Dienstag, 29. April 2025
Rezension: Mut beginnt im Herzen - Lass deine Ängste los und lerne fliegen von Tessa Randau
Samstag, 26. April 2025
Rezension: Pearly Everlasting von Tammy Armstrong
Autorin: Tammy Armstrong
Hardcover: 368 Seiten
Erschienen am 26. März 2025
Verlag: Diogenes
Link zur Buchseite des Verlags
In einem Holzfäller-Camp
in Kanada wird im Jahr 1918 das Mädchen Pearly Everlasting geboren. Ihr
Vater ist dort Koch, ihre Mutter kümmert sich um Verletzungen und
Krankheiten. Kurz nach ihrer Geburt bringt ihr Vater ein schreiendes, noch
blindes Bärenjunges mit ins Camp, dessen Mutter offensichtlich einem Jäger
zum Opfer gefallen ist. Bruno wächst als Bruder von Pearly auf, die beiden
sind unzertrennlich. Fünfzehn Jahre später gibt es Aufruhr im
Camp, als der unbeliebte Campboss Swicker von Pearly und Bruno
tot aufgefunden wird. Hat Bruno ihn etwa ermordet? Das kann
keiner, der den kleinen Bären besser kennt, wirklich glauben.
Trotzdem wird er von Swickers Neffen fortgeschafft. Doch Pearly will
ohne ihn nicht sein. Sie macht sich mitten im Winter auf den Weg,
um ihn zu finden.
Kanada ist ein Land, das mich sehr fasziniert, und ich freute mich darauf,
in eine Geschichte einzutauchen, die mitten in den kanadischen Wäldern
spielt. Die Atmosphäre des Holzfällercamps wurde von der Autorin
gelungen eingefangen: Ein einfaches Leben fernab von Dörfern und
Städten, viele Männer, die bei der harten Arbeit Leib und Leben
riskieren und dazwischen Pearly mit ihrer Familie, zu der auch der
Bär Bruno gehört. In den ersten Kapiteln wird das Aufwachsen der beiden
beschrieben und die innige Verbindung, die sie zueinander entwickeln.
Pearlys Gefühle für den kleinen Bären werden gelungen vermittelt. Als
Pearly fünfzehn Jahre alt ist und Bruno heimlich weggeschafft wird, konnte
ich daher nachvollziehen, warum sie sich gleich allein auf den Weg
macht. Entgegen meiner Erwartung ist sie gar nicht so lange
unterwegs, sondern verbringt einige Zeit in einem Dorf nahe der
Wälder. Während einige Bewohner dem Mädchen aus den Wäldern
helfen wollen, begegnen ihr andere mit Argwohn. Einige Kapitel
sind außerdem aus der Sicht von Ansell geschrieben, dem Gehilfen
von Pearlys Vater, der sich selbst auf den Weg macht, um Pearly
und Bruno zu finden.
Ich fieberte mit, ob Pearly, Bruno und Ansell einander finden und
wohlbehalten zurückkehren können. Die Geschichte wird in leisen Tönen
erzählt und bietet immer wieder emotionale und spannende Momente. Habt ihr
Lust, in die Wälder Kanadas einzutauchen und in einer
atmosphärischen Erzählung eine Weile an der Seite eines Mädchens und
ihres Bärenbruders zu verbringen? Von mir gibt es eine
klare Empfehlung dafür.
Freitag, 25. April 2025
Rezension: Die Summe unserer Teile von Paola Lopez
Autorin: Paola Lopez
Erscheinungsdatum: 15.03.2025
Verlag: Tropen (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783608502725
In ihrem Debütroman „Die Summe unserer Teile“ erzählt Paola Lopez von drei Frauen: Lucy, ihrer Mutter Daria und deren Mutter Mila. Die Handlung beginnt im Jahr 2014, reicht jedoch über siebzig Jahre in die Vergangenheit zurück und überschreitet dabei auch Ländergrenzen. Lucy wurde in München geboren, lebt aber inzwischen in Berlin. Ihre Mutter kam Anfang der 1970er Jahre zum Studium in die Hauptstadt Bayerns gekommen, doch zur Welt gekommen ist sie in Beirut. Infolge des Zweiten Weltkriegs gelangt Mila von ihrer Heimat Polen in den Libanon. Der unerschütterliche Wille zur Selbstbestimmung verbindet die drei Frauen.
Eines Tages erhält Lucy unerwartet einen Konzertflügel, den ihre Mutter unter ihrem Mädchennamen an die neue Anschrift ihrer Tochter in der Wohngemeinschaft in Berlin transportieren lässt, die sie eigentlich nicht kennen kann. Lucy wird dadurch veranlasst, über ihr bisheriges Leben und das schwierige Verhältnis zu ihrer Familie nachzudenken. Sie trägt genauso wie ihre Großmutter den Vornamen Lyudmila, doch sie hat diese nie bewusst kennenlernen können. Nachdem ihr Mitbewohner erneut mit ihrer besten Freundin zusammenkommt, nimmt es Lucy den Atem und sie stellt fest, dass sie dringend eine Veränderung braucht. Kurzfristig beschließt sie, nach Polen zu reisen, um dort einer Spur zu folgen, die sie näher an das Leben ihrer Großmutter heranführen soll.
Die Studienjahre der Frauen sorgen bei allen dreien für große Veränderungen. Mila verschafft sich bei ihrem Chemiestudium in Beirut, das sie bevorzugt aufgrund ihrer Deutschkenntnisse aufnehmen konnte, nach kurzer Zeit den Respekt ihres Vorgesetzten und den ihrer Kolleginnen und Kollegen. Erst nach einigen Jahren ihrer Ehe mit einem Chemiker kommt ihre Tochter Daria zur Welt, die ihre Mutter als kühl und abweisend in Erinnerung hat. Aufgrund des Wunschs ihrer Eltern beginnt sie später ein Medizinstudium in München, bei dem sie ihren zukünftigen Ehemann kennenlernt. Lucy hingegen studiert Informatik und entwickelt Computerspiele. Mit ihrer Mutter hat sie seit drei Jahre kein Wort gewechselt.
Der Autorin gelingt es, die zwischenmenschlichen Spannungen nicht nur über Dialoge, sondern vor allem über stille Handlungen sichtbar zu machen. Jede der Frauen sucht einen Weg, alte Muster zu durchbrechen, die bisher gekannten Grenzen hinter sich zu lassen und eine eigene Identität zu formen. In ihrem Anspruch, stets beste Leistungen in allem zu zeigen, vergessen sie die Relevanz der Kommunikation, was zu tragischen Missverständnissen mit weitreichenden Folgen führt.
Paola Lopez zeigt mit großer Empathie die Verletzlichkeit ihrer Figuren und lässt nachvollziehbar werden, warum es an Verständnis füreinander fehlt. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung lüftet sie ein Geheimnis, das die erwartete Summe aus dem Zusammenfügen der Teile der Familiengeschichte hinauswachsen lässt. Als Leserin hat mich dieser atmosphärisch dichte und fein komponierte Roman an vielen Stellen tief berührt, sodass ich dieses eindrucksvolle literarische Debüt sehr gerne weiterempfehle.
Dienstag, 22. April 2025
Rezension: Lucid Fate - Was, wenn wir nicht sterben? von Nina Martin
Die Contemporary-Fantasy „Lucid Fate“ ist der dritte und abschließende Band der Trilogie von Nina Martin, in der die Traumwelt Somna und die wache Welt Corpora auf faszinierende Weise miteinander verwoben sind. Der Untertitel Was, wenn wir nicht sterben?“ ist treffend gewählt, denn die beiden Protagonistinnen und Traumgängerinnen Ria und Selena sind überzeugt, dass es nicht möglich sein wird, ohne ihren Tod die beiden Welten wieder zu trennen, die sich gerade erst vereint haben. Auch Eric, der wie die zwei Frauen ein Morphist ist, also die Welten verändern kann, würde dazu sterben müssen.
Es ist erst zwei Wochen her, dass Somna und Corpora verschmolzen sind. Seitdem gelten manche physikalische Gesetzte nicht mehr, was zu einer zunehmend chaotischen und unberechenbaren Welt führt. Während Eric, der früher mit Ria und Selena befreundet war, sich aber schließlich zu ihrem erbitterten Gegner gewandelt hat, für seine Schutzzonen wirbt, tauchen Ria und Selena unter. Nachdem sie ihre Familien in Sicherheit gebracht haben, leben sie im Verborgenen. Sie sind sich allerdings bewusst, dass Eric sie über kurz oder lang aufspüren wird, um die uneingeschränkte Kontrolle über beide Welten zu erlangen. Währenddessen sorgen die Traumwandlungen der Menschen zu wachsender Instabilität.
„Lucid Fate“ steht den zwei vorigen Büchern der Serie in Sachen Spannung in nichts nach. Erneut sind sich Ria und Selena unsicher über ihr weiteres Vorgehen, was sie nicht nur angreifbar, sondern auch nahbar macht. Die Vereinigung der Welten hat dazu geführt, dass einige Traumgänger ihre Meinung über die beiden Morphistinnen geändert haben. Dennoch müssen die zwei jungen Frauen aufpassen, wem sie ihr Vertrauen schenken. Die Geschichte ist vielschichtig und treibt die Hauptfiguren an den Rand ihres Könnens, denn geschickt setzt Eric seine Kräfte dafür ein, seine Gegenspielerinnen an ihrem wunden Punkt zu treffen: den von ihnen geliebten Personen.
Nina Martin gelingt in ihrem Buch „Lucid Fate“ ein fesselndes Finale. Sie wirft aber auch die tiefgründige Frage auf, wie wir mit der Vorstellung des Todes umgehen, wenn er unausweichlich erscheint, aber auch vermeidbar wäre. Ria und Selena schwanken zwischen der Bereitschaft, sich heldenhaft für die Menschheit zu opfern, hin zum Respekt und der Ehrfurcht vor diesem großen Schritt, denn eigentlich möchten sie ihr Leben in Frieden an der Seite der jeweils geliebten Person verbringen. Für die Lesenden ergibt sich daraus ein Hoffen und Bangen über die Entscheidung bis zum Schluss, der in einem großen Showdown endet. Ein spannungsgeladenes und emotionales Ende der Trilogie, die ich gerne den Fans der Reihe empfehle.
Freitag, 18. April 2025
Rezension: Heimweh im Paradies - Thomas Mann in Kalifornien von Martin Mittelmeier
Autor: Martin Mittelmeier
Erscheinungsdatum: 11.03.2025
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783755800330
Donnerstag, 10. April 2025
Informationen zum Roman "Hoffnung in stürmischer Zeit", Band 1 des "Ferne Heimat"-Zweiteilers
„Ferne
Heimat, Zweiteiler
Band 1: Hoffnung in stürmischer Zeit“
Autorin: Ingrid Eßer |
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- Ein bewegender historischer Roman über Flucht, Liebe und Überlebenswillen im Zweiten Weltkrieg
- Die emotionale Geschichte einer Mutter und ihrer Kinder: Zwischen Verlust und Hoffnung
- Inspiriert
von wahren Begebenheiten berührt dieser
Roman durch seine intensive Atmosphäre
Buchhandlungen schreiben für ein kostenfreies Leseexemplar an: buchhandel@bod.de
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VITA: Ingrid Eßer,
Jahrgang 1963, ist in einem Dorf im Rheinland, einem der (Haupt-)Handlungs-orte
ihres Roman-Zweiteilers ‚Ferne Heimat‘, aufgewachsen. Sie studierte
Wirtschaftswissen-schaften mit Schwerpunkt Finanzwirtschaft sowie den
Nebenfächern Wirtschaftsinformatik und Psychologie und arbeitete im
Steuerbüro und in der Verwaltung. Seit 2012 betreibt sie gemeinsam mit ihrer
Tochter den Bücherblog ‚Buchsichten‘. Von Jugend an interessiert sie sich für
die Geschichte ihrer Familie. Sie lebt mit ihrem Mann im Kreis Heinsberg. |
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Das Buch ist bei Buchhandlungen vor Ort und Online-Buchhandlungen bestellbar. Als Autorin verkaufe ich selbst keine Bücher.
Blogger*innen (ab 1.000
Follower) und Presse (Kopie des Journalistenausweises bitte mit senden) richten ihre Anfrage für ein kostenloses Rezensionsexemplar an: presse@bod.de
Buchhandlungen schreiben für ein kostenfreies Leseexemplar an: buchhandel@bod.de
Sonntag, 6. April 2025
Rezension: Bis die Sonne scheint von Christian Schünemann
Rezension von Ingrid Eßer
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Trotz knapper finanzieller Mittel macht sich Familie Hormann
in den 1980er Jahren auf den Weg in den Süden und fährt so lange „Bis die Sonne
scheint“. Der gleichnamige autobiografische Roman von Christian Schünemann erzählt
die Geschichte seiner Familie über mehrere Generationen hinweg, bis hin zu seinen
Großeltern. Die Namen hat der Autor geändert.
Kurz vor der Konfirmation des 15-jährigen Daniel Hormanns,
der als Alter Ego des Autors fungiert, regnet es wieder durch das marode Dach
des Elternhauses. Daniel lebt mit seinen Eltern und drei Geschwistern auf dem
Land in der Nähe von Bremen. An diesem Abend belauscht er ein Gespräch seines
Vaters mit seiner Mutter aus dem er schließt, dass deren Probleme gravierender
sind, als er bisher ahnte und vermutet, dass es Sorgen finanzieller Art sind. In
Erwartung seines anstehenden großen Fests hatte Daniel sich darauf gefreut,
schick eingekleidet zu werden. Außerdem hatte er gehofft, viele Verwandte
einladen zu können, die ihn großzügig mit hohen Geldsummen beschenken würden. Während
innerhalb der Familie an allen Ecken gespart wird, bemühen sich seine Eltern,
nach außen den schönen Schein von gut Verdienenden zu wahren.
Der Autor spannt in seiner Familiengeschichte einen weiten
Bogen. Seine in Oberschlesien geborene und später heimatvertriebene Mutter Marlene
hat sich Mitte der 1950er Jahre den Wunsch nach Abitur und Studium nicht
erfüllen können. Stattdessen musste sie auf Gehiß ihrer Mutter mit ihrem Gehalt
zum Familieneinkommen beitragen. Die Mutter von Daniels Vater Siegfried dagegen
hat sich seit der Weltkriegszeit von ihren Kindern und ihrem Mann distanziert.
Siegfried selbst hat sich für eine Beamtenlaufbahn entschieden, träumte aber insgeheim
davon, Opernsänger zu werden. Sowohl Marlene als auch Siegfried sind überzeugt,
dass das Leben noch mehr für sie bereithält. Auch wenn aktuell kein
finanzielles Polster vorhanden ist, halten sie weiterhin an Träumen fest, die
sich aber im Laufe der Zeit geändert haben.
Gerne habe ich mich als Leserin mit in die 1980er Jahre
nehmen lassen. Weil ich im Alter der ältesten Tochter der Familie Hormann bin,
konnte ich dank der zahlreichen Details über diese Zeit in Erinnerungen
schwelgen. Christian Schünemann lässt das Lebensgefühl der damaligen Zeit authentisch
aufleben, unter anderem durch die Erwähnung von Filmen und Musiktiteln. Nach
den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren ermöglicht inzwischen der
wirtschaftliche Aufschwung, dass ein Durchschnittverdiener sich einiges leisten
kann. Technologische Fortschritte machen die Zukunft spannend. Die Kapitel, die
in den 80er Jahren spielen und von Daniel in Ich-Perspektive erzählt werden,
unterscheiden sich von denen mit Rückblicken auf die Familiengeschichte in
auktorialen Erzählform durch eine Überschrift mit französischen Vokabeln.
Der Roman „Bis die Sonne scheint“ von Christian Schünemann berührt mit Begebenheiten innerhalb der Familie des Autors, die über fünf Jahrzehnte zurückreichen. Durch die gewählte Ich-Erzählform des Protagonisten, der den Autor verkörpert, wurden dessen Gefühle deutlich über das diffuse Verhalten seiner Eltern, die bemüht waren, sich nach außen hin nicht von anderen Familien abheben zu wollen. Gleichzeitig möchten sie sich aber dennoch ihre Träume von einem schönen erfüllten Lebens nicht nehmen lassen. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.
Mittwoch, 2. April 2025
Rezension: Unter Grund von Annegret Leipold
Franziska Fuchsberger, genannt Franka, ist die Protagonistin
im Roman „Unter Grund“ von Annegret Liepold. Die 27-jährige Referendarin an
einer Volksschule lebt seit 2017 in einer Wohngemeinschaft mit Hannah, die als Journalistin
über den NSU-Prozess in München berichtet. Als Franka mit ihrer Schulklasse
eine der Sitzungen besucht, schweifen ihre Gedanken in die Vergangenheit ab, zu
einer Zeit, in der sie sich mit Freunden aus der rechten Szene umgab. Von
diesem Kapitel ihres Lebens weiß aktuell aber niemand in ihrem Umfeld. Spontan
beschließt sie, in ihr Heimatdorf in der Nähe von Erlangen zu fahren. Ihre
Mutter und ihre Tante leben dort immer noch, aber ihre Großmutter, von allen
als „Fuchsin“ bezeichnet, ist vor einigen Jahren verstorben. Über deren Leben liegt
ein Geheimnis, das erst im Verlauf der Geschichte enthüllt wird.
Als Franka elf Jahre alt war, ist ihr Vater gestorben. Mit
ihm ist sie viel durch die Natur gestreift und hat ihm dabei geholfen, den
familieneigenen Weiher abzufischen. Sie hat gute Schulnoten, auf die ihr Vater
sicher stolz wäre, aber keine bemerkenswerten Freundschaften. Die Beziehung zu
ihrer Mutter ist kompliziert und viele Dinge zwischen ihnen bleiben
unausgesprochen. Als sie Leon kennenlernt, der eines Tages ins Dorf zieht,
erfährt sie zum echte Aufmerksamkeit. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006
in Deutschland gerät ihre Beziehung in eine Krise. Sie findet Anschluss bei
Janna und Patrick. Die beiden sind der Ansicht, dass man eine Meinung nicht nur
in der Öffentlichkeit äußern, sondern auch aktionsmäßig durchsetzen sollte. Zum
ersten Mal fühlt Franka sich einer Gruppe zugehörig.
Bis zu ihrem Besuch des Prozesses hat sie über ihre
Vergangenheit geschwiegen. Innerlich hat sie sich von den früheren Geschehnissen
zwar distanziert, aber nicht im Einzelnen damit auseinandergesetzt. Nun aber drängen
die Erinnerungen an die Oberfläche und fordern sie heraus, sich den
Begebenheiten von damals zu stellen, denn sie will ihr jetziges Leben nicht
erneut hinter sich lassen. Es ist nicht immer leicht, den zeitlichen Sprüngen
zwischen den Abschnitten zu folgen. Ich hätte mir eine weitere Darstellung dazu
gewünscht, ob das Familiengeheimnis einen Bezug zur Entwicklung der extremen
Einstellungen von Franka als Jugendliche hat. Im Anhang finden sich ein Glossar
und Verweise zu den im Text verwendeten Begrifflichkeiten des rechten
Gedankenguts, die zur Verdeutlichung unumgänglich sind.
Annegret Liepolds zeigt mit ihrem Roman „Unter Grund“ ein
Beispiel dafür, welche Mechanismen eine Radikalisierung in kurzer Zeit
begünstigen können. Sie greift damit ein hochaktuelles und wichtiges Thema auf.
Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.
Samstag, 29. März 2025
Rezension: Stromlinien von Rebekka Frank
Autorin: Rebekka Frank
Hardcover: 512 Seiten
Erschienen am 26. März 2025
Verlag: FISCHER
Link zur Buchseite des Verlags
Die Teenager Enna und Jale sind Zwillinge und wohnen bei
ihrer Oma Ehmi in den Elbmarschen. Schon lange zählen sie die Tage herunter,
bis ihre Mutter aus dem Gefängnis entlassen wird. Warum sie dort seit mehr als
dreißig Jahren einsitzt, wissen die beiden nicht. Doch am Tag der Entlassung
kommt alles anders als gedacht: Jale ist verschwunden, und Enna erfährt, dass
ihre Mutter Alma schon seit zwei Wochen auf freiem Fuß ist. Gleichzeitig kommt
jemand uns Leben, weil sein Sportboot auf der Elbe sinkt. Die Identität des
Toten ist unklar, doch die Polizei scheint unerklärlicherweise eine Verbindung
zwischen den Ereignissen herstellen zu wollen. Enna beschließt, sich selbst auf
die Suche nach Jale, ihrer Mutter und der Wahrheit zu machen.
Gleich zu Beginn des Romans gibt es einen kurzen Einschub, in welchem eine
unbekannte Person in der Elbe ertrinkt und von ihrem Strom mitgerissen wird. Um
wen es sich handelt bleibt unklar. Da nach wenigen Seiten sowohl von Ennas
Zwillingsschwester als auch von ihrer Mutter jede Spur fehlt fragte ich mich beim
Lesen stets, ob eine der beiden die ertrunkene Person ist und jemand ganz
anderes. Auch sonst wird schnell klar, dass der Roman voller Geheimnisse ist.
Was ist Jale zugestoßen? Warum hat Alma bezüglich ihres Entlassungstermins
gelogen? Und wieso haben weder Alma noch Oma Ehmi je über den Grund für die
jahrzehntelange Haftstrafe geredet?
Die meisten Kapitel sind aus der Sicht von Enna erzählt, die abgesehen von der
engen Beziehung zu Jale keine tieferen Freundschaften pflegt und mit ihren
grünschwarzen Haaren, ihren Piercings und Tatoos ihrem Umfeld signalisiert, ihr
nicht zu nahe zu kommen. Doch unter der harten Schale steckt ein weicher Kern.
Sie ist mir als Protagonistin schnell sympathisch geworden und ich hoffte mit
ihr darauf, herauszufinden, was vor sich geht. Einzelne Kapitel aus der Sicht
anderer Personen, die häufig auch zu anderen Zeiten spielen, ließen mich die
Zusammenhänge allmählich besser verstehen.
Der Roman spielt zum größten Teil in den Elbmarschen. Der Autorin gelingt es
durch ihre atmosphärischen Beschreibungen, das Setting vor dem inneren Auge
lebendig werden zu lassen. Mit ihrem Boot ist Enna auf der Suche nach Jale oft
auf der Elbe unterwegs und streift durch die Landschaft. Auch die Geschichte
ihrer Mutter und weiterer Verwandter führt immer wieder aufs Wasser zurück. Ihr
Mitschüler Luca bietet Enna schließlich seine Unterstützung an, doch ist sein
Motiv dafür tatsächlich reine Hilfsbereitschaft, oder steckt mehr dahinter? Immer
wieder kommen überraschende Wahrheiten ans Licht und Geheimnisse werden
gelüftet. Gleichzeitig werden neue Fragen aufgeworfen. Es gibt in diesem Roman
viele dramatische und tragische Ereignisse, wobei es mir an einigen Stellen
etwas zu weit ging. Er hat jedoch auch leichte Momente und eine hoffnungsvolle
Note. Insgesamt ist „Stromlinien“ eine spannende Lektüre, die ich kaum aus der
Hand legen konnte und daher absolut weiterempfehlen kann!
Dienstag, 25. März 2025
Rezension: The Glass Girl von Kathleen Glasgow
Rezension von Ingrid Eßer
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In ihrem Roman „The Glass Girl“ erzählt die US-Amerikanerin
Kathleen Glasgow die berührende Geschichte der 15-jährigen Bella. Ihre Eltern
haben sich vor einiger Zeit getrennt. Damit ihre Mutter einem Job im HomeOffice
nachgehen kann, unterstützt sie sie im Haushalt und kümmert sich um ihre
siebenjährige Schwester Ricci. Ihr Vater hat eine Freundin und sie weiß noch
nicht recht, wie sie damit umgehen soll. Kürzlich hat sich ihr erster Freund
von ihr getrennt, weil sie ihm nach seiner Aussage „zu viel sei“. Am meisten
trifft sie jedoch der Tod ihrer Großmutter, die in ihren Armen gestorben ist.
Ihr Haus, dass nur wenige Meter von dem ihrer Mutter entfernt ist, wird für sie
zum Zufluchtsort. Hier findet sie nicht nur Abstand vom Stress, sondern bedient
sich bei Bedarf an den alkoholischen Vorräte ihrer Oma.
Mit großer Feinfühligkeit beschreibt die Autorin detailliert
den Weg von Bella, um ihre Sucht zu überwinden. In ihre Geschichte sind spürbar
eigene Erfahrungen eingeflossen. Am Beginn des Romans ist die Protagonistin
bereits so weit, dass sie sich nach einem Schluck Alkohol sehnt, der sie im
Umgang mit Freundinnen und Familie locker sein lässt. Obwohl ihr der Gedanke
nicht fremd ist, dass sie bei regelmäßigem Konsum zur Alkoholikerin werden
kann, beruhigt sie sich damit, dass das nicht passieren wird, weil doch viele
in ihrem Umfeld zu Bier, Wein und anderen Getränken mit noch höherem
Alkoholgehalt greifen. Außerdem denkt sie, dass ihr fester Wille ihr helfen
wird, jederzeit aufhören zu können.
Die Ereignisse spitzen sich zu, denn Kathleen Glasgow scheut
sich nicht, die hässlichen Seiten des Rausches schonungslos zu beschreiben. Es
ist nicht nur erschütternd, darüber zu lesen, wie Bella der Sucht verfällt,
sondern auch bewegend, wie sie versucht, mit professioneller Hilfe daraus
herauszufinden. Dabei lernt sie Jugendliche kennen, die wie sie süchtig nach
Alkohol sind oder nach Drogen, nach Ritzen oder einer Kombination daraus. Sie
teilen ihre Erfahrungen darüber, wie trickreich sie waren, um ihrer Sucht nachzukommen,
ohne entdeckt zu werden. Der Weg zur Heilung ist lang und erfordert Selbstdisziplin.
Der Roman „The Glass Girl“ ist anschaulich und eindrucksvoll beschrieben. Auch wenn die Autorin Kathleen Glasgow einige Konsequenzen der Sucht aufzeigt, die an die Belastungsschwelle des Lesenden gehen, so bleibt die Geschichte dennoch vorstellbar und authentisch. Ich empfehle das Buch an Jugendlichen ab 14 Jahren, damit sie ein Bewusstsein für die Gefahren von Alkoholmissbrauch entwickeln. Aber auch Erwachsene sollten den Roman lesen, um zu verstehen, welche Auswirkungen es haben kann, wenn sie jungen Menschen Alkohol anbieten. Beide Altersgruppe erhalten Ratschläge im Umgang mit Süchtigen und Abstinenzlern. Unbedingt lesen!
Samstag, 22. März 2025
Rezension: Das Leben fing im Sommer an von Christoph Kramer
Autor: Christoph Kramer
Hardcover: 256 Seiten
Erschienen am 13. März 2025
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Link zur Buchseite des Verlags
Es ist der Sommer 2006 und der letzte Schultag vor den
Sommerferien. Chris ist fünfzehn Jahre alt und am Abend soll bei seinem
Klassenkameraden Ron Scheler eine Party steigen, zu der er und sein bester
Freund Johnny nicht eingeladen sind. Als Debbie, in die Chris schon eine ganze
Weile verliebt ist, sich mit den Worten „Bis heute Abend!“ von ihm
verabschiedet, ist für ihn klar: Er muss trotzdem hin. Er und Johnny werden
erfinderisch, um sich doch noch eine Einladung zu sichern. Mit Debbie erlebt
Chris eine Achterbahn der Gefühle, während der Gefallen, den er Ron Scheler
schuldet, zu einem gewagten Ausflug führt.
Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und nahm mich mit in den Kopf
von Chris, der gerade seinen letzten Schultag vor den Sommerferien hat. Als ihn
Debbie nach der Schule in der Dönerbude anspricht, ist er im siebten Himmel. Er
selbst hat sich bislang nicht getraut, sich mit ihr zu unterhalten, dafür ist
er zu unsicher und macht sich zu viele Gedanken über seine Pickel. Er bewundert
seinen besten Freund Johnny um sein Selbstbewusstsein, mit dem er trotz ein
paar Kilos zu viel auf den Rippen bei den Mädchen punkten kann.
In dem Roman fließen laut Christoph Kramer seine eigenen Erlebnisse und Fiktion
ineinander. Fußball spielt in diesem Buch nur eine Nebenrolle. Der Chris im
Roman hat gerade erfahren, dass er in der kommenden Saison nicht mehr bei Bayer
Leverkusen spielen darf, weil er zu schmächtig ist. Eine Nachricht, die er erst
einmal verdauen muss, denn Fußball ist das Wichtigste für ihn. In den drei
Tagen des Romans findet daher auch kein Training statt, sodass viel Zeit für
andere Dinge bleibt. Seine Gedanken kreisen vor allem um Debbie, die am zweiten
Tag der Sommerferien für sechs Wochen in den Urlaub fahren wird und mit der er
vorher so gerne zusammenkommen würde. Ich fieberte mit, ob es ihm gelingt, seinen
Wunsch Realität werden zu lassen.
Ich selbst war im Sommer 2006 genauso alt wie Chris, wodurch ich mich beim
Lesen in meine eigene Jugend zurückversetzt fühlte. Das Chaos der Gefühle, in
dem er sich befindet, konnte ich gut nachvollziehen. Die drei Tage flogen nur
so dahin. Den nächtlichen Ausflug am dritten Tag fand ich sehr gewagt, hier
kann ich mir nicht vorstellen, dass dies wirklich so stattgefunden hat, sondern
für einen dramatischen Abschluss überspitzt wurde. Auf den letzten Seiten gibt
es mehrere kurze Kapitel, in denen der Erzähler berichtet, was danach passiert
ist, und das Erlebte reflektiert. Das rundete den Roman gelungen ab. Sehr gerne
gebe ich daher eine Weiterempfehlung für diese Geschichte über drei Sommertage
voller emotionaler Hoch- und Tiefpunkte, in denen der Protagonist Chris erwachsen
wird.
Donnerstag, 20. März 2025
Bilderbuch-Rezension: Ein Stachelschwein will kuschelig sein von Christine Kugler und Yvonne Sundag
Autorin: Christine Kugler
Illustratorin: Yvonne Sundag
Pappbilderbuch: 14 Seiten
Erschienen am 12. März 2025
Verlag: Penguin Junior
Link zur Buchseite des Verlags
Das Stachelschwein Lou hat ein Problem: Sie fühlt sich abends
allein und wünscht sich ein weiches Fell, damit jemand mit ihr kuschelt. Auf der
Suche nach Hilfe schaut sie beim Fuchs, bei der Maus und beim Flamingo vorbei. Sie
haben Ideen für Lou, doch die funktionieren nicht. Erst der Igel weiß Rat, sodass
am Ende alle zusammengekuschelt einschlafen können.
Zu Beginn der Geschichte ist die Verzweiflung gut auf dem Gesicht des kleinen Stachelschweins
zu sehen und man wünscht sich wirklich inständig, dass eine Lösung gefunden werden
kann. Lous Erlebnisse sind in Reimform verfasst, wodurch man automatisch melodisch
vorliest und die Geschichte lebendig werden lässt. Natürlich gibt es ein Happy End
und alle schlafen gemeinsam ein. Die Zeichnungen sind in warmen Farben gehalten,
was gut zum Thema „Kuscheln“ passt und beim Müde werden unterstützt. Als kleines
Spiel gibt es auf jeder Seite ein Glühwürmchen, das gefunden werden soll. Sehr gern
empfehle ich dieses Pappbilderbuch als Gute-Nacht-Geschichte zum Vorlesen weiter.
Dienstag, 18. März 2025
Rezension: Hier draußen von Martina Behm
Rezension von Ingrid Eßer
Titel: Hier draußen
Autorin: Martina Behm
Erscheinungsdatum: 13.03.2025
Verlag: dtv (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783423284783
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Der Debütroman von Martina Behm trägt den Titel „Hier
draußen“. Man könnte ihn mit „… im Dorf“ ergänzen, denn die Haupthandlung der
Geschichte spielt in dem etwa zweihundert Seelen umfassenden, fiktiven holsteinischen
Ort „Fehrdorf“. Ein alter Mythos um die auf dem Cover abgebildete weiße
Hirschkuh bildet den erzählerischen Rahmen für die Ereignisse im Buch, die
innerhalb eines Jahres geschehen.
Ingo und Lara sind vor drei Jahren mit ihren beiden Kindern
von Hamburg nach Fehrdorf gezogen. Sie haben dort einen Resthof gekauft, um
mehr Wohnraum zu erhalten und naturnäher zu leben. Lara arbeitet im Homeoffice,
aber Ingo pendelt täglich in die Stadt. Auf einer späten Heimatfahrt läuft ihm
eine weiße Hirschkuh vors Auto. Als er den Unfall meldet, wird ihm der dafür
zuständige Jäger geschickt, der ihm erzählt, dass das Töten eines ebensolchen
Exemplars dazu führt, dass die- oder derjenige innerhalb eines Jahres selbst
verstirbt. Gemeinsam führen sie den Schuss aus. Durch die gesamte Geschichte
hinweg, wird der Mythos immer wieder thematisiert, insbesondere, weil Lara
daran interessiert ist, wodurch die Legende begründet wurde.
Martina Behm beschreibt das Dorfleben auf eine realistische
Weise. Einerseits suchen hier Städter nach einem Leben mit weniger Stress,
besserer Luft und engerem Kontakt zu den Bewohnern. Andererseits schildert die
Autorin das Bedürfnis der Alteingesessenen, die sich beruflich aus der
Landwirtschaft lösen, Brauchtümer hinter sich lassen und neue Wege gehen
möchten, was sich oft als schwierig erweist.
Die Autorin stellt eine größere Anzahl Figuren vor, die sich
zu zweit, zu dritt oder mit noch mehr Personen gruppieren. Eine Ausnahme bildet
der alleinstehende Jäger Uwe, der in den 1960er Jahren geboren wurde und den
Hof seiner verstorbenen Eltern weiterführt. In seinem Alter sind auch der Hähnchenmäster
Söhnke und seine Frau Maggie, deren Tochter zwar studiert, sich auf dem Hof als
Landwirtin aber wohler fühlt. Der Schweinezüchter Enno hält unbeirrt an alten
Gewohnheiten fest und übersieht geflissentlich, dass seine Frau Tove schon seit
langem seine Vorstellung der nächsten und weiteren Zukunft nicht teilt. Aus
einer einst größeren Wohngemeinschaft sind nur noch Armin und Jutta im Ort
geblieben, die ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander gefunden haben.
Wie Ingo und Lara wohnen auch die seit langem im Dorf verwurzelten Caro und
Krischi, der sich an einem Online-Handel verssucht.
Während Martina Behm eine ländliche Idylle mit grünen Wiesen
und Wälder ausmalt, verschweigt sie nicht die weniger romantischen Aspekte wie
zum Beispiel der Geruch nach dem Ausfahren von Gülle, Traktorenlärm in den
frühen Morgen- und späten Abendstunden sowie die allgegenwärtigen Fliegen und
Mäuse. Der Autorin gelingt es, durch den ständigen Perspektivenwechsel zu den
verschiedenen Personen, interessante Ansichten zum Leben auf dem Land in ihrer
Geschichte aufzunehmen und authentisch darzustellen.
Der Roman „Hier draußen“ von Martina Behm spiegelt das Leben auf dem Land in seinen Facetten wider. Bewusst spielt sie mit Klischees, ohne ins Banale abzudriften. Sie schaut auf die Gefühle ihrer Figuren im dörflichen Zusammenleben. Einige kurze Rückblicke in die Vergangenheit einzelner Charaktere sorgen für ein tieferes Verständnis der Hintergründe für ihr gegenwärtiges Handeln. Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und daher lege ich sie gerne jeder und jedem ans Herz.
Samstag, 15. März 2025
Rezension: Der Einfluss der Fasane von Antje Rávik Strubel
Autorin: Antje Rávik Strubel
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 12. März 2025
Verlag: S. FISCHER
Link zur Buchseite des Verlags
Hella Karl arbeitet seit zwölf Jahren in Berlin für die
Abendpost, davon sieben als Leiterin des Feuilletons. Als sie die Nachricht
erreicht, dass sich der Theaterintendant Kai Hochwerth in Sydney während eines
Opernauftritts seiner Frau hinter den Kulissen das Leben genommen hat, ist sie
nicht sonderlich erschüttert, fand sie ihn doch alles andere als sympathisch. Sie
verfasst einen Nachruf und betrachtet das Thema als journalistisch verarbeitet.
Doch dann werden Stimmen laut, die behaupten, dass Hella eine Mitschuld an
seinem Tod trägt: Sie ist es, die vor einiger Zeit den Artikel „Intendant
treibt Schauspielerin zur Abtreibung“ verfasst hat, was dazu geführt hat, dass
Hochwerth zur Kündigung gedrängt wurde. In einem auf den Suizid folgenden
Interview macht Hella keine gute Figur. Während sie versucht, sich nicht aus
der Ruhe bringen zu lassen und nicht glaubt, etwas falsches getan zu haben,
muss sie feststellen, dass nun sie es ist, die gecancelt werden soll.
Zu Beginn des Romans erfährt Hella vom Suizid Hochwerths in Sydney. Sie
rekapituliert die erste unangenehme Begegnung mit ihm bei einer Theaterpremiere
kurz nach ihrem Amtsantritt als Feuilletonchefin. Die berufliche Beziehung der
beiden hatte ihre Höhen und Tiefen, doch sonderlich sympathisch ist er Hella
nie geworden. Dabei sagt sie in der Selbstreflektion, dass sie sich oft Männern
näher fühlt als Frauen. Im Rahmen der #MeToo-Debatte hat sie Männern eine
Plattform zur Gegendarstellung gegeben und sich in Funk und Fernsehen gegen den
Trend des Verurteilens und Cancelns ausgesprochen. Nun soll ihr ausgerechnet ein
Artikel, in dem sie Hochwerth Machtmissbrauch vorwirft, weil er zu einer
Schauspielerin „Sieh zu, dass du das wegmachen lässt“ gesagt hat, zum
Verhängnis werden.
Der Roman ist gänzlich aus der Perspektive von Hella geschrieben. Sie gibt sich
nüchtern und distanziert, nichts scheint sie aus der Ruhe bringen zu können. Erst
als der Sturm, der sich allmählich zusammenbraut, nicht nachlässt, und auch ihr
Privatleben aus dem Takt gerät, beginnt sie, ihre Entscheidungen stärker zu
reflektieren. War es richtig, sich bei den Vorwürfen gegen Hochwerth auf die
Seite der Schauspielerin zu stellen und die Anschuldigungen als Erste mit solch
einem reißerischen Artikel zu veröffentlichen? Oder ist sie tatsächlich zu weit
gegangen? Darüber geriet auch ich als Leserin ins Grübeln. Auf den letzten
Seiten gibt es schließlich überraschende Entwicklungen, welche mir nochmals neuen
Stoff zum Nachdenken gaben und die Lektüre nachhallen lassen. Für mich ist „Der
Einfluss der Fasane“ ein gelungener Roman zur Cancel Culture und ihren
Konsequenzen, bei dem die Anklägerin zur Angeklagten wird.
Freitag, 14. März 2025
Rezension: True Crime in Nature- Kriminelle Machenschaften unter Tieren und Pflanzen von Farina Grassmann
Rezension von Ingrid Eßer
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Die Autorin, Naturfotografin und Referentin für Naturschutzthemen
Farina Grassmann wirft im ihrem Buch „True Crime in Nature“ einen besonderen
Blick auf Fauna und Flora. Sie deckt Betrug, Diebstahl und Mord in unserer
heimischen Tier- und Pflanzenwelt auf. In beiden Welten steht das Prinzip der
Fortpflanzung im Vordergrund. Für dieses Ziel sind die Organismen bereit,
erstaunliche kriminelle Energien freizusetzen. Sie kapern zum Beispiel fremde
Nester oder Vorratskammern, leben im Körper von anderen, manipulieren und bauen
raffinierte Fallen. Dabei kann man ihnen keine Hinterlist nachsagen, sondern
der Trieb dazu ist in der Regel angeboren. Für den Menschen bleibt diese
Naturgeschehen oft unbemerkt und ist meistens ungefährlich.
Den größten Teil der Beschreibungen nehmen Insekten ein,
aber auch Vögel, Frösche, Fuchs und Wal sowie Bäume und Pflanzen sorgen für
staunenswerte Erkenntnisse. Vielfach begegnet der Lesende im Buch einer parasitären
Lebensform. Die Autorin weist auf deren Bedeutung hin, denn sie sorgen dafür,
dass Ökosysteme im Gleichgewicht bleiben.
Farina Grassmann schreibt informativ und unterhaltsam. Sie
beschränkt sich nicht nur auf reine Fakten, sondern arbeitet gezielt die
erstaunlichsten Aspekte heraus. Manchmal greift sie auf Ironie zurück, um
besondere Leistungen zu betonen oder gängige Meinungen zu widerlegen. Fauna und
Flora verändern sich ständig, wodurch Tiere und Pflanzen einem steten Wandel
unterliegen. Die Wissenschaft steht immer wieder vor neuen Rätseln und längst
sind nicht alle Fragen geklärt.
Die Ausführungen werden begleitet mit humorvollen
Illustrationen von Cornelis Jettke, die den unerfreulichen Tatsachen erheiternd
entgegenwirken. Ebenso finden sich fünfzehn Farbfotografien der „Verbrecher“,
die von der Autorin aufgenommen wurden. Hiervon hätte ich mir noch mehr
gewünscht.
In ihrem Buch „True Crime in Nature“ zeigt Farina Grassmann eindrucksvoll, dass die Natur nicht immer so friedfertig ist, wie wir sie meist wahrnehmen. Es ist nicht nur eine Darstellung, welche Tricks einige Tiere und Pflanzen aufwenden, um ihr Überleben und ihre Fortpflanzung zu sichern, sondern auch ein Plädoyer dafür, genauer hinzusehen, um die Feinheiten der Flora und Fauna bewusster wahrzunehmen.