstbestimmt sie in ihrer neuen Arbeit agieren kann. Jedoch kann sie sich
aufkeimenden zarten Gefühlen zu einem Mann nicht entziehen, was sie schließlich
dazu bringt, über ihre Unabhängigkeit und mögliche Einschränkungen in einer künftigen
Ehe nachzudenken.
Mit dem Handlungsstrang, in dem Eva die Hauptfigur ist, schlägt
die Autorin einen Bogen in die Gegenwart. Auch hier blitzt das Thema „Freiheit“
auf. Eva hat ihre persönlichen Interessen, hinter die ihres Arbeitgebers zu
stellen. Manchmal würde sie ihr Leben gern nach eigenen Vorstellungen und sich dabei
mehr selbst verwirklichen, aber sie ist durch die Verantwortung für ihr Kind
gebunden. Sie weiß, dass der Klimaschutz ein Anliegen ihres Sohnes ist und
sieht seine Meinung in denen der Aktivisten widergespiegelt, was es ihr nicht
leicht macht, Stellung zu beziehen.
„Wo die Moltebeeren leuchten“ ist der erste Band einer bewegenden Trilogie von Ulrika Lagerlöf, die auf zwei Zeitebenen spielt. Die Verbindung der beiden Protagonistinnen offenbart sich dem Lesenden ebenso wie ein verborgenes Familiengeheimnis. Am Ende bleiben Fragen offen, die in den Folgebänden sicherlich beantwortete werden. Dank der wunderschönen Gestaltung mit Farbschnitt ist es eine besondere Freude, den Roman in den Händen zu halten. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Geschichte.