Freitag, 24. Oktober 2025

Rezension: Dius von Stefan Hermans

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Dius
Autor: Stefan Hermans
Übersetzerin aus dem Niederländischen: Ira Wilhelm
Erscheinungsdatum: 22.10.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257073560
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Es sind die 1980er Jahre. Anton ist Dozent an der Kunsthochschule und arbeitet gerade an seiner Doktorarbeit. Eines Tages klingelt einer seiner Studenten, Egidius de Blaeser, kurz Dius genannt, an seiner Haustür. Er bittet ihn darum, eintreten zu dürfen und begründet seinen Wunsch mit einer Überraschung für den Kunsthistoriker. Noch ahnen beide nicht, dass aus diesem ersten Besuch eine Freundschaft entstehen wird, die ihr Leben nachhaltig verändert.

Der Belgier Stefan Hertmans schildert in seinem Roman „Dius“ die besondere Verbundenheit von Anton und der titelgebenden Figur. Die eingangs beschriebene Szene hat er selbst erlebt. Im Übrigen ist die Geschichte fiktiv, jedoch inspiriert von eigenen Freundschaften des Autors. Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen und wird von Anton in einer reflektierenden Ich-Perspektive erzählt, die es ihm erlaubt, seine Erinnerungen aus der Distanz der Gegenwart zu betrachten und ihnen eine neu gewichtete Bedeutung zu verleihen.

Der Autor beschreibt Gefühle mit Tiefe und Authentizität, die auch in der deutschen Übersetzung aus dem Niederländischen erhalten bleiben, nicht zuletzt weil Stefan Hertmans selbst sehr gut Deutsch spricht und eng mit der Übersetzerin zusammengearbeitet hat. Die Freundschaft zwischen Anton und Dius ist geprägt von gegenseitigem Respekt und Akzeptanz. Über ihre gemeinsame Liebe zur Kunst hinaus gewährt sie Einblicke in private Lebenswelten und innere Konflikt. Die beiden sind in schwierigen Situationen füreinander da. Es gibt aber auch Handlungen, die zu Unverständnis und Verärgerung des jeweils anderen führen.  

Viele Meisterwerke der Kunst beschreibt Stefan Hertmans so eindringlich, dass man beim Lesen selbst nachsehen möchte, ob das erwähnte Detail tatsächlich auf dem Objekt zu finden ist. Ebenso lebendig sind seine Schilderungen der Polderlandschaften an der belgischen Küste. Anhand der eindringlichen Beschreibungen kann man sie sich bestens vorstellen. Für beide Protagonisten ist das Genießen der Natur ein Weg, zur Ruhe zu kommen und wieder zu sich selbst zu finden. Zugleich wird in der Ausführung deutlich, wie der fortschreitende Klimawandel und die zunehmende Bebauung das Gesicht der Region im Laufe der Jahre verändert haben.

Stefan Hertmans fasziniert mit seinem Roman „Dius“ durch die feinfühlige Darstellung einer außergewöhnlichen Freundschaft, die zwischen Nähe und Distanz, Bewunderung und Verletzlichkeit schwebt. In schöner Sprache und mit emotionaler Tiefe entfaltet sich eine Erzählung voller Kunst, Musik und Gedanken über die Spuren, die Menschen in der Welt hinterlassen. Es ist eine berührende und nachhallende Geschichte, die ich uneingeschränkt weiterempfehle.

Dienstag, 21. Oktober 2025

Rezension: Cozy Baking Time - Süße Rezepte für die kalte Jahreszeit von Theresa Haubs

 





Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Cozy Baking Time: Süße Rezepte für die kalte Jahreszeit
Autorin: Theresa Haubs
Erscheinungsdatum: 18.09.2025
Verlag: Gräfe und Unzer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Leseband und Farbschnitt
ISBN: 9783833899171
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Das Backbuch „Cozy Baking Time“ von Theresa Haubs enthält sechzig Backanweisungen, die besonders gut in den Herbst und in den Winter passen, ganz im Sinne des Untertitels „Süße Rezepte für die kalte Jahreszeit“.

Die Autorin ist Studentin und ist passionierte Hobbybäckerin. In den sozialen Medien ist sie als „bookslove128“ bekannt. Die Rezepte kommen fast alle aus dem Familienkreis und wurden oft über mehrere Generationen weitergegeben. Ihre Mission: Alle Zutaten sollten leicht erhältlich und einfach zuzubereiten sein. Vor allem sollen die Kuchen und Plätzchen aber nicht nur gut gelingen, sondern auch richtig lecker schmecken!

Nach einem persönlichen Vorwort teilt die Autorin einige bewährte und nützliche Hacks, die das Backen erleichtern, wie sich Rezepte durch kleine Veränderungen kreativ abwandeln oder vegan gestalten lassen. Ergänzend gibt es Ratschläge für den Fall, dass ein Kuchen einmal misslingt, und sogar eine Playlist, die für die passende Backstimmung sorgt.

Der Rezeptteil gliedert sich in Herbstrezepte und Winterrezepte beziehungsweise „Bake It Till You Make It“ und „Hot Girl Winter Is Coming“ wie im Buch getitelt wird. Die Backanweisungen werden ansprechend mit ganzseitigen Fotos von Theresa Haubs in Szene gesetzt und mit einem fantasievollen Namen betitelt. Der Running Gag besteht darin, dass unter vielen Titeln steht „Oder wie meine Mama sagen würde“ ergänzt mit einer traditionellen Bezeichnung.

Die Anleitungen sind einfach verständlich und in einem modernen, lockeren Stil verfasst, der besonders jüngere Bäckerinnen und Bäcker ansprechen dürfte. Der Verlag zieht auf seiner Seite zum Buch eine Verbindung zu den Genres New Romance und New Adult mit denen man es sich beim Verkosten der Gebäcke gemütlich machen kann.

Am Schluss der Seite gibt es hin und wieder gute Tipps verschiedenster Art. Nach einer Danksagung hilft ein alphabetisches Register nach Zutaten dabei, die passende Seite eines Rezepts zu finden.

Inzwischen habe ich die Mandarinen-Schmand-Torte und den Eggspenzive Cake gebacken. Beide Rezepte waren leicht umzusetzen und gut beschrieben. Die Backzeit und -temperatur stimmten, so dass das Ergebnis sehr gut geschmeckt hat.

Das Buch „Cozy Baking Time“ überzeugt nicht nur mit leckeren Rezepten, sondern auch mit einer attraktiven Gestaltung mit Coververedelung und Farbschnitt in der ersten Auflage. Meine Familie wird sicherlich noch mit mancher Köstlichkeit daraus verwöhnt werden. Daher empfehle ich das Buch gerne weiter. 


Donnerstag, 16. Oktober 2025

Rezension: Junge Frau mit Katze von Daniela Dröscher

 

Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Junge Frau mit Katze
Autorin: Daniela Dröscher
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
Verlag: KiWi (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783462007619

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Daniela Dröscher erzählt in ihrem Roman „Junge Frau mit Katze“ über ein folgenschweres Kapitel im Leben einer jungen Frau. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin heißt Ela, wie auch die Autorin ihren Vornamen abkürzt. Die Handlung spielt in den 1990er Jahren, als Ela kurz vor der Verteidigung ihrer Doktorarbeit in steht.

Seit ihrer Kindheit hat Ela ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper, nicht zuletzt, weil sie einen anderen Körperbau als ihre Mutter hat. Im Roman „Lügen über meine Mutter“ erzählt die Autorin aus dieser Zeit. Zwar habe dieses Buch nicht gelesen, konnte jedoch der vorliegenden Geschichte mühelos folgen.

Ela hat in jungen Jahren bereits zahlreiche Erfahrungen mit Ärzten gesammelt, vor allem Anfang Zwanzig, als sie sich einer schweren Operation unterziehen musste. Nun plagen sie seit Tagen Halsschmerzen. Was sich zunächst wie eine schnell zu überwindende Krankheit anhört, wird für Ela zu einer Tour de Force in Sachen ärztliche Untersuchungen, Diagnosen, Symptomen und Wechselwirkungen.

Es gibt keinen Zweifel: Ela steht unter Druck, denn ihr Doktorvater hat ihr eine lukrative Stelle in Aussicht gestellt, doch dazu muss sie ihre Prüfung mit Bestnote bestehen. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist distanziert, der Bruder lebt im Ausland. Sie ist alleinstehend, findet jedoch in einer befreundeten Mutter mit ihrer kleinen Tochter, die in der Nähe wohnt, Rückhalt, auch wenn sie zu Heilverfahren andere Ansichten vertritt. Schon früher hat sie sich immer mal wieder für einige Zeit zurückgezogen, daher fällt es kaum auf, dass sie sich zunehmend isoliert. Die wenigen Stunden, die sie nebenbei arbeitet, kann sie auch im Homeoffice erledigen. Das alles führt dazu, dass sie sich mit sich und ihrem Körper allein auseinandersetzen muss.

Daniela Dröscher beschreibt einfühlsam die Anzeichen der Erkrankungen ihrer Protagonistin, ihre Erfahrungen bei Arztbesuchen und ihren Kampf um Heilung. Die Schilderungen wirken so authentisch, dass spürbar wird, wie viel persönliche Erfahrung darin steckt. Wer sich selbst mit einer langwierigen Krankheit auseinanderzusetzen hat, wird sicherlich einige Situationen gut nachvollziehen können. Die Autorin zeigt eindrücklich, wie Unwissenheit und Hilflosigkeit Ärztinnen und Ärzten manchmal eine fragwürdige Autorität verleihen. Dennoch empfand ich Elas Gespräche mit den Medizinern erhellend und interessant.

In der ersten Hälfte des Romans ist die Geschichte aufgrund der zahlreich geschilderten Leiden bedrückend. Dann jedoch beginnt Ela die Befunde zu hinterfragen und gleichzeitig auch ihr eigenes Verhalten. Sie setzt sich mit dem Verhältnis zu ihrer Mutter und zu dem ihres Bruders auseinander, wägt ihre Freundschaften ab und trifft schließlich einen weitreichende Entscheidung in Bezug auf ihre weitere Laufbahn.

Der Schreibstil der Autorin ist faszinierend. Obwohl die beschriebenen Symptome eine melancholische Grundstimmung erzeugen, gelingt es ihr durch heitere Erzählmomente immer wieder die Schwere des Themas zu mildern. Die Sprache ist klar und funkelnd, so dass ich trotz der oft bedrückenden Atmosphäre den Roman gerne gelesen habe. Ich empfehle das Buch allen, die lebensnahe Geschichten zu schätzen wissen, in denen schwierige Themen feinfühlig erzählt werden.

Sonntag, 12. Oktober 2025

Rezension: Katzentage von Ewald Arenz


Katzentage
Autor: Ewald Arenz
Illustrator: Florian Bayer
Hardcover: 128 Seiten
Erschienen am 16. September 2025
Verlag: DuMont
Link zur Buchseite des Verlags

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Paula und Peter arbeiten bei derselben Firma und haben nach einer Fortbildung die Nacht gemeinsam verbracht. Jetzt sind sie mit dem Zug auf dem Rückweg in die Heimat, doch ein Streik lässt sie in Würzburg stranden. Die beiden beschließen, aus der Not eine Tugend zu machen. Sie buchen sich eine romantische Unterkunft und lassen sich drei verzauberte Tage lang durch die Stadt treiben. Doch während Paula noch nicht daran denken möchte, was danach aus ihnen wird, erhofft Peter sich Klarheit, was die Zukunft angeht.

Paula und Peter kennen sich bislang nur aus dem beruflichen Alltag: Sie ist Ärztin, er arbeitet als Jurist in der Klinikverwaltung. Während es bei der gemeinsamen Nacht nach der Fortbildung nur um Sex ging, beginnen die beiden in Würzburg, sich wirklich wahrzunehmen. In einer ruhigen und poetischen Sprache beschreibt Ewald Arenz die Streifzüge der beiden durch die Stadt, während derer sie miteinander scherzen und mehr übereinander herausfinden. Ich fand es schade, nicht mehr Hintergrundinformationen über die beiden zu erhalten, das Buch bleibt im Moment und gibt darüber hinaus nur wenig preis. Zudem war das Touristenprogramm, das die beiden in Würzburg absolvieren, für meinen Geschmack zu ereignislos. 

Die Illustrationen von Florian Bayer sind stimmungsvoll und vermitteln eine herbstliche Stimmung. Einige sind jedoch sehr dunkel, mir haben die helleren besser gefallen. Insgesamt ist „Katzentage“ ein leiser Roman über das Innehalten und Zueinander finden. Auch wenn er mich nicht gänzlich überzeugen konnte, bietet er eine schöne Flucht aus dem Alltag und lädt Leser:innen ein, sich mit Paula und Peter durch Würzburg treiben zu lassen.


Dienstag, 7. Oktober 2025

Rezension: Was du siehst von Laura Maaß

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Was du siehst
Autorin: Laura Maaß
Erscheinungsdatum: 28.08.2025
Verlag: Gutkind (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783989411067

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Juliane, genannt Jule, und Andreas, den alle nur Andi nennen, kennen sich von Kindesbeinen an. Später wird „Ich sehe was, was du nicht siehst“ ihr liebstes Spiel, das sie ihr Leben lang begleitet. Die beiden sind die Hauptfiguren im Roman „Was du siehst“ von Laura Maaß. Sie wachsen in einem fiktiven Dorf in der „Griesen Gegend“ im Zonenrandgebiet Mecklenburgs auf.

Die mit Jule hochschwangere Ruth, eine Schneiderin aus dem Osten Berlins, findet 1967 Unterkunft bei ihrem Onkel in dem kleinen Ort, in dem auch Andis Eltern leben. Jules Vater ist spurlos verschwunden. Ruth freundet sich mit Andis Mutter an, daher kennen sich ihre Kinder von klein auf. Ihre Freundschaft erhält eine neue Bedeutung, als sie heranwachsen. Ihre Gefühle füreinander zeigen sich in einem ersten Kuss, den sie sich zu der Zeit geben, in der sie Bewerbungen für Ausbildungsstellen schreiben. Andi möchte Förster werden. Jules Wunschberuf lässt sich zunächst nicht verwirklichen, doch durch einen glücklichen Zufall kann sie schließlich Fotografin werden, wie einst ihr Vater.

Als nach dem Mauerfall eine Ausreise möglich wird, begibt sich Jule auf eine Suche, um ein Familiengeheimnis aufzudecken. Das Kinderspiel aus alten Zeiten erhält dabei eine neue Bedeutung und wird zum Titel des Romans. Farben in vielen Facetten durchziehen die Erzählung und geben den Kapiteln ihre Überschriften.

Laura Maaß gelingt es, die Charaktere stimmig im Denken und Verhalten der Zeit ab 1967 darzustellen. Die Ereignisse sind chronologisch erzählt, wodurch die Entwicklung der Hauptfiguren besonders greifbar wird. Der Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft ist herzerwärmend. Jede und jeder wird mit seinen Stärken und Schwächen abgebildet. Die Handlungen der Personen sind eingebunden in die gesellschaftlichen Umbrüche ihrer Zeit, ohne dass diese sich in den Vordergrund drängen.

Besonders schön ist es, Jule und Andi über Kindheit und Jugend hinweg über einen so langen Zeitraum zu begleiten. An ihrer Seite treten zahlreiche Wegbegleitende, deren eigene Hintergründe kleine Geschichten innerhalb der Erzählung bilden. An einigen Stellen deutet Laura Maaß die weitere Entwicklung einer Begebenheit an, was die Tragweite des Geschehenen unterstützt. Es sind die alltäglichen Dinge und die Sorgen von Menschen, wie jeder Lesende sie kennt, die an eigene Erfahrungen erinnern und bewegen. Lediglich der etwas überstürzte Beginn von Jules Suche und deren Länge fand ich eher weniger glaubhaft.

Mit ihrem Roman „Was du siehst“ zeigt Laura Maaß ihr feines Gespür für Zwischentöne. Glaubwürdige Charaktere und eine lebendige Schilderung von Zeit und Orts verleihen der Geschichte Tiefe und bieten eine ergreifende Unterhaltung. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Samstag, 4. Oktober 2025

Rezension: Nächte einer Hexe von Genoveva Dimova


Nächte einer Hexe
Autorin: Genoveva Dimova
Übersetzer: Wieland Freud und Andrea Wandel
Hardcover: 448 Seiten
Erschienen am 13. September 2025
Verlag: Klett-Cotta
Link zur Buchseite des Verlags

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Es sind einige Monate vergangen, seit Kosara den Zmey in die Mauer eingebettet hat. Doch obwohl in Chernograd Sommer sein sollte ist es eisig kalt. Noch dazu treiben Monster ihr Unwesen in der Stadt, die bis zu den nächsten Schmutzigen Tagen eigentlich im Reich der Monster verweilen sollten. Dann wird auch noch die Hexe Sofiya enthauptet in ihrem Salon aufgefunden. Auf der anderen Seite der Mauer, in Belograd, gab es einen ähnlichen Mord. Asens Ermittlungen zu letzterem führen ihn zurück nach Chernograd und zu Kosara. Kann es ihnen gelingen, die Mordfälle zu lösen, die Monster in Schach zu halten und endlich Karaiwanow das Handwerk zu legen?

„Nächte einer Hexe“ spielt rund ein halbes Jahr nach den Ereignissen von „Tage einer Hexe“. Nach nur wenigen Seiten war ich wieder ganz in die Welt der Hexen und Monster eingetaucht. Zwei Enthauptungen sorgen für Aufsehen, eine Ruba muss gerettet werden und ein riesiger Mratinyak, der alle Hühner und Hähne tötet, muss zurück ins Reich der Monster geschickt werden. Ist ein Problem gelöst, tauchen gefühlt zwei neue auf. Dass Kosaras zwölf Schatten, die ihr große Macht verleihen sollten, ihren eigenen Willen haben, ist dabei nicht unbedingt hilfreich. 

Das Tempo bleibt hoch und ich fieberte mit, ob Kosara und Asen gemeinsam mit ihren Verbündeten wieder Ordnung schaffen können. Es gibt spannende Kämpfe und auch emotionale Momente. Niemand ist sicher, nicht alle liebgewonnenen Charaktere überleben bis zum Schluss. Immer wenn die Geschichte Anstalten macht, cozy zu werden, kommt kurz darauf eine böse Überraschung daher, welche die Spannung wieder auflädt. Wer den ersten Teil gelesen hat, der wird nicht umhin kommen, mit „Nächte dieser Hexe“ ein weiteres Mal in die magische Welt Chernograds einzutauchen. Ich gebe eine große Leseempfehlung an alle, die Lust auf eine kurzweilige, abenteuerliche Hexen- und Monsterfantasy haben!


Freitag, 3. Oktober 2025

Rezension: Bretonische Versuchungen - Kommissar Dupins vierzehnter Fall von Jean-Luc Bannalec

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Bretonische Versuchungen
Kommissar Dupins vierzehnter Fall 
Autor: Jean-Luc Bannalec (Pseudonym von Jörg Bong)
Erscheinungsdatum: 25.06.2025
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Broschur mit gestalteten Klappen
ISBN: 9783462002508

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Für Kommissar George Dupin scheint der 14. Fall der Reihe von Jean-Luc Bannalec zunächst ein Heimspiel zu werden. Der Mord, den er aufzuklären hat, ist ebenso spektakulär wie verstörend: In einer Confiserie in der Ville Close von Concarneau wird eine Frau kopfüber in einem Bottich mit flüssiger Schokolade aufgefunden. Sie ist eines der drei Geschwister, die das traditionsreiche Familienunternehmen führen.

Als Dupin die Nachricht erreicht, dass es einen Mord gibt, nimmt er gerade an einer Therapie zur Überwindung seiner Thalassophobie teil. Er bricht diese sofort ab, um sich den Ermittlungen zu widmen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er nicht, dass er und seine Kollegin Nolwenn bis zur völligen Erschöpfung viele Stunden ununterbrochen mit dem Fall beschäftigt seine werden. Eine erster Verdacht führt die beiden bald nach Bayonne im Süden Frankreichs, wo sich der Stammsitz der Confiserie befindet. Die Suche nach einem Motiv gestaltet sich schwierig, wodurch sich kaum einschätzen lässt, ob weitere Personen in Gefahr sind.

Als ein weiterer Mord geschieht, läuft dem Kommissar die Zeit davon. Ohne Schlaf, nur mit Kaffee und Schokolade als Wachmacher setzt er seine Recherchen fort. Anders als sonst, bleibt Nolwenn auf eigenen Wunsch stets an seiner Seite. Unzweifelhaft steigert es die Spannung, wenn Dupin ohne Unterbrechung ermittelt, wirkte auf mich jedoch stellenweise eher unrealistisch.

Auch diesmal nimmt der Autor die Lesenden mit an verwunschen schöne Orte, diesmal vor allem in der Umgebung von Concarneau. Das Thema „Schokolade“ hat mich besonders angesprochen. Im Krimi erfuhr ich eine Menge über die Ingredienzien und den Herstellungsprozess. Während der sozusagen atemlosen Ermittlungstätigkeit bleibt das Privatleben des Kommissars und seines Teams nahezu ausgeblendet. Aber ein Hinweis zum Schluss lässt erfreuliche Aussichten ahnen. „Bretonische Versuchungen“ ist definitiv ein Must Read für alle Dupin-Fans und ein aufregender Lesegenuss für die Leserschaft von Kriminalromanen. Inzwischen wurde der Band verfilmt und ich freue mich schon auf die Ausstrahlung.

Rezension: Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? ...wenn die Schneeflocken fallen von Sam McBratney und Anita Jeram


Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? ...wenn die Schneeflocken fallen
Autor: Sam McBratney
Illustratorin: Anita Jeram
Übersetzer: Rolf Inhauser
Pappbilderbuch: 24 Seiten
Erschienen am 24. September 2025
Verlag: FISCHER Sauerländer
Link zur Buchseite des Verlags

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Es hat geschneit! Der kleine und der große Hase sind in der weißen Schneelandschaft unterwegs und spielen „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Denn auch im Winter gibt es draußen einiges zu entdecken. Der kleine Hase macht es schließlich ganz schön knifflig. Das bringt auch den große Hasen auf eine tolle Idee.

Mein Sohn lässt sich die Geschichten vom kleinen und großen Hasen immer wieder gerne vorlesen. Die Neuauflage dieser winterlichen Geschichte kommt in einem stabilen und handlichen Format für kleine Kinderhände daher und durfte in unserer Sammlung nicht fehlen. Die vertrauten Motive sind hier von einer Schneeschicht bedeckt, die Lust auf die ersten Schneeflocken macht. 

Auf jeder Seite stellen der kleine und der große Hase sich abwechselnd Aufgaben, die erfolgreich gelöst werden. Aber es wird immer schwieriger! Die letzte Aufgabe vermittelt eine wunderschöne Botschaft – gesucht wird das Liebste, was der große Hase hat – und macht Lust darauf, das Buch gleich wieder von vorn zu lesen. Eine wunderschöne, winterliche Geschichte, die sich auch perfekt als Geschenk für Nikolaus oder Weihnachten eignet.


Mittwoch, 24. September 2025

Rezension: Komm und such mich! sagt der kleine Dachs von Constanze von Kitzing


Komm und such mich! sagt der kleine Dachs
Illustratorin: Constanze von Kitzing
Pappbilderbuch: 10 Seiten
Erschienen am 24. September 2025
Verlag: FISCHER Sauerländer
Link zur Buchseite des Verlags

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Der kleine Dachs sucht seine Freunde, um mit ihnen etwas zu spielen. Hinter einem Blätterhaufen raschelt es und im Gebüsch hört er ein Pupsen. Wer war das denn? Das Suchspiel ist bereits in vollem Gange – und am Ende darf sich auch der Dachs selbst verstecken.

Mein Sohn liebt es aktuell sehr, Guckguck zu spielen, daher sind auch Versteckbücher gerade bei ihm ganz hoch im Kurs. Der Dachs und seine Freunde sind in weichen Farben gezeichnet und ihre freundlichen, neugierigen Gesichtsausdrücke machen Lust auf das gemeinsame Suchen. Es gibt fünf Doppelseiten, auf denen jeweils ein Tier gefunden werden muss. Dabei wird das Kind immer direkt angesprochen und gefragt, was sich seiner Meinung nach hinter der Klappe verbirgt.

Die Klappen lassen sich mal zur Seite und mal nach unten öffnen. Mein Sohn hatte den Dreh schnell raus. Sie haben ein gutes Format für kleine Kinderhände, könnten aber noch etwas stabiler sein. Das Buch ist bereits das siebte aus der Reihe rund um den kleinen Dachs, für mich aber das Erste. Hier kam es sehr gut an, weshalb ich es gerne weiterempfehle.


Sonntag, 21. September 2025

Rezension: Der Kreuzweg der Raben von Andrzej Sapkowski


Der Kreuzweg der Raben
Autor: Andrzej Sapkowski
Übersetzer: Erik Simon
Hardcover: 352 Seiten
Erschienen am 2. September 2025
Verlag: dtv
Link zur Buchseite des Verlags

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Geralt von Riva hat erst kürzlich seine Ausbildung zum Hexer in der Festung Kaer Morhen abgeschlossen und ist ins Land Kaedwen gereist, um dort nach Arbeit zu suchen. Schon bald endet er beinahe am Strick, nachdem er einen Räuber getötet hat, der ein Bauernmädchen schänden wollte. Doch er erhält unverhofft Hilfe und lernt so seinen neuen Mentor kennen, den Hexer Preston Holt, von dem er erstaunlicherweise nie zuvor gehört hat. Von ihm lernt er eine neue Art zu kämpfen und erfährt von Vorfällen aus der Vergangenheit der Hexer, die ihm bislang verschwiegen wurden. Er kommt nicht nur Monstern auf die Spur, sondern auch Menschen, die schon lange nichts Gutes mehr im Sinn haben.

Mit „Der Kreuzweg der Raben“ kehrt Andrzej Sapkowski noch einmal ins Witcher-Universum zurück und präsentiert seinen Leser:innen einen jungen, unerfahrenen Geralt von Riva. Er steckt voller Tatendrang, ist aber noch sehr impulsiv und wenig kampferfahren. Damit bringt er sich in Schwierigkeiten, doch zum Glück gibt es auch ihm wohlgesonnene Charaktere, die ihm helfen und von denen er lernen kann. 

Eine Weile wirkt das Buch wie eine lose Aneinanderreihung von Aufträgen und die Kapitel lesen sich wie Kurzgeschichten. Erst mit der Zeit kristallisiert sich ein übergreifender Handlungsbogen heraus, in dem Intrigen, Machtspiele und moralische Entscheidungen im Vordergrund stehen. Wer die Reihe rund um den Witcher bereits kennt, der freut sich über neue Informationen zu den Ursprüngen der Hexer und eine Begegnung mit Nenneke. Aber auch ohne Vorkenntnisse findet man hier ein lesenswertes Abenteuer vor. „Der Kreuzweg der Raben“ ist spannend, intensiv und fesselnd erzählt. Ein Muss für Witcher-Fans und ein idealer Einstieg für alle, die Geralt noch nicht kennen und ganz von vorn beginnen möchten.


Rezension: Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei von Lee Onhwa

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei
Autorin: Lee Onhwa
Übersetzerin aus dem Koreanischen: Alexandra Dickmann
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783651025226

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Die siebenundzwanzigjährige Yeonhwa erbt in Lee Onhwas Roman „Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ die Konditorei ihrer Großmutter. Obwohl sie selbst eine talentierte Bäckerin ist, möchte sie das Geschäft zunächst nicht übernehmen. Doch der Anwalt macht ihr aufgrund der Lage wenig Hoffnung auf einen lukrativen Verkauf. Er konfrontiert sie außerdem mit den ungewöhnlichen Bedingungen, die an das Erbe geknüpft sind: Yeonhwa muss die Konditorei mindestens einen Monat lang führen, darf sie nur von 22 Uhr bis Mitternacht öffnen und soll sich auf all das freuen, was in dieser Zeit geschieht.

Bereits an ihrem ersten Abend begegnet sie dem Großhändler Sawol, der sämtliche Zutaten für den Laden besorgt, aber gleichzeitig auch als Schamane tätig ist. Kurz darauf erscheint eine erste Kundin, die ein Geist ist, wie sich schnell herausstellt. Von nun an taucht jede Nacht ein anderer verstorbener Gast auf, der ihr in der Ich-Perspektive von seinem Leben und seinem Tod erzählt. Nach den Rezepten der Großmutter bereitet Yeonhwa jedem von ihnen ein besonderes Gebäck zu, das für die Besuchenden eine magische Wirkung entfaltet. Auf einer dem Buch beigelegten Karte findet sich eines der Rezepte, weitere sind über den aufgedruckten QR-Code im Internet aufrufbar.

Die tragischen und berührenden Geschichten der Toten nehmen einen breiten Raum ein. Lee Onhwa ist eine südkoreanische Autorin, die einiges von der Lebenswelt ihres Landes in den Roman einfließen lässt. Yeonhwa, die im Haus ihrer Großmutter aufgewachsen ist, hat sich mit der Zeit von ihr entfremdet und für sich einen Weg gefunden, in der die Konditorei keine Rolle mehr spielte. Sie wirkt manchmal ein wenig naiv, zeigt jedoch große Empathie und setzt alles daran, den Geistern Trost zu spenden. Gleichzeitig verarbeitet sie dabei ihre eigene Trauer.

„Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ von Lee Onhwa ist ein feinfühlig erzählter Roman mit einer Spur von magischem Realismus, der bewegt und nachklingt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Mittwoch, 17. September 2025

Rezension: Goldstrand von Katerina Poladjan

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Goldstrand
Autorin: Katerina Poladjan
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971767
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Im Roman „Goldstrand“ von Katerina Poladjan liegt der etwa sechzig Jahre alte Filmregisseur Edi in Rom auf der Couch seiner „Dottoressa“ genannten Psychotherapeutin. Die beiden haben bereits zahlreiche Sitzungen hinter sich. Die Inhalte der mehr als dreißig bereits abgehaltenen Stunden bleiben im Dunkeln. Nun erinnert Edi sich daran, wie seine Eltern sich kennengelernt haben.

Er erzählt, wie sein Großvater zu Beginn der 1920er-Jahre mit seiner Tochter Vera und seinem Sohn Felix wegen der Hungersnot in der Ukraine aus Odessa nach Konstantinopel flieht. Auf der Überfahrt verschwindet Vera spurlos. Niemand hat gesehen, ob sie über Bord ging. Es beginnt eine jahrelange, von Hoffnung und Verzweiflung geprägte Suche nach ihr.

Später erinnert Eli daran, wie seine italienische Mutter im bulgarischen Warna den Architekten Felix kennenlernt und dieser sein Vater wurde. Mit dieser Begegnung ist der Bau des ersten Hotels am sogenannten Goldstrand verbunden, der später ein internationaler Ferienort werden sollte. Hier bestehen keine politisch bedingten Einschränkungen für einen Besuch. Das Trauma von Veras Verschwindens prägt die Familie bis in die Gegenwart. Eli benennt nicht nur seine Tochter nach ihr, sondern widmet der Geschichte seiner Vorfahren auch Filme.

Nach und nach wird deutlich, dass Eli ein unzuverlässiger Erzähler ist, was auch die Dottoressa bemerkt. Er lässt Erinnerungen, Fantasien und Zukunftsvorstellungen ineinanderfließen, sodass der Lesende unsicher wird, was tatsächlich geschehen ist.

Eli erscheint zunächst als ein familienverbundener Mensch, doch seine gescheiterte Ehe, sein distanziertes Verhältnis zur Tochter und ein erschreckender Gedanke, den er etwa in der Mitte des Romans hat, zeichnen ein komplexeres Bild. Im weiteren Verlauf bleiben die Therapiegespräche nicht mehr im vertrauten Dialog, wodurch Edi die Aufmerksamkeit der Dottoressa zu entgleiten droht.

Das Ende der Geschichte bringt eine überraschende Wendung. Obwohl die Handlung stark auf die Figuren fokussiert ist, treten auch die gesellschaftlichen Umbrüche an den Handlungsorten deutlich hervor. Die Fabulierkunst des Filmregisseurs ist stellenweise amüsant, auch wenn einige Geschehnisse tragisch sind.

„Goldstrand“ von Katerina Poladjan ist ein Roman zwischen Realität und Imagination des Protagonisten. Er ringt mit einem generationenübergreifenden Trauma und sucht auf der Couch seiner Therapeutin nach einer Möglichkeit, es zu verarbeiten. Mit seiner Fantasie kann er sich eigene Wirklichkeiten erschaffen. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese erfinderische Erzählung.

Sonntag, 14. September 2025

Rezension: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten von Anna Maschik

 


Rezension von Ingrid Eßer


Titel: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten
Autorin: Anna Maschik
Erscheinungsdatum: 10.09.2025
Verlag: Luchterhand (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783630878140

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In ihrem Roman ‚Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten‘ zeichnet Anna Maschik das vielschichtige Porträt einer Familie über mehrere Generationen. Die Erzählung entfaltet sich Schicht um Schicht, wie die Zitrone, die auf dem Cover abgebildet ist. Sie beginnt vor mehr als hundert Jahren mit der dreizehnjährigen Bäuerin Henrike, die nach dem frühen Tod der Mutter den Haushalt für ihren Vater und ihre Brüder führt. Sie leben in einem Dorf im Norden Deutschlands. Um den Hunger der Familie zu stillen, schlachtet sie unerlaubterweise ein Schaf, was anders als bei anderen Arten lautlos vonstatten. Mit dieser Handlung beginnt das Buch und gibt ihm den Titel.

Henrikes Urenkelin Alma tritt als Erzählerin der Geschichte auf. Sie fügt die überlieferten Episoden, die nicht immer chronologisch angeordnet sind, mosaikartig zusammen. Anna Maschik gestaltet ihren Roman abwechslungsreich: Sie verwendet zahlreiche Stilmittel wie beispielsweise Metaphern, Repetitionen und Personifikationen. Durch eingestreuten Realismus erscheinen einige Begebenheiten unrealistisch, aber Alma erzählt so, wie sie es gehört hat. Die Lesenden sind gefordert, das Geschehen nach ihren eigenen Vorstellungen zu deuten. Der lange Schlaf einer Figur lässt auf ihre Bedeutungslosigkeit in dieser Zeit schließen, das Verblassen der Farben wird zum Symbol für ein anhaltendes Gefühl von Trauer. Politische Veränderungen haben spürbare Auswirkungen auf das tägliche Leben der Familien.

Die unbenannten Kapitel sind kurz und bestehen mehrfach nur aus einer Auflistung, mit denen Alma sich Übersichten zu bestimmten Themen schafft und dabei Gegensätze verdeutlicht. Die Sätze sind auf das Wichtigste beschränkt, doch trotz der dadurch entstehenden Lücken erhält man einen guten Einblick in das entbehrungsreiche bäuerliche Leben. Nach der Heirat von Almas Großmutter mit dem Sohn eines Möbelhändlers sind die nun veränderten alltäglichen Herausforderungen ebenso nachvollziehbar geschildert. Über die Generationen hinweg bringt die Autorin zum Ausdruck, dass die Mütter und die Väter sich darüber uneins sind, ob ein weiblicher oder ein männlicher Nachwuchs es leichter im Leben haben wird. Die Frauen haben den Wunsch, ihre Erziehung anders zu gestalten als die eigene Mutter, doch Anna Maschik zeigt, dass sich dennoch gewisse Muster ungewollt ständig wiederholen. Die Ablösung von der vorherigen Generation erweist sich selbst bei räumlicher Distanz als schwierig.

Anna Maschiks Roman „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ ist eine kunstvoll geschichtete Erzählung, die über Jahrzehnte auf das Gefüge einer Familie blickt. Die Belastungen des Alltags, die Freuden und Sorgen, die Liebe und das Leid der Figuren werden spürbar, lassen aber Platz zur eigenen Interpretation. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für dieses eindrucksvolle Buch.

Freitag, 12. September 2025

Rezension: Lieselotte, wer versteckt sich hier? von Alexander Steffensmeier


Lieselotte, wer versteckt sich hier?
Autor: Alexander Steffensmeier
Pappbilderbuch: 10 Seiten
Erschienen am 27. August 2025
Verlag: FISCHER Sauerländer
Link zur Buchseite des Verlags

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Lieselotte spielt mit ihren Freunden auf dem Bauernhof verstecken. Der Hund, die Ziege, die Hühner und Schweine und das Pony haben sich versteckt. Ist das hinter dem Holzstapel ein Ringelschwanz oder nur das Ende des Gartenschlauchs? Und was ist hinter der Wäscheleine versteckt, wo Lieselotte doch schon alle Tiere gefunden hat?

„Lieselotte, wer versteckt sich hier?“ ist mein erstes Buch aus der bereits viele Bände umfassenden Reihe rund um die Kuh Lieselotte. Das besondere an diesem fünf Doppelseiten umfassenden Pappbilderbuch sind die großen Klappen, die zum Beispiel einen Traktor oder eine alte Badewanne zeigen und hinter denen sich die Tiere versteckt haben.

Mein Sohn findet es spannend, die Tiere auftauchen und wieder verschwinden zu sehen. Er hatte mit seinen 8 Monaten den Dreh schnell raus und klappt gerne immer wieder auf und zu. Die Klappen müssen dabei einiges aushalten, ich hätte sie mir noch etwas stabiler gewünscht. Insgesamt ein wirklich schönes, liebevoll illustriertes Pappbilderbuch, das zum Entdecken einlädt.


Dienstag, 9. September 2025

Rezension: Die Verlorene von Miriam Georg

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Verlorene
Autorin: Miriam Georg
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
Verlag: Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783758500309
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In ihrem Roman „Die Verlorene“ schreibt Miriam Georg zum ersten Mal auf zwei Handlungsebenen, von denen eine in der Gegenwart verortet ist. In ihr stürzt die inzwischen dreiundneunzigjährige Änne Frankfurter Wohnung in Frankfurt von einem Hocker und fällt ins Koma, aus dem sie nicht mehr aufwacht.

Das Verhältnis zu ihrer fünfundsiebzigjährigen Tochter Ellen ist seit jeher belastet. Mit ihr floh sie einst in den Nachkriegstagen aus Schlesien in den Westen. Ihren Vater hat Ellen nie kennengelernt. Ihre Tochter Laura, 37 Jahre alt, stammt aus einer kurzen Ehe. Weder mit Ellen noch mit Laura hat Änne je über ihre Eltern und Geschwister gesprochen. Nach Schlesien ist sie nie zurückgekehrt. Als sie nun bewusstlos im Krankenhaus liegt, bleiben viele Fragen offen, die Tochter und Enkelin ihr gerne gestellt hätten. Beide sind verwundert, als die behandelnde Ärztin ihnen eröffnet, dass Änne nie an Epilepsie gelitten habe, wie sie immer glaubten.

Vor allem Laura wird sich der Brüche in der Familiengeschichte bewusst. Beim Aufräumen in der Wohnung ihrer Großmutter entdeckt sie ein Foto, auf dem zwei junge Frauen mit einem Kleinkind abgebildet sind. Wer darauf abgebildet ist, will sie unbedingt herausfinden und macht sich daher auf den Weg nach Polen, um nach Spuren ihrer Herkunft zu suchen.

Zu Beginn fokussiert die Geschichte noch auf der Gegenwart, doch mit Lauras Nachforschungen nehmen die Kapitel, die in den 1940er Jahren spielen, zunehmend breiteren Raum ein. Ännes Vater führt einen Gutshof. Sie wächst mit einer Schwester und zwei Brüdern auf. Der Zweite Weltkrieg verändert das Leben der Familie grundlegend. Die Söhne werden zum Kriegsdienst eingezogen und dem Hof FremdarbeiterInnen zugewiesen. Als Änne erkrankt, versuchen ihre Eltern dies zu verbergen, denn für eine Krankheit ohne Aussicht auf Heilung gibt es im Dritten Reich keine guten Lösungen.

Als Lesende folgt man Lauras Spurensuche und nähert sich Stück für Stück der jungen Änne. Sie wächst in einer sie beschützenden Familie auf, die zunehmend unter politischen Repressionen leidet. Auf der Suche nach dem Vater von Ellen und dem Grund für Ännes Flucht in den Westen entfaltet sich eine Geschichte mit einigen unerwarteter Wendungen, die für einen regelrechten Lesesog entwickeln. Miriam Georg gelingt es mit Feingefühl die Beweggründe ihrer Figuren für ihr Handeln offenzulegen. Deutlich wird dabei auch, welchen Einschränkungen Frauen in den 1940er Jahren ausgesetzt waren, wenn sie selbstbestimmt leben wollten.

Gute Recherche und eine Verbindung zur eigenen Familiengeschichte der Autorin verleihen dem Roman „Die Verlorene“ von Miriam Georg Authentizität und Nähe zu realen Ereignissen. Familiengeheimnisse sorgen für eine unterschwellige Spannung. Lebendige Figuren, eine wunderschöne Kulisse in Schlesien und starke Gefühle machen die Lektüre eindringlich und hallen nach. Sehr gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung für das Buch.

Montag, 8. September 2025

Rezension: Welcome Home von Arno Strobel

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Welcome Home - Du liebst dein neues Zuhause.
 Hier biest du sicher. Oder?
Autor: Arno Strobel
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur mit
 lentikulärem Cover in der ersten Auflage
ISBN. 9783596711512
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Marco und Ines Winkler, beide etwa Mitte Dreißig, sind stolze Besitzer ihres ersten Eigenheims. Aus dem Norden Deutschlands sind sie mit ihrer vierjährigen Tochter Emilia in die neue Wohnsiedlung „Auf Mons“ in den Süden gezogen. Neue Arbeitsstellen haben sie ebenfalls bereits gefunden. Arno Strobel spielt in seinem Thriller „Welcome Home“ nicht nur mit den Nerven diesen Paares, sondern auch mit denen seiner Leserschaft. Denn zu Recht trägt das Werk den Untertitel „Du liebst dein neues Zuhause. Hier bist du sicher. Oder?“ In der Erstauflage ist das Buch mit einem lentikulärem Wechsel-Motiv ausgestattet, das beim Kippen ein blutiges Messer auf der Fußmatte enthüllt. Ob es sich dabei vielleicht um die Tatwaffe handeln könnte?

Arno Strobel greift erneut ein Thema auf, dass viele Lesende nachvollziehen können: den Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Marco und Ines sind mit der Verwirklichung ihres Traums nicht allein. Bei ihrem Einzug ist bereits etwa die Hälfte der dreißig Häuser der Siedlung bewohnt, sodass zahlreiche Nachbarn in die Handlung eingebunden sind. Um die Übersicht zu erleichtern, findet sich auf dem vorderen Vorsatz eine übersichtliche Skizze.

Es ist kalt im November. Auf einer Runde durch das Viertel, ist nur hier und da ein Licht zu sehen, was der Erzählung eine düstere Stimmung verleiht. Nur kurze Zeit nachdem Ines und Marco ihr Haus bezogen haben geschieht nebenan ein Mord. Ines könnte die Täterin oder den Tätern sogar vom Fenster aus gesehen haben. Schon zuvor hatten sie und ihr Mann in merkwürdige Vorkommnisse im Haus bemerkt. Außerdem kursiert das Gerücht, in der Siedlung gingen Geister um. Das Gefühl der Sicherheit schwindet und an seine Stelle tritt eine wachsende Unruhe, ob der Täter erneut zuschlagen wird und ob sie selbst in Gefahr sind.

Bis etwa zur Mitte der Geschichte steigt die Spannungskurve beständig an. Mehrere Figuren geraten in den Fokus, die sich durch markantes Verhalten oder denkwürdige Aussagen verdächtig machen. Dann stagnieren jedoch die Ermittlungen und damit zunächst auch die Spannung. Gezielt weckt der Autor dann zunehmendes Misstrauen zwischen den Bewohnern, bis man nicht mehr weiß, wem man überhaupt noch trauen kann.

Die kurzen Kapiteln werden unregelmäßig von kursiv gesetzten Einschüben unterbrochen, wie üblich in den Thrillern von Arno Strobel. Diesmal erhält man dadurch einen Einblick in die Tragödie einer unbekannten Person, aber später kann man auf diese Weise das Leid eines Opfers nachempfinden. Gegen Ende steigt die Spannungskurve nochmals an und offenbart den bis dahin gut verborgenen Mörder. Sein schnell abgehandeltes Motiv konnte mich jedoch nicht vollständig überzeugen.

Rätselhafte Figuren, eine seltene Erkrankung und das beunruhigende Eindringen in Häuser bilden die Zutaten für den Thriller „Welcome Home“ von Arno Strobel, der zwar gelungen ist, jedoch spannungsmäßig nicht ganz an andere Werke des Autors heranreicht. Thriller-Fans können sich dennoch auf eine fesselnde Lektüre freuen, für die ich gerne eine Leseempfehlung gebe.

Sonntag, 7. September 2025

Rezension: Katabasis von R.F. Kuang


Katabasis
Autorin: R.F. Kuang
Übersetzerinnen: Alexandra Jordan und Heike Franck
Hardcover: 656 Seiten
Erschienen am 26. August 2025
Verlag: Eichborn
Link zur Buchseite des Verlags

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Alice Law promoviert in Cambridge bei dem berühmt-berüchtigten Magier Jacob Grimes. Er gilt als Genie auf seinem Gebiet, hat aber auch einen gewissen Ruf als überanspruchsvoll, manipulativ und anzüglich gegenüber Frauen. Als er beim Wirken eines Zaubers in seine Einzelteile zerlegt wird, sieht Alice sich dafür in der Verantwortung, denn sie hat das Pentagramm zuvor kontrolliert. Für sie ist klar: Wenn sie es in der akademischen Welt weit bringen will, dann muss sie Grimes aus der Hölle zurückholen. Sie will sich gerade dorthin befördern, als ihr Mitstudent Peter ihr auf die Schliche kommt und sich der Reise anschließt. Gemeinsam landen sie an einem Ort, an dem ganz andere Herausforderungen auf sie warten als sie antizipiert hatten. Unterwegs wird zudem klar, dass Alice und Peter einander trotz jahrelanger Zusammenarbeit viel über sich und ihre wahren Motive verheimlicht haben.

Ich habe mich sehr gefreut, dass die Autorin nach „Babel“ ein weiteres Werk in einer magisch-akademischen Welt spielen lässt. Das Tempo zu Beginn ist hoch, schon im zweiten Kapitel sind Alice und Peter in der Hölle angekommen. Auf den Trip haben die beiden sich vorbereitet, indem sie jegliche verfügbare Literatur über die Hölle gelesen haben, die sie in die Finger bekommen haben. Entsprechend gibt es viele Referenzen auf diese Werke, die in den beiden eine gewisse Erwartungshaltung geweckt haben, die jedoch nur zum Teil erfüllt wird. Denn die Hölle hat sich ziemlich verändert, seit zuletzt jemanden die Rückkehr gelungen ist. 

Der Roman ist intellektuell fordernd, viele der Gedankenspiele und Diskussionen fand ich interessant und sie fügen sich gelungen in die Handlung ein. Das Herzstück ist aus meiner Sicht die Idee des Magiesystems, das auf Paradoxen beruht. Ich gebe aber auch offen zu, dass ich bei weitem nicht jede Anspielung verstanden habe und mich damit zufrieden gegeben habe, eine Handvoll Dinge zu recherchieren. Um dieses Buch gänzlich zu entschlüsseln benötigt es viel Zeit und Hingabe. Ich habe ein Level des Verstehens erreicht, das mir persönlich genügt hat und auf dem ich mich von dem Buch sehr gut unterhalten gefühlt habe.

Nachdem die Handlung so schnell in die Hölle verlegt wurde fehlten mir als Leserin zunächst praktisch alle Hintergrundinformationen zu Alice und Peter. Diese folgen im weiteren Buchverlauf durch zahlreiche Rückblenden. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass die Höllenreise überhaupt nicht mehr voran kommt, weil die Geschichte so lange in der Vergangenheit verweilt. Die Autorin zeigt hier auf ihre Weise die Licht- und Schattenseiten der akademischen Welt auf und widmet sich insbesondere dem Thema der Manipulation bis hin zur psychischen Gewalt, die von dem Opfern gar nicht als solche erkannt wird. Der Dynamik der Geschichte hätte es aber gut getan, insbesondere im Mittelteil noch mehr Dialoge und Abenteuer einzubauen. Zum Ende hin wartet dann ein höllischer Showdown auf die Leser:innen. Aus meiner Sicht findet R.F. Kuang einen sehr stimmigen Abschluss für diesen wilden Trip in die Unterwelt. Sehr gerne empfehle ich „Katabasis“ an alle weiter, die Lust auf einen literarischen Fantasyroman Lektüre mit der Universität und der Hölle als Schauplatz haben, zwei Orte, die vielleicht gar nicht so weit voneinander entfernt liegen wie zunächst gedacht.

Freitag, 5. September 2025

Rezension: Botanik des Wahnsinns von Leon Engler


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Botanik des Wahnsinns
Autor: Leon Engler
Erscheinungstermin: 12.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800538
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Sieben Jahre nach der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter sitzt der Ich-Erzähler von Leon Englers Roman „Botanik des Wahnsinns“ vor Kartons, in denen sich all das befindet, was seinerzeit seine Mutter als „unbedeutend“ eingepackt hatte. Durch eine fatale Verwechslung wurden bei der Entrümpelung nicht die belanglosen Dinge entsorgt, sondern die persönlichen Erinnerungsstücke.

Psychische Erkrankungen durchziehen das Leben seiner Eltern und Großeltern wie ein unsichtbarer roter Faden. Jeder seiner Vorfahren aus den vergangenen beiden Generationen litt an einer Erkrankung der Seele: Depression, Alkoholismus, Paranoia, Schizophrenie gehören dazu. Der Erzähler selbst lebt mit der Angst, irgendwann ebenfalls daran zu erkranken, er leidet an Agateophobie. Als Kind wurde dem Erzähler erklärt, dass die Leiden seiner Verwandten organische Natur seien, weil man ihm das Verständnis für eine psychosomatische Krankheit nicht zugestand.

Der Titel des Buchs erklärt sich dadurch, dass sich Pflanzen in der Botanik katalogisieren lassen und dem ähnlich auch Erkrankungen in ein Schema eingeordnet werden können. Der Erzähler vertieft sich in die Literatur, um auch für sich eine Diagnose zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst auf die Seite der Behandler geschlagen und arbeitet als Psychologe in einer Psychiatrie, in der er auf mehreren Stationen eingesetzt wird.

Obwohl er vorher versucht, an verschiedenen Aufenthaltsorten, auch im Ausland, Abstand von seinen Wurzeln zu gewinnen, bleibt die Familiengeschichte sein ständiger Begleiter. Mit seinem Fachwissen und aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen gewährt der Autor einen tiefen Einblick in den Klinikalltag. Das Verhalten der Patienten bringt ihn zum Nachdenken über die Leiden seiner Verwandten. Schritt für Schritt vollzieht er nach, wer an was erkrankt war und welche Gründe dazu geführt haben. Leon Engler wirft die Frage auf, wer bestimmt, was als regulär anzusehen ist und welches Maß erreicht werden muss, damit eine psychische Krankheit beginnt. Dazu schaut er auch auf die Geschichte der Psychologie.

Der Roman „Botanik des Wahnsinns“ von Leon Engler ist ein liebevoller Blick auf eine nicht alltägliche Familie, von der man sich fragt, inwieweit sie derjenigen des Autors entspricht. Feinfühlig setzt sich aus den Erinnerungen des Erzählers ein Bild der ihn prägenden Erfahrungen mehrerer Generationen zusammen. Die Schilderung der gehäuft auftretenden psychosomatischen Krankheiten in der Familie des Protagonisten ist tief berührend und hallt lange nach. Gerne empfehle ich das Buch weiter, vor allem an Lesende mit Interesse an Psychologie.


 

Freitag, 29. August 2025

Rezension: Die Bibliothek meines Großvaters von Masateru Konishi

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Bibliothek meines Großvaters
Autor: Masateru Konishi
Übersetzer: Peter Aichinger-Fankhauser
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783462011722
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Kaede ist 27 Jahre alt und unterrichtet wie einst ihr einundsiebzigjähriger Großvater an einer Grundschule. Inzwischen ist er dement, möchte aber trotz Einschränkungen weiterhin in seinem eigenen Haus wohnen. Ein Pflegedienst organisiert unterstützende Therapien, aber auch Kaede besucht ihn wöchentlich. Am liebsten hält er sich in seiner umfangreichen Bibliothek auf, die titelgebend für den Roman „Die Bibliothek meines Großvaters“ des japanischen Autors Masateru Konisi ist.

Die Krankheit bringt einige Schattenseiten mit sich: An manchen Tagen verliert sich der Großvater in Visionen, deren Ursprung sich erst nach und nach offenbart. Auf diese Weise entfaltet sich eine bewegende Familientragödie. Nebenher vermittelt der Autor einiges an Wissen über verschiedenen Formen der Demenz. Durch das Verhalten des Großvaters zeigt er, wie sich einige Symptome auswirken: Momente der geistigen Umnachtung wechseln sich überraschend klaren Phasen ab.

Die Handlung des Romans entwickelte sich für mich anders als erwartet. Es geht weniger um die Geschichten in Büchern, sondern um das Wissen, das man aus ihnen zieht. Zwar wird auch eine Liebesbeziehung einbezogen, aber im Vordergrund steht die liebevolle Weise, in der Großvater und Enkelin miteinander umgehen. Sie teilen die Leidenschaft für mysteriöse Rätsel, die der Großvater an seinen guten Tagen mit akribischer Sorgfalt, Lebenserfahrung und Intuition bei einem festen Ritual löst. Kaede ist dabei weniger erfolgreich, aber sie ist es, in deren Umfeld sich die Denkspiele ergeben, bei denen es um Leben und Tod geht. Schließlich geraten die beiden selbst in eine äußerst gefährliche Situation.

Dank der guten Übersetzung von Peter Aichinger-Fankhauser sind die Wortspiele aus der japanischen Sprache zwar eigentümlich, aber nachvollziehbar. Der Roman zeigt einige Charakteristiken der Lebensart in Japan. Die Figuren behandeln einander mit Respekt und drücken eher selten ihre Gefühle aus, wodurch Kaede zunächst scheu und zurückhaltend wirkt, aber in wichtigen Situationen durchaus ihre Stärken beweist. Es sind aber vor allem international bekannte Autorin, deren Werke in der Geschichte Erwähnung finden. 

„Die Bibliothek meines Großvaters“ von Masateru Konishi ist ein ruhig erzählter Roman, der durch geschickt eingestreute Kriminalelemente Spannung aufkommen lässt und zum Miträtseln anregt. Das lange zurückliegende Familiendrama, das Kaede und ihren Großvater schließlich in Gefahr bringt, ist besonders berührend. Daher empfehle ich das äußerlich wunderschön gestaltete Buch gerne weiter.

Donnerstag, 28. August 2025

Rezension: Gym von Verena Kessler

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Gym
Autorin: Verena Keßler
Erscheinungsdatum: 19.08.2025
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446281639

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Die 36-jährige Protagonistin des Romans „Gym“ von Verena Kessler benötigt unbedingt die Tätigkeit als Tresenkraft im Fitnessstudio, für die sie beim Besitzer vorspricht. Zwei Gründe, warum es unbedingt dieser Job sein soll, finden sich auf den ersten Seiten, aber der mit ihrer Vergangenheit zusammenhängende wichtigste Grund wird zunächst nur angedeutet. Beim Bewerbungsgespräch stellt sich heraus, dass sie mit ihrem schludrigen Aussehen und der fülligen Figur nicht dem Bild entspricht, welches der Inhaber des Studios sich von seiner Angestellten im Gym vorstellt. Kurzerhand erklärt sie ihm, dass sie erst vor drei Monaten ein Kind bekommen hat. Mit viel Verständnis für ihre momentane Situation stellt er sie ein

Das Fitnessstudio ist nicht nur mit den modernster Ausstattung, sondern auch mit frisch zubereitete Vitaminshakes und makelloser Sauberkeit. Die Hauptfigur findet sich rasch in Arbeitsklima ein, wobei es ihr größtes Problem ist, die eigene Lüge aufrechtzuerhalten. Als Vick, eine mehrfache Europameisterin im Bodybuilding beginnt, im Gym zu trainieren, schlägt der anfängliche Neid der Protagonistin auf deren muskulöses Aussehen bald in Tatkraft um. Endlich hat sie nach langer Zeit wieder ein Ziel, auf das sie hinarbeiten kann. Parallel erfährt man mehr darüber, wie erfolgreich sie bei ihrer letzten Tätigkeit gewesen hin. Doch diesmal kann sie ihren Erfolg auch spüren und für jeden sichtbar machen.

Die Geschichte greift den heutigen Drang auf, das eigene Äußere einem in den sozialen Medien propagierten Schönheitsideal anzupassen. Von Beginn an zeigt sich auch in Ferhats Vorstellungen vom Erscheinungsbild seines Studios und seiner Angestellten, wie sehr auch er diesem Ideal verhaftet ist. Verena Keßler schafft abwechslungsreiche Figuren, deren Handeln immer wieder für amüsante Situationen sorgt. Die Hauptfigur steigert sich allmählich in eine Selbstoptimierung, die nicht nur die Spannung erzeugende Frage aufwirft, wie weit sie dabei gehen wird, sondern auch die Gefahr sichtbar macht, die darin liegt, stets die Beste sein zu wollen.  

Verena Keßler schreibt in ihrem Roman „Gym“ über die zahlreichen Erwartungen der heutigen Gesellschaft, die dem Einzelnen nicht nur im Beruf ständig zu optimierende Ziele auferlegt, sondern dabei von jedem verlangt, auch sich selbst als fit, leistungsfähig und attraktiv zu präsentieren. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehung für diesen bestechend pointierten, aber auch humorvollen Roman.

Freitag, 22. August 2025

Rezension: Himmel ohne Ende von Julia Engelmann


Himmel ohne Ende
Autorin: Julia Engelmann
Hardcover: 336 Seiten
Erschienen am 23. Juli 2025
Verlag: Diogenes
Link zur Buchseite des Verlags

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Charlie ist fünfzehn Jahre alt und hat oft das Gefühl, sich hinter einer Glasscheibe zu befinden, die sie von der Welt trennt. Sie vermisst ihren Vater und tut sich schwer damit, einen neuen Mann im Leben ihrer Mutter zu akzeptieren. Ihren Schwarm himmelt sie aus der Ferne an, ohne sich zu trauen, mit ihm zu reden. Und ihre beste Freundin Kati hat plötzlich keine Zeit mehr für sie. Charlie zieht sich immer weiter zurück, bis nach den Ferien Kornelius, genannt Pommes, in ihre Klasse kommt. Er holt Charlie aus ihrem Schneckenhaus, freundet sich mit ihr an und versteht sie auf eine Art, wie es sonst noch keiner getan hat.

Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Kati befindet sich zu Beginn des Romans in einem emotionalen Chaos. Alles um sie herum ändert sich in eine Richtung, die ihr nicht gefällt, und sie hat das Gefühl, in ihrem eigenen Leben nur eine Zuschauerin zu sein. Die Autorin Julia Engelmann macht mit einer bildreichen, kraftvollen Sprache Charlies Gedanken und Gefühle für mich gut nachvollziehbar, sodass es mir leicht fiel, mich in sie hineinzuversetzen.

Als Pommes in ihre Klasse kommt, ist das für Charlie ein echter Lichtblick. Er ist ihr gegenüber herzlich und offen und zeigt echtes Interesse an den Sachen, die ihr im Kopf herumspuken. Endlich fühlt sie sich verstanden. Worüber er jedoch nicht gerne redet sind die Päckchen, die er selbst mit sich herumträgt. Nur langsam öffnet er sich diesbezüglich gegenüber Charlie. Ich fand es schön, zu sehen, wie sich zwischen den beiden eine Freundschaft entwickelt. Doch auch diese wird schließlich auf die Probe gestellt.

„Himmel ohne Ende“ ist ein Coming of Age-Roman, bei dem ich mich durch seine eindringliche Erzählweise selbst in meine Jugend und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens zurückversetzt fühlte. Er hat eine gute Mischung aus traurigen und melancholischen sowie schönen und unterhaltsamen Momenten. Das Thema Freundschaft sticht besonders heraus und über allem liegt eine hoffnungsvolle Note. Gerne empfehle ich den Roman weiter.


Rezension: Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104 von Susanne Abel

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Du muss meine Hand fester halten, Nr. 104
Autorin: Susanne Abel
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783423283922
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„Du musst meine Hand fester halten, Nummer 104“ sagt die elfjährige Margret auf dem Weg zur Christmette 1947 zu dem sechs Jahre jüngeren Hartmut, den sie später Hardy nennen wird. Es ist eisig an diesem Tag im Sauerland und der kleine Junge droht hinzufallen. Die beiden wohnen in einem Kinderheim und sind die Hauptfiguren in dem nach dieser Szene benannten Roman von Susanne Abel.

Margret ist ein Waisenkind aus Gelsenkirchen. Auch Hardy ist vermutlich eine Waise. Er kam am Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Kindertransport aus Danzig. Sein Name auf dem Pappschild, das er umgehängt trägt, ist verwischt, sein Alter wird geschätzt. Als Margret eines Tages von einer Tante zu sich genommen wird, verliert sie Hardy zunächst aus den Augen. Nach ihrer Volljährigkeit beginnt Margret als Stationshilfe in einem Heim, in dem Hardy inzwischen lebt.

Parallel zu diesem Handlungsstrang erzählt Susanne Abel von Margret und Hardy in den Jahren 2006 bis 2017. Die beiden sind verheiratet und haben inzwischen eine Urenkelin, deren Mutter bei der Geburt noch recht jung war. Sie fällt dem Jugendamt durch eine Unregelmäßigkeit in der Betreuung ihres Kindes auf. Die Angelegenheit führt dazu, dass bei Margret und Hardy schmerzhafte Erinnerungen aus der Kindheit aufbrechen. Stillschweigend hatten sie bisher ihre Vergangenheit ruhen lassen.

In den folgenden Jahren werden sie immer wieder mit Situationen konfrontiert, die verdrängte Gefühle an die Oberfläche holen und sie an die Grenzen des Erträglichen bringen. Margret war stets diejenige und ist es immer noch, die sich um alltäglich zu verwaltende und organisatorische Aufgaben kümmert, während Hardys Stärken mehr im Praktischen liegen.

Es ist berührend, darüber zu lesen, wie Margret sich um Hardy kümmert. Doch die beiden haben ihre Ecken und Kanten, von denen sie einige voreinander zu verbergen suchen. Susanne Abel schreibt aus der Perspektive einer allwissenden Erzählerin und rückt in jeder Szene den Fokus auf eine Hauptfigur, deren Gedanken- und Gefühlswelt dadurch besonders erfahrbar wird. Dadurch kommt es bisweilen zu raschen Wechseln zwischen den Akteuren. Die Autorin war eine Weile als Erzieherin beschäftigt, so dass ihre Darstellung kindlicher Erfahrungen authentisch erscheinen.

Der Triggerhinweis zu Beginn des Romans ist berechtigt, denn die Jahre in einem Waisenhaus sind für beide Kinder verbunden mit Zurechtweisungen und harten Bestrafungen für unerwünschtes Verhalten. Beim Lesen hofft man die ganze Zeit, dass jedes Kind, das in einem der beschriebenen Heime lebt, von einer liebevollen Familie aufgenommen werden wird. Die Autorin verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes, der vor allem in den Nachkriegsjahren unzählige Kinder mit Familienangehörigen wiedervereinen konnte. Jedoch erfährt Margret bei ihren Verwandten keine ausreichende Wertschätzung und erlebt ein traumatisierendes Ereignis.

Als Margret älter ist und sich selbst um hilfsbedürftige Personen kümmert, erschrickt sie über sich selbst als sie feststellt, dass sie nach dem gleichen Muster von Strenge und Härte agiert, die sie in ihrer Kindheit und Jugend erlitten hat. Im Rahmen der Heimunterbringung von Hardy beschreibt Susanne Abel, wie er ruhig gestellt wurde, eine Begebenheit die äußerst berührend und erschütternd ist, jedoch leider keine Fiktion, sondern auf wahren Ereignissen beruht, die die Autorin recherchiert hat.

Erneut ist es Susanne Abel mit „Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104“ gelungen einen zutiefst bewegenden Roman zu schreiben. Die Handlung reicht von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart. Die Autorin beleuchtet dabei das Schicksal von Waisen ebenso wie die Herausforderungen berufstätiger, alleinerziehender Mütter sowie den aktuellen Einfluss von Social Media auf das Familienleben. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für dieses Buch, das einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. 


Sonntag, 17. August 2025

Rezension: Wo die Moltebeeren leuchten (Norrland-Saga, Band 1) von Ulrika Lagerlöf

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wo die Moltebeeren leuchten
Band 1 von 3
Autorin: Ulrika Lagerlöf
Übersetzerin aus dem Schwedischen: Maike Barth
Erscheinungsdatum: 31.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783989410640
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Im Roman „Wo die Moltebeeren leuchten“ von Ulrika Lagerlöf begegnet man zunächst der 17-jährigen Protagonistin Siv Engström. Im Frühjahr 1937 arbeitet sie bereits seit vier Jahren als Haushaltshilfe bei einer wohlhabenden Familie in dem nordschwedischen Ort, in dem sie mit ihren Eltern und jüngeren Geschwistern lebt. Gerne hätte Siv weiter die Schule besucht, doch die angespannte finanzielle Lage ihrer Familie machte dies unmöglich. Sie träumt davon, eines Tages selbst über ihre Zukunft zu bestimmen, aber eines Tages erfährt sie, dass ihr Vater sie verpflichtet hat, schon bald für einige Wochen als Köchin für einen Holzfällertrupp zu arbeiten. Ihr bleibt keine andere Wahl, als die Stellung anzutreten. Die Unterkunft ist eine Hütte mit nur einem Raum, in dem außer ihr noch zehn Männer übernachten. Ihr Bett ist lediglich durch einen Vorhang abgeteilt. Für die neue Tätigkeit erhält Siv deutlich mehr Lohn als zuvor.

Mehr als achtzig Jahre später wird die 48-jährige Eva Wallman als weitere Protagonistin des Romans, von ihrem Arbeitgeber an den Ort ihrer Kindheit im Norden Schwedens geschickt. Die geschiedene Mutter eines Teenagers arbeitet als Forstwirtin in der Öffentlichkeitsarbeit, im Stab für Waldpflege und Naturschutz eines Holzunternehmens. Als Umweltaktivisten ein Abholzungsprojekt stoppen möchten, soll Eva zwischen den Interessen des Unternehmens und den Forderungen der Naturschützer vermitteln.

Die Erinnerungen an ihre Großmutter inspirierten Ulrika Lagerlöf zu der Figur der Lagerköchin Siv. Rund um diese Rolle entfaltet sich das harte Leben mit und in der Natur Nordschwedens am Ende der 1930er Jahre. Neben den Siedlern rangen dort auch die Waldsami ums tägliche Überleben, die mit ihren Rentierherden durchs Land zogen. Ihnen wurde durch den Staat kein eigenes Land zugebilligt. Der daraus entstandene Konflikt wird in der Erzählung kaum mehr als angedeutet.

Nach der Eingewöhnung begreift Siv erst, wie frei und selbstbestimmt sie in ihrer neuen Arbeit agieren kann. Jedoch kann sie sich aufkeimenden zarten Gefühlen zu einem Mann nicht entziehen, was sie schließlich dazu bringt, über ihre Unabhängigkeit und mögliche Einschränkungen in einer künftigen Ehe nachzudenken.

Mit dem Handlungsstrang, in dem Eva die Hauptfigur ist, schlägt die Autorin einen Bogen in die Gegenwart. Auch hier blitzt das Thema „Freiheit“ auf. Eva hat ihre persönlichen Interessen, hinter die ihres Arbeitgebers zu stellen. Manchmal würde sie ihr Leben gern nach eigenen Vorstellungen und sich dabei mehr selbst verwirklichen, aber sie ist durch die Verantwortung für ihr Kind gebunden. Sie weiß, dass der Klimaschutz ein Anliegen ihres Sohnes ist und sieht seine Meinung in denen der Aktivisten widergespiegelt, was es ihr nicht leicht macht, Stellung zu beziehen.

„Wo die Moltebeeren leuchten“ ist der erste Band einer bewegenden Trilogie von Ulrika Lagerlöf, die auf zwei Zeitebenen spielt. Die Verbindung der beiden Protagonistinnen offenbart sich dem Lesenden ebenso wie ein verborgenes Familiengeheimnis. Am Ende bleiben Fragen offen, die in den Folgebänden sicherlich beantwortete werden. Dank der wunderschönen Gestaltung mit Farbschnitt ist es eine besondere Freude, den Roman in den Händen zu halten. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Geschichte.

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